1986 und heute

Mittwoch, 25. Mai 2011

Letzten Sonntag vor fünfundzwanzig Jahren, da lief der Scheibenwischer nicht über die Mattscheibe des Bayerischen Rundfunks. Tschernobyl war noch keine vier Wochen her und das politische Kabarett der ARD-Anstalten RBB und BR, wollte sein Programm nuklear auffüllen. "Der verstrahlte Großvater" sollte das Stück heißen, an dem der BR Anstoß nehmen würde. Dem Fernsehdirektor des BR war das ganze Konzept der geplanten Sendung suspekt, Tschernobyl war schließlich nicht die Sorge der westlichen Hemisphäre und deutsche Atomkraftwerke waren schon damals die sichersten der Welt - jedenfalls dann, wenn man in Deutschland lebte, denn in Frankreich waren von jeher französische AKWs die sichersten und in Japan waren es japanische... aber sprechen wir nicht von Japan.

Den "verstrahlten Großvater" bekamen bayerische Fernsehzuschauer nicht zu Gesicht. Der Bayerische Rundfunk blendete sich aus und der Scheibenwischer galt ein Weilchen als Unterschlupf subversiver Elemente. 1986 war das - seither hat sich nicht viel geändert. Gut, es ist schon wahr, heute haben wir den Satire Gipfel und der ist ungefähr so subversiv wie der Verfassungsschutz - wobei der wiederum witzigere Sketche liefert. Der Satire Gipfel läuft nicht Gefahr, ausgeblendet zu werden. Dies wäre ohnehin vergebliche Arbeit, denn die drei Hansel, die den noch verfolgen, stellen keine Gefahr mehr dar. Inhaltlich bewegt man sich sowieso zwischen Zahn- und Harmlosigkeit. Den Biss, den der Scheibenwischer in seinen letzten Jahren schon - gedankt sei Bruno Jonas! - verloren hatte, den hat der Satire Gipfel nie aufgewiesen.

Viel geändert - viel gleich geblieben. Verstrahlte Großväter sieht man auch heute nicht. Als Japan zu strahlen begann, da trieb es die Medien reihum zu diesem Thema. Verständlicherweise! Nun schweigen sie dazu, manchmal eine Fußnote oder Randnotiz. Mehr schon nicht. Japan wird medial nicht mehr ausgestrahlt, obwohl es sich dort noch lange nicht ausgestrahlt hat. Berichte über verstrahlte Großväter und Großmütter, Eltern, Enkel und Enkelinnen? Keine! Zwar dominiert der Atomausstieg seither das agenda setting, aber mit schonungsloser Offenheit geht man an das Thema nicht heran. Man wagt es nicht, Bilder aus dem Kriegsgebiet in deutsche Wohnzimmer zu liefern - aus einem Kriegs-, nicht Krisengebiet, denn die Atommafia hat die dortige Menschheit nicht in die Krise gestürzt, sie führt täglich einen Krieg gegen die gesamte Menschheit.

Im Ergebnis gleichen sich 1986 und heute. Die Verfahrensweise ist aber tatsächlich eine andere. Damals blendete sich eine Sendeanstalt aus, machte das Kabarett mundtot. Heute muß nicht mehr gedroht werden, man tötet das zu lose Mundwerk schon ganz von alleine ab. Damals konnte man noch von Zensur sprechen, heute kommt es dazu gar nicht mehr. Über die Risiken und Nebenwirkungen der Atomkraft, und das in aller Ausführlichkeit, spricht man in der heutigen Öffentlichkeit auch nicht. Ersatzweise ideologisches "Raus aus der Atomenergie!"-Parolieren oder "Atomenergie ist lebenswichtig!"-Skandieren - keine Grundlagen, kein Basiswissen, das man den Menschen vermittelt. Wie funktioniert ein Reaktor? Wie baut man Uran ab... gibt es überhaupt noch ausreichend Uran? Wiederaufbereitungsanlagen - was sind die Gefahren? Können regenerative Energien den Strombedarf abdecken? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum? Weshalb ist der deklarierte Energie-Mix eine Bremse für erneuerbare Energien? Und aus gegebenen Anlass: Welche Folgen hat ein GAU? Wie sieht es in einer Gegend aus, die unter Strahlung steht? Wie sehen dort Meere aus? Menschen? Menschlicher Nachwuchs? Tiere? Nichts! Das Atom-Pack verhindert und grenzt ein, schmiert und untergräbt...

Funkstille. Keine Bilderflut in einer ansonsten so bilderreichen Gesellschaft. Programmdirektoren müssen hierzu keine Leitung mehr kappen lassen. Es reicht ein absolutistisches Wort - wenn überhaupt, wenn nicht die kleinen Informationsangestellten aus den Medienbetrieben von selbst schweigen, weil es bequemer ist und den Arbeitsplatz nicht antastet. Zwar kann man heute im Kabarett gegen Atomenergie aufbegehren und aufklären - unter Arschloch!-Rufen zwar, wie es neulich Georg Schramm widerfuhr -, aber das liegt auch daran, dass politisches Kabarett als Stiefkind im späten Abendprogramm angesetzt ist. Und mehr als die Hälfte des Kabaretts ist, man denke nochmals an den Gipfel der Impertinenz, der auch Satire Gipfel heißt, überhaupt nicht zur Aufklärung gedacht. Und was dann von Neues aus der Anstalt beim Betrachter haften bleibt, wird später beim abendlichen oder nächtlichen Politgequassel wieder vergessen gemacht - bis nichts mehr im Kopf zurückbleibt.

Damals schützten Programmaussetzer den Betrachter vor Aufklärung - heute können sie ohne Programmunterbrechung geschützt werden. Das nennt sich fortschrittlich! Aber geändert hat sich relativ wenig...



12 Kommentare:

christophe 25. Mai 2011 um 07:55  

Eine Zenzur findet ... statt. Schon allein dadurch, dass kritische Sendungen oder gesellschaftskritische Filme/Beiträge stets weit nach 22 Uhr programmiert sind und man so einen Großteil der Zuschauer ausspart. Unlängst war 'Neues aus der Anstalt' auf 22 Uhr 15 angesetzt. Statt dessen mutete man den Zuschauern ein debiles Fußballspiel zu. Die 'Anstalt' fing dann kurz nach 11 an. Die inszenierte heile Welt hat allemal Vorrang. Nur im Rundfunk gibt es noch ein paar Freiräume, die dem öffentlich-rechtlichen Auftrag entsprechen.

klaus baum 25. Mai 2011 um 08:05  

satiregipfel wo? habe ich was verpasst? ich kenne mich besser aus auf den gipfeln der verzweiflung und in den jammertälern.

Anonym 25. Mai 2011 um 08:25  

Den Satire-Gipfel moderiert jetzt Dieter Nuhr, der sich zum Systemapologeten gewandelt hat und Humor von oben nach unten verbreitet, anstatt mit Satire die Herrschenden zu kritisieren, wie es Pispers, Priol, Schmickler und Schramm tun. Nur macht sich z. B. gern über die S 21-Demonstranten lustig.

Mein Erfolg war es, den Nuhr-Fan-Block-Betreiber im Netz zu überzeugen, das Nuhr eigentlich keiner öffentlichen Aufmerksamkeit mehr bedarf und abdanken sollte. Die Seite wurde dann geschlossen.

Anonym 25. Mai 2011 um 12:28  

Dieter Nuhr ist für mich erledigt. Schon seine Antwort auf Kritik nach seiner ersten Satire-Gipfel-Sendung: "Kabarett kann doch auch mal zustimmen" - also der herrschenden Politik zustimmen! Na denn.

Hat nicht mittlerweile fast jede/r einen Recorder? Da dürften späte Anfangszeiten eigentlich niemanden abhalten. Und im Internet kann man Priols Anstalt und die Mitternachtsspitzen usw. auch später noch sehen, lieber Christophe. Späte Zeiten lassen wir als Entschuldigung mal perhauptnich gelten.

Ich bin mir gar nicht sicher, ob diese Sendungen viele zufällige Zuschauer haben, die sich eigentlich gar nicht dafür interessieren. Mein Lebensgefährte jedenfalls schläft bei Kabarett unweigerlich ein, ganz gegen seinen Willen, auch früher am Tag.

Samson 25. Mai 2011 um 13:07  

WER, WIE, WAS, WIESO, WESHALB WARUM...

Wie funktioniert ein Reaktor? Wie baut man Uran ab... gibt es überhaupt noch ausreichend Uran? Wiederaufbereitungsanlagen - was sind die Gefahren? Können regenerative Energien den Strombedarf abdecken? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum? Weshalb ist der deklarierte Energie-Mix eine Bremse für erneuerbare Energien? Und aus gegebenen Anlass: Welche Folgen hat ein GAU? Wie sieht es in einer Gegend aus, die unter Strahlung steht? Wie sehen dort Meere aus? Menschen? Menschlicher Nachwuchs? Tiere? Nichts! Das Atom-Pack verhindert und grenzt ein, schmiert und untergräbt...

...wer nicht fragt, bleibt dumm!

So lautete das Motto der Sesamstrasse "damals". Das war einmal, wer fragt heute noch danach? Roberto! Er fragt mit klugen Sätzen kluge Fragen: Danke dafür!

Wer gibt die Antworten?

Samson

PS: Antworten liefert z.B. auch Hermann Scheers Buch "Der energethische Imperativ" oder die Doku "Die 4. Revolution. Freie Energie für alle!" zu finden in der ARD Mediathek vom 19.05.2011...

potemkin 25. Mai 2011 um 16:41  

Dazu: Heute abend im Deutschlandfunk in der Sendung 'Querköpfe' darf man noch mal den Altmeister und ehemaligen Chef-Scheibenwischer Dieter Hildebrandt genießen!

Anonym 25. Mai 2011 um 18:27  

In wiederum 25 Jahren wird sich auch nichts geändert haben an den beschriebenen Umständen. Wetten?

Außerstande 25. Mai 2011 um 18:59  

Solange Deutschland in Sachen freier Kultur weltweit die Nummer 1 ist, kann man zumindest festhalten, dass Deutschland das (gleichwohl stets verbesserungswürdige) Vorbild ist für die Welt:

"Es war für mich die Bestätigung, dass Berlin nach wie vor das ereignisreichste und wildeste Nachtleben weltweit hat. Konkurrenzlos. Das kann man sich in anderen Ländern gar nicht mehr vorstellen, wie man hier noch die Party zelebriert, tanzt, das Wochenende durchfeiert. In Schottland ist um 2 Uhr Schluss, als ich neulich in Amsterdam war, hatte der Club einen Limiter, alles über 100 Dezibel wurde automatisch abgeschnitten, und in der Schweiz bekommt der Clubbetreiber einen Strafzettel wie beim Falschparken, wenn ein DJ einen bestimmten Pegel zu oft am Abend überschreitet. Es ist schon Wahnsinn, wie intakt das Nachtleben hier in Berlin nach wie vor ist, auch im illegalen Bereich. Mittlerweile hat auch die Stadt verstanden, wie wichtig der Wirtschaftsfaktor Nightlife geworden ist."

www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/345525/345526.php

HMxxx 26. Mai 2011 um 08:22  

"Tschernobyl war noch keine vier Wochen her und das politische Kabarett der ARD-Anstalten RBB und BR, wollte sein Programm nuklear auffüllen."

Ich will ja nicht "Korinthen kacken", aber der RBB entstand erst im Mai 2003 aus dem Zusammenschluß von ORB und SFB.

Ansonsten guter Artikel.

Anonym 26. Mai 2011 um 19:13  

Ruck zuck wurde Fukushima durch Libyen ersetzt.
Der Bevölkerung wurde und wird hier wie dort Sand in die Augen gestreut.
Wenigstens das ist sicher.
Immer!

pillo 26. Mai 2011 um 22:02  

Tja, die Betreiber des Systems haben dazu gelernt. Eine Sendung vom Schirm zu nehmen oder sogar ganz abzusetzen, erregt viel zu viel Aufsehen und Protest. Außerdem läßt es einen in einem schlechten Licht erscheinen, als Zensor, der seine Kritiker mundtot machen will.

Da ist es viel eleganter über seinen Einfluß in den Sendeanstalten dafür zu sorgen, daß nur noch harmlose Dampfplauderer auftreten. Mit dem Trio Jonas/Richling/Rogler war das Ende des Scheibenwischers besiegelt. Uwe Steimle nannte dieses Trauerspiel 2007 nicht zu Unrecht "Staatskabarett".

Mit Nuhrs "Satieregipfel" beweist die ARD nun endgültig, daß sie mit Kabarett nichts mehr am Hut hat. Zu dieser Sendung ist jedes weitere Wort reine Verschwendung.

Leider ist auch "Neues aus der Anstalt" nicht mehr das, was es noch bis letztes Jahr war. Mit dem Weggang von Georg Schramm (was auch immer die wahren Gründe gewesen sein mögen) hat die Sendung erheblich an Schärfe und damit Qualität eingebüßt.
Auch hier befürchte ich eine Strategie dahinter. Eine unliebsame Sendung wird nicht einfach abgesetzt, sondern man läßt sie sich, unter stetigem Qualitätsverlust, mit der Zeit totlaufen. Dann kann man sie irgendwann, fast unbemerkt, aufgrund von mangelndem Zuschauerinteresse einstellen.

Sooo macht man Fernsehen heute!!!

Anonym 28. Mai 2011 um 01:08  

Satiregipfel?
Satiretal!
Nu(h)r noch peinlich.

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