Sit venia verbo

Donnerstag, 31. März 2011

"Was tun? H-Milch kaufen oder Büchsenmilch?
Wir wissen es nicht.
Verfallsdaten beachten oder Halbwertszeiten?
Wir wissen es nicht.
Regenschirm oder Abduschen?
Wir wissen es nicht.
Sind Kinder 23mal oder nur 17mal so gefährdet wie Erwachsene?
Wir wissen es nicht.

Es geht um mehr als um Tiefkühlkost
und um die Frage
nach dem unbedenklichen Verzehr von Blattspinat
in den richtigen Bundesländern.

Unsere Politiker haben sich totgestellt.
Kein Ton von den Herren, die so gerne reden.

Als Lastwagenfahrer einst
gegen schleppende Abfertigung
an der Grenze protestierten,
für Herr Strauß ins Krisengebiet.
Im geländegängigen Fahrzeug.

Wenn jetzt Frauen ihre Kinder nicht mehr
auf den Spielplatz lassen können,
wenn die Landwirte ihr Blattgemüse umpflügen müssen,
wenn Menschen der Strahlengefahr direkt ausgeliefert sind,
entfaltet sich administrative Funkstille.
Der Staat ist untergetaucht.

Warum?

Ruhe bewahren,
nur keine Aufregung,
Gras darüber wachsen lassen:
Die Atompolitik darf nicht gefährdet werden.

Nur einer meldet sich zu Wort: Herr Zimmermann.
Er beschimpft die Russen,
sie würden eine unmenschliche Informationspolitik
betreiben, eine verantwortungslose,
weil sie nichts anderes im Sinn hätten als

Ruhe bewahren,
nur keine Aufregung,
Gras drüber wachsen lassen:
Die Atompolitik darf nicht gefährdet werden.

Der Kanzler gab aus dem Fernen Osten Anweisungen.
Die Behörden hielten Strahlenwerte geheim.

Heute sind 350 Kernreaktoren in rund 30 Ländern in Betrieb.
Zwei haben schrecklich versagt.
Einer in Harrisburg, einer in Tschernobyl.

Nun werden noch mehr Menschen an Krebs sterben.
Das Erbgut vieler Menschen ist seitdem
krankhaft verändert, ohne daß sie es wissen.
Es wird noch mehr Sozialfälle und Krüppel geben.
Die Schadstoffe werden in der Lebensmittelkette bleiben.
Wir reichern uns an.

Versagen gehört zu unserer Welt.
Es gibt keine absolute Sicherheit.
Jede Technik hat Schwachstellen.
Versagen ist menschlich.
Mit Versagen nicht zu rechnen,
ist verantwortungslos und unmenschlich.
Die Atomwirtschaft setzt auf technische Wunderwerke,
die nicht versagen.

Aber sie haben versagt.

Mag sein, die deutschen Atomkraftwerke
sind doppelt so sicher wie die russischen.
Dann passiert es in acht Jahren statt in vier.

Und Brokdorf liegt nur 60 km von Hamburg,
Wackersdorf nur 130 km von München,
Biblis nur 50 km von Frankfurt.

Wer evakuiert die Hamburger wohin?
Werden die Münchner nach Capri evakuiert?
Die Frankfurter auf die Kanarischen Inseln?

Jeder wird allein gelassen sein.
Wie schon dieses Mal.
Die Politiker werden wieder unfähig sein,
etwas zu tun.
Sie werden abwiegeln und beschwichtigen.

Nur keine Panik, sagen sie.
Unsere Sorge sei verständlich, sagen sie,
aber völlig überflüssig.
Vor allem soll alles so weitergehen, sagen sie.
Nur jetzt noch sicherer.
Atomstrom schafft Arbeitsplätze, sagen sie.

Beschwichtigung von Ignoranten.
Sie sehen nichts,
sie hören nichts,
sie lernen nichts.
Sie haben nur gelernt, wie man Wahlen gewinnt.

Was haben wir gelernt?
Es reicht nicht, gegen das Informationschaos
und den Beschwichtigungsnebel der Regierung zu protestieren.
Es reicht nicht, mehr Schutz und Sicherheit zu fordern.
Es reicht nicht,
weil uns so eindrucksvoll wie noch nie bewiesen wurde,
in welchem Ausmaß die Politiker
der Lage nicht gewachsen sind.
(Dabei war Tschernobyl nur ein Unfall.
Stellen wir uns vor, es explodieren Sprengköpfe.)

Auswandern? Emigrieren?
Aber wohin?
Jetzt werden wir nicht mehr sagen können,
wir hätten von nichts gewußt.
Wir können nicht fliehen und emigrieren.
Die Welt wird immer mehr zu unserem eigenen Gefängnis.
Zum Gefängnis des atomaren Fortschritts.

Wenn wir heute nichts dagegen unternehmen,
werden sie sich morgen bedanken
für unser Stillhalten und unsere "Vernunft".
Jeder muß überlegen, was er tun kann.
Jeder an seiner Stelle.
Dieses Mal vergessen wir's nicht."
- Inge Aicher-Scholl, "Sie haben versagt", erschienen am 23. Mai 1986 in DIE ZEIT, auch als Vorwort in Gudrun Pausewangs Jugendbuch "Die Wolke" abgedruckt -

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Der Friederich, der Friederich, der ist ein arger Wüterich!

Der neue Innenminister ist eine ehrliche Haut. Kaum im Amt, läßt er keine falschen Zweifel aufkommen: er ist ein Hardliner, ein konservativer Betonkopf, der seine Rolle als oberster Herr der Polizei auch in die Islamkonferenz trägt, um dort gleich für eine klare Rollenverteilung zu sorgen. Hans-Peter Friedrich beichtet bei aller Ehrlichkeit natürlich auch Wissenslücken, die man ihm heute, in Zeiten da Ausländerfeindlichkeit und rassisch inspirierte Genetik wieder salonfähig sind, natürlich nachsehen muß. Es sind Lücken, die zum Standardrepertoire moderner Kreuzritter gehören (das Blabla zur christlichen Prägung Europas, das den Islam als Stempel - trotz Al-Andalus, trotz Balkan! - nicht duldet), die man aber gar nicht mehr stopfen möchte - das wäre ja eh nur fruchtloses Gebaren...

Im intellektuellen Jammertal der heutigen Bundesrepublik müssen die abgetakelten Phrasen eines Friedrichs schon gar nicht mehr polarisieren - demgemäß kann man sie getrost, wenn auch besorgt, zur Seite schieben. Was aber doch Eklat ist, ist sein Auftreten bei der Islamkonferenz. Als oberster Polizist betritt er eine Szenerie, die eigentlich - nach Wortlaut jedenfalls! - dazu einberufen wurde, um Ausgleich und Miteinander zu schaffen. Friedrich aber knallt mit Plattitüden auf, gibt den freundlich lächelnden Kreuzritter und fordert die Muslime auf, sich selbst denunziatorisch zu begutachten. Sie sollen melden, wenn in ihrer Moschee Hass gepredigt wird - alles unter der unabänderlichen Prämisse natürlich, dass Hasspredigten zum Alltag in Moscheen gehöre. Ein Klima des Misstrauens wird von Friedrich befürwortet; wenn man die Muslime schon nicht abschieben oder kleinhalten kann, so doch spalten und gegeneinander ausspielen. Kritische Worte an der deutschen Gesellschaft könnten dann, erstmal von einem Denunzianten den zuständigen Behörden gemeldet, als Gewaltaufruf oder Hasspredigt eingestuft werden. Die Muslime Deutschlands, das mag das Kalkül dieses Mannes im Innenministerium sein, werden entmutigt, überhaupt nochmal den Mund zur gesellschaftlichen Befindlichkeit in diesem Lande aufzutun.

Der Historiker Wolfgang Benz äußerte sich vor einigen Monaten in der Kulturzeit bei 3sat dahingehend, dass die Muslime Deutschlands in eine Rolle manövriert würden, die der der Juden in der frühen Regierungszeit Hitlers nicht unähnlich wäre. Faruk Şen, ehemaliger Leiter des Essener Instituts für Türkeistudien, äußerte sich schon vormals in diese Richtung, was ihm prompt die Stellung kostete. So schwierig der Vergleich auch sein mag, er hat Berechtigung - die Lage der Juden vor dem Massenmord darf nicht mit dem Wissen der späteren Generationen betrachtet werden; die Ausgrenzung und Diabolisierung der Juden (vor der Shoa) gleicht in vielen Facetten durchaus den Mechanismen, die man heute anwendet, um Muslime zu unmenschlichen Außenseitern zu erklären. Und Friedrichs Vorhaben unterstreicht diesen Vergleich tatsächlich, gibt ihm eine besonders zynische Note. Was ihm da vorschwebt, die Selbstkontrolle der Muslime untereinander, die allesamt als eine Art Gesinnungspolizei über ihren Nächsten zu wachen hätten: das erinnert an Kapos, diesen kostengünstigen Verwaltungs- und Exekutivbütteln, die selbst Delinquenten waren. Ein Prinzip, das man ebenfalls den Judenräten (eine Einrichtung, die Hannah Arendt später schwer verurteilte, weil sie unterstrich, dass die Juden wie Schafe zur Schlachtbank taumelten) angedeihen ließ.

Niedere, schmutzige Dienste für die Herren zu verrichten, das war das Aufgabenfeld solcher "Räte", die freilich nichts zu beratschlagen hatten - ein Euphemismus, wie das ganze Dritte Reich auf Euphemismen gründete. In dieser Tradition steht Friedrichs Idee. Man fördert das Denunziantentum, sät damit ein Klima der Angst und der Verklemmtheit, opfert gelegentlich ein Mitglied der islamischen Gemeinschaft in Deutschland auf dem Altar des Terrorschutzes, weil er vielleicht gesagt habe, dass viele Deutsche Türkenhasser seien und man ihm deshalb vorhält, er leide unter unkontrollierbarer Wut und stelle daher eine Gefahr für die deutsche Gesellschaft dar. So amortisiert sich diese unliebsame Gesellschaftsschicht von ganz alleine. Die Hände machen sich die Muslime selber schmutzig. Letztlich stiftet so ein Türkenrat, so ein Muselmanenrat doch genug Unfrieden, um diese Bagage ausgiebig zu beschäftigen. Der Islam in Deutschland schwächt sich selbst, weil man ihn ganz offiziell für das Denunziantentum aufsperrt. Dass manche private Animosität auf Behörden getragen wird, nimmt man zur Sicherung des inneren Friedens (denn die Muslime sind ja angeblich diejenigen, die den inneren Frieden unterwandern wollen), dann gerne in Kauf.

Hans-Peter Friedrich tritt mit einer Dreistigkeit auf, die nichts Gutes für die Zukunft erahnen läßt. Da stolperte ein harter, menschlich wohl aber total unfähiger Hund und versessener Kreuzritter bloß aufgrund Parteiproporzes in einen Ministersessel hinein. Mit frecher Schnauze und kaltblütiger Überheblichkeit spielt er den unnachsichtigen Sheriff und brüskiert damit die Muslime dieses Landes. Friedrich ist ein geschichtsvergessener Schnösel, der aufgrund seines persönlichen Geltungsbedürfnisses keinen inneren Frieden wahren oder fördern kann - er ist ein arroganter und überheblicher Brandstifter, der glaubt, das Miteinander habe daraus zu bestehen, dass der Muslim in Deutschland voller Unterwürfigkeit dem abendländischen Deutschen zu begegnen habe. Wie ein Kolonialherr trat er bei der Islamkonferenz auf - das sind scheinbar die Qualitäten von Ministern, wie man sie sich in diesen Zeiten, da Sarrazin als weiser Philosoph gilt, dringlich erhofft. Noch mehr von dieser kleingeistigen aber dreisten Sorte und es brennt in diesem Lande lichterloh - innen wie außen!



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Der letzte Vorhang

Mittwoch, 30. März 2011

Langsam jedoch sicher stirbt das Überwachungs- und Eliminierungspersonal aus den Todeslagern aus. Die Schlächter, mittlerweile herrenmenschlich lichtes Haar und fahle Haut erduldend, sind eine rare Spezies geworden. Gelegentlich rutschen sie noch an die Öffentlichkeit - man stöbert sie auf, tut schockiert, weil sie jahrelang unerkannt "unter uns" lebten und stellt sie, verwelkt und wie das blühende Siechtum aussehend, vor Gericht. Demjanjuk ist der aktuelle Name, Boere hieß er vor einiger Zeit, Faber könnte er bald heißen. Das sind die letzten juristischen Zuckungen, der letzte Vorhang, der für das Dritte Reich fällt - es sind die letzten Herren- und Hilfsvolksmenschen, die vor einen Richter gezerrt werden. Nach denen gab es nur noch die Gnade der späten Geburt und die relative Unschuld.

Es ist von relativer Unschuld zu sprechen, weil es eine absolute Unschuld nicht gegeben hat nach Fall des Hitlerismus. Sicherlich war die junge Generation nach '45 keine aus Henkern oder Tötungsknechten bestehende, man war zu jung um eine solch "ehrenvolle Aufgabe" für das deutsche Volk zu übernehmen, konnte hernach demgemäß qua Jugend nicht als schuldig eingestuft werden. Großes Interesse aber, die wahrhaftigen Verbrecher abzuurteilen, sie aus der neuen Gesellschaft zu verbannen, hatte man jedoch nicht - man war sicherlich oberflächlich unschuldig, man hatte selbst ja nicht Hand angelegt, keine Leichenberge verursacht durch Aufdrehen von Gashähnen oder Betätigen von Abzügen. Die Schuld bestand darin, die Verursacher des Wahns geduldet und nicht behelligt zu haben. Es war so gesehen nur eine relative Unschuld, mit der sich die unmittelbaren Nachkriegsgenerationen, genauer gesagt: die Generationen, die zu jung waren, um selbst am Krieg teilzunehmen, zieren konnten.

Die Tragik der heutigen Prozesse gegen Nazi-Verbrecher ist, dass die Demjanjuks, Boeres und Fabers "lediglich" Bluthunde waren, die gelehrsamen und fleißigen Diener ihrer Herren; sie sind das kleine Personal aus den Lagern, die die Menschheit ausdünnten. Vor Gericht steht die dumpf vor sich hin mordende Exekutive des Nationalsozialismus; die Judikative ist bereits tot, all die Aufwiegler, die Ideologen und Dogmatiker, die Vorbereiter und Anfacher des Massenmordes - sie waren ja auch älteren Jahrgangs. Der Fließbandarbeiter aus der blutbesudelten Fabrik der Hakenkreuzler und Runenträger steht in unseren Tagen vor seinem Richter. Die Ingenieure und Kopfarbeiter und Bachelor dieses megalomanen Ausmerzungsapparates sind ja bereits dahin. Demjanjuk, Boere und Faber waren damals zu jung, um eine solche Stellung innerhalb "der Firma" zu ergattern - vielleicht wären sie aufgestiegen, hätten sich ihre Sporen durch Auszeichnungen auf dem weiten und diffizilen Felde der Liquidation verdient, wenn diese massakrierende Industrie des Dritten Reiches nicht bankrott gegangen wäre. Vielleicht. So kamen sie aber nie über den Status kleiner Handwerksgesellen hinaus. Wir befinden uns zurzeit in einer kurzen Episode, in der die Blutsäufer, die direkt am Schlachten beteiligt waren, ein letztes Spektakel liefern.

Der eine Skandal ist, dass solche Kreaturen "unter uns" lebten, mehr oder minder behelligt, manchmal als liebenswerte Opapas von nebenan, gelegentlich als geläuterte Veteranen, denen man das Ungemach, das sie über viele Menschen brachten, aufgrund von weise eingefurchten Falten im Gesicht verzeihen sollte. Das größere Ärgernis aber ist, dass es dieser relativen Unschuld zu verdanken ist, dass die Vordenker und Wegbereiter, die ideologischen Giftmischer und dogmatischen Hintermänner, die Oberbefehlshaber und Funktionäre, die rassistischen Vorbeter und antisemitischen Gurus, die Agitatoren und Spalter, die nicht erst in den Kriegswirren, sondern schon vorher, als noch "Frieden" in Deutschland herrschte... dass diese ganze ehrenwerte Gesellschaft, die sich teils erschoss oder vergiftete, teils mit der Rattenlinie auf große Fahrt ging, teils verborgen und halbwegs unerkannt "zwischen uns" lebten, kaum zur Rechenschaft gezogen wurde.

Natürlich müssen auch die kleinen Exekutivbeamten des Regimes verurteilt werden. "Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen" gilt nicht als Beschwichtigung. Beide gehören - wohlgemerkt metaphorisch ausgedrückt - aufgeknüpft. Nur dumm, dass es heute so aussieht, als seien die Demjanjuks, Boeres und Fabers die alleinigen Biester, weil sie im Blut wateten - man kann sich auch blutige Stiefel vom Schreibtisch aus holen, beim Halten ideologischer Reden, beim Verbreiten hetzerischer Parolen, bei eichmännischer Schreibtischarbeit. Wenn man nun diese widerlichen Greise zu lebenslanger Haft verurteilt, so sollte immer bedacht werden, dass die vorherige Täter- und Brandstiftergeneration viel zu gut abgeschnitten hat. Sie ist mehrheitlich entkommen - und nun stehen ihre Arbeiter und Handwerker viel zu spät vor Gericht, um als letzte Attraktion von '45 herzuhalten. Das unterstreicht nicht den funktionierenden Rechtsstaat, es macht das Versagen des bundesrepublikanischen Rechtsstaates offenkundig.



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Ein neues Zeitalter

Dienstag, 29. März 2011

Die Demokratie, so blökt mancher Optimist, habe in Baden-Württemberg einen fulminanten Sieg eingefahren. Die ganze Pracht solcherlei zuversichtlicher Äußerungen entfaltet sich vor einem Hintergrund, der bedenklich stimmt: 58 Jahre hat dort die Union geherrscht; 58 Jahre voller Skandale und Liederlichkeiten, Verfilzungen und Protektionen; angefangen bei Ministerpräsidenten, die entweder relativ harmloses NSDAP-Mitglied waren, bis zu solchen, die in Hitler-Deutschland Unrecht sprachen; dazwischen immer wieder Filz, Schiebung, Bestechlichkeit und korruptes Zuschustern von Aufträgen an Kameraden aus der Wirtschaft - Stuttgart 21 war da nicht mal der Gipfel, es war nur der letzte Akt in einem jahrzehntelang konservierten Milieu aus Freundschaftsdienst und Kumpanei, Reaktion und Revisionismus (man erinnere sich nur an Oettingers Plädoyer für Filbinger).

Die Demokratie funktioniert, denn sie hat nach 58 (in Worten: achtundfünfzig!) Jahren gegriffen und die Seilschaften durchtrennt - jedenfalls auf höchster, das heißt, auf Regierungsebene. Achtundfünfzig Jahre nur, um sich endlich endlich endlich von den Missständen zu befreien! Der Demokratie Mühlen, sie mahlen... wenn auch mit der Emsigkeit einer Schnecke. Und wäre Fukushima nicht gewesen, hätte die Debatte um die Kernenergie nicht ihren Lauf genommen, der Ländle-Filz, er säße fortan nicht in der Opposition, er würde weiterhin von der Regierungsbank aus Geschäfte delegieren, zuschustern, unter Freunden, Bekannten und Verwandten verteilen, die Atomenergie lauthals befürworten und Stuttgart 21 mit aller gebotenen Härte verteidigen und mit dem Feigenblatt zerschlichteter Befürwortungsmachung rechtfertigen.

Genau dieses Vorhaben wird nun Grün-Rot umzusetzen haben. Die Demokratie hat gesiegt: Grün-Rot baut Stuttgart 21! Natürlich mit einigen Bedenken, mit Missmut und der entlastenden Ausflucht, der Vorgängerfilz habe das Projekt ja gestartet und es sei doch nur verschwendetes Geld, wenn man die angefangenen Arbeiten nun einstellte - das wäre verantwortungslos gegenüber dem Steuerzahler! Das sind dann die Stimmen des "neuen Zeitalters", das nach der Landtagswahl in den grünen Fanmeilen beschworen wurde. Stimmen, die in der Erscheinung Kretschmanns kein schlechtes Bild abgeben - als grünkatholischer Wertekonservativer ist er angepasst genug, auch von solchen als Ministerpräsident akzeptiert zu werden, die bislang in seliger Gutgläubigkeit meinten, die Verfilzung von Politik und Wirtschaft, das Geben und Nehmen zwischen Schul- und Studienfreunden, Bumsfreunden und Bumsfreundinnen oder zwischen etwas profaneren Geschäftspartnern, sei ein Segen für die Allgemeinheit.

Hatten sich 1998, als die Grünen in die Regierungsverantwortung im Bund stolperten, doch schon vornehmlich angepasste Gestalten, Leute wie Fischer, Künast und Trittin, in Ämter manövriert, so ist doch Kretschmann die finale Karikatur eines Grünen, der endgültig in der (Spieß-)Bürgerlichkeit angelangt ist - gäbe es die Grünen nicht, er könnte als christlicher Naturbursche auch in der Union Karriere gemacht haben: als naturverbundener Konservativer, wie sie in der bayerischen CSU zum Beispiel in Legion heimisch sind. Es bleibt abzuwarten, ob man in den Aktenschränken wühlt, in denen 58 Jahre lang ad acta gelegt wurde, was da an Verflechtungen und Protektionen gelang, was da an Schmierfilm aufgetragen wurde, auf dem die Landesregierungen glitten; ob man darin wühlt, um es der Öffentlichkeit zu präsentieren - sicher, viele viele Papiere werden nun, da der Regierungswechsel ansteht, in den Aktenvernichter gestopft werden (Aktenvernichter werden gerade fleißig nachbestellt!), damit Grün-Rot nicht in die Verlegenheit gerät, Licht ins Schwarze zu bringen. Die Frage wäre nur: ist es nicht Lieblingsdisziplin vieler Wertekonservativer, nicht nachzutreten und kein schlechtes Wort über Vorgänger zu verlieren, zudem Kontinuität zu wahren?

Natürlich fordern Grüne und Sozialdemokraten, jetzt in der Stunde ihres Triumphes... wobei, Triumph: dass die Sozialdemokratie aus dem Ländle feiert, als habe sie die Wahl gewonnen, ist schon ein Hohn. Freilich, es gibt nach 58 Jahren CDU in Baden-Württemberg nun endlich den Beweis, dass die Demokratie griffe, wenn es tatsächlich Alternativen gäbe; aber die SPD hat ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten in Baden-Württemberg eingefahren und hat dennoch mitgewirkt bei der Ablösung des Immergleichen - das ist schon kurios, fast so kurios, wie die überschwängliche Freude von Sozis, die schwächeln wie nie zuvor und dennoch vor Beglückung fast platzen. Manche nennen so ein Verhalten Lebensfreude, andere Schwachsinnigkeit. Die Stunde des Triumphes also, in der wird viel gefordert und geträumt. Und so fordern sie also den Baustopp, vielleicht sogar noch ein Plebiszit zur Zukunft von Stuttgart 21 - und dann? Verwirft man alles? Neue Schlichtung, neuer Geißler, ein neues Medienspektakel mit diesem stündlich buckliger werdenden Greisen zur Belangweiligung all derer, die meinen, Demokratie sei vor allem Transparenz durch Zerschlichtung?

Das neue Zeitalter, bewirkt durch eine augenscheinlich funktionierende Demokratie, es könnte so aussehen, dass es dem alten Zeitalter gar nicht so unähnlich ist. Sicher, so viel Verfilzungen wird es zunächst nicht mehr geben, denn 58 Jahre Regierungsmacht muß man sich erstmal zusammenschmieren. Schon möglich, dass es einige Veränderungen bei der Atompolitik gibt, jedenfalls solange, wie die Öffentlichkeit noch reges Interesse für diesen Themenkomplex zeitigt; ein wenig ökologischer Tand wird auch mitspielen und bei Stuttgart 21 wird man penibel darauf achten, dass das "Gebaut wird aber trotzdem!" nicht zum öffentlichen Ärgernis wird - Grüne wissen ja, wie man unliebsame Entscheidungen mit grün-freundlicher Tünche präsentiert; so hat man schon Auslandseinsätze der Bundeswehr mit einigem Liebreiz herbeigeschmeichelt. Mit diesem Anstrich hat man schon vormals das gesamte Parteigefüge, das einst Ökologie mit sozialer Gerechtigkeit verband (weil nur beides Hand in Hand sinnvoll ist!), auseinandergenommen und auf so genannten Realokurs gebracht - Hartz IV, mit freundlicher Genehmigung der Grünen von der SPD verwirklicht, nahm nicht unter dem Druck des Schröderianismus seinen Anfang; es war im Keim der Realogrünen, die sich Anfang der Neunzigerjahre durchsetzten und die so genannten "Fundis" vertrieben, bereits angelegt. Hartz IV, soziale Spaltung, der repressive Abbau des Sozialstaates: all das geschah nicht unter Duldung der Grünen; es geschah eher, weil die Grünen eine solche Politik für sich und ihre finanzstarke Klientel für richtig erachteten.

Sozialpolitik? Bildungspolitik? Wird man für die Klientel, für die Kretsch- und Biedermann steht, eine dünkelhafte Politik bieten? Bekenntnis zu einem Schulsystem, das mehr aussiebt als fördert, mehr trennt statt zusammenschweißt? Weiterhin ein Credo auf das SGB II anstimmen? Politik für feiste Häuslebauer? Das alles ist sehr wahrscheinlich, denn der Atomausstieg brennt auch denen unter den Nägeln, denn die wollen schließlich ein strahlendes Häuschen im Grünen, kein grünes Häuschen in Strahlung. Was schert da die Klientel der Grünen, die ja ohnehin finanziell saturierter ist, die Sorgen der Habenichtse? Das neue Zeitalter ist für die, die wenig oder nichts haben, das alte Zeitalter in zwei neuen Farben...



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De omnibus dubitandum

Montag, 28. März 2011

Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg wählten...

  • ... 33,8 Prozent aller Wahlberechtigten gar nicht.
  • ... 25,5 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU/CSU.
  • ... 15,8 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
  • ... 15,1 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 3,4 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
  • ... 1,8 Prozent aller Wahlberechtigten die Linke.
Der mobilisierte Aufbruch installierte eine grün-rote Koalition, die einen Rückhalt von 30,9 Prozent in der wahlberechtigten Bevölkerung zeitigt. Das Heer der Nichtwähler war demnach größer.


Bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz wählten...
  • ... 38,2 Prozent aller Wahlberechtigten gar nicht.
  • ... 21,6 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 21,3 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU.
  • ... 9,3 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
  • ... 2,6 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
  • ... 1,8 Prozent aller Wahlberechtigten die Linke.
Die rot-grüne Koalition schlägt sich mit 30,9 Prozent aller wahlberechtigten Stimmen nieder. Die satten Mehrheitsverhältnisse im rheinland-pfälzischen Parlament wurden von nicht einmal einem Drittel der Wahlberechtigten ins Amt gehoben.

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Eine Welt ohne Vorurteile ist nicht denkbar

Freitag, 25. März 2011

Vernimmt man konsterniert, dass wieder mal Homosexuelle verunglimpft oder Ausländer ausgegrenzt werden, dann wünscht man sich im ersten Anflug von Utopie, die in jedem Menschen mehr oder minder schlummert, eine Welt ohne Vorurteile. Ein solches Erdenrund ist für viele Organisationen, die sich um die Belange so genannter Randgruppen kümmern, das ferne Ziel am Horizont. Eine begrüßenswerte Utopie freilich - aber eine, man kennt den Mensch in seiner Unvollkommenheit mittlerweile seit Jahrtausenden, die kaum Wirklichkeit werden kann. Optimisten würden nun intervenieren und von einen verquasten Pessimismus sprechen, der sich hinter einer solchen Aussagen verkappe. Dabei macht diese Aussage nichts von dem wett, was man sich als lebenswerte Gesellschaft wünscht.

Das Ressentiment ist, so muß man leider feststellen, eine menschliche Regung. Es kann nicht einfach aberzogen werden. Umerziehungsdiktaturen gab es im letzten Jahrhundert ausreichend - sie wollten zwar nicht den vorurteilsfreien Menschen schaffen, konträr, sie waren darauf getrimmt, bestimmte Vorurteile so auszunutzen, dass ihre Strukturen verfestigen wurden. Aber man könnte aus dem Umerziehungswahn der Kommunisten und Faschisten doch lernen, dass der Mensch letztlich ist wie er ist - und es auch immer bleiben wird. Er ist edel, hilfreich und gut - und er ist hinterlistig, selbstsüchtig und schlecht. Außerdem leidet er unter einer Litanei an Vorurteilen, die freilich individuell verschieden geartet, ausgeprägt oder vorhanden sein können. Xenophobie beispielsweise ist damit letztlich kein Akt der Dummheit, sie ist menschlicher Affekt, den Evolutionstheoretiker als eine Art Abwehrmechanismus gegen fremde Individuen oder Gruppen klassifizieren - ein Affekt, der aus zotteligeren Tagen stammt.

Hervorragend!, wird mancher zynisch fluchen. Mit dieser revisionistischen Ansicht verkommt die Fremdenfeindlichkeit zum Kavaliersdelikt, weil sie gewissermaßen evolutionär entschuldbar würde. Ein fremdenfeindlicher Totschläger wäre am Ende gar ein feiernswerter Verteidiger der eigenen Gruppe, des Vaterlandes, etwas pathetischer ausgedrückt. Träumt man von einer vorurteilsfreien Gesellschaft, so sind diese Bedenken freilich anstandslos zu teilen. Glaubt man aber weniger idealistisch behaftet, dass ein vorurteilsfreies Idyll niemals wirklich werden kann, so sieht es anders aus, so wertet man distanzierter. Denn wir leben nicht mehr in zotteligen Tagen, wir traten irgendwann in die Zivilisation. Und es käme der Angelegenheit angemessener zupass, wenn anstatt von einer "vorurteilsfreien Gesellschaft" von einer "zivilisierten Gesellschaft" gesprochen würde - darin enthalten wäre das, was man sich stets dann wünscht, wenn man das Vorurteil aus den Menschen herauserziehen möchte.

Denn wenn Zivilisiertheit überhaupt etwas bedeutet, dann seine Ressentiments im Griff zu haben. Man kann sie nicht aus den Menschen extrahieren, sie sich wegdenken. Sie sind da, werden immer da sein. Selbst der toleranteste und aufgeklärteste Mensch wird sich denken: "Oh, der ist ja schwarz!" oder "Wie sieht der denn aus mit seinem Turban?" oder "Warum küsst dieser Kerl einen Kerl?" Aber das macht den Unterschied aus, denn der Tolerante oder Aufgeklärte, als Produkt zivilisierter Zustände, er wird es sich denken. Und damit ist viel gewonnen! Er könnte es nämlich auch sagen, darüber spotten, zum Gegenstand von Niedertracht machen. Oben hieß es, Xenophobie sei "letztlich kein Akt von Dummheit" - das ist natürlich zu einfach. Dummheit ist vielmehr, trotz Zivilisation dieser instinktiven Haltung zu frönen; sich nicht zivilisiert mitentwickelt zu haben; noch im Fell irgendeines Primaten zu stecken. Seine Ressentiments zügeln zu können, das bedeutet in einer zivilisierten Gesellschaft zu leben. Dies ist noch lange keine vorurteilsfreie Gesellschaft, die es gemäß conditio humana nicht geben kann. Aber sie ist vielleicht die beste aller möglichen Gesellschaften, die sich mensch denken kann - mehr ist schon kaum vorstellbar. Es ist Heuchelei, wenn Zeitgenossen gelegentlich behaupten, sie sähen keine Hautfarbe mehr, kein Geschlecht oder keine Neigung; für sie seien alle gleich. Wäre dem so, müsste man es nicht selbstlobend hervorheben; wäre dem so, bräuchte es keine Quotenregelungen!

Das in uns schwärende Vorurteil zu bändigen, zu unterdrücken, es ist eine Kulturleistung. Es hinauszuposaunen, das ist Kulturlosigkeit! Da fehlt zivilisiertes Auftreten! Vorurteilsfrei kann es nicht zugehen, wo der Mensch heimisch ist - das Vorurteil ist menschlich. Es ist ein fatales Missgeschick der abendländischen Philosophie, dass sie die Menschlichkeit, die humanitas, nicht nur sprachlich, mit allen Guten, Liebenswerten, Fürsorglichen konnotierte - Menschsein und Gutsein sind dummerweise begrifflich aneinandergeraten, obwohl Menschsein viel zu oft auch Schlechtsein bedeutet. Seien Sie doch menschlich!, ist ein Imperativ, der beispielsweise Rücksicht oder Nachsicht verlangt, so versteht man diese Aufforderung jedenfalls - Seien Sie doch menschlich! könnte aber auch meinen, zu morden wie Menschen, zu neiden wie Menschen, zu hassen wie Menschen. Der Mensch ist ein Wesen aus der Natur, plump formuliert: er ist ein Tier - und er gleicht damit anderen Spezies. Auch Schimpansen scheinen Ressentiments gegen Individuen und andere Gruppen der eigenen Gattung zu kennen; ja sie morden sogar.

Das heißt aber freilich alles nicht, dass man so ein negatives Verhalten dulden müsste, nur weil es im Menschen veranlagt ist. In der Gesellschaft trat der Mensch aus dem Naturzustand heraus - so in etwa theorisierte Rousseau darüber; später bewies Kropotkin anhand von Feldstudien, dass die gegenseitige Hilfe ein Aspekt des gesamten Natur und damit auch des Menschen als soziales, gemeinschaftliches Wesen ist. Gesellschaft bedeutet letzthin, aus dem grundlegenden Naturzustand zu entfliehen - in eine Künstlichkeit zu gelangen, in ein künstliches Milieu, in dem auch moralische Vorstellungen als Kulturleistung ihren Anfang nahmen. Plessner subsumierte das unter dem Schlagwort "natürliche Künstlichkeit". Die Gesellschaft ist daher immer irgendwo ein Arrangement zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit, zwischen Bändigung des Naturzustandes und dem Durchschlagen bestimmter natürlicher Affekte, die im künstlichen Milieu nutzlos geworden sind. Wenn das Vorurteil beim Menschen durchschlägt, ist das durchaus ein natürlicher Komplex, der allerdings im Widerstreit zur Zivilisation auftritt - es ist eine Reminiszenz an längst vergangene Tage.

Wenn daher schon keine vorurteilsfreie Gesellschaft möglich ist, so doch eine vorurteilsunterdrückende Gesellschaft, eine, die das Vorurteil mundtot macht. So wie die Sexualität auf einen menschlichen Trieb gründet, aber nicht öffentlich und hemmungslos an jeder Bushaltestelle praktiziert wird, so kann auch das Ressentiment gesehen werden: als trauriger Trieb, den man nicht allerorten, ungeniert und vor aller Ohren abspritzen soll. Eine Welt ohne Vorurteil ist nicht denkbar - eine, in der das Vorurteil gezügelt, gebremst, gedrosselt und gedämmt wird, allerdings schon...



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Schon wieder fremde Lorbeeren

Donnerstag, 24. März 2011

"Stephanie zu Guttenberg ist zurück!", titelt die BILD. Und sie sammelte bei einer Veranstaltung in Mannheim "erfolgreich Spenden ein". Was die Zeitung aber nicht erwähnt: Guttenberg sammelte nicht selbst "erfolgreich Spenden ein", sie winkte einen Hiwi herbei, der dies für sie erledigte. Dieser durfte dann mit dem Klingelbeutel in der Hand durch die Reihen irrlichten. Man lernt es im Hause Guttenberg einfach nicht, schmückt sich erneut mit fremden Lorbeeren...

Zunächst verleugnete Stephanie zu Guttenberg den Vorwurf noch. Sie sei selbst Spenden einsammeln gegangen, ließ sie verlautbaren, die Vorwürfe seien "einfach nur abstrus". Außerdem habe sie niemals die Hilfe eines Ghostcollectors in Anspruch genommen. Alles was da zusammenkam, habe sie selbst aus den Geldbörsen der Anwesenden herausgekitzelt. Parteigänger der Freifrau pflichteten ihr umgehend bei, ohne auch nur zu erahnen, was genau man ihr zum Vorwurf gemacht hatte. Sie würde "stets alles selbst machen", vernahm man da. Infam sei es, irgendetwas anderes zu unterstellen! Und natürlich sei das ein erneuter Anschlag seitens der Opposition auf die Integrität Frau zu Guttenbergs, erklärte die Kanzlerin in einer Stellungnahme.

Aufgetauchte Fotos beweisen jedoch, dass Stephanie zu Guttenberg das Podium nie verlassen hatte. Eine tumb dreinblickende Hilfskraft wanderte durch die Reihen, während die Freifrau von oben herab dirigierte und mit dem Finger auf noch nicht gemolkene Spender deutete. Frau zu Guttenberg, so verkündeten sodann einige Unionspolitiker, habe zwar einen Fehler begangen und kritikwürdig gehandelt, darf allerdings nicht von ihrem Amt als Ehrenamtliche zurücktreten, weil dieses nicht direkt beschmutzt wurden. Es sei einfach nur ein Fehler in ihrer Erziehung, der sie dazu veranlasste, statt selbst anzupacken, einfach umherzukommandieren - ein adliger Makel, dafür könne sie schließlich wenig. Man könne ihr einen solchen Fehler, der sich schon in der Kindheit eingeschlichen hat, doch jetzt nicht zum Vorwurf machen - dieser geschah ja schon vor der Zeit als Ehrenamtliche. Die Integrität für das Ehrenamt bleibe damit unangetastet.

Die Guttenbergs, sie lernen es einfach nicht. Ständig verkaufen sie Taten anderer als eigene - der eine läßt sich einen Doktortitel schreiben und erklärt, er sei der Macher seiner Doktorwürde; die andere läßt Spenden sammeln und läßt sich als erfolgreiche Sammlerin feiern. Der eine schob Verantwortungen auf Untergebene und entband diese heldenhaft von Ämtern; die andere tut so, als würde sie die Organisation, für die sie zu Diensten ist, im Alleingang stemmen. Die Guttenbergs, sie lernen es einfach nicht - oder: sie sorgen einfach nicht dafür, dass es jemand für sie lernen macht...



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Ethische Fragen zur Atomkraft

Mittwoch, 23. März 2011

Angela Merkel ist eine durch und durch ethische Person. Das erkennt man schon daran, dass sie einen Ethikrat benötigt, um die Frage der Atomenergie adäquat erörtern zu können. In dem sitzen Vertreter allerlei philanthropischer Einrichtungen: aus der katholischen Kirche und aus der evangelischen Kirche, von den Gewerkschaften, den Arbeitgeberorganisationen und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Jüdische und muslimische Abgesandte - Stichworte: "jüdische Wurzeln des Abendlandes" und "der Islam gehört zu Deutschland" -, so scheint es, wurden nicht vorgeladen. Wahrscheinlich zu wenig ethisch! Bei den Sitzungen des Ethikrates wird also für das leibliche wie auch für das Seelenheil gesorgt sein.

Nun sollte man das vielleicht nicht falsch verstehen. Angela Merkel benötigt den Rat nicht, um zwischen den Optionen "Atomkraft: ja bitte!" oder "Atomkraft: nein, danke!" entscheiden zu können. Sie ist schon in sich gegangen und hat eine Antwort gefunden: den Opportunismus! Jetzt sei es Gebot der Stunde, hat sie für sich erkannt, alles vorher Verkündete über den Haufen zu werfen und die Kernenergie zu verdammen - jedenfalls so, dass es so aussieht, als verdamme sie sie wirklich. Nicht zu sehr natürlich, man kann die grauen Herren aus den AKWs ja vielleicht irgendwann noch gebrauchen - und sei es nur als Parteispendenzahler oder als Garant dafür, nach dem Mandat einen Aufsichtsratsposten zugeteilt zu bekommen. Jedenfalls braucht sie niemanden, der ihr die Möglichkeiten, das Für und Wider auflistet, denn darüber ist sie bereits hinaus.

Vorteile und Nachteile sind ihr ohnehin relativ einerlei. Vorteile für den Machterhalt - ja, die interessieren; und die Nachteile, die entstehen können, wenn sie nicht wie ein Fähnlein im Winde steht - die will sie natürlich auch wissen. Ob nun aber Restrisiken bestehen oder nicht: soll sich damit doch einer ihrer Nachfolger rumärgern! Einen Ethikrat benötigt sie, damit er ihr dabei behilflich ist, ihren Opportunismus moralisch wie spirituell aufzuwerten. Sie benötigt ihn, damit er ihr aufzeigt, dass ihr Lavieren, Taktieren und Positionen wechseln theologisch wie ethisch nicht nur nicht zu beanstanden, sondern sogar noch eindeutig richtig sind. Der Ethikrat sitzt nicht zur Atomfrage zu Tisch, er unterhält sich rege über die Notstandgesetzgebung der Regierung, die ja, obwohl grundgesetzlich nicht vorgesehen, doch ethisch unantastbar sei, und bei Gott, die einzig gangbare Alternative eines freien Christenmenschen ist.

Er soll außerdem über die Frage befinden: Ist es moralisch vertretbar, nun öffentlich gegen die Atomlobby vorzugehen, obwohl man noch kürzlich ihr Freund war? Weiter ergibt sich daraus ein neues ethisches Dilemma: Gehört es sich denn im Sinne der Ethik, ehemalige Duzfreunde öffentlich anzufeinden, dies aber nur zur Show, um die eigene Macht zu bewahren? Und wie es mit der Moral so ist, folgt Frage auf Frage: Ist ein zum Schein geführter Diskurs moralisch vertretbar? Ist es ethisch angebracht, sich zur grünen Kanzlerin zu erheben, die man nie war, nicht ist, niemals sein will? Wenn man einem Menschen gegenüber unaufrichtig ist, nennt man es Lüge - führt man aber ein ganzes Wahlvolk an der Nase herum, trifft dann dieser doch so negative Terminus noch zu? Natürlich ist auch der theologische Aspekt des ganzen Ethikgebäudes nicht zu verachten: Versündigt man sich, wenn man sich populistisch-opportunistisch präsentiert? Ist man Gott oder der Atomlobby verpflichtet? Gibt es im Paradies Atomkraftwerke?

Meine Herren, wird die Kanzlerin sagen, Sie sind heute hier, um mich ethisch zu unterstützen. Helfen Sie bei der Ausfeilung von Beteuerungen und Abwiegelungen, helfen Sie mir dabei, das von mir öffentlich zur Schau gestellte Umfallen meiner bisherigen Ansichten so zu rechtfertigen, dass ich kein schlechtes Gewissen haben muß. Erbauen Sie mich! Die Herrschaften Ethikexperten haben wirklich viel zu tun - ob sie auch über Atomkraft moralisieren werden, steht noch nicht gänzlich fest.



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De omnibus dubitandum

Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt wählten...
  • ... 48,8 Prozent aller Wahlberechtigten niemanden.
  • ... 16,2 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU.
  • ... 11,8 Prozent aller Wahlberechtigten die LINKE.
  • ... 10,7 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 3,6 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
  • ... 2,3 Prozent aller Wahlberechtigten die NPD.
  • ... 1,9 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
Die wahrscheinliche Große Koalition hat damit einen Rückhalt bei allen Wahlberechtigten von 26,9 Prozent - anders gesagt: nur jeder Vierte hat die Große Koalition gewählt. Das Lager der Nichtwähler ist, auf alle Wahlberechtigten umgelegt, beinahe doppelt so groß. Eine hypothetische rot-rot-grüne Koalition würde bei 26,1 Prozent liegen.

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Die Sprache der besonders Korrekten

Dienstag, 22. März 2011

Wenn dies oder das geschähe, das wäre für mich der Super-GAU - so sagt man es öfter, so hört man es öfter. Wie wird das nun nach Fukushima sein? Kann man das jetzt noch salopp dahinsagen, ohne gleich moralingesäuerte Belehrungen zu erhalten? Herr De Lapuente, Ihre Flapsigkeit in Ehren, aber denken Sie doch nur mal an die ganzen Opfer in Japan, denken Sie nur einen Augenblick an all die Toten, all die Verstrahlten - in dieser Reihenfolge, aufsteigend nach Gewichtung, zunächst das Schlimme, dann das Schlimmere! -, denken Sie nur mal daran, was die wohl denken, wenn Sie aus Ihrem Kinkerlitzchen da einen Super-GAU machen? Blüht mir, blüht uns abermals die Sprach- und Gesinnungspolizei auf Blockwärterbasis? Als Ehrendienst an der Seriosität sozusagen? Noch eine Tummelwiese für überempfindliche, humorlose Wahrer des sprachlichen Reinheitsgebotes?

Das steht zu befürchten. Katastrophen und deren Jargon, so gebietet es das Handbuch der political correctness, dürfen nicht in die Umgangssprache geraten. Drei Fragen entscheiden darüber, wann ein Begriff oder eine Floskel unhaltbar sind und wann nicht:

I. Wie spektakulär ereignete sich die Katastrophe und in deren Gefolge das menschliche Elend?

Man kann jemanden ungeschoren aus Spaß auf seine Hochwasserhosen ansprechen; "hier sieht es ja aus wie nach einem Tsunami" könnte hingegen verübelt werden. Auch bei Hochwasser sterben Menschen - zwar in kleineren Mengen, aber dennoch. Die Hüter reiner Umgangssprache messen ab, wie spektakulär das Elend in die Welt trat. War der Tod ein Massenphänomen? Ist es ein singuläres und somit unvergleichliches Ereignis? Reif dafür, Stoff in einem Hollywood-Streifen zu sein?

"Zustände wie in einem Konzentrationslager" kann man heute nicht beanstanden, ohne dafür gerügt zu werden - "wie im GULag" kann man jedoch bedenkenlos niederschreiben. Sicher, die eine Seite verlor, die andere gewann den Krieg (siehe III.). Jedoch mag die Unterscheidung ansonsten doch so ähnlicher Internierungs- und Vernichtungslager auch daran liegen, dass es zahllose Bilder von den Zuständen in einem KZ gibt; GULag ist mehr Erzählung als Fotografie - Konzentrationslager waren demnach "etwas fürs Auge", konnten betrachtet werden, zu einem unvergesslichen Bild werden - der Archipel GULag konnte bei Solschenizyn gelesen werden. Aber wer liest heute noch dem Elend nach, wenn er es abgelichtet haben kann?

Tsunamis liefern Bilder von solcher Dramatik, sodass sich ordinäre Hochgewässer wie nette Badeseen ausnehmen; der ungenierte sprachliche Umgang mit dem Anschlag auf die Twin Towers wird verurteilt, weil das Andenken an die Opfer damit befleckt würde - ein Andenken, das deshalb besonders emporgehoben wird, weil die Opfer im spektakulären Stil starben. Einstürzende Gebäude in der Dritten Welt und die darunter Begrabenen, sie gehen eines solchen Nimbus' verlustig bzw. hatten so einen Nimbus nie, weil es weniger spektakulär ist, wenn irgendwo in einem afrikanischen Land ein maroder Bau einstürzt (siehe auch III.) - den Namen eines Ortes in der Dritten Welt, in der so ein Ereignis geschah, könnte ohne Bedenkenträgerei seitens der politisch Korrekten im Mund geführt werden.

II. Ist die Zeit reif dafür, dass man die Katastrophe und das daraus resultierende Elend vergessen darf?

Einen Westentaschen-Tyrannen, den man auf die Schippe nehmen möchte, kann man nicht ohne Widerworte als "kleinen Hitler" bezeichnen - das würde die Opfer des Hitlerismus verhöhnen. Einen Dschingis Khan, der auch genügend Leichen in seiner Jurte türmte, dürfte man einen solchen Stuben-Despoten schon nennen. Die vielen Jahrhunderte zwischen den Blutbädern des Mongolen und der Gegenwart stimmen gnädig. Andererseits: obwohl Hitler länger passé ist denn Pol Pot, so wäre es doch viel unproblematischer, jemanden mit dem Namen des Bruder Nr. 1 zu bedenken. Und das, obwohl das Grauen der Roten Khmer doch ausreichend bildlich erfasst und ins Gedächtnis der Öffentlichkeit geholt wurde (siehe auch I.) - Bilder können schnell entfallen, wenn die stete Wiederholung ausbleibt. Zu weit weg ist uns in Deutschland der kambodschanische Steinzeitkommunismus (siehe erneut III.), als dass wir ihn uns beharrlich vor Augen führen wollten.

Man kann heute ohne mit der Wimper zu zucken Musicals über den Untergang der Titanic machen, bei dem einst massenhaftes Sterben stattfand - 1.500 Tote blieben in der See. Wäre ein Musical denkbar, in dem als Versicherungs- oder Börsenmakler verkleidete Schauspieler über die Bühne tanzten, dabei sorgenvoll singend, dass eben ein Flugzeug in einem Stockwerk unter ihnen eingeschlagen hat? Was wäre da los, wenn die letzte Szene eines solchen Musicals als großer Fenstersprung aus dem 88. Stockwerk geplant würde? Womöglich die Uraufführung in New York stattfände? Titanic und World Trade Center waren beide spektakuläre Katastrophen (siehe I.), aber menschliches Elend kann im Laufe der Zeit relativiert werden.

Tausende Tote von 1912 sind demnach nicht vergleichbar mit Tausenden von Toten von 2001. Die political correctness legt großen Wert auf zeitliche Nähe. Die Gräuel des Dritten Reiches, sie sind in ihrer Ausführung, nicht so sehr in ihrem Resultat, derart singulär (siehe I.), dass sie selbst heute noch als Memento mori taugen und jeder Witz über Hitler und seine Paladine wie ein Affront wirkt. Der gezeigte Hitler aus "Der Untergang", so unkten die Kritiker damals, sei viel zu menschlich geworden, man könnte fast Mitleid mit diesem verlassenen Führer bekommen, las man allerorten. Ein vermenschlichter Jakobiner, der in einem Bühnenstück hilflos und menschlich zweifelnd zwischen Idealismus und Guillotine lavierte, zwischen humanistischem Anspruch und mörderischem Handwerk, der würde aber womöglich den Applaus des Publikums provozieren. Man kann übrigens einen Eiferer "einen Jakobiner" nennen - das ist in den allgemeinen Wortschatz übernommen worden; einen Fanatiker einen "glühenden Nazi" zu nennen, das wird nicht geduldet. Nicht mal die weniger kräftige Formulierung wie "gleich einem glühenden Nazi" ist statthaft.

III. Wie weit ist man räumlich und ideologisch voneinander geschieden?

"Killing Fields" dürfen in Metaphern verarbeitet werden - so wie der GULag auch, der freilich (wie unter I. zu lesen ist) auch deshalb von der political correctness genehmigt ist, weil er wenig Bilder fabrizierte. Man darf Killing Fields und GULag jedoch auch verwerten, weil sie aus räumlich und ideologisch abgelegenen Territorien stammen. Die Auswüchse des real existierenden Kommunismus dürfen verspottet werden, denn der ist gescheitert und damit zum ideologischen Witz der menschlichen Geschichte abgestiegen. Die Opfer des bankrotten Systems haben kein Anrecht auf Pietät - die Opfer des strahlenden Gegenentwurfes, sie haben keinen Anspruch darauf, mit dem Opfern aus der Nazischmiede verglichen zu werden, die uns ja auch räumlich näher waren und daher absoluten Respekt erfahren sollen.

In der Welt zu sein bedeutete früher, in einem überblickbaren Teil auf der Landkarte zu leben. Niemand wusste gewiss, wie es in China und Japan aussah; deshalb konnte Marco Polo hanebüchene Legenden erfinden, ohne in den Verdacht der Lüge zu geraten. Kolumbus orientierte sich Jahrhunderte nachher noch an Polos Geschichten. Später wurde der Horizont weiter, aber für ein Massenpublikum waren die Zustände auf der anderen Seite der Erdkugel immer noch fremd - ohne Massenkommunikationsmittel wäre auch die sprachliche Anwendung von Begriffen wie "Super-GAU" oder "Tsunami" - hätte man solche Begriffe da gekannt! - ohne politisch korrekten schiefen Blick möglich. In der Welt zu sein bedeutet heute, sich mit japanischen Megakatastrophen mehr zu identifizieren als mit den kleinen Alltagskatastrophen vor der eigenen Haustüre. Thoreaus berühmte Aussage, dass sich Maine und Texas, die damals mittels Telegraphen verbunden wurden, möglicherweise gar nichts zu erzählen hätten, weil sie jeweils zwei verschiedene Realitäten durchmachten, hat sich letztlich als falsch erwiesen - der Bedarf des Erzählbaren und Erzählbargemachten wird täglich von Medienanstalten geschürt und angefacht und erfunden.

So fährt man heute Empörung ein, wenn man Begriffe überspitzt und überzeichnet verwendet - Guantánamo-Häftlinge dürfen sprachlich nicht im KZ verortet werden. Dergleichen ergibt Kritik. Man kann aber Hartz IV-Bezieher, die der Staat angeblich schrecklich übervorteilt, als Nutznießer eines angeblich kommunistischen Gedankens wähnen, der im SGB II lauere. Die Empörung der politischen Korrektheit orientiert sich streng an räumlichen und ideologischen Diskrepanzen. Der Super-GAU nach Tschernobyl war auch sprachlich genehm, denn er war sowjetisch und aus einem maroden System gekommen - ein Super-GAU als flapsige Alltagsfloskel nach Fukushima ist fadenscheinig und beunruhigt die Kapos politisch korrekter Sprache ungemein. Kapo - noch so ein unzumutbares Wort...



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Der neue bundesrepublikanische Pazifismus

Montag, 21. März 2011

An einem Kriegseinsatz in Libyen werden keine Bundeswehrsoldaten beteiligt, erklärte der Außenminister, nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossen hat, "alle notwendigen Maßnahmen" zum Schutz der libyschen Bevölkerung zu ergreifen. Ein Beschluss, bei dem sich Deutschland überdies enthalten hat - wie China und Russland -, womit die fehlende Bereitschaft, einen militärischen Einsatz mitzutragen, letztlich nur konsequent ist.

Der Entschluss, kein militärisches Personal zu schicken, so edel oder gar pazifistisch er wirken mag, offenbart die Janusköpfigkeit der Außenpolitik, wie sie die Berliner Republik betreibt. Denn während in Nordafrika keine deutsche Militärhilfe absolviert wird, stehen im Mittleren Osten deutsche Einheiten, um dort geostrategisch bei der "Installierung von Menschenrechten" Pate zu stehen. Dort jedoch, wo tatsächlich, wenn schon nicht demokratischen, so doch wenigstens demokratischeren Tendenzen zum Durchbruch verholfen werden soll, dies alles gegen einen in Lametta gehüllten Diktator wie aus dem Bilderbuch, dort hält man sich vornehm, seiner Stimme eine nasale Färbung gebend, in pazifistischer Eitelkeit zurück.

In Libyen nicht aktiv zu werden, es zeichnet nicht die friedliebende Gesittung der Berliner Republik ab - auch wenn man das im ersten Augenblick kühn vermuten möchte. Es zeigt auf, in welchen Fällen man gewillt ist, militärischen Einsätzen den letzten Schliff zu geben. Die Bundeswehr ist für die Mächtigen dieser Republik kein Instrument der Demokratie- und Friedens- und Menschenrechtsbildung, wie man das von offizieller Seite so oft vernimmt; sie ist Instrumentarium wirtschaftlicher Interessen - was nie Geheimnis war, im Angesicht von Westerwelles "Wir machen nicht mit!" aber selten offener zutage trat. Immerhin bringt da ein Despot Zivilisten, Bürger seines Landes, in Massen um - wann, wenn nicht jetzt, wäre der "Bürger in Uniform" notwendig, um Bürger ohne Uniform vor mörderischen Machtgelüsten zu bewahren? Man muß wahrlich kein Freund kriegerischer Auseinandersetzungen sein, um Position zu beziehen; Rhetorik von linken Wangen, die man hinhalten sollte, wenn es auf der rechten Wange Gewalteinwirkung gab, hat in so einem Fall gleichwohl nichts zu suchen. Wann, wenn nicht jetzt? Die Wahrung von Menschenrechten - das wäre doch ein Motiv! Wenn es aber nach solchen Motiven riecht, ist mit denen, die die Demokratisierung und Stärkung der Menschenrechte in Afghanistan als Leitgedanken des dortigen Auslandseinsatzes hervorheben, kein Geschäft zu machen.

Geschäfte haben sie ja vormals mit dem gemacht, gegen den jetzt interveniert wird. Sicher, sie finden es schrecklich dumm von Gaddafi, dass er jetzt wie ein Irrer reagiert - "Zurücktreten!" empfiehlt man dann schnell. Man hat in der Berliner Republik schließlich gute Erfahrungen damit gemacht. Man hat gelernt, dass ein Rücktritt Balsam auf den Seelen verärgerter Bürger sein kann - und zuweilen vergibt der Bürger, das heißt, er vergisst oder wird von den Leitmedien vergesslich gemacht, und dann kann man mit etwas Glück zurückkehren mit Pauken und Trompeten. Im Zweifelsfall knüpft man fast transparente Fäden an die Glieder eines Strohmannes und wird eben Marionettenspieler.

Wäre man damals mit den Taliban so emsig im Geschäft gewesen, man wäre heute in Berlin größter Anhänger der Friedfertigkeit. Im Laufe der Jahre wären allerlei ins Amt ernannte Verteidigungs- oder Außenminister vor die Presse gegangen, hätten erklärt, dass deutsche Soldaten nicht für Angelegenheiten über den Globus geschickt würden, die uns wenig angingen - sie hätten natürlich lauthals verschwiegen: Wir haben Verträge, Handschläge, gute Beziehungen, was brauchen wir da schießendes Militär? Das Pech der Taliban war, dass sie zu selten deutsche Kanzler oder Minister einluden. Gaddafi war da gastfreundlicher!

Kurzum, natürlich ist man in Berlin pazifistisch gesinnt - wenn die Handelsbeziehung intakt sind! Wo nicht, da schafft man Demokratie, indem man Salven abfeuert... und wo "basisdemokratische" Tendenzen am Thron eines Diktators rütteln, der aber im Verlauf von Jahren zum guten Freund wurde, da fehlt es dann an Einsatzbereitschaft und man verliest oberpazifistische Predigten. Der nun zur Schau gestellte Pazifismus der Bundesregierung, er unterstreicht nur die Großmannssucht Berlins...



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Ridendo dicere verum

Samstag, 19. März 2011

"Die Entwicklung der Menschheit

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt,
und die Welt asphaltiert und aufgestockt
bis zur dreißigsten Etage.
Da saßen sie nun, den Flöhen entfloh'n
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon,
und es herrscht noch genau der selbe Ton
so wie seinerzeit auf den Bäumen.
Sie hören weit, sie sehen fern,
sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne, sie atmen modern,
die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung
Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr,
sie jagen und züchten Mikroben,
sie verseh'n die Natur mit allem Komfort
sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.

Was ihre Verdauung übrigläßt
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome, sie heilen Inzest.
Sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
daß Cäsar Plattfüße hatte.
So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet
sind sie im Grund
noch immer die alten Affen."
- Erich Kästner -

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Ökologisch-moralische Wende

Freitag, 18. März 2011

Zwei Ereignisse fallen zusammen, die um die Aufmerksamkeit einer voyeuristischen Welt wetteifern. Einmal die atomare Wolke, die über Japan wallt - und dann sind da noch die arabischen Despoten, die wie ihr Volk auch demonstrieren: nämlich ihre Macht, ihre Kaltschnäuzigkeit und Gewaltbereitschaft. Wer derzeit den Wettkampf um Anteilnahme gewinnt, muß nicht gesondert erläutert werden - dass aber beide Ereignisblöcke Ausgangspunkt, Antrieb und Fundament einer geistigen Wende, einer ökologisch-moralischen Wende sozusagen sein könnten, gerät im Ringen um Quoten und Leser schnell aus dem Blickfeld; und im Rahmen eines wirtschaftstreuen Kampagnenjournalismus' ist eine Verquickung hin zu einer solchen Neuorientierung ohnehin nicht vorgesehen.

Dort steht die Atomenergie auf dem Prüfstand - da untermauern die ölarabischen Staaten, Arabia al olio, ihren ethischen Anspruch, der nicht weniger als ein unethischer Grundsatz ist. Zweimal geht es um energiepolitische Fragen. Wäre es denn nicht ergiebig, diese in Öl gelegte Weltregion anhand einer Abkehr von deren Erdöl zur halbwegs ethischen Gesinnung zu drangsalieren? Könnte diese zur Schau gestellte Skrupellosigkeit der Erdölexporteure nicht zu einer ähnlichen Ächtung gelangen, wie es die Atomenergie gerade erfahren muß? Kernenergie verseucht die Erde, daher wird sie verabscheut - Erdöl zerstört Infrastrukturen, Lebensqualität, Menschenleben: könnte man es daher nicht gleichwohl für überholt und zur Überwindung bereit halten?

Warum nicht den ganz großen Wurf wagen? Atomenergie durch regenerative Energie ersetzen; Erdöl durch alternative Antriebsmittel - nicht durch Bioethanol, das in seiner Herstellungskette selbst Erdöl aufgelistet hat. Dort eine humanitäre Katastrophe, verursacht durch Verstrahlung, als Antrieb für ein striktes Umdenken; da eine humanitäre Katastrophe, verursacht durch Gewehrläufe, als Motiv. Nehmen wir beide Katastrophen als Marksteine einer einzuleitenden Wende - weg vom Erdöl, weg von der Atomkraft! Hie als Schutz vor der Unkontrollierbarkeit einer wackeligen Technologie; dort als Verteidigung von Menschenrechten, als Durchbrechen einer blutigen Ordnung, die sich auf Leichen und Ausbeutung baut.

Natürlich, der schrille Einwurf: Utopie, zu teuer, nicht zu machen! Wer schon so ans Werk geht, der macht sich seine self-fulfilling prophecy wahr. Selbstverständlich sind Anschaffungskosten hoch, daher zunächst teuer - Atomkraftwerke stehen ja schon bereit, der Bau kostet nichts mehr, was als Argument, dies sei wesentlich billiger, Niederschlag in Debatten findet. Aber die Lagerung von Brennelementen unter Tage, langwierige Transporte unter höchster Sicherheitsstufe: war das alles kostenlos zu haben? Ist das geschenkt? Wie teuer wird es noch werden, wenn es irgendwann von dort unten nach oben strahlt? Gilt das nicht ebenso für Solarenergie, die man sich aufs Gefährt schrauben sollte? Erst teuer, hohe Anschaffungskosten - langfristig aber billiger? Was für eine Zeitersparnis, keine Fahrt zur Tankstelle mehr! Wie wohltuend kostenfrei die Sonne doch scheint! Warum also keinen gesellschaftlichen Aufbruch einleiten, ein staatliches oder besser noch: überstaatliches Subventionsprogramm starten, welches sich zum Ziel setzt, die Atomenergie gleichwohl zu verdrängen wie das Erdöl? Abwrackprämien waren finanzierbar, gleichzeitig gab es Milliardenpakete für Banken - warum keine Pakete für unsere Umwelt? Aufrüstungsprämien für Käufer von Ökoautos? Wieso nicht mehr Geld in die Forschungsarbeit? Antriebe genug gäbe es doch schon seit langem - derzeit besonders, man blicke nur in die Nachrichten!

Wenn harte Schnitte und schroffe Abkehr wirklich gelingt, so stets deshalb, weil es Antriebe und Motivationen gibt, die zunächst ein kollektives Umdenken bewirken, das dann in einem Kraftakt zur Tat umgesetzt wird. Zweimal gäbe es hier Antriebsfedern; zweimal ist die Energiepolitik zentrales Sujet. Beides sollte vereint werden, zur Loslösung von Öl und Atom animieren. Es gäbe mannigfaltige Beweggründe einer ökologisch-moralischen Wende - zwei drastische Varianten können derzeit medial begutachtet werden. Wann, wenn nicht jetzt radikal umdenken?



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Mit sozialem Gewissen deutschtümeln

Donnerstag, 17. März 2011

Seitdem die Gesellschaft in eine immer drastischere soziale Schieflage gerät, fischen rechte Parteien potenzielle Wähler, indem sie die soziale Frage thematisieren. Das ist schon lange bekannt und steht dem eigenen Sendungsbewusstsein nicht im Wege. Es war damals so; die Zeiten erforderten es - es ist heute so; die Zeiten machen es erneut notwendig für die von rechts drüben.

Es ist freilich ein nicht ganz subtiles Vorgehen, denn man weiß ja mittlerweile nur zu gut, welcher Hintergedanke da mitspielt. Mit der eigenen Klientel empört man sich, greift man den Sozialabbau an, verspricht ihr, dass es besser würde, wenn es sie dort oben gäbe. Die Partei sei das soziale Gewissen Deutschlands, verkünden ihre Wanderprediger. Sie würde dem braven, dem rechtschaffenen, dem deutschen Bürger zu ihrem Recht verhelfen und sich gegen allerlei Ungerechtigkeiten stemmen. Wenn man ihr folgt, ist man auf der sicheren Seite, auf der Seite der Tüchtigen, Sittenhaften, Unbescholtenen - die Partei, die Partei, die hat immer... Arbeitslosigkeit wäre gebannt, finanziell würde es alles etwas besser gehen, es wäre genug für alle da.

Für fast alle! Nur für Deutsche, für fügsame Fremdlinge vielleicht auch noch. Aber alle anderen: raus aus diesem Land! Deutschland den Deutschen und deren angepassten Hilfsvolksgenossen! Man muß eben Prioritäten setzen. Und die hiesige Priorität heißt halt mal: der Deutsche! Die Herkunft ist maßgeblich dafür, ob man Opfer letzter Patronen wird, die gegen eine sogenannte Überfremdung abgefeuert werden. Man ist nicht menschenverachtend; man ist nur rational und ökonomisch und hat buchhalterisch errechnet, was wir uns als deutsches Volk leisten können und was wir uns nicht mehr leisten wollen. Nicht fremdenfeindlich, nicht Rassist ist man - man ist Buchhalter. Können Zahlen lügen? Sind Statistiken bestechlich? Deutschland den Deutschen, nicht aus Gründen von malizöser Schikane oder freudiger Boshaftigkeit; Deutschland den Deutschen, weil es uns billiger kommt, weil die Gegenüberstellung von Soll und Haben ergibt: fort mit dem Gesindel!

Man ist national so wie man sozial zu sein vorgibt - nationalsoziale Affekte, die genug Publikum erzielen. Soziale Gerechtigkeit ist ein hohes Gut, erklären die rechten Rattenfänger kurzatmig, man müsse es erhalten. Aber es geht nur national, straff gedeutscht, zerdeutscht, fügen sie langatmig hinzu, dahin müsse man endlich wieder kommen. Es ist nicht genug für alle da! Carl Amery hat schon vor vielen Jahren erklärt, dass diese Losung zum Schlagwort derer wird, die Hitler nicht als Episode der Geschichte, sondern als Vorläufer anerkennen werden. Dass es nicht für alle reicht, war für ihn eine Komponente der Trias, die die Hitlerformel ausmache. Wer die immer knapper werdenden Ressourcen der Erde verwalten soll, ist eine andere - und die wird in etwaigen Auslandseinsätzen der Bundeswehr umgesetzt; das Bekenntnis dazu, dass Geschichte immer Naturgeschichte ist, dritte Komponente im Bunde, können wir fast täglich aus Zeitungen entnehmen, wenn um die Schicksalhaftigkeit von Genen und biologisch konditionierten Verhaltensweisen von Menschen oder gar Gruppen schwadroniert wird. Im nationalen Stiefel auf soziales Gewissen zu machen, es widerspricht sich nicht, es ist letztlich die konsequente Umsetzung der ameryschen Hitlerformel; bis zur letzten Patrone gegen Zuwanderung zu kämpfen, es ist folgerichtige Ausdrucksweise derer, die bewusst oder unbewusst - das sei dahingestellt! -, an der Formel tüffteln.

Sozial hie, xenophob und rassistisch dort - das ist die Programmatik rechter Parteien. So agiert aus der demokratischen Mitte heraus die Christlich-Soziale Union in Bayern - denn von ihr ist hier die Rede; von ihr und ganz ähnlichen anderen Parteien, die aus der Mitte heraus ihren kleinen Nationalsozialstaat entwerfen. Rechts der CSU, so meinte Stoiber mal, seinen Ziehvater Strauss zitierend, dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben. Diese Sorge indes ist, bis über die letzte Patrone hinaus, unangebracht...



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Panisch aufgrund falscher Wolke

Mittwoch, 16. März 2011

Tragisch was da in Japan geschehe, vernimmt man aus den Mäulern, die vom Lobbyismus gekauft sind; und freilich werde man auch in Deutschland Überprüfungen einleiten und Standards neu überdenken, auch mal ein bisschen Laufzeitenverlängerungen aussetzen, bis die Sache ausgesessen ist. Keine Frage, soviel Aktionismus muß schon sein! Aber dennoch, ermahnen sie im gleichen Atemzug: nur keine Panik! Wir dürfen jetzt nicht den Kopf verlieren und so tun, als sei die Kernenergie grundsätzlich überdenkenswert. Ruhig bleiben, tadeln die gemieteten Mäuler und ihre Leitartikler; auch wenn Fukushima nicht sonnig ist, etwas Besonnenheit würde uns nicht schaden.

Panik aufgrund einer radioaktiven Wolke, die transparent und lautlos über Japans Felder und Flure schwebt, ist demnach kein guter Ratgeber. Panik ist hierzulande ohnehin auf andere Bereiche abonniert - man darf die Panik von den Ressorts, die sie existenziell brauchen, nicht abziehen. Sie darf nicht zum Atomtod hinüberwechseln, sie muß dort bleiben, wo sie sich seit Jahren nun schon traditionell eingerichtet hat. Sie soll das Metier derer bleiben, die sich vor Überfremdung oder gar Islamisierung fürchten. Dort bitte panisch sein! Wir sterben aus!, darf laut und hysterisch geplärrt werden. Kirchendächer mit Halbmonde sollen unbedingt die Titel dieser Republik zieren. Hier ist die Panik zuhause; hier muß das Schlimmste befürchtet werden, ohne dass irgendeine mandatierte Bundestagsmarionette beruhigend auf die Öffentlichkeit einwirkt. Großformatige Tageszeitungen schüren Hysterie, berichten von einigen Türken, die wenig Deutsch sprechen und schon ist die Panik vor Halbmond und Krummsäbel täglicher Gast in den Aufmachern und Feuilletons.

Gleichfalls ergeht es den Arbeitslosen, die sich ins Sozialsystem nisten und zu unnützen Essern absteigen. Da wirft man mit Zahlen um sich, die schockieren wollen und die Panik wird zum täglichen Geschäft. Frisst uns der Sozialstaat?, fragen sie aus der bürgerlichen Mitte heraus. Man sieht sie schier vor sich, die Vertreter der Mittel- und Oberschicht, diese so expressionistisch in Schockstarre verharrend wie Edvard Munchs Gestalt in "Der Schrei"; so schockiert, so empört, so hilflos die Hände an den Wangen wie jene. Panik lass dich umarmen, heißt es da. Da ja! Wenn es uns was kostet, darf man doch wohl noch mal panisch sein, oder nicht? Verankert der Sozialstaatsgedanke nicht auch ein Recht auf Panischsein?

Atomkraft kann gefährlich sein. Natürlich! Aber doch immer mit der Ruhe. Atomwolken sieht doch keiner; aber Kopftücher und Türkenschnauzer, Jogginghosen und fettige Haare: die sieht man! Man sollte Panik nur dann aufkommen lassen, wenn man es mit eigenen Augen sehen kann. Denn das sind handfeste Panikerzeuger. Wir brauchen keine Hysterie bezüglich deutscher Atomkraft - wir brauchen sie gegenüber Moslems, die uns in ihrem Knoblauchodeur oder gegenüber Arbeitslosen, die uns in ihren Mundgeruchsschwaden ertränken. Auch das sind Gerüche, auch das sind Wolken, die sich ausbreiten, gleich einer ansonsten doch so geruchslosen Atomwolke, die entstehen könnte, wackelte hier mal die Erde nachhaltiger. Panik aufgrund von Wolken gerne: aber die richtigen Wolken sollten es schon sein! Man darf nicht aufgrund einer falschen Wolke panisch werden...

Wo Panik zu sein hat und wo nicht, das entscheiden die Leitartikler. Skepsis in Bezug auf Atomenergie ist sicherlich angebracht, so liest man. Aber immer sachte! Man muß ja nicht gleich alles verwerfen. Und überhaupt, schaut mal da drüben, werden sie schreiben, da stehen Moslems arabischgurgelnd zusammen, es wird doch mal Zeit für Integration, wir müssen Deutschsein erzwingen - und da drüben, die weigern sich noch immer arbeiten zu gehen!, wäre auch eine Schlagzeilenoption, wir brauchen eine Sanktions- und Strafverschärfung gegenüber den Müßiggängern, schiebt man dann belehrend nach. Loslos, verfallt in Panik! Glaubt, dass Deutschland Kalifat oder Bahnhofsmission wird - glaubt es unbesehen hysterisch! Aber dieselbe Verhaltensweise gegenüber Kernenergie, das gehört sich einfach nicht - man muß doch sachlich bleiben...



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Sit venia verbo

Dienstag, 15. März 2011

"Wenn der Mensch zuviel weiß, wird das lebensgefährlich. Das haben nicht erst die Kernphysiker erkannt, das wußte schon die Mafia."
- Norman Mailer -

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Eine Kriegserklärung an die Menschheit

Sonntag, 13. März 2011

Der größte anzunehmende Unfall ist mitnichten dem Erdbeben anzulasten. Es war nur Auslöser. Anlasten muß man den größten anzunehmenden Unfall denen, die Atomkraftwerke befürworten, entwerfen, bauen und ideologisch legitimieren - der internationalen Atomlobby und ihren um sie scharwendzelnden Helfern ist die Verantwortung zu übertragen.

Die Geschichte aller bisherigen Anti-AKW-Bewegung ist die Geschichte von Kriminalisierung. Das heißt, man entwarf in der Öffentlichkeit das Bild vom verbrecherischen Demonstranten, der entweder gewaltsam gegen die Staatsmacht aufläuft, zumindest aber jedem Bürger den Saft abdrehen würde, denn es sei ja schlechterdings bekannt, dass ohne Atomenergie die Lichter ausgehen würden. Der Gegner von Atomkraft war immer suspekt - in den letzten Jahren wurde er weniger kriminalisiert, dafür weitestgehend pathologisiert: man stilisierte ihn zum begriffsstutzigen Idioten, der einfach nicht einsehen möchte, dass der gesellschaftliche Energiebedarf nur via Atomkraft zu stemmen sei. Eine radikale Forcierung erneuerbarer Energien wäre Spinnerei - mehr schon aber nicht.

Die Atomlobby und deren gehorsamen Helfer in Politik, Medien und Wirtschaft, sie führt seit Dekaden Krieg gegen den kritischen Bürger. Vor den Achtzigerjahren reichte es noch aus, den mündigen Bürger einzulullen, ihm die totale Sicherheit glaubhaft zu machen und die Paar Stimmen, die das nicht glauben wollten, der öffentlichen Lächerlichkeit preiszugeben. Dann aber wurde die "Freiheit für den Polizeiknüppel" (Meinhof) ausgerufen und Protestanten wurden wahlweise als arbeitsscheue Gammler vor die Öffentlichkeit gezerrt oder mit Tritten und Tränengas vertrieben. Später, nachdem der Eifer der Anti-Atomkraft-Befürworter schwand, reichte erneut die Verunglimpfung in Wort und Bild aus. Ein Krieg an vielen Fronten, mit verschiedenen Mitteln, den die Atomlobby der Bevölkerung aufzwingt - ein Krieg, der mit Verdummung und Manipulation, mit Desinformation und Vertuschung geführt wird

Ein Krieg, der gerade an mehreren Fronten aktiv ist. In Japan, wo die Folgen des Lobbyismus nun möglicherweise killing fields hinterlassen werden, wo man nach Hiroshima und Nagasaki neue Hibakusha zu beklagen haben wird. Und hier, in Europa, in Deutschland, wo man den kritischer werdenden Menschen wieder verstärkt einzuimpfen beginnt, dass dergleichen hier nicht geschehen könne. Die Atommafia führt einen Krieg mit den Bevölkerungen, behindert die Verstärkung erneuerbarer Energien, vertuscht Störungen und Unfälle und kleidet Desinformation in ein informatives Gewand, damit der Bürger nicht bemerkt, wie er gezielt verblödet wird.

In Japan wartet nicht nur ein weiterer GAU auf die Menschheit - es wartet eine infame Kriegserklärung auf sie. Denn man wird nun mit allen Mitteln beginnen, die Debatte um Kernkraftwerke abzuwürgen, Kritiker mundtot machen, mögliche Demonstranten zu Kriminellen erklären. Die politischen Hofschranzen der Atomlobby werden beschwichtigen und beteuern, werden Mitgefühl heucheln und mit Atom-Warlords speisen; die journalistischen Chronisten staatstragender Blätter werden Wutbürger zu linken Sektierern umschreiben und sie irgendwo in die Nähe eines Gesinnungsterrorismus à la RAF setzen.

Man kann nur hoffen, dass sich trotz dieser traurigen Aussichten eine Massenbewegung findet, die mit diesen Atomisierern aller Lebensqualität aufräumt; man kann nur hoffen, dass die Menschen diesen Krieg, den man ihnen anträgt, auch annehmen werden...



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Aber sie empören sich doch!

Samstag, 12. März 2011

Stéphane Hessel kennt die Zustände in Deutschland nicht. Wie sonst könnte man erklären, dass er sein Büchlein ins Deutsche übersetzen ließ? Empört Euch! rät er damit auch den Deutschen - als ob sie es nicht täglich, nicht immer wieder und immer öfter täten. Sie empören sich doch - und wie sie es tun! Die Empörungskultur ist in diesem Lande fest verankert, man braucht wahrlich keine Streitschrift wie jene von Hessel. Die wirklichen, die leidenschaftlichsten Empörer leben in Deutschland; der Empörer an sich spricht deutsch - vive L'Empereur!

Die Empörung muß von unten kommen, schreibt Hessel in etwa. Alle müssen mitmachen, die "Ohne mich"-Typen sind die tatsächliche große Gefahr, schreibt er. Und in Deutschland schwappt die Empörung von unten herauf, der deutsche Kleinbürger ist ein sich empörender Geselle. Der kleinbürgerliche Empörer aus Deutschland blickt in jene großformatige Zeitung, die im Namen schon stehen hat, dass ihr Bebilderung wichtiger als Beschreibung ist. Die Empörung ist täglich groß. Man empört sich, weil Erwerbslose sich herausnehmen, vor Sozialgerichten oder dem Bundesverfassungsgericht um ihre Würde zu prozessieren; man empört sich, weil mancher Türke noch schlechter des Deutschen mächtig ist als so ein Gimpel aus dem Bayerischen Wald; man empört sich, weil ein schiefschnäuziger Stammler seine kruden Gehirnspasmen nicht aussprechen darf, ohne dafür gerügt zu werden; man empört sich, weil Sexualstraftäter auch ein Recht auf Resozialisierung besitzen; man empört sich mit Pappschildchen und Trillerpfeifen, weil der eigene Vorgesetzte, ein Bankster, entlassen werden soll; man empört sich, weil das Benzin nicht zum Selbstkostenpreis an Tankstellen feilgeboten wird...

Die Empörung ist in diesem schönen Lande eine Konstante. Der Kleinbürger könnte gar nicht existieren, wenn er nicht ständig etwas oder jemanden hätte, der dessen Empörung entfacht. Hessel hat nicht beachtet, dass die deutsche Gesellschaft nur als Gesellschaft zusammenklebt, weil sie sich als Schicksalsgemeinschaft gegen zu empörende Zustände wähnt. Was den Großteil der Deutschen eint ist die Empörung gegen Schwächere und Wehrlose, gegen vermeintliche Ungerechtigkeiten, wie den hohen Benzinpreis - man empört sich nicht etwa darüber, wie Benzin gefördert, wie Menschen ausgebeutet, Regionen ausgesaugt, Kriege deshalb geführt werden; man empört sich, weil sich die eigene Selbstbedienungsmentalität geschmäht fühlt. Der Kitt der deutschen Gesellschaft ist, dass man sich entrüsten, gegen etwas anstänkern kann.

Sich wieder trauen, sich gegen jene zu empören, die vermeintlich mächtiger sind, am längeren Hebel sitzen: das meinte Hessel freilich! Denn empört wird sich genug - nur am falschen Ende, gegen die Falschen. Denn diejenigen, gegen die man mit Empörung auflaufen sollte, schaffen als Surrogate etwaige Empörungsersatzgruppen: Arbeitslose, Rentner, schwererziehbare Kinder, Ausländer und andere. So wird die Empörung umgeleitet und von denen weggelotst, die eigentlich mit ihr konfrontiert werden müssten. Der Kleinbürger hätte ja durchaus durchschlagende Wirkung mit seiner konditionierten Empörungskultur; er müsste halt nur gegen jene in Stellung gebracht werden, die die Demokratie und den Frieden wirklich bedrohen...



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In eigener Sache

Freitag, 11. März 2011

oder: ich betreibe ab sofort Blog-Bigamie!

Wenn jemand viel liest, so könnte er sein Umfeld daran teilhaben lassen - das war einer meiner Gedanken. Mitteilsam sein, das ist eine Devise, unter der ich parallel zu ad sinistram, mein neues Weblog führen möchte. Ich lese, also teile ich mit - teile ich etwas über das Gelesene mit. Vielleicht fühlt sich der eine oder andere dazu gedrängt, die behandelten Bücher ebenfalls zu lesen - das wäre doch mal was in Zeiten aussterbender Bücherwürmer. Der Lückenlosigkeit halber sei gesagt, dass ich nicht nur zum Lesen ermuntern möchte, sondern im Falle, da die Rezension nicht bekömmlich ausfiel, eben zum Nicht-Lesen beitragen würde. Hätte ich doch nur jenes Leerbuch vom sich abschaffenden Deutschland vorher verrissen... es hätte auch nichts gebracht!

"Das Lesebändchen" habe ich es genannt, klingt kitschig - ist es auch. Besseres fiel mir nicht ein. Man sehe es mir nach. Immer wieder werde ich dort Bücher, die mir im Alltag zwischen die Finger kommen, mal mehr, mal weniger ausgiebig behandeln. Nicht regelmäßig, nicht zu verbissen. Mal Sachbuch, mal Roman - mal ernste Abhandlungen, mal flapsiges Aufmerksammachen. Ich trug mich ohnehin mit dem Gedanken, ab und zu Rezensionen ins Programm aufzunehmen, nur paßte es nie so recht ins Konzept von ad sinistram. Daher also diese Bigamie, daher also "Das Lesebändchen".

Ich hoffe, es wird angenommen und einigermaßen frequentiert. Man will ja doch, auch wenn man "nur" über das, was man gelesen hat, schreibt, selbst gelesen werden. So gefallsüchtig ist sich der schreibende Leser wie der lesende Schreiber dann doch. Anregungen werden gerne entgegengenommen; und die Gestaltung von "Das Lesebändchen" wird noch Überarbeitung erfahren müssen. Kommt Zeit, kommt Design...

In diesem Sinne, möge "Das Lesebändchen" einige Leser finden... mich würde es freuen!



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Da haben wir den ganzen Fortschritt!

Man könnte nun ja sagen, man wolle den Armen nur vor sich selbst, vor seiner Gewinn- oder Spielsucht schützen, womit das gerichtliche Verbot, Hartz IV-Beziehern Lottospielschein auszuhändigen, einen fürsorglichen Anstrich erhielte. Man könnte aber auch von einem demokratischen Notstand sprechen, der Empfängern des Arbeitslosengeld II Entmündigung erteilt.

Das Urteil mag in nächster oder letzter Instanz nichtig sein. In welche Richtung in deutschen Gerichten gedacht wird, das offenbart es aber trotzdem. Der Erwerbslose erhält von der öffentlichen Hand Geld - und damit, so schlußfolgert man, habe die Öffentlichkeit ein Recht darauf, über die Ausgabeposten des jeweiligen Leistungsbeziehers Rechenschaft zu erhalten. Weil man natürlich nicht jedermanns, jederarbeitslosen Kontoaufstellungen prüfen kann, sperrt man bestimmte Ausgabemöglichkeiten einfach - diesmal soll es eben das Lottospiel sein, von dem man den Leistungsbezieher fernhalten muß. Außerdem wäre es ungerecht, wenn ein Faulpelz einen Millionengewinn einstreichen würde. Den soll es für brave Staatsbürger geben, nicht jedoch für "Staatsbürger", für die der Staat bürgt...

Und was wird nach einer solchen Entscheidung morgen fällig? Wird dann an Getränkemärkten und Tabaklädchen per Schild kenntlich gemacht, welche Art Kundschaft hier einkaufen darf? "Kauft nicht beim Juden!" hieß es damals, "Kauft nicht beim Paria!" könnte man diese braune Parole saisonbereinigt ausdrücken - heute lautet die Losung: "Laßt den Paria nicht einkaufen!" Eine mit Schmierhaar gerahmte Fratze grinste dann verlegen am Eingang, "Wir müssen draußen bleiben!" maßregelte sie. Natürlich, das ist übertrieben und daher geschmacklos, werden manche einwenden. Aber genau diese Art von rechtlichem Nihilismus ist es doch, die auf solche Abgründe zuführt. Der Hartz IV-Empfänger, saisonbereinigt gesagt, die "unproduktive Ballastexistenz", sie wird einer Segregationspolitik ausgeliefert, die den gelben Stern, der heute freilich nicht mehr gelb oder Stern sein muß, sondern vielleicht rot und mit großem A erscheint, am Revers tragen soll.

Die traurigste Erkenntnis daran ist dabei nicht mal, dass alte Mechanismen in heutigen Köpfen wieder greifen. Der Mensch ist unzulänglich genug, stets diesselben Fehler zu machen - als Einzelperson tappt man manchmal lebenslang in dieselben Dilemmas; wie soll dann die Menschheit davor gefeit sein, stets neu ins Verderben zu trampeln? Das ist traurig, aber nicht das traurigste Detail. Schlimmer ist es nämlich, dass diese Segregation, die einst mit Hass und Geifer betrieben wurde in diesem Lande, heute mit einem fürsorglichen Lächeln getan wird. Wo einstmals mit Grimm und galliger Hysterie gegen Parias aufgetischt wurde, da grüßen heute betuliche Mienen, gaukelt man ein umsichtig väterliches Herz vor. Man hält den armen Schlucker doch nicht aus Boshaftigkeit vom Lottospiel fern; man tut es, weil man nicht will, dass er verarmt; man will bloß nicht, dass er zum Opfer seines Spieltriebes wird.

Selektive Politik, die langsam aber zielgerichtet gegen bestimmte unliebsame Bevölkerungsgruppen polarisieren möchte, indem sie das Gleichheitsprinzip nach und nach aufgibt, die wird nicht wie dazumal mit grantigem Gesichtsausdruck umgesetzt - heute lächelt man allerorten, auch dort, wo Parias hergestellt werden. Die Diktatur schreiender Herren ist, wir sind froh darüber, perdu - wird sind fortgeschritten! Wir leben in einer Diktatur rücksichtsvoll lächelnder Damen und Herren, die ihren ganzen sozialrassistischen Dünkel hinter frohen Mienen verkappen. Da haben wir den ganzen Fortschritt!



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