Der beleidigte Mann in Europa

Montag, 6. Juli 2015

All die Debatten zu Griechenland, Grexit und Tsipras, die die letzte Woche erfüllten, haben eines ganz deutlich gezeigt: Es geht den Deutschen offenbar schon lange nicht mehr um Ökonomie, Politik oder ein irgendwie geartetes Krisenmanagement. Nein, sie sehen die Ereignisse als moralisches Kräftemessen in der Welt.

Neulich plauderten wir wieder über das Weltgeschehen. Ein Arbeitskollege und ich. Eigentlich ein vernünftiger Mann. Aber beim Thema Griechenland streifte er seine Ratio ab. Er fand, dass die Griechen die Deutschen seit langer Zeit nur verarschen. Geld wollten sie haben, aber die Schuld nicht begleichen. Als Steuerzahler interessiere ihn sehr wohl, wohin sein Geld gehe. Man kennt diese Sprüche ja. Jeder hat mindestens so einen Arbeitskollegen oder Nachbarn oder wer weiß wen in seinem Umfeld. Man spürte deutlich, dass da jemand beleidigt war. Irgendwie getroffen. Schrecklich eingeschnappt ob der griechischen Art und Weise. Die ganze Argumentation, die er sich in jenen gleichgeschalteten Medien aufgegabelt hat, die nun in Nibelungentreue zu Troika stehen, hatte den Duktus eines beleidigten Mannes in Europa. Kein Wunder, denn dieser Unterton bestimmt die ganze Berichterstattung. Eine rationale Ebene gibt es in dieser Angelegenheit schon lange nicht mehr.

Das Bild der Griechenland-Affäre wird eindeutig von beleidigter Rhetorik überlagert. Von einem sachlichen Umgang mit den Entwicklungen ist kaum noch die Rede. Es geht um Verarschung, um die Wut, die einer hat, wenn ihm übel mitgespielt wurde. Verletzte Gefühle halt. Und zu guter Letzt geht es damit auch um Moral. Nicht um Pekuniäres. Nicht um Ökonomie. Oder um Politik oder was für eine Kategorie auch immer. Griechenland und seine Folgen findet als moralische Debatte statt. Als eine Moral der beleidigten Leberwürste.

Die Debatte wird nur bedingt als Melange aus Thesen, Antithesen und letztlich Synthesen bestritten. Beleidigte neigen nicht dazu, dem Sachverhalt, der sie beleidigt hat, mit gebotenen Abstand zu begegnen. All die Zeitungsleser, Radiohörer, TV-Zuschauer und Webnews-Surfer sind zum Bestandteil einer Debattenkultur geworden, die nicht aufklären und abwägen und damit informieren will, sondern dieses dumpfe Gefühl der Wut und des Eingeschnapptsein aufgreift, um damit das bisschen Objektivität in dieser Angelegenheit im Ärger verrauchen zu lassen.

Das eingeschnappte Lebensgefühl ist ja ohnehin eine deutsche Angewohnheit. Dieses »Wir gegen die Welt!« beeinflusst die Wahrnehmung, die die Deutschen von der Welt haben, immer stark. Das hat einen Weltkrieg verursacht. Man war damals auch der beleidigte Mann Europas und hatte genug von all den Beleidigungen, die man allerorten witterte. Danach zog sich die beleidigte Haltung zurück. Aber jetzt ist sie wieder da. Man fühlt sich seit Jahren unverstanden, zurückgesetzt und glaubt doch, dass man so viel Gutes in Europa und der Welt tut. Bezahlen, Wirtschaft ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen, Waffen liefern. So viel notwendige Dinge - und keiner dankt es »uns«. Seit Jahren ist man hierzulande der Ansicht, dass Deutschsein vor allem bedeutet, von allen Herrenländern ausgenutzt und ausgebeutet zu werden. Das ist die Wurzel der Wut und des Beleidigtseins. Jetzt sind es eben die Griechen, die dieses Weltbild abermals bestätigen.

Die Chronologie der Wahrnehmung: Zuerst ist da das Gefühl, dass man zu kurz kommt. Nicht ausreichend gewürdigt wird. Daraus fabrizieren die Opinionleader dann Verärgerung und fachen die allgemeine Wut an. Man grenzt sich mental ab, zeigt mit den Finger auf die, die verägern und verleiht Attribute, um schön schwarz und weiß malen zu können. Hier kommen Fleiß und Faulheit, »Bruder Leichtfuß« und »ehrlicher Makler« und weitere andere Kategorisierung ins Spiel. Und ehe man sich versieht, wird aus einem Sujet, das bestenfalls für einen sachlichen Diskurs taugen würde, ein täglich wiederholtes, täglich verstärktes, täglich indoktriniertes moralisches Traktat.

Das deutsche Wesen, an dem die Welt genesen soll, war immer Moralia. Wenn die Welt so würde, wie es die Menschen sind, die auf jenem Erdenplatz leben, den Gott persönlich geküsst hat, so würde es in der Welt besser und fairer zugehen. Das ist die Bestimmung eines moralisch gewählten Volkes, das sich zuweilen so herrisch aufführt, dass man ahnt, welches Diktat Moral sein kann. Wer die griechische Tragödie unserer Zeit als moralisches Schauspiel begreift, der begreift die kapitalistischen Funktionsweisen nicht. In diesem System gibt es keine Moral. Und jetzt eine zu bemühen ist absurd und eigentlich nicht systemrelevant. Aber damit macht man Stimmung. Feindbilder erhalten das System. Und insofern ist die Moral innerhalb eines amoralischen Komplexes doch systemrelevant, weil systemerhaltend. Der beleidigte Mann Europas ist eine prokapitalistische Leberwurst. Wenn er seine Eingeschnapptheit und seinen moralischen Duktus abstreift, haben wir gute Chancen, den Irrweg zu verlassen. Ansonsten ersticken wir in einer Moral, die uns lehrt, dass Geld alles und Gemeinwesen nichts ist.

5 Kommentare:

Anonym 6. Juli 2015 um 16:12  

ANMERKER MEINT:
Das ist nun mal das Vertrackte: Da strengt man sich an, will der Musterknabe sein und unversehens ist der Musterknabe erwachsen und handelt mir nichts dir nichts wie die Vorväter. Was scheren ihn alte Geschichten. Ist doch alles längst vergessen. Wir sind wieder wer! Und deshalb strengen wir uns ganz besonders an, eine gutes Vorbild abzugeben, die "marktkonforme Demokratie" mit Leben zu erfüllen. Wir kriegens aber nicht gedankt, wir bemühten Politikmarionetten des Kapitals. Also zumindest nicht von allen. Und ausgerechnet die Griechen schwätzen uns was vor von EUWerten von Würde und sonem klimbim. Sowas steht bei uns in der Verfassung und damit hat sichs. Die reale Welt sieht anders. Da geht´s um die Basis des Lebens in einer "marktkonformen Demokratie": um die Ökonomie und deren Realitäten. Wer die nicht anerkennt, lebt in einem Wolkenkuckucksheim! So hilft also nichts als das konstatierte "Beleidigtsein": Beleidigtsein darüber, dass so ein junger Schnösel wie dieser Varoufakis (Gott hab´ihn selig) unserem erfahrensten Finanzdemagogen beibringen will, wo´s angeblich lang geht, beleidigt sein darüber, dass dieser Kommunist Tsipras es tatsächlich wagt mit dem momentan Bösen im Osten Kontakte zu pflegen, beleidigt sein darüber ....Alle sind genervt, dass die Griechen nicht marktkonform ticken und vergessen darüber ihren Job,z.B. die meisten MainstreamJournalist*innen, die sich gemein machen mit den Matkkonformist*innen statt aufklärend zu berichten. Gäbe es solche Blogs nicht wie deinen, Roberto, oder die löblichen Nachdenkseiten,um n ur zwei zu nennen, man erführe die anderen Gesichtspunkte fast nur aus der ausländischen Presse.Deshalb:Dran bleiben mit guten aufrüttelnden lesenwerten Kommentaren!
MEINT ANMERKER

PS: Der Begriff "aller Herren Länder" sollte m.E. vermieden werden wg. seiner kolonialistischen Attitüde.

Anonym 6. Juli 2015 um 17:45  

Der beleidigte Mann, dressiert von Medien und Politik.
Selbst denken. Fehlanzeige!

Dem ZK (Zentralkomitee) der EU kann es nur recht sein.

Griechenland hat sich für die Demokratie entschieden,
das ZK wurde abgestraft.

Michael 6. Juli 2015 um 18:56  

Bravo Roberto, wie so oft auf den Punkt gebracht. Ich habe das selbe Gefuehl schon seit geraumer Zeit, nur nicht so konzise isoliert und formuliert, dafuer Danke.

Anonym 7. Juli 2015 um 00:40  

Beleidigt

Demokratie.
Bürgerrechte.

Und nun schwer beleidigt:
Undemokraten.
Gut so.

Die Jugend Griechenlands hat sich gegen die Diktatur des Geldes entschieden.
Sehr gut so!
Schwer wird der eingeschlagene Weg trotzdem, hoffentlich aber mehr selbstbestimmt.

Wäre Griechenland 'ne Bank,
hätt' alles Geld verbrannt,
sofort käm' die Politik gerannt,
biste' blank?
Brauchste mal 'ne Mark?

Banken wurden gerettet - alternativlos.
Menschen werden zerstört - ausgemergelt.
Ohne Erbarmen.

W. Streich 7. Juli 2015 um 15:52  

Ich möchte dem Tenor des Beitrags entschieden widersprechen. Wer glaubt, es ginge nicht mehr Geld, ist auf die Kaschierung der Gläubiger-Interessen durch ein billiges Schmierentheater hereingefallen. Nur weil das Thema "Schuldenschnitt" mit allen Mitteln vermieden wird, sollte man nicht meinen, dass es irrelevant sei. Varoufakis mag es seinen Gegnern mit der Art seines Auftretens leicht gemacht haben aber die Ablehnung dieses inzwischen zurückgetretenen Ministers bleibt im Kern mit seiner Weigerung begründet, kein neues Unterstützungsabkommen ohne Schuldenschnitt zu unterzeichnen. Prompt lese ich eine aktuelle Verlautbarung Schäubles in der SZ: Schuldenschnitt ist verboten. (Basta, hätte er noch hinzufügen können.)

Allerdings: Es geht nicht nur um einen evtl. 30%igen Schuldenerlass für Griechenland, sondern um den Erhalt des gesamten Systems von staatlicher Verschuldung und Schuldentilgung in Europa und darüber hinaus. Das globale Finanzsystem ist ein Kartenhaus...

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