§ 140 SGB III, Zumutbare Beschäftigungen

Freitag, 10. Juli 2015

Das Stellenangebot über das Portal des Jobcenters klang wenig verlockend. Spargelstechen im Umland. Stundenlohn so niedrig, dass man nicht mal ein Drittel Bund Spargel dafür bekam. Dazu Plackerei, krummer Rücken und man sollte einen eigenen PKW haben, um an die Felder zu gelangen. Der ganz große Hauptgewinn. Ich klickte auf das Kreuzchen oben rechts und flüchtete so vom digitalen Sklavenmarkt. Drei Tage später hatte ich ein Jobangebot im Briefkasten: Es handelte sich exakt um diese Stelle. Das Angebot war natürlich eine Aufforderung, ein verbindlicher Marschbefehl. Die Sprachregelung der Behörde ist die Tünche, die die Erpressung kaschiert. Weil ich musste, rief ich dort an. Man sagte mir, ich sollte morgen ins hiesige Büro kommen.

Ich betrat den Laden und ein Mittfünfziger mit Wanst begrüßte mich nicht sehr herzlich. Solche wie mich hatte er wahrscheinlich zu Hunderte aufs Feld geschickt. Früher schickten sie sie »ins Feld«. Was für ein Glück, dass wir heute weiter sind.
   »Ich soll mich hier vorstellen«, sagte ich.
   »Setzen Sie sich, ich habe gleich Zeit für sie.«
   Er hackte auf seiner Tastatur herum. So sahen also die Kunden des digitalen Sklavenmarktes aus. Sie klimperten die Tasten und machten so ihre Offerten klar. Fleischbeschau körperlos.
   »Haben Sie schon mal Spargel gestochen?«
   »Nein, noch nie. Ich esse ihn nicht mal besonders gerne.«
   Das war gelogen. Ich mochte ihn sogar sehr, aber ich wollte meine Verachtung für sein Metier zum Ausdruck bringen.
   »Haben Sie einen Wagen?«
   »Nein, ich habe meinen Wagen abgemeldet. Konnte ihn mir nicht mehr leisten.«
   »Das ist schlecht. Melden Sie ihn doch wieder an.«
   »Bezahlen Sie mir die Kosten?«
   »Es gäbe noch die Möglichkeit, dass Sie mit dem Shuttle hinausfahren. Wir holen manche Mitarbeiter ab und fahren sie abends wieder heim. Als Service gewissermaßen.«
   Ich nickte nur. So eine Scheiße. Aber so war es immer. Sklaven verfrachtete man schon immer wie Sperrgut.
   »Der Stundenlohn ist ja nicht sehr hoch.«
   »Das sind unsere Standards.«
   »5,57 Euro ist standardisiert? Wer legt denn diese Standards fest?«
   »Wir haben Leute da draußen, die für noch weniger Geld arbeiten.«
   »Noch weniger?«, rief ich erstaunt aus.
   »Die Polen machen es mir für unter vier Euro.«
   »Sie machen es Ihnen? Draußen auf dem Feld? In welcher Branche sind wir hier noch gleich?«
   Der Kerl sah mich pikiert an. Er hatte ungefähr den Humor einer Bettwanze.
   »Wollen wir den Arbeitsvertrag festmachen?«, fragte er mich dann nach einem kurzen Moment peinlicher Stille.
   »Ich muss darüber nachdenken. Mir wurde beigebracht, nichts übers Knie zu brechen.«
   »Wollen Sie arbeiten oder nicht?«
   »Ja doch. Aber als mündiger Verbraucher muss man doch überlegen dürfen, ob man einen Vertrag unterschreibt oder nicht.«
   »Sie sind ja kein Verbraucher im Moment. Sie sind Arbeitnehmer. Oder jedenfalls ein potenzieller.«
   Er nickte mir zu, als wolle er mich auf den rechten Pfad führen.
   »Und als solcher soll man mir nichts dir nichts einfach was unterschreiben?«
   »Hören Sie, ich könnte jetzt eine Mail an das Jobcenter schreiben und davon berichten, dass Sie hier Mätzchen machen. Was meinen Sie, was dann los ist?«
   »Erpressen Sie gerade eine Unterschrift? Klingt so.«
   »Lesen Sie sich den Vertrag durch und rufen Sie mich morgen nochmal an, dann vereinbaren wir einen Termin. Aber ich brauche bald jemanden auf dem Feld. Zögern Sie nicht zu lange.«
   Er reichte mir den Vertrag und als ich ihn zusammenfaltete, sagte er, dass ich ihn nicht mitnehmen dürfe. Durchlesen sei in Ordnung. Und dann eine Nacht darüber schlafen, wenn es denn sein muss. Das musste mir reichen. Und es reichte mir wirklich, nachdem ich ihn gelesen hatte. 5,57 Euro pro Stunde. Zum Glück waren es genug Wochenstunden, sodass man mit einem kleinen Reichtum rechnen konnte. 45 Stunden immerhin. Mehrarbeit konnte es unter Umständen auch geben. Mit etwas Glück konnte ich mit 1.000 Euro brutto heimgehen. Und das nach einem langen und schweren Tagwerk. Da ist man zum Glück zu müde, um seine Groschen auszugeben.

Ich ging wieder heim, dachte nach und fand, dass ich doch nicht unbedingt arbeiten wollte. So ehrlich musste man sein. Der Kerl verkauft seinen Spargel am Markt und in den Läden zu einem Kilopreis, von dem ich als Spargelstecher nur träumen konnte. Das sah ich nicht ein. Also wurde ich krank. Das beschloss ich an diesem Abend so. So umschiffte ich eine Unterschrift und genas erst wieder, nachdem die Saison zu Ende war. Und genau diese Arbeitsverhältnisse sind mit dafür verantwortlich, dass der Krankenstand bei Langzeitarbeitslosen erhöht ist. Na gut, solche Arbeitsverhältnisse und der Umstand, dass Langzeitarbeitslose grundsätzlich nicht bei bester Gesundheit sind. War ich auch nicht, aber ich hatte es dem Wanst gar nicht erst gesagt. Man hätte es eh nur als Ausrede gelten lassen.

8 Kommentare:

Anonym 10. Juli 2015 um 08:49  

Ich sollte mal als Schaustellergehilfe bei einer Würstchenbude arbeiten. Als ich dem Vermittler dann erklärte, das könne doch nicht sein ernst sein, meinte der nur, ich solle mich sofort dort vorstellen, also direkt zum "Arbeitgeber" fahren. Auf meine Antwort, ich müsse ja erst meine Bewerbungsunterlagen erstellen kam dann, das brauche ich dort nicht, persönliche Vorstellung reiche aus.

Ich dann mit dem Rad da hin, und als ich dort ankomme, einsame Gegend, sehe ich zwei Hunde, so Kalbsgröße, frei auf dem Hof rumlaufen ... mehrere Arbeiter, die grinsend zu mir rüber schauten, weil ich immer versuchte mein Rad zwischen mir und den Hunden zu halten. Ja, ich habe Angst vor Hunden. Auf dem Hof stand ein Wohnwagen, wie er von Schaustellern benutzt wird. Dort drin war das "Büro". Nachdem ich dort endlich drinnen war, sah die Frau, die an dem Schreibtisch gesessen hat, kurz hoch, sagte oh, ein großer starker Mann, den kann ich brauchen. Ich, wieso stark wenn ich nur Würstchen braten soll ... nein, auch Auf- und Abbau nicht nur des Würstchenstandes, dann das war nur eine "Attraktion". Also ich sehe so aus, bin es aber nicht. Ich darf nach einem vertrauensärztlichen Gutachten keine schweren körperlichen arbeiten verrichten. Dann kann ich sie nicht brauchen, wurde ich entlassen. Auf dem Tisch lag ein hoher Stapel von Unterlagen des Arbeitsamtes, alles Menschen die so im Fall einer Weigerung sanktioniert werden sollten.

Ich rief dann meinen Vermittler an und schilderte den Ablauf. Seine Antwort, das Gutachten sei ja schon älter, das gelte nicht mehr. Ich werde deswegen zu einer neuen Untersuchung "eingeladen". Dann würde entschieden werden, ob eine Sanktion wegen der Weigerung erfolgt.

Nun, die Untersuchung hat dann sogar eine Verschlechterung als Ergebnis gehabt. Keine "Überkopfarbeit", keine Zwangshaltung, maximal 15 kg tragen, kein Schichtdienst ...

Ergebnis, mein Vermittler erklärte, so könne er mich nicht mehr vermitteln. Also keine Einladungen mehr, keine Stellenvorschläge, nichts mehr, seit damals ... ach, ich könne nun auf meine Rente warten --- hat er auch noch gesagt. Inzwischen sind es nur noch 11 Monate ... dann werde ich Rentner ... mit Grundsicherung.

Hellmuth 11. Juli 2015 um 22:59  

Mich erinnert das an meinen Streit mit der "Fallmanagerin", darüber, dass man mir gerne unverbindliche Stellenangebote zusenden könne, es aber mir überlassen sein muss, ob ich mich darauf bewerbe.
Ich stellte den Vergleich an, sie dürfe ihre Unterwäsche nicht selbst kaufen, sondern müsse etwas aus dem Sortiment wählen, welches ich bestimme.
Die Vorgesetzte wurde hinzugerufen und ich musste mir endlose Wiederholungen der Zumutbarkeitsregelungen anhören. Und dass das nur für Stellenangebote mit Rechtsfolgebelehrung gelte.
Ich bekam kein einziges ohne solche, und fast nur Zeitarbeit (ZA).
Mit einem 08/15 Bewerbungstext ohne jegliche Aussagekraft aus dem Internet kopiert, führte ich die Befehle aus. Jede ZAfirma lud mich zur Vorstellung ein, jede.
Ich sprach viele direkt darauf an, warum eine solche Sch..bewerbung berücksichtigt werde. Man würde die gar nicht lesen. Ich sprach das Stellenangebot an und wollte Details wissen. Keine einzige Antwort, nur rumgeeiere, es werde erstmal ein Personalbogen erstellt, meine Eignung ermittelt und dann nach geeigneter Arbeit gesucht.
Sprich, zigtausend Stellenangebote werden quasi aus den Fingern gesaugt (wie meine Bewerbung), um damit Bestell-Kataloge für Arbeitgeber zu erstellen. Die Mitarbeiter der ZAfirmen werden also nach Menge bezahlt oder beurteilt.
Wird man beim Jobcenter als Verweigerer gemeldet, droht lebensgefährdende Kürzung der Bezüge. Man hat mir im oben genannten Streit beim Jobcenter erklärt, dass die Arbeitslosenversicherung lt. SGB eben keine Versicherung im eigentlichen Sinne mehr sei, Arbeitslosengeld(!) werde nur noch bei Gegenleistung gezahlt. Und alles beruht auf völlig willkürlicher Beurteilung.
Faktisch ist damit das Grundrecht auf Vertragsfreiheit abgeschafft!!
Ich wollte das erst alles nicht glauben, aber diese perversen Konsequenzen der Schröder'schen Reformen können gar nicht genug angeprangert werden.

Ernst Otte, Hamburg 12. Juli 2015 um 08:58  
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Ernst Otte, Hamburg 12. Juli 2015 um 09:06  

(Korrektur meines eben abgesetzten Kommentars)

Ich wünsche diesem Bericht viele Leser und den Lesern die Kopf-Klarheit des Verfassers.

Anonym 12. Juli 2015 um 20:55  

jaja, aber es gibt immer eine Möglichkeit solche "Stellenangebote" abzulehnen....und zwar so, dass dort keine Sanktionen entstehen können...

Anonym 12. Juli 2015 um 21:05  

@Anonym: Zu der Schausteller-Geschichte
Da könnte man vermuten dass die Schausteller einen Deal mit dem Job-Center gemacht hat zwecks Lieferung von Sanktionsgründen. Was ich gemacht hätte:
Nach der Aufforderung doch gleich dahin zum Vorstellen zu fahren hätte ich mir gleich was ausgedacht. Vielleicht: "Oh, ich hab jetzt gleich einen Termin bei der Schuldner-beratung auf den ich seit 2 Monaten warte und den ich wegen Dringlichkeit nicht verschieben kann". Dann hätte ich mich 2 Tage später schriftlich beworben, steht mir ja frei wie ich mich bewerbe.
Und wenn die mich dann wirklich genommen hätten, dann hätte ich den Job angenommen in dem Wissen dass da bestimmt zahlreiche arbeitsrechtliche Verstöße zu finden sind, die ich dann an das Jobcenter gemeldet hätte, und um deren Ahndung die sich dann kümmern müssen. Dann wäre ich ganz schnell gefeuert worden und hätte sicher sein können dass sowas nicht nochmal kommt.

Anonym 12. Juli 2015 um 21:09  

Ich bin seit vorigem Jahr Rentner wg. voller Erwerbsunfähigkeit und bin froh, dass ich aus dieser erniedrigenden Mobbcenter-Mühle raus bin!

Anonym 13. Juli 2015 um 08:56  

@Anonym: Zu der Schausteller-Geschichte 12. Juli 2015 um 21:05 - Dieser Anonym bin ich und kann dazu noch weiteres schreiben.

Diese Marktschausteller ... von Kirmes zu Kirmes ziehend, Barauszahlung am Freitag, plus Buddel Schluck, wie mir damals angeboten wurde ...

wäre schon beim ersten Aufbau des Fahrgeschäfts gescheitert, da ich beim Heben von den schweren Teilen meine Gesundheit ruiniert hätte. Ich habe nun einmal einen Wirbelschaden plus Scheuermannsche Krankheit ...

also dann doch lieber so etwas nicht annehmen ... und meine Beschwerde an die zuständige Regionaldirektion war damals auch folgenlos für den Vermittler.

Klar war das ein Zusammenspiel ... wurde später noch einmal versucht, mit einem Finanzmakler, der mir Schwarzarbeit angeboten hat, den habe ich dann angezeigt, weil der mir während des Vorstellungsgespräches erzählt hat, er habe schon mehrere Mitarbeiter die er so beschäftigt ...

ist aber nichts geschehen, denn der hatte, wie ich dann erfahren habe, schon mehrere Arbeitslose so reingelegt, die bei der Zusage, so für ihn zu arbeiten, dann sofort dem Arbeitsamt gemeldet wurden und eine Sperre bekommen haben.

Ach, ich bin übrigens Organisationsprogrammierer. Cobol ... nicht studiert, sondern im Berufsleben erlernt. Zu teuer gewesen und wegrationalisiert. Dann wurden lieber Studenten frisch von der Uni als "Zitrone" eingestellt. Ausquetschen und wegwerfen, wenn die neuen frischen Studenten fertig sind.

Weiterbildung? Wurde nie bewilligt. Auch als ich ein Angebot hatte, wenn ich C++ könne ... und deswegen den Antrag stellte, wurde mir nur geantwortet, die Gelder für Qualifizierungsmaßnahmen seinen aufgebraucht ... da müsse ich bis zum nächsten Jahr warten ... dass war dann für die Jobzusage jedoch zu spät.

Also ich könnte hier stundenlang Dinge schreiben, die ich seit meiner "Entlassung" mit dem Arbeitsamt und dem Jobcenter seit 1998 erlebt habe. Also Sie erkennen, ich bin ein "Langzeitarbeitsloser". Ohne Perspektive. Trotz guter Ausbildung und Qualifikation, nur die wird inzwischen nicht mehr benötigt.

Oh, als damals die Angst vor dem Jahrtausendwechsel bestand, weil in Cobol die Jahreszahl nur 2stellig (meistens) angelegt worden war, hab ich mich sogar der Stadt als Praktikant angeboten, da ich ja fit in Cobol war, und hoffte, so zu beweisen, ich kann immer noch was, wurde ich nicht genommen. Man habe keine Zeit übrig um sich um einen Praktikanten zu kümmern.

Aber einmal, da durfte ich im Rahmen einer Maßnahme als Praktikant im Rechenzentrum einer Krankenkasse 6 Monate zwei Projekte selbständig durchführen ... super Zeugnis, aber keine Festeinstellung. Zu viel Personal, Einstellungsstop. Und Zeitarbeit? Überqualifiziert! Da kam dann immer, zur Zeit hätten die nichts für mich, würden mich aber gerne in den Bestand als Interessent aufnehmen und sich wieder melden. Ja haben die anfangs nach 6 Monaten gemacht und nachgefragt, ob ich noch arbeitslos sei und Interesse hätte. Ja ... aber dann war irgendwann Schluss.

Deswegen, ich warte nur noch auf meine Rente ... und "bearbeite" meine Klagen vor dem SG und LSG ...



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