Die Diktatur des Handelspatriziats

Montag, 13. Juli 2015

Die westliche Welt ist eine Diktatorenschmiede. Entweder hilft sie solchen in die Schuhe und nennt sie dann konziliant »Freunde« oder kritischer »Hurensöhne, aber unsere Hurensöhne« - oder aber, was vielleicht nicht weniger schlimm ist, sie schafft Narrative, die legitim gewählte Vertreter fremder Völker zu Diktatoren verklärt. Besonders dann, wenn diese Vertreter aus dem linken politischen Spektrum stammen.

In den letzten Wochen war Europa mal wieder um einen Diktator reicher. Alexis Tsipras hieß er. Der Mann war und ist zwar ein legitim gewählter Vertreter seines Volkes. Aber das hinderte viele Austeritätsjünger nicht daran, ihn als Tyrannen zu stilisieren. Schließlich führe er sein Volk in Not und Elend. Und wiegele es gegen die Europäische Union auf. Dass die Not und das Elend schon vor ihm da waren, mitunter Geschenke aus Brüssel und Berlin sind, hat man bei dieser Verdiktatorung einfach mal nicht erwähnt. Schweigen ist Gold. Verschweigen Fort Knox. Jedenfalls wenn es um Fakten geht. Üble Nachrede darf man nicht verschweigen. Die muss geradezu sein, um aus einen - nennen wir es mal etwas verkürzt - »linken Politiker«, einen Diktator zu destillieren. Tsipras ist da in guter Gesellschaft. Die Riege der Diktatoren, die die kapitalistische Welt für die gefährlichsten ihrer Art hält, sind »Linke«, Egalitaristen oder wie man sie sonst nennen mag. Es funktioniert letztlich immer nach demselben Prinzip.

Tsipras ist ein europäischer Präzedenzfall. Er ist der erste »Diktator« dieser rufschädigenden Art auf unserem Kontinent. Vorher gab es diesen Typus vor allem in Südamerika, laut Monroe-Doktrin immerhin nicht weniger als der Hinterhof der Vereinigten Staaten. Jetzt also auch hier. Der Linke als Tyrann. Auch auf dieser Ebene schreitet die Amerikanisierung der Verhältnisse voran.

Castro, Allende, Chávez und Morales: Sie alle gelten als Diktatoren, weil sie die Interessen ihrer Völker ernster nahmen, als es alle ihre Vorgänger taten. Es ging und geht ihnen um die Vergesellschaftung von Ressourcen. Und darum, ein gewisses Maß an Menschenwürde zu halten. Alle dürften sie keine Heiligen sein. Aber sie hegten Ansichten, die man durchaus als demokratisch im besten Sinne des Wortes halten konnte. Und alle lagen sie im Clinch mit den mächtigen Wirtschaftsbaronen aus dem Norden des Kontinents. Mit Regierungen von dort, die den Willen dieses »Adels« exekutierten. Erster Schritt immer: Man nennt diese legitim gewählten Leute Diktator. Das macht die Sache leichter. Das alles ähnelt jedenfalls den Vorgängen um Tsipras. Kein Wunder also, dass ihm Fidel Castro zum Oxi gratuliert haben soll. Denn Tsipras ist sein europäisches Spiegelbild.

Andere nennt man hingegen nicht Diktator, obgleich sie eher dorthin tendieren. In Peking regieren lediglich Handelspartner. Guantánamo ist kein Ort aus einer Diktatur. Wer das diktatorisch nennt, der pflegt Antiamerikanismus und zeigt nur, wie wenig Ahnung von Fairness und Freundschaft er hat. Mancher afrikanische Warlord bekommt Waffen geliefert und die Hände geschüttelt. Despoten aus Saudi-Arabien lädt man zu Firmenjubiläen ein. Viktor Orbán ging zwar aus freien Wahlen hervor, sein Antiziganismus gefährdet aber Freiheiten: Schon mal gehört, dass jemand dessen Rücktritt erzwingen will? Nie hat einer diesen Schreckensherrscher aus Budapest von institutionellen Treffen gejagt. Das widerfährt nur linken Finanzministern. Die Hardliner aus Kiew sind unsere Verbündeten. Nicht so wild, dass sie faschistoid auftreten und ein bisschen was von Tyrannei mit sich herumschleppen.

Nein, das Handelspatriziat hat klare Vorstellungen wie sich Diktatoren definieren. Sie sind nicht ruppig, gemein, exklusiv, hetzerisch oder gar kriegerisch. Sie sind Diktatoren, weil sie nicht bereit sind, das Spiel mitzuspielen. Weil sie Ökonomierebellen sind, die den Ausverkauf von Menschen- und Bürgerrechten nicht dulden wollen. Bloß deswegen erklärt man sie dazu. Einerlei, ob die Vorwürfe zutreffen - man hängt es ihnen an. Irgendwer glaubt immer, was er da liest und in den Nachrichten hört. Und wenn das Gerücht erst in der Welt ist, dann ist es gewissermaßen schon ein Stück Wahrheit geworden.

Das Handelspatriziat will die Diktatur des Proletariats nicht dulden. Selbst dann nicht, wenn es gar keine ist, sondern einfach nur ein normaler Schritt zur Autonomie von Völkern. Wenn also die Diktatur des Proletariats nichts weiter ist, als bloß das, was man geheimhin Demokratie nennt. Daher ziehen sie eine Diktatur des Handelspatriziats auf und taufen diese Veranstaltung »ökonomische Vernunft«. Die Schlechten sind die Guten und die Guten (oder sagen wir: die Besseren) sind die Schlechten. Verdrehungen allerorten. So läuft das. Verdrehungen sind systemimmanent. Ohne sie bricht der Laden auseinander.

Ab Ende des Jahres könnte dann auch Pablo Iglesias, Kopf von Podemos, in den Genuss dieser Machenschaft geraten. Ein weiterer Diktator, der in den Startlöchern sitzt.

3 Kommentare:

epikur 13. Juli 2015 um 09:50  

Schön auf den Punkt gebracht!

Zuerst ignoriert man sie, so gut es geht. Dann versucht man ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben (üble Nachrede, Verleumdungen, Zitate aus dem Kontext reißen etc.), dann nennt man sie "Populisten" und wenn alles nichts hilft und sie dennoch an die Macht kommen, werden sie als "radikal" und "extrem" bezeichnet. Am Ende sind es kleine Diktatoren.

Es ist schon bezeichnend, dass jeder, der nicht im Sinne der Mächtigen und Reichen handelt, heute als Unperson gilt.

Anonym 13. Juli 2015 um 22:58  

Wortmächtig die Propaganda des neoliberalen Kapitals.
Ohnmächtig oder auch von dessen verbalem Trommelfeuer überzeugt, bleibt das Opfer zurück.
Das Volk.
Die Demokratie.
Die Wahrheit.

Zum Unwort verdreht ist das Wort.

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Und es ward Licht.“

Der Teufel aber, der kommt als geschichtsvergessener Jünger leerer Versprechungen einer fortlaufend gescheiterten neoliberalen Irrlehre daher.
Der säuselt was von Vertauen.
Von Verantwortung.
Von Zukunft.
Von Hoffnung.
Von Frieden.

Und was ist?
Krieg.
Terror.
Totalüberwachung.
Wir alle sind Zielscheibe des teuflischen Plans.

Verraten und ausgepresst wird das Volk.
Im - aus dem Nichts - gezeugten Geld suhlt sich gleichzeitig das Kapital.

Patrizier hatten, im Gegensatz zu heutigen Geldleuten, immerhin einen an den Adel angelehnten Ehrbegriff. Genannt sei Anton Fugger und Nachkommen, die von Hause aus dem Patriziat nicht angehörten und dort erst aufgenommen wurden. Die zu damaliger Zeit reichste Dynastie der Welt ist bis heute auch wegen ihrer Fuggerei (Armensiedlung) bekannt.

Zeitgenössische Gelheinis versteigen sich zu Sprüchen, das Werk Gottes zu tun.
Solche maßlosen Geldwechsler hätte Jesus hochkant aus dem Tempel geschmissen.
Ihnen wird wieder gehuldigt, ihr Rat ist gefragt, ihnen wird gefolgt.
Sie, im Gegensatz zu den Griechen, werden nicht dämonisiert und angepöbelt.

Wo sowas endet?
In einem großen alles verschlingenden schwarzen Loch.

In Deutschland wurden die Arbeitslosen zu Sündenböcken abgestempelt.
Hartz IV-Deutsche.
In Griechenland wird ein ganzes Volk für das verantwortungslose Verhalten gewissenloser Cliquen in Geiselhaft genommen.
Hartz IV-Griechenland.
Mit dem Wunsch, im Euro zu verbleiben, haben sich die Griechen leider ihr eigenes Trojanisches Pferd aufgezäumt. Im Euroraum ist der Schuldner der Paria, der zu gehorchen und sich zu unterwerfen hat, der gnadenlos sanktioniert wird.

Hartz IV-Deutsche.
Hartz IV-Griechenland. Spanien...
Und dann?
Hartz IV-EU.

Das Schwarze Loch verschlingt alles.
Alles duster (dunkel)?
Endlich Ruh'.
"Warte nur, balde ruhest du auch" (Goethe).

Anonym 14. Juli 2015 um 04:44  

"[...] Die Schlechten sind die Guten und die Guten (oder sagen wir: die Besseren) sind die Schlechten. Verdrehungen allerorten. So läuft das. Verdrehungen sind systemimmanent. Ohne sie bricht der Laden auseinander[...]"

Schöner Satz, der aber nicht nur auf die sogenannte große Politik zutrifft sondern - wie ich selbst seit Jahren erfahre - mittlerweile im normalen neoliberalen Alltag in Deutschland - auch im familiären Umfeld - zutrifft.

Der "Linke" (was auch dies in Zeiten heißen mag wo sogar SPD-Gabriel so dreist ist sich als "links" zu bezeichnen während die SPD die CDU weit rechts überholt) ist eben immer der Böse bzw. der Unmensch.....auch im Alltag.....

Trauriger Gruß
Bernie

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