Gratuliere... aber schade, dass es euch noch geben muß

Dienstag, 30. November 2010

oder: sieben Jahre und kein Ende in Sicht.

Nun könnte man ja überschwänglich gratulieren und den NachDenkSeiten kameradschaftlich auf die Schulter klopfen, weil sie seit nunmehr sieben Jahren täglich am Werk sind. Fleißig seid ihr, könnte man loben; so herrlich anders, könnte man sie preisen. Ihr erspart mir die tägliche Zeitungslektüre zu neunzig Prozent, wäre sicherlich auch ein oft gehörtes Lob.

All das (und noch viel mehr) könnte man anbringen - zu Recht anbringen. Und Gratulationen gehören zum Ehrentag wie das Schlummern in der Kirche, dürfen nicht unterbleiben. Nur sollte man in stillen Stunden eines solchen Ehrentages auch mal nachdenken dürfen - zumal, wenn es sich um einen Jubilaren handelt, der sich NachDenkSeiten nennt. Sieben Jahre schuften die Köpfe hinter dem Projekt bereits; sieben Jahre ein Fischen in tristen Gewässern, kaum Lichtblicke, dafür viele Gründe für cholerische Kapriolen. Der Jubilar, stellte man ihn sich als Person vor, müsste eigentlich eine hochgradig depressive, gramgebeugte Gestalt sein.

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Sit venia verbo

"Oh ihr Unglücklichen!
Euerm Bruder wird Gewalt angetan, und ihr kneift die Augen zu!
Der Getroffene schreit laut auf, und ihr schweigt?
Der Gewalttätige geht herum und wählt sein Opfer
Und ihr sagt: uns verschont er, denn wir zeigen kein Mißfallen."
- Bertold Brecht, Der gute Mensch von Sezuan -

Die Wirklichkeit langweilt

Montag, 29. November 2010

Dieser aufklärerische Impuls ehrt Sie ja sehr, lieber Richter Voßkuhle. "Die Macht der Bilder echter Verfahren vor deutschen Gerichten" würden sie gerne walten lassen - statt der Daily Soaps im Talar, statt Salesch und Hold, tiefe Einblicke in die juristische Wirklichkeit: das wäre tatsächlich ein aufklärerischer Beitrag, ein seriöses Wagnis, würde den Rechtsstaat populär aufbereiten.

In winzigen Ansätzen gab es das ja schon; als Barbara Salesch einst auf Sendung ging, 1999 war das, da handelte es sich noch um wirkliche Fälle zivilrechtlicher Machart. Es gab keine Laiendarsteller wie heute, es gab wirkliche Kläger, wirkliche Gegenkläger, ein bindendes Urteil. Kein Drehbuchautor hätte es je vermocht, sich eine Gestalt wie jene sächselnde Maschendrahtzaun-Liebhaberin zu ersinnen - solche Geschichten und Figuren schreibt nur die Realität; Problem ist nur, dass die Wirklichkeit solche Storys, solche Protagonisten viel zu selten liefert. Das haben die Köpfe hinter Salesch auch schnell kapiert, sie mussten auch reagieren, weil die Quote nicht stimmte; nach nur einem Jahr wechselte man die wirklichen Fälle und Betroffenen aus, ersetzte sie durch Skripte und Laienschauspieler. Die kecke Richterin urteilt heute im Rahmen einer Scripted Reality und das Konzept verkauft sich besser als vorher, als man noch auf den Pfaden der Authenzität trampelte.

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Ansichten über Clowns

Samstag, 27. November 2010

Und wenn schon! Wen schert es denn, dass er voller Betrübnis, satt an Harm ist? Er sollte seine privaten Mißgeschicke mit Wangenrot und Lippenstift übermalen, unter Camouflage verhehlen, seinen vielleicht familiären Kalamitäten eine Perücke überstreifen. Raus in die Manege, das Publikum hat bezahlt, es hat Anspruch auf Unterhaltung! Zweifelsohne, ihm ist heute nicht nach Clownerie, Sorgen reiben ihn auf, traktieren seine Laune; doch die Zuschauer lechzen nicht nach Schwermut, sie wollen prusten und gackern, wollen sich kugeln - dafür haben sie bezahlt, das macht sie zu Kunden mit Anspruch auf Gaudium. Ein Schelm, der eine bettlägerige Tochter daheim hat oder dessen Ehe zielsicher kollidiert: wer will so einen sehen? Komisch soll er sein, seinem Publikum Lacher bereiten - es wird ihm auch nicht schaden, Lachen ist Medizin; professionell soll er sich verhalten, damit die Gaffer nicht buhen, nich pfeifen oder mit den Sitzkissen werfen. Und so schlurft er geknickt an den Rand des Zirkusrund, wartet auf die Ankündigung, wartet auf seinen Namen, stürmt unter Beifall ins Getümmel und ist komisch, unbeschreiblich komisch... komischer als üblich! Die Grockmarceaupopows, sie fuhren reiche Lachensernte auch dann ein, wenn sie einen Verwandten an den Tod verloren: Komödie spielen, auch wenn einem nach Tragödie zumute ist - das ist Clownsgeschäft.

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Respekt vor dem Alter

Donnerstag, 25. November 2010

Gemeinhin sollte man betagtere Herrschaften nicht zu ruppig anfassen, sollte nachsichtig, ehrfürchtig, kurz gesagt, respektvoll mit ihnen umgehen. Das gebietet der Anstand, das ist ein stilles Gesetz des Umgangs mit Senioren. Fraglich ist nur: ist es ein besonders respektvoller Umgang, wenn man nur mit Bedacht auf das Alter, ehrfurchtsvoll abnickt oder verstohlen eigentlich notwendig gewordene Kritik umgeht?

Wie soll man reagieren, wenn ein welk gewordener Herr Partei für einen ergreift, der einer Vererbungslehre nachhängt, die selbst zu Tagen des Rassenideologen Alfred Rosenberg schon abgetakelt waren? Soll man diskret weghören, wenn dieselbe greise Person einen anderen, einen des faschistischen Gedankenguts unverdächtigen Zeitgenossen, mit jenem berühmten Adolf vergleicht, der stets aufs Neue die Aufmacher schmückt? Ist das Respekt vor dem Alter, wenn man die Auswürfe eines Senioren einfach schluckt, gut sein läßt, nicht inhaltlich hinterfragt?

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De dicto

Mittwoch, 24. November 2010

"Die Bundeswehr ist ein Vorbild. Wo andere sich an das Vergangene klammern, geht sie voran.
[...]
Gammeldienst ist von gestern – die neue Bundeswehr nicht. "
- Ernst Elitz, BILD-Zeitung vom 23. November 2010 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Erneut Elitz, der mit fast schon esoterischem Hang zur Verklärung aufwartet. Diesmal ist es die Bundeswehr, die er zum Vorbild kürt. Diese sei nämlich ausgesprochen progressiv, bildungsnah, fleißig und überdies, was heute wichtiger denn je ist, tapfer! Das ist der rhetorische Versuch, die Verteidigungsarmee charmant zu einer Angriffsarmee zu modellieren. Tapferkeit ist wieder Zahlungsmittel in der Bundesrepublik, zivile Militaristen wie Elitz bezahlen gerne mit dieser Währung.

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Der Retter Rettung

Dienstag, 23. November 2010

Mehr als Griechenland hat es Irland nun verdient, unter den europäischen Rettungsschirm genommen zu werden. Dieses mustergültige Exempel, das stets dann lobend erwähnt wurde, wenn man neoliberale Reformpolitik als zukunftsweisende Errungenschaft herausputzen wollte, hat sich nach dem Trubel um europäische Verträge und Verfassungsentwürfe, nun eine Belohnung redlich verdient. Ohne irische Jasager kein Lissaboner Europa; ohne die Bändigung irischer Rebellen kein militarisiertes, noch straffer ökonomisiertes, gänzlich freihändlerisches Europa der Konzerne, keine Unterordnung der Sozialwesen unter rein pekuniäre Gesichtspunkte.

Irland sei dank gibt es nun einen Europavertrag; die Iren haben die europäische Idee, die Idee krämerisch miteinander verwobener Staaten, gerettet - recht und billig, dass nun Europa auch die Iren rettet. Wer rettet, darf auch gerettet werden. Dieses Prinzip nennt sich kontinentale Solidarität; die einzelne Nation sichert Europa und Europa sichert die einzelne Nation.

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Verlässliche Bürger

Montag, 22. November 2010

Alles ist vorbereitet, alles ist aufgetischt: Der Reichstag ist als potenzielles Terrorziel auserkoren, die Bahnen werden stichpunktartig und präventiv aufgehalten und durchsucht, "seltsam aussehende Menschen" dürfen zum Fanal neuen GeStaPo-ismus herhalten - "Melde gehorsamst, ich kenne da einen...", dabei Hacken zusammengeschlagen und gravitätische Miene vortragend; alles im wohligen Gefühl verrichteter, notdürftiger Bürgerpflicht. Alles läuft rund, alles ist gut strukturiert: Menschen fürchten sich, Behörden sorgen sich, Medien überbieten sich gegenseitig! Der Terroranschlag ist in aller Munde, in allen Köpfen, läßt in alle Hosen machen. Bürger bibbern in Kameraobjektive, Minister sprengen selbige mit ihren herrisch zur Schau gestellten und geballten Fachkompetenzen, Reporter wittern in jedem verwaisten Schulrucksack Atomsprengköpfe und den chemischen Overkill.

Man berät sich öffentlich über sinnvolle Anschlagsziele. Reichstag oder Parteizentralen, Merkels Frisierkommode oder Westerwelles Gentlemen's club? Sinnvoll wäre es, berichten Fachleute, einen Koffer oder eine Discountertasche mit explosiver Füllung in einen ICE zu verstauen. Wer solcherlei Ideen noch nicht hatte: jetzt hat er sie! Haarklein erläutert man, wie so ein richtig bombastischer Anschlag aussehen könnte. Explodierende Einkaufszentren, einstürzende Häuserschluchten, Marktplätze die in Feuersbrünste getaucht werden! Abgerissene Glieder, herauslappende Gedärme, heraussickerndes Blut: darüber spricht man jedoch weniger, man will den Terror eher steril ins Wohnzimmer installieren. So steril, wie die ganzen Apparatschiks und Funktionäre, die zur Terrorgefahr monotone Phrasen verschleudern.

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VHS-Gezwitscher

Freitag, 19. November 2010

Ein Bericht von Merdeister.

Wenn man sich ein Blog vorstellt, erst das Blog ganz allgemein als Idee und dann ein ganz konkretes, vielleicht das von Roberto J. De Lapuente und sich nun einen Ort vorstellt, der von all dem weit weg ist, dann landet man schnell in der Volkshochschule in Aachen.

In Aachen sammelten sich gestern 7(!) Bürger in Raum 214 des Gebäudes der VHS am Bushof, wo man sich ein helles Plätzchen für sein Fahrrad sucht, um sich einen Abend zum Thema "Kritischer Wortwechsel - Blogger im Internet" auszutauschen. Wo, wenn nicht im Internet sollte man Blogger finden? In Aachen, an der VHS, vorne links (klar) hinter einem Stapel Bücher, dessen Größe vermuten lässt, dass mit mehr Resonanz gerechnet wurde.

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Nomen non est omen

Donnerstag, 18. November 2010

Heute: "Befriedung"
"Obama hatte im Dezember 2009 das Militär angewiesen, das Land nachhaltig zu befrieden und die Verantwortung schrittweise an die afghanische Regierung zu übergeben."
- Spiegel Online vom 15. November 2010 -
Als Befriedung wird eine gezielte Maßnahme verstanden, die dafür sorgen soll, dass Frieden und kein Kampf oder Krieg in einem bestimmten Gebiet mehr herrscht. In der Regel sollen Konfliktparteien daran gehindert werden, ihren Streit auszutragen. Von Befriedung wird meist dann gesprochen, wenn ein Krieg schon ausgebrochen ist. Denn befrieden meint selten eine Entmilitarisierung. Meist soll mithilfe des Militärs Frieden geschaffen werden. Das Schlagwort Befriedung ist nicht selten ein Euphemismus für Eroberung und Unterwerfung.

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Teilhaber des Todes

Mittwoch, 17. November 2010

"Umberto Eco verurteilt die Steinigung ebenso wie die Giftspritze", titelte der Focus (Printausgabe Nr. 42 vom 18. Oktober 2010) kürzlich. Die westliche Wertegemeinschaft, so sein Resumee, dürfe bei der im Iran angewandten Variante der Todesstrafe sich insofern nicht empören, weil sie in den eigenen Reihen Nationen birgt, die gleichfalls gesetzlich morden.

Der Artikel war nur kurz gefasst und die Auflehnung, die er erntete, fiel auf den Seiten der nächsten Focus-Ausgabe auch nur zögerlich und sparsam aus. Man dürfe, so mokierte sich eine Leserin, die beiden Todesstrafen nicht in einen Topf werfen. Die Giftspritze in den Vereinigten Staaten sei mit dem Steinregen einer aufgebrachten Menge nicht vergleichbar; was aus diesen Zeilen schimmerte, könnte man überspitzt formuliert für die Selbstgerechtigkeit einer Wertegemeinschaft ansehen, die selbst das Meucheln akzeptiert, wenn es nur demokratisch legitimiert drapiert wird.

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Konservativ, progressiv - diese Unterscheidung wird täglich dümmer!

Dienstag, 16. November 2010

Das was heute unter der Standarte des Konservatismus durch die Lande kreucht, hat für das Konservieren, das conservare wenig übrig. Unter dieser Standarte herrscht weder struktur- noch wertkonservatives Knobeln - man will nichts erhalten, weder eine gewisse weltanschauliche Ordnung (was nicht immer schlecht sein muß!) noch eine moralische Vorstellung (was sich oft schlecht auswirkt!). Der heute vorherrschende Konservatismus ist eher rückschrittlich: nur nennt er es fortschrittlich. Er ist zum willfährigen Handlanger wirtschaftlicher Interessen zusammengeschmolzen, zum Verwalter so genannter Sachzwänge, kennt keine idealistischen Vorstellungen mehr, ist zum ideen- und wertelosen Sachwalter gemindert. Er lehnt sich nicht auf, wenn Sozialstrukturen abgebaut, Menschen zu mobilen Kapital erniedrigt, wenn selbst gesellschaftliche Räume ökonomisiert werden, die eine Aufrechnung nach Kosten und Nutzen überhaupt nicht gebrauchen können. Er will den Sozialstaat nicht bewahren - er hat nur wenig Interesse daran, den frei zugänglichen Rechtsstaat zu konservieren - er widerspricht nicht energisch, wenn Menschen unmenschlich wie Objekte verschoben und verschachert werden. Kurz, der Konservatismus hat es nicht so besonders mit konservativen Struktur- und Wertebewahrung.

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Sit venia verbo

Montag, 15. November 2010

"Minister halten Reden, die sie, ohne im geringsten gefährdet gewesen zu sein, gerade so gut 1936, 1939 oder 1943 hätten halten können – ein großes Heim-ins-Reich-Geschwätz. [...] Wir aber sind so milde geworden, so vernünftig, so einsichtsvoll und so nachsichtig – daß wir aus einem Nazi einen "Nazi", aus einem Kriegsverbrecher einen "Kriegsverbrecher" werden lassen: Wir lassen die Tyrannei der Anführungsstriche über uns walten [...] Ein Nazi aber ist ein Nazi, ganz ohne Anführungsstriche, und was uns die Nazis bescherten, war Blut und Dreck und – Ehre, Ruhm, Opfer, Vaterland und Heim ins Reich. [...] Wir aber, wir sind so milde geworden, so brav, wir lassen uns alles gefallen [...] Wir sollten die Reden Wort für Wort studieren, mit dem Rotstift in der Hand, denn in einer Republik leben heißt nicht, ein Schaf zu sein."
- Heinrich Böll, "Wir sind so milde geworden" -

Hoffnungslos

Samstag, 13. November 2010

In Zweierreihe standen sie an; zwei Kolonnen, jeweils etwa zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig Mann stark. Am Kopf der Warteschlange lauerte der schnelle Tod; die jeweils Nachrückenden, die nun zum Kopf der Reihe geworden waren, wurden hinter eine alte Mauer befohlen. Von dort vernahmen die Wartenden Schüsse. Was jene nicht sahen, nur angstvoll ahnten: man jagte den hinter der Mauer Verschwindenden eine Kugel in den Schädel – nur eine Kugel; nur eine kostensparende Patrone, mehr nicht. Sie sahen es nicht, lauschten nur dem zerfetzenden Donner schädelspaltender Schüsse, wußten instinktiv, hier geht es dem Ende entgegen.

Flucht schien ausgeschlossen; denn flankiert wurde die Zweierreihe von bewaffneten Aufsehern, die den Schuss, der erst in einigen Minuten hinter gemörtelten Stein eingeplant war, in die unmittelbare Gegenwart verlegt hätten, sofern man seine Beine in die Hände genommen hätte. Abwägen: noch einige Minuten Sauerstoff in die Lungen ziehen oder doch gleich den finalen Schuss provozieren? Leben schützen, selbst wenn es nur noch für einen Augenblick ist - oder Würde bewahren, nicht als Lamm zum Schlachter zu geraten?

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Demokratie versus Diktatur? – oder: Sowohl als auch!

Freitag, 12. November 2010

Zweierlei Tendenzen würgen uns in diesen Tagen. Die eine nimmt aus Stuttgart ihren Weg, begehrt mehr Demokratie, mehr direkte Beteiligung an der Entscheidungsfindung – die andere dokumentiert in Gestalt einer Studie der in Bonn verorteten Friedrich-Ebert-Stiftung das wachsende öffentliche Verlangen, dass die öffentliche Hand besser griffe, wäre sie die Hand eines starken Mannes. Die Politik müsse wieder näher zum Volk finden, heißt es hier; ein Führer, der mit starker Faust Deutschland regierte, täte Not, vernimmt man von dort. Hier: das Volk muss auf die Straße, damit die Politik es endlich wieder wahrnimmt; dort: unter Umständen ist eine Diktatur die bessere Staatsform.

Glotzte man an dem Tag, da die erschreckende Studie aus Bonn das Schummerlicht der Öffentlichkeit erblickte, in den Flimmerkasten, so konnte man sehr getragene, manchmal sogar finstere Mienen sehen, die von der Diktaturbereitschaft und der wachsenden Ausländerfeindlichkeit einer breiten Masse der Bundesbürger berichteten. Wechselte man dann den Sender, landete in Stuttgart, so konnte man weitere sehr getragene, weitere manchmal sogar noch finsterere Gesichter begutachten, die dartaten, dass nun soundsoviel Prozent der Bürger meinten, jetzt sei endlich der Augenblick der Basisdemokratie gekommen. Diktatur oder Basisdemokratie! Zwei gegensätzliche Tendenzen, die eigentlich, selbst mit viel Phantasie, nur schwerlich zu verquicken sind.

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Ridendo dicere verum

Mittwoch, 10. November 2010

"Jeden Morgen gehe ich zirka acht Minuten lang,
Außer, wenn ich krank bin, von meiner Wohnung in meine Kanzlei.
Das ist schon seit Jahren so, ich bin nicht der einzige,
Für die meisten Leute geht das Leben so vorbei,

Ich grüße freundlich die Verkäuferin meiner Zeitung,
Sie hat es schwer heut seit jenem grausigen Prozeß.
Ihr Mann ist eingesperrt wegen so mancher Überschreitung,
Sie wurde freigesprochen, denn sie war nicht in der SS -
Obwohl sie wußte, was da vorging.

Und ich grüße ebenso den Friseurgehilfen Navratil,
Der auch in der SS war, oder war es die SA?
Einmal hat er angedeutet, während er mir die Haare schnitt,
was damals in Dachau mit dem Rosenblatt geschah,

Er war erst zwanzig, zwölf Jahre jünger als der Rosenblatt,
Jetzt ist er fünfzig und ein sehr brauchbarer Friseur.
,,Grüß Gott, Herr Hauptmann!'' - Der heißt nur Hauptmann,
Er war Oberst und hat in Frankreich einige zu Tode expediert,
Er ist noch immer Spediteur - es hat sich nichts geändert.

Drüben macht der Hammerschlag seinen Bücherladen auf,
Ich sehe noch heut vor mir, er ist damals so gerannt
Und hat direkt vor seinem Buchgeschäft einen Scheiterhaufen aufgestellt,
Und hat darauf Thomas Mann und Lion Feuchtwanger verbrannt.

Und Erich Kästner und den Kafka und den Heine
Und viele andere, die jetzt sein Schaufenster verziern,
Und er verkauft sie mit einem Lächeln an der Leine,
Ja, er muß leben und seine Kinder wollen studieren.
Er hat ja selbst den Doktor.

,,Verehrung, Herr Professor! Wie geht's der Frau Gemahlin?''
,,Danke!'' - ,,Sie schauen blendend aus, wie bleiben Sie so jung?''
Das war Professor Töpfer, seinerzeit völkischer Beobachter,
Anthropologie und Rassenkunde. Jetzt ist er beim Funk.

,,Grüß Gott, Herr Neumann!'' - Der ist nix, der ist erst dreißig.
Was war sein Vater? Na ja, er war jedenfalls Soldat.
,,Habe die Ehre, Herr Direktor!'' - Der ist gute fünfundsechzig,
Also muß er was gewesen sein. Heute ist er Demokrat.
Das sind wir schließlich alle.

Drüben ist der Eichelberger, Gummibänderhosenträger.
Das hieß früher Blau und Söhne, Herrentrikotage.
Nebenan war das Café Pinkelmann. Der Pinkelmann ist noch zurückgekommen,
Dann ist er wieder weggefahren, jetzt ist dort eine Garage.

Da kommt die Schule, da bin ich selber hingegangen,
Mein Deutschprofessor verdient noch immer dort Gehalt.
Der schrie: ,,Heil ...'', na ja, das wird er heute nicht mehr schreien.
Was nur die Kinder bei dem lernen? Vielleicht vergessen sie es bald.
Ich kann es nicht vergessen.

So, jetzt bin ich endlich in meine Kanzlei gekommen,
Setz mich an den Schreibtisch und öffne einen Brief.
Doch bevor ich lesen kann, muß ich erst die Richtung ändern,
Blicke rasch zum Himmel auf und atme dreimal tief."
- Georg Kreisler, Weg zur Arbeit, Everblacks -

Unter Schwestern

Dienstag, 9. November 2010

Schöbe man galant einige Ihrer Bemerkungen hinfort, zum Beispiel jenen Schmu, wonach Homosexualität der Benachteiligungsbefreier der Frau sei... gut, Sie entkräften diesen Stuss ja: aber welcher halbwegs naturwissenschaftlich vorgeprägte Mensch hätte denn dergleichen je behauptet? Man kennt doch heute den evolutionären Grund für Homosexualität - sie ist eine arterhaltende Einrichtung, die zu thematisieren hier nicht beabsichtigt ist. Und dann ist da noch der andere Quatsch, der eigentlich kein Quatsch, vielleicht nur fehlende Erfahrung Ihrerseits ist: es wäre absurd, dass "das [was] für die Menschheit und deren Fortbestand grundlegend ist, per se als Unterwerfung definiert wird."

Kehren wir nachher noch mal zurück zu diesem Quatsch über den Fortbestand. Erstmal zurück zum Anfang - alles auf Position und nochmals...

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Keine Randerscheinung. Gesamtkonzept!

Montag, 8. November 2010

Eine Antwort und Fortführung auf "Die eine, die besonders unbeliebte Säule des Islam". Gastbeitrag einer promovierten Islamwissenschaftlerin, die ungenannt bleiben möchte.

Ihr kritischer Blick auf die kapitalistischen "westlichen" Gesellschaften hat Sie, Herr De Lapuente, nun konsequent zu der Erkenntnis geführt, dass es einen bestimmten Grund für die jahrelange Propaganda und zunehmende Hetzjagd gegen Islam und Muslime innerhalb der westlichen Gesellschaften und darüber hinaus geben muss; und tatsächlich besteht dieser Grund in dem anderen Gesellschaftsmodell, das der Islam entwirft. Im Gegensatz zu Religionen wie Christentum, Hinduismus oder Buddhismus beinhaltet der Islam mit seinem Rechtssystem eine Lebensordnung, die alle Aspekte menschlichen - diesseitigen - Handelns leitet. Eine Säkularisierung hat der Islam nie erlebt, weil er sie nicht brauchte. Es ist auch nicht so, dass die Muslime den Islam als umfassende Lebensordnung jemals freiwillig verlassen hätten - wenn wir heute leider beobachten müssen, dass in der Praxis der Gesellschaften der islamischen Welt der Bezug zum Islam kaum über das individuelle und gemeinschaftliche Gebet und Personenstandsangelegenheiten hinausgeht, so ist dies eine direkte Folge des Kolonialismus, der systematisch die islamischen Systeme durch die der kolonialen "Mutterländer" ersetzt hat.

Was die Systeme der islamischen Lebensordnung anbelangt, so sprengt es sicher den Rahmen dieser Zeilen, über sie zu referieren, deshalb möchte ich nur einige Stichpunkte in Bezug auf die ökonomische Seite nennen.

Umverteilung der Reichtümer, das Verbot von Horten, Monopolisieren, Zinsnahme und Spekulation, machen einen wesentlichen Teil des islamischen ökonomischen Systems aus. Als wesentliches Problem des ökonomischen Systems wird nicht, wie im Kapitalismus, die Produktion und immer neue Eroberung von Ressourcen sowie die Erschaffung künstlicher Bedürfnisse betrachtet, das wesentliche Problem ist das der Verteilung – wie wird Reichtum auf eine Art und Weise verteilt, die möglichst vielen Menschen einen akzeptablen Lebensstandard sichert?

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Sklaven der Landstraße

Samstag, 6. November 2010

Unendlich scheint es her, da nahm man sie als Helden, als Giganten der Landstraße wahr. Damals glichen die Velozipedisten, so ihr etwas altertümlich klingender Name, den heutigen Radsportlern wenig. Nicht nur optisch: denn sie waren tatsächlich Heroen, die Ersatzteile mit sich, nicht im Begleitfahrzeugen - die es gar nicht gab - mitführten, Fahrradschläuche wie eine Schärpe um sich gewickelt hatten, anfallende Reparaturen während des Rennens selbst leisten mussten - die überdies lange noch ganz ohne Gangschaltung auskommen, sich dessenungeachtet trotzdem ungepflasterte, nicht asphaltierte Berghänge hinaufquälen mussten. "... unnötige Helden, Helden dennoch", schrieb der französische Sportreporter André Reuze 1928 über diese heroische Epoche des Radsports. "... héros inutiles, héros quand-même"...

Giganten der Landstraße nannte er sein fast schon epochales Meisterwerk. Trotz allem, Giganten sind die heutigen Radsportler nicht weniger - am Ende einer zwei- oder dreiwöchigen Rundfahrt den Zielort zu passieren, gleichgültig ob auf dem Treppchen oder als Wasserträger, der in den Spezialkategorien unter "ferner fuhren" zu finden ist: eine gigantische körperliche Leistung, ein gigantischer Wille ist heute immer noch notwendig, um die Schmerzen, den Gegenwind und natürlich die Einsamkeit des Radrennfahrers zu ertragen. Die Velozipedisten der Neuzeit sind nicht jene der heroischen Epoche - sie haben sich verändert, sie schweißen nicht, wie es die mittlerweile schon berüchtigte Legende des vieux galois Eugène Christophe erzählt, jeden Gabelbruch selbst zusammen. Das sicher nicht! Aber das saisonale Pensum und der somit einhergehende Raubbau am eigenen Körper sind dennoch fast schon heldenhaft.

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