Schickt die Kindheit in die Ferien!

Montag, 6. Mai 2013

Vorschläge für mehr Kindeswohl.

Seid doch vernünftig, Kinners! Denkt an die Wettbewerbsfähigkeit. Das Leben ist kein Zuckerschlecken und den Ernst des Lebens zu kennen, schadet euch sicherlich nicht. Seht doch ein, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sein können. Seht doch endlich ein, dass Ferien etwas sind, was wir uns im globalen Wettbewerb nicht mehr leisten können. Wenn wir als Exportnation weiterhin erfolgreich sein wollen, müsst ihr Opfer bringen. Eure Eltern stehen an der Front - könnt ihr nachvollziehen was das heißt? In Sierra Leone haben die Kinder auch kaum Ferien. Wer sich nicht anpasst, den bestraft die Marktwirtschaft.

Seid doch gescheit, Kinners! Es geht um so viel. Was sind denn schon sechs Wochen voller Freiheit, voller Ausschlafen und In-den-Tag-Hineinlebens? Das geht alles vorbei und nichts bleibt davon. Aber ein ökonomisches Fundament, an dem ihr teilhabt, indem ihr eure Ferien kürzt, davon haben wir alle und haben wir ewig etwas. Das ist nachhaltig! Sieger im Wettbewerb zu sein, sichert uns allen die Freiheit, die nächsten Rechnungen begleichen zu können. Freiheit ist, wenn ihr euch die Freiheit nehmt, auf Ferien zu verzichten. Im Klassenzimmer sitzen, wo die Jahrgänge vor euch noch zum Baden gingen: Das ist Freiheit!

Seid doch klug, Kinners! Wie ihr nur eine Kindheit habt, so haben wir nur eine Exportwirtschaft. Sie verrinnt uns wie eure Kindheit, wenn wir sie nicht hegen. Was ist da wichtiger? Die begrenzten Jahre eurer kindlichen Leichtlebigkeit oder die existenzielle Schwerfälligkeit unserer Ökonomie? Weniger individualistisches Denken tut Not. Ihr lernt soziale Verantwortung, wenn ihr verzichtet. Euer Verzicht ist unser aller Gewinn.

Seid doch einsichtig, Kinners! Man kann in der freien Marktwirtschaft, in der der Wettbewerb uns alle an die kurze Leine nimmt, gar nicht schnell genug erwachsen werden. Dass ihr ein kindliches Gemüt habt, kann euch niemand zum Vorwurf machen. Dass ihr aber so unnachgiebig kindisch bleibt, nicht begreifen wollt, das ist schon ein Akt der Fahrlässigkeit. Wer kindisch ist, gefährdet unseren Wohlstand. Die Kindheit ist ohnehin ein sehr junges Konzept. Kindheit gab es früher gar nicht. Was ist da im Vergleich dazu schon die Reduzierung von Ferientagen? Es braucht nur ein klein wenig Sensibilität für die Spielregeln der Weltwirtschaft, für die Sachzwänge der Welt, dann kommt ihr zur Einsicht.

Seid doch nicht gleich beleidigt, Kinners! Man kann gar nicht früh genug mit dem Ernst des Lebens anfangen. Ihr müsst ja nicht wirklich büffeln in Zeiten, da eigentlich Ferien wären. In der Schule rumsitzen reicht doch aus. So wie das ganze Schuljahr. Es geht doch nicht um Lernen und Bildung, es reicht wenn ihr das könnt, was ihr später mal im Arbeitsalltag können müsst. Einsetzbares Wissen, das man auf dem Markt benötigt. Die Schule ist doch kein Ort des Paukens mehr, sondern eine Verwahranstalt mit gelegentlichen Bildungssegmenten. Wir haben euch also schon entlastet, die Bürde des Allgemeinwissens von euch genommen. Ihr könnt nicht nur nehmen, ihr müsst nun auch geben.

Seid doch clever, Kinners! Wenn ihr eure kindischen Affekte in die Ferien schickt und nicht euch selbst, dann profitiert auch ihr davon. Seid fleißig und die Rendite kommt umgehend danach. Nach Jahren der Praktika, da wartet dann der Wohlstand in Teilzeit auf euch. Ist es das nicht wert? Die Marktwirtschaft hält ihre Versprechen, man muss nur mit ihr feilschen. Ferien gegen Chancengerechtigkeit. Ist das kein Anreiz?


8 Kommentare:

Stefanie 6. Mai 2013 um 06:52  

Hallo Roberto,

wenn es nicht die Wahrheit wäre, wäre es zum Lachen. Vielen Dank dafür.

Anonym 6. Mai 2013 um 09:25  

Ausgezeichnete Argumente Herr De Lapuente. Sie haben mir die Augen geöffnet: Nachdem unproduktive Rentner, Arbeitslose, Asylanten, Kranke, Südeuropäer, Studenten etc. bereits identifiziert und der Faulheit für schuldig befunden wurden, sind es doch tatsächlich Kinder - diese kleinen raffinierten Biester - die sich bisher erfolgreich dem kapitalistischen Hamsterrad entziehen konnten.

Juhuuu, ein neues Opfer. Also auf zum frohen Kinder-Bashing: Kinder sind faul! Kinder liegen uns auf der Tasche! Deren Leben in der sozialen Hängematte können wir uns nun wirklich nicht mehr leisten! Römische Dekadenz in deutschen Kinderzimmern! Schluss damit! Ferien ersatzlos streichen. Stattdessen kostenloses Pflichtpraktikum! Und in Zukunft gibts Rente nur für die Leistungsträger, die von 12 bis 80 Jahren gearbeitet haben. Sonst geht unsere Wirtschaft unter. Alternativlos!

PS: Und wer hats mal wieder erfunden? Unsere Eliten! (Die sich gerade auf ihrem Drittwohnsitz in St. Moritz amüsieren oder sich in London durch die Puffs stossen)

epikur 6. Mai 2013 um 11:01  

Man sagt ja, dass man den Wert einer Gesellschaft daran erkennen würde, wie sie mit ihren (vermeintlich) Schwachen umgehe. Insofern sollten wir viel genauer beobachten, wie Politik und Wirtschaft mit unseren Kindern umgeht.

Anonym 6. Mai 2013 um 11:06  

ANMERKER MEINT:

Ich bin übrigens auch der Meinung, dass zurück zu den Wurzeln der allein selig machende Weg ist. Wi e war das noch mal in Preußen: da wurden Soldaten gebraucht, die ein wenig (!) mehr können sollten als nur gehorchen und schwuppdiwupp wurde das Wichtigste gelehrt; ein bisschen Rechnen, ein wenig Lesen und ganz viel Religion. Die Kerls sollten vor lauter Wissen den Glauben an Gott, König und Vaterland nicht vergessen. Und das genügt ja auch zum Funktionieren. Deshalb: Praktika statt Ferien, Praktika statt Lehrberuf und überhaupt: Nur noch Praktika, am besten schon ab Kindergarten und alles ist paletti wie weiland bei Preußens.

MEINT ANMERKER

Anonym 6. Mai 2013 um 11:40  

Marktkonforme Demokratie nennt man das in Regierungskreisen.
Nach den Wahlen im Herbst gibt es mehr davon, irgend eine Koalition wird es dann umsetzen.
Europa braucht Vorbilder!

Anonym 6. Mai 2013 um 20:20  

Was Schule so alles macht:
http://bit.ly/6NofrK

Ich finde seine Thesen über die Schule interessant, den Rest kann man sich schenken...

Gruß Bile

Hartmut B. 7. Mai 2013 um 09:41  

Jau, danke Roberto.... ein wunderbarer Artikel !

Freiheit ist die Freiheit des Kaufens und Sichverkaufens.

MichaMue 7. Mai 2013 um 17:06  

Ich schäme mich gerade und werde mich in ca. 15 Jahren bei meinem Sohn entschuldigen, dass ich gerade die Rückstellung der Einschulung um ein Jahr genehmigt bekommen habe (auch das ist ja inzwischen eine Ermessensentscheidung, selbst wenn Kita, Schule und die obligatorische Schuluntersuchung den Bedarf bestätigen). Wie kann ich so gemein sein und ihm die Segnungen unserer marktkonformen Demokratie vorenthalten?

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