Journalismus in Leichenstarre
Donnerstag, 12. Juni 2008
Nach der unverzeihlichen Peinlichkeit, die sich der Stern einst, vor vielen Jahren, mit der Zelebrierung eines medial-sensationslüsternen Führerkultes und dem geplanten Aufbau eines Imperiums, in dem der Schriftsteller Hitler vermarktet werden sollte, kann man wohl kaum noch von einem aktuellen Niedergang dieses Magazins sprechen. Wo aber etwas niedergeht, war vormals etwas in der Höhe. Ein Magazin aber, welches jeglichen journalistischen Kodex von Ehrlichkeit, kritischer Recherche und objektiver Berichterstattung fallenläßt, um der nackten Sensationsgeilheit Raum zu verschaffen, kann keinerlei Höhen mehr für sich beanspruchen. Wenn in diesen Tagen der Stern danebengreift - derber danebengreift als üblicherweise -, dann ist es vorallem schmeichelhaft für die Redaktion, wenn Kritiker von einem aktuellen Niedergang dieses alterwürdigen Magazins sprechen. Ja, es muß den Stern-Machern ja geradezu wie ein Lob vorkommen, dass dieser Niedergang erst jetzt kenntlich wird - nicht schon vor Jahren bemerkt wurde.
Und so ist es unmöglich, das heutige Danebengreifen des Sterns als Anzeichen seines Niedergangs zu werten. Als Momentaufnahme deutschen Journalismus' kann man sein Tun aber dennoch betrachten. Der vielzitierte Niedergang des Stern ist vielmehr das Ausharren in Niveau- und Aussagelosigkeit des gesamten deutschen Journalismus'. Wenn also der heutige Stern über den Niedergang der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands berichtet, dabei einen Gesprächspartner seltsamster Art heranzieht und die üblichen, niederträchtigen Stimmungen schürt, dann beweist diese journalistische Leiche von 1983 nur, wie billig, oberflächlich und belanglos politische Berichterstattung veranstaltet werden kann, ohne dass die Leserschaft es als Anzeichen intellektueller Agonie bewertet. Der deutsche Journalismus kennt Tiefe, so ist es ja nicht. Freilich ist diese Tiefe weniger in der Recherche, im Stil oder im Inhalt der Berichte - also in Tiefgründigkeit - festzumachen, sondern vielmehr im Niveau auszumachen.
Ist die SPD zu retten? Und wenn ja: wie? Dazu befragt der Stern, man höre und staune, einen Werbe- und Vermarktungsexperten mit Namen Sebastian Turner. Angeblich eine Koryphäe seiner Branche, weil er für das Bundesland Baden-Württemberg ein originelles Werbesprüchlein ersonnen hat. "Wir können alles - außer Hochdeutsch!" - welch Innovation am Werbespruchhimmel!
Wir müssen auch gar nicht lange ins Interview hineinlesen, um zu erkennen, woher dieser Herr stammt. Obwohl diverse Demoskopen behaupten, dass die SPD nur noch 20 Prozent bei einer heutigen Bundestagswahl erlangen würde, glaubt Turner an die Partei. Argument: Die SPD ist als Produkt noch vermarktbar, weil der Marktanteil immer noch höher ist, als es sich ein Deohersteller vorstellen kann! Aha! Na dann... na dann ist ja eigentlich alles in Ordnung und mancher vertrottelte Sozialdemokrat hat sich da ernsthaft Sorgen gemacht! Und überhaupt: Wir haben es mit einem Produkt zu tun! Das wir uns da nichts vormachen! Ganz Verträumte meinten immer, es handele sich um eine politische Partei. Aber so darf man das heute nicht mehr sehen. Wir leben in Zeiten der Krämerseelen, die in allem ein Produkt wittern, das mit Adjektiven versehen werden muß, um es der Kundschaft schmackhaft zu machen. Es ist dabei auch vollkommen belanglos, ob die Eigenschaften, die man werbend herausputzt, zutreffen oder nicht. Man muß das Produkt an den Wähler anpassen. Ach was, Wähler! Kunde natürlich!
Mit Sozialismus, so Turner weiter, komme die SPD sowieso nicht weit. Wo er diesen erblickt, bleibt sein süßes Geheimnis und der Stern fragt auch nicht weiter nach, weil es ja unumstößliche Prämisse ist, dass die SPD unter Beck in den puren Kommunismus abgleite. Zwischendrin garniert der Werbefritze seine politischen Erkenntnisse mit den üblichen öffentlichen Vorwürfen gegen die LINKE, die ja ihren Sozialismus - auch da wird nicht beantwortet, wo er in den sozialdemokratischen Anflügen der LINKEN einen Sozialismus erkennt - nur aufbringt, um die Menschen einzulullen und sie dann zu enttäuschen. Letzterem mögen wir ihm natürlich beipflichten - dieses Mindestmaß an empirischer Erkenntnis müssen wir Turner schon zugestehen. Außerdem sei die LINKE gegen den EU-Vertrag und habe somit bewiesen, dass sie gegen das - Zitat - "Wohl des deutschen Industriearbeiters" stehe. Wo hat denn der Herr Werbefachmann solche Sprüche gelernt? Mit solch markigen Sentenzen haben schon ganz andere geworben! In welchen seltsamen Kategorien er denkt wird in jenem Moment offenbar, in dem er zukunftsweisend feststellt, dass sich eines Tages Historiker damit befassen würden, "inwiefern die Spaltung der politischen Linken das Ergebnis von zwei Männern auf Egotrip" sei. Als ob die Diskrepanz zwischen der LINKEN und der Sozialdemokratie auf einen Männerstreit zurückzuführen sei. So einfach kann man sich die Welt natürlich auch machen. Hauptsache es werden keine politischen Inhalte bemüht, um die Unterschiede beider Parteien kenntlich zu machen. Er weiß natürlich, dass man in dem Augenblick, in dem man die Inhalte der LINKEN aufgreift, diese von der Rolle des nationalen Teufels enthoben hat.
Nach allerlei Allgemeinplätzen und Werbeweisheiten gibt Turner bekannt, warum die SPD derart abgerutscht ist. Mit mehr Ideenreichtum in der Namensfindung von Reformpaketen, hätten die Sozialdemokraten womöglich keinen demoskopischen Untergang erleben müssen. Aber wenn man sein Paket "Agenda 2010" nennt, gebe man den Bürgern ja nichts von der SPD-Vision weiter, die ja in den Aktenordnern der Reformer schlummerten. Produkte nennt man doch nach Sehnsüchten der Kunden. Kein Waschmittelhersteller nennt sein Produkt nach der Farbe des Waschpulvers - "Aschgrau"! Nein, man weckt Sehnsüchte nach Reinheit und Weißheit - nach Weisheit nicht, sowas verkauft sich nicht - und nennt es den "Weißen Riesen"! Folgt man also der Turnerschen Einsicht, so hätte die SPD ihre sozialen Widerwärtigkeiten unter einem anderen Namen besser verkauft. Immer wieder nett anzusehen, wie herrlich eindimensional die Weltsicht diverser Herrschaften sein kann. Alle Kritiker, die der Partei vorwerfen, ihre Ideale verraten zu haben, täuschen sich! Es lag nur am Namen! Vielleicht wird man sich das eine Lehre sein lassen und die nächsten sozialen Schweinereien etwas lieblicher benennen: "Wir fühlen uns wohl"-Reformen 2020!"
Wie gesagt: Vom Niedergang kann nicht die Rede sein. Gemeinhin sterben Tote nicht nochmals. Aber es ist schon traurig, wenn man nachlesen muß, welch billiger Journalismus betrieben wird, um den Menschen vorzugaukeln, sie nähmen am politische Diskurs teil. Neil Postmans Medienanalyse von 1985 - "Wir amüsieren uns zu Tode" - ist aktuell wie damals. Aussagekraft, Mut gegen den Massenstrom zu schwimmen, deutliche Kritik, wohldurchdachte Gedanken: Das sind Vorstellungen, die mit dem heutigen Journalismus nicht mehr vereinbar sind. Da zaubert man lieber einen Werbetexter aus dem Hut, der die SPD mit seinen billigen Krämerweisheiten analysiert wissen will. Was soll denn da noch kommen? Ein Bäcker, der erklärt, wie man sich mit Mehl, Wasser und Eiern eine schwarz-gelbe Mehrheit backen kann? Ein Metzger, der beratschlagt, wie man den letzten arbeitsscheuen Schmarotzer verwurstet? Ein Erotiktherapeut, der aufzeigt, wie man mit zärtlichen Streicheleinheiten Merkel und Beck wieder zueinanderführt? Der Stern sollte sich jedenfalls vor diesen Vorschlägen nicht verstecken, denn tiefer geht es für ihn eh nicht mehr. Er hat nichts zu verlieren...
Und so ist es unmöglich, das heutige Danebengreifen des Sterns als Anzeichen seines Niedergangs zu werten. Als Momentaufnahme deutschen Journalismus' kann man sein Tun aber dennoch betrachten. Der vielzitierte Niedergang des Stern ist vielmehr das Ausharren in Niveau- und Aussagelosigkeit des gesamten deutschen Journalismus'. Wenn also der heutige Stern über den Niedergang der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands berichtet, dabei einen Gesprächspartner seltsamster Art heranzieht und die üblichen, niederträchtigen Stimmungen schürt, dann beweist diese journalistische Leiche von 1983 nur, wie billig, oberflächlich und belanglos politische Berichterstattung veranstaltet werden kann, ohne dass die Leserschaft es als Anzeichen intellektueller Agonie bewertet. Der deutsche Journalismus kennt Tiefe, so ist es ja nicht. Freilich ist diese Tiefe weniger in der Recherche, im Stil oder im Inhalt der Berichte - also in Tiefgründigkeit - festzumachen, sondern vielmehr im Niveau auszumachen.
Ist die SPD zu retten? Und wenn ja: wie? Dazu befragt der Stern, man höre und staune, einen Werbe- und Vermarktungsexperten mit Namen Sebastian Turner. Angeblich eine Koryphäe seiner Branche, weil er für das Bundesland Baden-Württemberg ein originelles Werbesprüchlein ersonnen hat. "Wir können alles - außer Hochdeutsch!" - welch Innovation am Werbespruchhimmel!
Wir müssen auch gar nicht lange ins Interview hineinlesen, um zu erkennen, woher dieser Herr stammt. Obwohl diverse Demoskopen behaupten, dass die SPD nur noch 20 Prozent bei einer heutigen Bundestagswahl erlangen würde, glaubt Turner an die Partei. Argument: Die SPD ist als Produkt noch vermarktbar, weil der Marktanteil immer noch höher ist, als es sich ein Deohersteller vorstellen kann! Aha! Na dann... na dann ist ja eigentlich alles in Ordnung und mancher vertrottelte Sozialdemokrat hat sich da ernsthaft Sorgen gemacht! Und überhaupt: Wir haben es mit einem Produkt zu tun! Das wir uns da nichts vormachen! Ganz Verträumte meinten immer, es handele sich um eine politische Partei. Aber so darf man das heute nicht mehr sehen. Wir leben in Zeiten der Krämerseelen, die in allem ein Produkt wittern, das mit Adjektiven versehen werden muß, um es der Kundschaft schmackhaft zu machen. Es ist dabei auch vollkommen belanglos, ob die Eigenschaften, die man werbend herausputzt, zutreffen oder nicht. Man muß das Produkt an den Wähler anpassen. Ach was, Wähler! Kunde natürlich!
Mit Sozialismus, so Turner weiter, komme die SPD sowieso nicht weit. Wo er diesen erblickt, bleibt sein süßes Geheimnis und der Stern fragt auch nicht weiter nach, weil es ja unumstößliche Prämisse ist, dass die SPD unter Beck in den puren Kommunismus abgleite. Zwischendrin garniert der Werbefritze seine politischen Erkenntnisse mit den üblichen öffentlichen Vorwürfen gegen die LINKE, die ja ihren Sozialismus - auch da wird nicht beantwortet, wo er in den sozialdemokratischen Anflügen der LINKEN einen Sozialismus erkennt - nur aufbringt, um die Menschen einzulullen und sie dann zu enttäuschen. Letzterem mögen wir ihm natürlich beipflichten - dieses Mindestmaß an empirischer Erkenntnis müssen wir Turner schon zugestehen. Außerdem sei die LINKE gegen den EU-Vertrag und habe somit bewiesen, dass sie gegen das - Zitat - "Wohl des deutschen Industriearbeiters" stehe. Wo hat denn der Herr Werbefachmann solche Sprüche gelernt? Mit solch markigen Sentenzen haben schon ganz andere geworben! In welchen seltsamen Kategorien er denkt wird in jenem Moment offenbar, in dem er zukunftsweisend feststellt, dass sich eines Tages Historiker damit befassen würden, "inwiefern die Spaltung der politischen Linken das Ergebnis von zwei Männern auf Egotrip" sei. Als ob die Diskrepanz zwischen der LINKEN und der Sozialdemokratie auf einen Männerstreit zurückzuführen sei. So einfach kann man sich die Welt natürlich auch machen. Hauptsache es werden keine politischen Inhalte bemüht, um die Unterschiede beider Parteien kenntlich zu machen. Er weiß natürlich, dass man in dem Augenblick, in dem man die Inhalte der LINKEN aufgreift, diese von der Rolle des nationalen Teufels enthoben hat.
Nach allerlei Allgemeinplätzen und Werbeweisheiten gibt Turner bekannt, warum die SPD derart abgerutscht ist. Mit mehr Ideenreichtum in der Namensfindung von Reformpaketen, hätten die Sozialdemokraten womöglich keinen demoskopischen Untergang erleben müssen. Aber wenn man sein Paket "Agenda 2010" nennt, gebe man den Bürgern ja nichts von der SPD-Vision weiter, die ja in den Aktenordnern der Reformer schlummerten. Produkte nennt man doch nach Sehnsüchten der Kunden. Kein Waschmittelhersteller nennt sein Produkt nach der Farbe des Waschpulvers - "Aschgrau"! Nein, man weckt Sehnsüchte nach Reinheit und Weißheit - nach Weisheit nicht, sowas verkauft sich nicht - und nennt es den "Weißen Riesen"! Folgt man also der Turnerschen Einsicht, so hätte die SPD ihre sozialen Widerwärtigkeiten unter einem anderen Namen besser verkauft. Immer wieder nett anzusehen, wie herrlich eindimensional die Weltsicht diverser Herrschaften sein kann. Alle Kritiker, die der Partei vorwerfen, ihre Ideale verraten zu haben, täuschen sich! Es lag nur am Namen! Vielleicht wird man sich das eine Lehre sein lassen und die nächsten sozialen Schweinereien etwas lieblicher benennen: "Wir fühlen uns wohl"-Reformen 2020!"
Wie gesagt: Vom Niedergang kann nicht die Rede sein. Gemeinhin sterben Tote nicht nochmals. Aber es ist schon traurig, wenn man nachlesen muß, welch billiger Journalismus betrieben wird, um den Menschen vorzugaukeln, sie nähmen am politische Diskurs teil. Neil Postmans Medienanalyse von 1985 - "Wir amüsieren uns zu Tode" - ist aktuell wie damals. Aussagekraft, Mut gegen den Massenstrom zu schwimmen, deutliche Kritik, wohldurchdachte Gedanken: Das sind Vorstellungen, die mit dem heutigen Journalismus nicht mehr vereinbar sind. Da zaubert man lieber einen Werbetexter aus dem Hut, der die SPD mit seinen billigen Krämerweisheiten analysiert wissen will. Was soll denn da noch kommen? Ein Bäcker, der erklärt, wie man sich mit Mehl, Wasser und Eiern eine schwarz-gelbe Mehrheit backen kann? Ein Metzger, der beratschlagt, wie man den letzten arbeitsscheuen Schmarotzer verwurstet? Ein Erotiktherapeut, der aufzeigt, wie man mit zärtlichen Streicheleinheiten Merkel und Beck wieder zueinanderführt? Der Stern sollte sich jedenfalls vor diesen Vorschlägen nicht verstecken, denn tiefer geht es für ihn eh nicht mehr. Er hat nichts zu verlieren...
1 Kommentare:
Ich kann in dem Artikel, weder einen besonderen Tiefpunkt, noch einen Skandal sehen. Den Stern noch tieferzulegen, du hast es ja selbst angesprochen, ist schlicht ein Ding der Unmoeglichkeit. Und dass die "Werbung" bzw. das Marketing nebst entsprechenden Unternehmen schon lange eine bedeutende Rolle in der Politik spielen, ist auch nichts neues. Man denke nur an den seinerzeit fesch umfrisierten Helmut: von der alten Pfeife keine Spur mehr, dafuer aber eine schicke Brille und ein fluffiger Haarschnitt oder die ebenso umgestylte Merkel. Es ist nun mal ein Fakt: die buergerliche Gesellschaft ist in erster Linie weder eine Arbeits- noch eine Leistungs-, sondern schlicht eine Erwerbsgesellschaft, in der kaufen und (fuer dumm) verkaufen an erster Stelle steht. - Noch ehe ein Arbeiter an den Schraubstock darf muss er (sich) schon verkauft haben. Immerhin: in frueheren Zeiten hatte man hierzulande noch - ganz unverhohlen - ein staatliches Institut fuer Volksverarschung, Propagandaministerium gennant - Wir wissen, wie das ausging und seither hat die Propaganda allerdings einen denkbar schlechten Ruf - deswegen machen Parteien und Politiker heute auch keine boese "Propaganda" mehr, sondern "kommunizieren Inhalte". Und damit sie beim vielen kommunizieren nicht dauernd ueber ihre Versprecher und Versprechungen stolpern, lassen sie sich assistieren: von Marketingexperten. Gerade in Wahlkampfzeiten gibt es da fuer solche Experten einiges zu verdienen - da muss man dann auch als Marketingexperte schon mal ein bisschen Propaganda fuer sich machen - sorry: "seine Qualitaeten kommunizieren" - und sehen, dass man sich irgendwo im redaktionellen Teil der Presse und anderer Medien unter- und ins Gespraech bringt.
Aehm, fast vergessen - wer fuehrt eigentlich die Werbekampangen fuer den Stern durch?
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