Die Realität einer Satire
Montag, 9. Mai 2011
Man stelle sich mal folgendes Szenario vor:
Eine aufgrund lächerlichen Journalismus' renommierte Tageszeitung tritt auf einen bundesweit eigentlich recht unbekannten sozialdemokratischen Politiker zu, bittet diesen, seine kruden und planlosen Thesen zu Ausländern und Erwerbslosen lauter zu artikulieren als bisher, nämlich bundesweit auszuposaunen, anstatt nur in seiner Stadt - und, falls es zeitlich mal passen sollte, auch zu publizieren. Dafür widmete ihm das Blatt fortan viel Aufmerksamkeit, versichert man dem Politiker, der daraufhin, Narziss der er ist, natürlich der Verlockung erliegt. Der Chefredakteur der Zeitung, Duzkumpel und Trauzeuge eines christlich-konservativen Ex-Kanzlers, wählte hierbei absichtlich einen Sozialdemokraten aus, um diesen eines Tages auf dessen eigene Partei anzusetzen. Denn obwohl die Sozialdemokratie mittlerweile gut konservativ geworden ist, ist sie vielen ein Dorn im Auge - und sei es nur aus traditioneller Verachtung oder aus Gründen ideologischen Lagerdenkens, das anno dazumal überlebte. Wankelmütig sei sie, die Sozialdemokratie, weil sie stets ihre historischen Wurzeln beschwört, die im politischen Tagesgeschäft nichts mehr zu suchen hätten.
Kurzum, der Politiker erfüllt seinen Auftrag, er hetzt wöchentlich gegen besagte Gruppen und erntet, fein kalkuliert vom Chefredakteur, der seine Klientel blendend kennt, tosenden Applaus von Stammtischen und aus Akademikerzirkeln. Mittlerweile hat sich der Provokateur bundesweit einen Namen gemacht. Die Zeitung berichtete ja beinahe täglich über ihn und modellierte jede noch so kleine, noch so dumme Äußerung zur Schlagzeile. Nachdem er seine Ansichten zusammentrug und sie, jetzt hatte er Zeit gefunden, publizierte, gärte es in der Sozialdemokratie. Der Ruf nach Ausschluss aus der ehrenwerten Partei wurde laut, setzte ein Parteiausschlussverfahren in Gang und... verwarf es wieder. Weiterhin stolzer Besitzer eines Parteibüchleins! Auch das war dem Kalkül des Chefredakteurs geschuldet, der bereits ahnte, dass man einen Ausschluss mit Blick auf die öffentliche Meinungnie ernstlich erwägen würde.
Und diesen erwarteten Umstand ergreift natürlich wiederum der arglistige Chefredakteur. Malen wir es uns aus, wie er zunächst die christlich-konservative Kanzlerin anruft, dann deren politischen Vater, mit dem er ja, wie wir lasen, eine freundschaftliche Beziehung pflegt. Er könnte beiden mitgeteilt haben, dass er ein kleines Präsent für sie hat, ein weiteres Mosaiksteinchen zur endgültigen Zerschlagung der Sozialdemokratie - diesmal kommt die Dampfwalze sogar aus deren eigenen Partei. Und dann gibt er die Schlagzeilen in den Äther: "Der Provokateur spaltet die Sozialdemokratie!" Parteiflügel werden ausgespielt und aufeinander gehetzt - und die Partei, mittlerweile sowieso keine nennenswerte Größe mehr, wird abermals um Kredit gebracht. Man stelle sich mit etwas Phantasie - oder auch ohne - vor, wie die Kanzlerin dankbar säuselt, denn sie hofft innig, dass mit dem Erhalt des Provokateurs noch mehr chauvinistisches und sozialdarwinistisches Gedankengut in die Sozialdemokratie gelangen könnte - was einige Pläne, die man in der Schublade hat, doch wirklich machbarer machen würde. Denn wenn sich auch beim politischen Gegner mehr Befürworter fänden, kann man allerlei Nationaltümeldes und Unterschichtenfeindliches verabschieden. Braver Bub!, so könnte der senile Altkanzler kurz und knapp und jovial den Chefredakteur loben. Ob der Plan indes erfolgreich sein wird oder nicht, das steht außer Frage, das wird erst die Zukunft erweisen.
Gewinner aber ist der Provokateur, der keiner war, der lediglich einen agent provocateur gab. Noch ist er der Gewinner; vielleicht schart er ja einige rechte Sozialdemokraten um sich und gründet mit denen eine neue sozialdemokratische Partei, die sich freimütig und ungeniert zum Rassismus und Darwinismus bekennt. Vielleicht auch nicht. Dann läßt ihn der Chefredakteur womöglich fallen, denn dann ist sein Auftrag vorzeitig beendet und er nutzlos geworden. Nützliche Idioten haben nur eine kurze Halbwertszeit...
Was sich liest wie eine politische Überspitzung des Dürrenmatt aus den Fünfzigerjahren oder wie die Übertreibung eines Böll aus den Siebzigern, ist in den Zweitausendzehnern keine Glosse, kein satirischer Roman mehr. Die Tragik der Literatur des Zwanzigsten Jahrhunderts ist, dass der Literat keine Realitäten mehr aufplustert, um sie sichtbar zu machen - er setzt die Realität fort und gibt damit einen Ausblick auf die Zukunft. Die Realität, die wir erleben, sie ist wie ein Roman Bölls oder Dürrenmatts: überdreht, drastisch zugespitzt, eigentlich zu haarsträubend, um wahr zu sein. Katharina Blum war Fiktion, ist sie ja noch immer - die alte Dame, die zu Besuch war und jedermanns Niedertracht offenbarte, sie war auch nur eine dramatisierte Erfindung - der Protagonist des Augenblicks ist weder Frau oder Dame, noch wehrt er sich gegen eine Journaille ohne Menschlichkeit: er ist Teil dieses unmenschlichen Apparates. Aber wie man ihn gezielt benutzt, wie man seine unintellektuelle Erscheinung ins Rampenlicht zerrt und dieses kleinen, piefigen Mann zu etwas Messianischem aufbaut, das ist nicht mehr real, das ist bestenfalls die "Realität der Geisteswelt" eines Schriftstellers von Format - das kann doch nicht die reale Realität sein! Der Chefredakteur ist entweder größenwahnsinnig oder aber ein genialer, etwas verhinderter Literat, der seine satirische Geschichte nicht auf Buchseiten packt, sondern in Aufmacher.
Eine aufgrund lächerlichen Journalismus' renommierte Tageszeitung tritt auf einen bundesweit eigentlich recht unbekannten sozialdemokratischen Politiker zu, bittet diesen, seine kruden und planlosen Thesen zu Ausländern und Erwerbslosen lauter zu artikulieren als bisher, nämlich bundesweit auszuposaunen, anstatt nur in seiner Stadt - und, falls es zeitlich mal passen sollte, auch zu publizieren. Dafür widmete ihm das Blatt fortan viel Aufmerksamkeit, versichert man dem Politiker, der daraufhin, Narziss der er ist, natürlich der Verlockung erliegt. Der Chefredakteur der Zeitung, Duzkumpel und Trauzeuge eines christlich-konservativen Ex-Kanzlers, wählte hierbei absichtlich einen Sozialdemokraten aus, um diesen eines Tages auf dessen eigene Partei anzusetzen. Denn obwohl die Sozialdemokratie mittlerweile gut konservativ geworden ist, ist sie vielen ein Dorn im Auge - und sei es nur aus traditioneller Verachtung oder aus Gründen ideologischen Lagerdenkens, das anno dazumal überlebte. Wankelmütig sei sie, die Sozialdemokratie, weil sie stets ihre historischen Wurzeln beschwört, die im politischen Tagesgeschäft nichts mehr zu suchen hätten.
Kurzum, der Politiker erfüllt seinen Auftrag, er hetzt wöchentlich gegen besagte Gruppen und erntet, fein kalkuliert vom Chefredakteur, der seine Klientel blendend kennt, tosenden Applaus von Stammtischen und aus Akademikerzirkeln. Mittlerweile hat sich der Provokateur bundesweit einen Namen gemacht. Die Zeitung berichtete ja beinahe täglich über ihn und modellierte jede noch so kleine, noch so dumme Äußerung zur Schlagzeile. Nachdem er seine Ansichten zusammentrug und sie, jetzt hatte er Zeit gefunden, publizierte, gärte es in der Sozialdemokratie. Der Ruf nach Ausschluss aus der ehrenwerten Partei wurde laut, setzte ein Parteiausschlussverfahren in Gang und... verwarf es wieder. Weiterhin stolzer Besitzer eines Parteibüchleins! Auch das war dem Kalkül des Chefredakteurs geschuldet, der bereits ahnte, dass man einen Ausschluss mit Blick auf die öffentliche Meinungnie ernstlich erwägen würde.
Und diesen erwarteten Umstand ergreift natürlich wiederum der arglistige Chefredakteur. Malen wir es uns aus, wie er zunächst die christlich-konservative Kanzlerin anruft, dann deren politischen Vater, mit dem er ja, wie wir lasen, eine freundschaftliche Beziehung pflegt. Er könnte beiden mitgeteilt haben, dass er ein kleines Präsent für sie hat, ein weiteres Mosaiksteinchen zur endgültigen Zerschlagung der Sozialdemokratie - diesmal kommt die Dampfwalze sogar aus deren eigenen Partei. Und dann gibt er die Schlagzeilen in den Äther: "Der Provokateur spaltet die Sozialdemokratie!" Parteiflügel werden ausgespielt und aufeinander gehetzt - und die Partei, mittlerweile sowieso keine nennenswerte Größe mehr, wird abermals um Kredit gebracht. Man stelle sich mit etwas Phantasie - oder auch ohne - vor, wie die Kanzlerin dankbar säuselt, denn sie hofft innig, dass mit dem Erhalt des Provokateurs noch mehr chauvinistisches und sozialdarwinistisches Gedankengut in die Sozialdemokratie gelangen könnte - was einige Pläne, die man in der Schublade hat, doch wirklich machbarer machen würde. Denn wenn sich auch beim politischen Gegner mehr Befürworter fänden, kann man allerlei Nationaltümeldes und Unterschichtenfeindliches verabschieden. Braver Bub!, so könnte der senile Altkanzler kurz und knapp und jovial den Chefredakteur loben. Ob der Plan indes erfolgreich sein wird oder nicht, das steht außer Frage, das wird erst die Zukunft erweisen.
Gewinner aber ist der Provokateur, der keiner war, der lediglich einen agent provocateur gab. Noch ist er der Gewinner; vielleicht schart er ja einige rechte Sozialdemokraten um sich und gründet mit denen eine neue sozialdemokratische Partei, die sich freimütig und ungeniert zum Rassismus und Darwinismus bekennt. Vielleicht auch nicht. Dann läßt ihn der Chefredakteur womöglich fallen, denn dann ist sein Auftrag vorzeitig beendet und er nutzlos geworden. Nützliche Idioten haben nur eine kurze Halbwertszeit...
Was sich liest wie eine politische Überspitzung des Dürrenmatt aus den Fünfzigerjahren oder wie die Übertreibung eines Böll aus den Siebzigern, ist in den Zweitausendzehnern keine Glosse, kein satirischer Roman mehr. Die Tragik der Literatur des Zwanzigsten Jahrhunderts ist, dass der Literat keine Realitäten mehr aufplustert, um sie sichtbar zu machen - er setzt die Realität fort und gibt damit einen Ausblick auf die Zukunft. Die Realität, die wir erleben, sie ist wie ein Roman Bölls oder Dürrenmatts: überdreht, drastisch zugespitzt, eigentlich zu haarsträubend, um wahr zu sein. Katharina Blum war Fiktion, ist sie ja noch immer - die alte Dame, die zu Besuch war und jedermanns Niedertracht offenbarte, sie war auch nur eine dramatisierte Erfindung - der Protagonist des Augenblicks ist weder Frau oder Dame, noch wehrt er sich gegen eine Journaille ohne Menschlichkeit: er ist Teil dieses unmenschlichen Apparates. Aber wie man ihn gezielt benutzt, wie man seine unintellektuelle Erscheinung ins Rampenlicht zerrt und dieses kleinen, piefigen Mann zu etwas Messianischem aufbaut, das ist nicht mehr real, das ist bestenfalls die "Realität der Geisteswelt" eines Schriftstellers von Format - das kann doch nicht die reale Realität sein! Der Chefredakteur ist entweder größenwahnsinnig oder aber ein genialer, etwas verhinderter Literat, der seine satirische Geschichte nicht auf Buchseiten packt, sondern in Aufmacher.
8 Kommentare:
Vielleicdht sollte ich es an dieser Stelle ebenfalls erwähnen: Es gibt ein neues Entscheidungskriterium für SPD und CDU.
Für die SPD sind Ausländer inzestuöse Kretins.
Für die CDU sind Ausländer intelligenter als Deutsche.
Du hast die Wahl.
Die Satire bleibt Satire.
Warum?
Weil es seit bald einem Jahrzehnt keine Partei mehr in Deutschland gibt die sich "sozialdemokratisch" nennen darf (vielleicht am ehesten die Linken, ist das aber nicht eine neue Satire?).
Mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf dem Balkan und den HARTZ Gesetzen inklusive all den anderen Zumutungen von der Gesetzlichen legitimation, das "Heuschrecken" noch dazu steuerfrei ihre üblen Geschäfte machen dürfen bis zu diversen Steuersenkungen für Reiche und Konzerne und zur Mehrwertsteuererhöhung, die die Schwächsten am meisten trifft ...
Nein die SPD ist nicht mehr Sozial!
Und das offene Eintreten für Rassismus und Chauvinismus ist nur die Konsequenz auf diesem neoliberalen, neokonservativen Weg den die SPD eingschlagen hat!
Vergesst einfach diese Partei, um so schneller ist Platz für eine neue soziale Bewegung neben der Linken.
"Der Chefredakteur ist entweder größenwahnsinnig oder aber ein genialer, etwas verhinderter Literat"
das glaub ich weniger. ich denke die armseligen karriere- und geldgeilen spd führungskader sind dermaßen armselig in ihrem handeln und denken, daß sie auch für wenig geniale chefredakteure leicht und absolut berechenbar sind.
Das Ganze konnte ja nur soweit kommen, weil die Kritik an Sarrazin ein Lehrstück des Dilettantismus' ohen gleichen ist.
Man denke an die sich hochwissenschaftlich gerierende "Widerlegung" Sarrazins der Berliner Humboldt-Universität, die alles andere als dies war und nur ein einziges Kapitel des Buches als Angriffsfläche sah...
In Dänemark ist man viel weiter, da hat die Regierung selber durchgerechnet, wieviel nicht-europäische Ausländer den Staat im Durchschnitt kosten und offiziell erklärt, dass man alles daran setzen wird, diesen Kostenfaktor abzustellen.
Dagegen ist S. ein Waisenknabe...
Wir haben hier keinen Geert Wilders und keinen Le Pen, und es ist auch kein solcher hier abzusehen.
Schon seit langem hat die Realität die Satire überholt, und so wird die Satire zur Realität. Die besseren unserer Kommödianten (Pispers, Schramm, Priol, Pelzig) haben das erkannt und übernehmen seit Jahren die einmal der Presse zugedachte Rolle, indem sie politische und gesellschaftliche Ereignisse eigentlich nur noch zusammenfassen und klar verständlich formulieren. Die schlechteren der Kommödianten (Namen beliebiger Comedy-Hofschranzen eingeben: ...) geben derweil auf Nebenschauplätzen weiterhin die Hofnarren.
Die arme, arme SPD, die sich von einem Einzelnen spalten läßt und keinerlei Gegenmittel hat... Mir kommen die Tränen, wenn ich den Artikel lese. Das ist ja herzzerreißend!
Es ist leichter, ein z.B. Diekmann zu sein als ein anständiger, aufrechter Mensch.
Die Diekmanns dieser Welt benutzen schon immer jeden, wenn es nur zu ihrem Vorteil ist. Das hat mit Sarrazin erastmal wenig zu tun. Morgen ist's ein anderer.
- Klaus
@ninjaturkey:
Über Parteinamen an sich könnte man seitenweise satirische Beiträge schreiben. Denn leider darf die Verpackung immer noch Dinge versprechen, die längst nicht mehr dem Inhalt entsprechen: Die Gründerväter von SPD und CDU waren gewiss einmal sozial engagierte Demokraten bzw. von christlichen Idealen geleitete Persönlichkeiten. Selbst bei der FDP gab mal es solche Gestalten...
In den USA ist mal wie immer schon einen Schritt weiter: Dort gibt es Pappschachteln, die sich schlicht Demokraten oder Republikaner nennen. Eigentlich ist daa ohnehin dasselbe, wenn es denn mit Inhalt gefüllt wäre. Vielleicht sollte man wie in einigen Drittweltländern einfach die Parteifarbe propagieren, wie es bei uns ja schon gelegentlich praktiziert wird. Blau wäre übrigens noch zu vergeben...
Kommentar veröffentlichen