Ein richtiger Deutscher halt

Freitag, 31. Juli 2015

Ich will euch von jemanden erzählen, der auf Facebook sein Leben teilt. Normalerweise bin ich nicht kleinlich, aber bei dem Charakter muss man es sein.

Am 19. Juli schrieb er: »Akten bearbeiten und ein Café was trinkt ihr?« Keinen Kaffee, er trinkt die Lokalität selbst. So kennt man ihn. Größenwahnsinnig. Er trinkt auch nicht »einen«, er trinkt »ein Café«. Das klingt so wie aus dem Mund von jemanden, den man in dieser Republik gerne mal als bildungsfern beschimpft. Punkt und Komma schenkt er sich sowieso. Er ist ein vielbeschäftigter Mann. Am 18. Juli postete er ein Jugendfoto aus seinem Jugendzimmer: »Das war das Poster übr meinem Bett in der Jugendzeit was hing bei euch?« Wie gesagt, er hat viel zu tun, deshalb verbucht er wohl zwei Sätze in einem. Satzzeichen sind das Metier von Leuten, die zu viel Zeit haben. Von Faulpelzen. Das »übr« verzeih ich ihm jedoch. Vielleicht klemmt ja seine Tastatur. Das kommt vor. Dumm nur, wenns Hirn klemmt. Tastaturen kann man ersetzen.

Wie gesagt, ich will nicht kleinlich sein. Aber so geht es dauernd. Groß- und Kleinschreibung variieren lustig. Verben beginnt er mit Großbuchstaben. Nomen klein. Griechenland heißt bei ihm immer »griechenland« - ob das Absicht und Zeichen seiner Geringschätzung ist, weiß ich nicht. Auszuschließen ist es nicht. Er hat sich in den letzten Jahren als großer Griechenhasser geoutet. Und als standhafter Asylgegner. Als einer überdies, der immer wieder die Integration von ausländischen Mitmenschen als Unmöglichkeit abtat - und der zum Beispiel forderte, dass Leute, die des Deutschen nicht mächtig werden, auch rausfliegen sollten aus diesem Land.

Neulich hatte die Kanzlerin ja mit einem jungen Flüchtlingsmädchen zu tun. Sie sprach sehr gut Deutsch. Ich nehme an, dass sie es besser drauf hat als der Mann, um den es hier geht. Sie wird aber Deutschland verlassen müssen. Das Sprachgenie, das in diesem Land einen Ministerposten kleidet, bleibt uns erhalten. Er und seine Künste. Er und seine Ego-Show auf Facebook.

Um wen es geht? Um Markus Söder. Um einen, der immer eine Witzfigur in meinen Augen war, aber seitdem ich seinen Facebook-Auftritt entdeckt habe, finde ich meine Vermutung tatsächtlich bestätigt. Neben allerlei sprachlichen Leistungen, bietet er tiefe Einsichten in die Seele einer Politikerhülse. Irgendwo schreibt er, dass er froh sei, an Gott und Jesus Christus zu glauben. Ob sie es auch sind, dass so einer es tut? Und die Eindrücke aus seinem Jugendzimmer, von denen ich oben sprach, handeln vom Poster, das damals über seinem Bett hing. Eines von Franz-Josef Strauß. Irgendwann im Mai erläuterte er passend dazu auf Facebook, dass man diesen großen Deutschen in die Galerie der Walhalla aufnehmen müsste.

Das reicht. Die Lächerlichkeit ist nicht erst nach diesen Absätzen bewiesen. Aber mal wieder dokumentiert. Und wer ist er schon, dass man ihm hier mehr als sechs kurze Absätze widmen sollte? Ich hingegen werden jetzt »ein Café« trinken gehen. Und hadern, weil meine sprachlichen Kompetenzen zu hoch traben, als dass aus mir nochmal was werden könnte.

Hier weiterlesen...

Eine kurze Anleitung, wie man die Faschisten heute küsst

Donnerstag, 30. Juli 2015

Wo ist der Spaß am provokanten Protest? Manche Demo wird heute mit trockener Steifheit absolviert. Was fehlt ist Freude und gebotener Zynismus. Angesichts der wachsenden polizeilichen Soldateska auf den Straßen wären vielleicht neue alte Protestformen gar nicht übel.

Ich war neulich auf einer Blockade-Demo gegen eine Gruppierung dieser selbsternannten Patrioten. Die Rechtsextreme Ester Seitz hatte in Frankfurt zur Kundgebung und zum Marsch durch die Stadt aufgerufen. Einige verirrte Gestalten kamen dann auch aus aller Herren Bundesländer. Hooligans und Hetzer fanden sich ein. Unterschiedlichen Angaben zufolge waren zwischen 120 und 180 Leute anwesend. Familientreffen also. Die Gegner müssen Tausende gewesen sein. Verschiedenste Menschen waren da. Antifa natürlich. Engagierte Bürger aus allen Altersklassen und Schichten. Linke und solche, die keine Richtungsangabe hatten. Ziel war es, wenigstens den Marsch zu verhindern. Was bei diesem Zahlenspiel natürlich gelang.

Hier weiterlesen...

Der große Schweiger

Mittwoch, 29. Juli 2015

Es ist ja schön, dass sich Til Schweiger so lautstark gegen den rechten Pöbel zur Wehr setzt. Aber sich gegen solche Leute in Stellung zu bringen ist die Grundrechenart des Antifaschismus. Es gehört aber noch mehr dazu. Die Gleichung heißt generelle Menschenwürde. Und exakt da hat der Mann auch schon mal öffentlich versagt.

Faschisten waren ja nicht nur ausschließlich Rassisten. Sie verachteten das menschliche Leben. Nichts war ihnen etwas wert, wenn es nicht angepasst war. Zum Weltbild gehörte eben nicht nur, dass man gegen »mindere Rassen« hetzte, sondern auch gegen Arbeitslose, Kriminelle oder Schwule. Alles, was halt nicht ganz ins Schema passte, musste sich fürchten. Sexualstraftätern konnte demgemäß ja auch kein gewisses Maß an Würde attestiert werden. Und exakt das hat der Mann vor Jahren auch getan. Verbal. Er vertrat bei »Lanz« sehr aggressiv die Ansicht, dass solche Menschen keinen Anspruch auf Menschenrechte hätten. Das war starker Tobak. Natürlich erhielt er seinerzeit Applaus. Dergleichen kommt heute gut an. Wir sind ja so stolz auf unsere Errungenschaften. Nur für jeden sollten sie nicht gelten. Kurz und gut, damals war der Antifaschist der Stunde eher auf anderen Pfaden unterwegs. Wenn man die Leute (oder ihn) heute fragte, würden sie wahrscheinlich behaupten, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun habe.

So wie es heute zum guten Ton gehört, seinen rassistischen Untertönen freien Lauf zu lassen, gehört es auf der anderen Seite selbstverständlich auch zum guten Ton, gegen Nazis und neonazistische Parolen zu sein. Komischerweise gehört es zum guten Ton auf Arbeitslose zu schimpfen. Sie zu verteidigen ist eher so ein leiser Unterton. Und Schweiger ist auch da nur ein Schweiger. Und von Sexualstraftätern gar nicht erst zu sprechen. Da sprach er wiederum zu viel.

Es ist ganz ausgezeichnet, wenn jemand wie Schweiger Stellung bezieht. Keine Frage. Aber es ist wohlfeil. Irgendwie sind ja alle gegen Nazis. Gegen das Weltbild der Braunen und so weiter. Es geht mir auch gar nicht um Schweiger. Nur um diesen Typus, der diesen halbgaren Antifaschismus spielt und an anderer Ecke im Pulk der Menschenrechtsverächter steht. Wo ist der Aufschrei für Menschlichkeit und Menschenrechte sonst? Ist nicht auch der Einsatz gegen die Stigmatisierung von Arbeitslosen Antifaschismus? Ist es nicht auch wider der Barbarei, wenn man denen Rechte zuspricht, die gegen Gesetze verstoßen haben? Aber aus der Ecke kommt nichts. Eher das Gegenteil.

Hier weiterlesen...

Zu Ohren gekommen

Dienstag, 28. Juli 2015

»Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einen Shitstorm auszuhalten«, erklärte die Radiomoderatorin letzte Woche mal. Wegen dem Flüchtlingsmädchen, das weinte, weil sie so grob zu ihr war. Dem war nichts hinzuzufügen. »Wie es Angie hätte besser machen können, sagt uns kurz nach Zwölf unser PR-Experte.« Wie bitte? Angie? Ich lauschte einem Radiosender, der zu einer Anstalt des öffentlichen Rechts gehörte. Musste man da nicht mehr Seriosität erwarten? Oder ist das »Auf-Du-und-Du« im Merkel-Deutschland schon das Maximale an Seriosität, was man erwarten darf?

Früher klang es für meine Ohren immer mordsspießig, wenn jemand sagte: »Herr Doktor Kohl« - auch wenn er dasselbe ohne Titel sagte. Das schuf Distanz und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass da falscher Respekt mitspielte. Heute wäre ich froh um diese Nüchternheit. Lieber »Frau Merkel« als Angie. Das hat doch eigentlich weniger mit dem Respekt vor dem Amt zu tun, als mit der Grundbasis einer Berichterstattung, die auf Abstand bleibt. Wenn ich in meinem Umfeld Leute über Angie reden höre, dann widert mich diese Fraternisierung wohl an. Aber es ist immer noch was anderes, wenn öffentliche Sendeanstalten in diesen Stil verfallen. Und dass es keinen wirklich aufregt, zeigt viel von der Konstitution dieser Gesellschaft. Merkelismus mag vieles sein. Auch der Umstand, dass man eine kalte Person mit ihrem Vornamen kost, um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit unter der Kuratel eben dieser Person zu erzeugen.

Die Union dudelt den Song der Rolling Stones. Medien nennen sie so. Und in der Wählerschaft ist dieser Angielizismus schon lange angekommen. Warum tut man das? Wirkt es cool oder abgeklärt, wenn man die politische Machthaberin kost und duzt, während man in der Wirklichkeit buckelt, respektiert und wählt? Schafft das die Distanz, die man in einem alternativlosen System benötigt, um sich noch als autarke Figur selbst wahrzunehmen? Rückt man heran, um den immer größer werdenden Abstand zwischen Wunsch und Wirklichkeit in den Lebensrealitäten aufzufangen? Viele Menschen in meinem Umfeld nennen sie Angie, wenn sie irgendwas von ihr erzählen. Selbst wenn sie Belustigendes oder gar Negatives anmerken. Sie sind in vielen Fällen Opfer einer Politik, für die Merkel und ihre Wirtschaftslinie steht - und trotzdem ist sie für sie die Angie. Ist das ein Weg, die eigene Rolle herunterzuspielen? Fast wirkt es so.

Man muss ja nicht den gesamten Text von »Angie« singen. Eine Passage reicht schon und dann wäre alles gesagt: »With no loving in our souls / And no money in our coats / You can't say we're satisfied.« Und wo es dann heißt »you're beautiful«, da hören wir auf. Die Union singt dort weiter. Vielleicht auch nur ein Versuch der armen Männer dieser Partei, sich ob ihrer Alternativlosigkeit einzureden, dass sie ganz dicke sind mit der Dicken.

Hier weiterlesen...

Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt

Donnerstag, 23. Juli 2015

Nach der Bankenkrise hat sich nichts verändert. Der Finanzkapitalismus diktiert unser Leben. Man schreckt vor jeder noch so kleinen Korrektur zurück, wie die neuen Dispo-Regeln zeigen. Sie sind das kleinmütige Projekt einer politischen Klasse, die nicht anecken will.

Das Kasino war lediglich vorübergehend geschlossen. Wahrscheinlich stimmt nicht mal diese Aussage. Richtiger gesagt wäre wohl, dass es vorübergehend außer Betrieb war, weil es einen Fehler in der Software gab. Als man den mit öffentlichen Geldern und Bürgschaften überbrückt hatte, machten die Banken alles wie eh und je. Sie spekulieren weiterhin mit Lebensmitteln, bündeln faule Kredite zu neuen Wertanlagen und hoffen nach wie vor auf den Tag, an dem man endlich einen Lösungsansatz entwickelt, um auch aus Hundescheiße ein Aktienpaket zu schnüren.

Hier weiterlesen...

Wie ein Baum auf kleine Pilze

oder In eigener Sache.

Richtig urlauben werde ich nicht. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Aber einige Tage werde ich in meinem neuen Leben verbringen, weswegen ich in den nächsten zwei, drei Wochen nicht mehr ganz so regelmäßig meinen Senf auf die Würstchen schmieren werde. Ganz weg bin ich aber auch nicht.

Abhängen.
Als junger Mensch sah ich es nicht als bewiesen an, dass in Abwesenheit eines menschlichen Ohres der Umsturz eines Baumes im Wald Lärm verursache. Ja, vielleicht würde der Baum nicht mal im klassischen Sinne fallen, sondern erst dann so daliegen, wenn ein menschliches Auge es erfasst. Warum denn nicht? Konnte man es wissen? Gab es einen Beweis? Keiner war gültig, denn jeder Beweis setzte ja die Anwesenheit eines menschlichen Sinnesorganes voraus. Aber mittlerweile glaube ich, dass das Unsinn war, denn man kann es schon beweisen. Wenn ich mich jetzt phasenweise zurückziehe und nichts von dem Irrsinn konsumiere, der in der Welt geschieht, dann ist es ja auch nicht so, dass nichts passiert. Auch ohne meine Wahrnehmung geht es weiter, fällt allerlei um: Anstand, Moral, Solidarität, kontinentale Einheit und linke Regierungen. Ja, auch wenn ich der Merkel nicht zusehe, wie sie alles ruiniert, so ruiniert sie es trotzdem. Sie fällt laut und sichtbar wie ein Baum auf kleine Pilze und es ist so was von egal, ob ich zusehe oder zuhöre.

Und obgleich meiner temporären Ignoranz alles so geschieht, wie wenn ich aufmerksam wäre, glaube ich nun auch, dass Bäume geräuschvoll fallen, wenn keiner zugegen ist. Diese Frau ist der Beweis dafür.

Also, wenn ich nicht meinen Trott einhalte, dann nicht wundern. Ich mache Pause, Urlaub häppchenweise. Bin aber nie ganz weg, sondern melde mich zwischendurch zu Wort. Nutzlos wie immer. Aber was soll ich machen? Ich komme nicht aus meiner Haut. Aber hin und wieder braucht jeder das Biedermeier, also den Rückzug in die heimischen und befreundeten Kissen, die Abkehr vom Politischen, etwas Dumpfheit für das Gemüt, Unterhaltungsromane statt Bildungslektüre, seichte Runden bei Bier statt politischen Diskurs. Und all das genehmige ich mir. Vielleicht noch ein wenig mehr. Bis dahin, lauscht dem Rauschen fallender Bäume und trauert um die Pilze. Und wenn ihr ad sinistram doch noch unterstützen wollt - oder weiterhin, oder wieder mal, oder ausnahmsweise -, macht einfach.

Hier weiterlesen...

Knapp 1.000 Kilometer daneben

Mittwoch, 22. Juli 2015

Heiß, Frank-Walter. Ganz heiß. Die Richtung stimmte schon. Du hättest dich mehr nach Osten orientieren müssen. Havanna lag zu weit im Westen. Es wäre nur noch ein Katzensprung gewesen. Nach Guantánamo. Und noch näher lag Florida. Dort hättest du sogar einen Adressaten gehabt.

Letzte Woche gurkte ich mal wieder mit dem Wagen durch die Gegend. Ich hörte wie so oft Autoradio. Das meldete, dass der Steinmeier auf Kuba sei und dort die Einhaltung der Menschenrechte einforderte. Oh, du geographischer Simpel, dachte ich mir. Guantánamo liegt auf Kuba. Das stimmt zwar. Aber verantwortlich dafür ist nicht Fidel oder Raúl. Dazu hätte er rübermachen müssen. In die Staaten. Und wenigstens in den Osten der Insel. Irgendwas brachte er da durcheinander. Denn die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und damit Menschenrechtsverletzungen auf der kubanischen Insel, werden nicht von Kubanern begangen, sondern von Amerikanern. Und dann dachte ich an Murat Kurnaz und daran, wie diese militärische US-Enklave schon mal eine Rolle im Leben dieses deutschen Außenministers spielte. Und wie er es herunterspielte.

Ginge es ihm um generelle Menschenrechte, hätte er sich einen Mietwagen nehmen und der Autopista Nacional etwa 350 Kilometer in östliche Richtung bis Taguasco folgen müssen. Von dort ab wäre er der Carretera Central bis Palma Soriano gefolgt. Weitere 500 Kilometer wären das gewesen. Dort wäre er wieder auf die Autopista Nacional/A1 gelangt. Bei La Maya wäre er erneut auf ein Teilstück der Carretera Central gekommen und so nach einer Weile direkt auf Guantánamo gestoßen. Und auf Menschenrechte, die verletzt werden. Und auf Verantwortliche, die Menschenrechte verletzen. Florida wäre näher gewesen. Aber einen Fährbetrieb von Havanna aus soll es erst ab September oder Oktober geben. Und so wäre des Außenministers schnellste Verbindung zu Menschenrechtsverletzungen auf kubanischen Grund eben die Landroute gewesen. Nicht, dass in Fidels Kuba alles gut wäre. Oh, so naiv darf man nicht sein. Aber wenn schon, denn schon!

Er hat sich nur um einige Kilometer verhauen. Um ungefähr 1.000 Kilometer. Das ist für einen, der recht vergesslich sein soll, gar nicht mal so übel. Seit Kurnaz und dessen Geschichte glaubt man das ja gemeinhin von ihm. Oder will er Glauben machen. Und da sind 1.000 Kilometer daneben echt nicht viel. Wie der Kleine neulich, der beim Topfschlagen ganz warm war, aber das Ziel nicht fand. Am Ende hat er seine Gummibärchen trotzdem bekommen. So wie Steinmeier seine Aufmerksamkeit. Und den netten Nebeneffekt, mal wieder als anständiger Mahner wahrgenommen zu werden. Und Kurnaz? Der schlägt noch immer Topf und findet und findet keine Gerechtigkeit. Er kam übrigens nicht über die Autopista Nacional und die Carretera Central - und damit durch eine herrliche Vegetation - auf die kubanische Insel ...

Hier weiterlesen...

Aus fremder Feder

Dienstag, 21. Juli 2015

»Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen.«

Hier weiterlesen...

Lass dich nochmal drücken, Kanzlerin!

Montag, 20. Juli 2015

Und dann hat das Mädchen geweint. Und die Kanzlerin hat gestreichelt. Als Belohnung gewissermaßen. Dafür, dass das Flüchtlingsmädchen ihre Geschichte erzählt hat.

Es waren kindliche Ausführungen von Perspektivlosigkeit und fehlender Zuversicht, vom Verlust der neuen Heimat und der Furcht, ihre Träume nicht verwirklichen zu können. Dafür gab es letztlich Streicheleinheiten. Und von vielen Seiten böse Worte gegen den Hosenanzug. Volker Königkrämer zollt Angela Merkel im »Stern« hingegen Respekt. Sie habe sich nicht weggeduckt. Die Beleidigungen bei Twitter und Konsorten (»verlogenes Mistweib« etc.) seien falsch. Und da stimme ich ihm zu. Sie sind es tatsächlich. Denn es geht nicht um den Charakter dieser Frau. Ihre kalte Hundeschnauze wäre ihre Privatsache. Es handelt sich auch nicht um schlechte Erziehung oder fehlende Empathie. Es geht darum, dass sie die Galionsfigur einer Politik ist, die Menschen wie Frachtgut exekutiert. Und nebenbei gibt sie das Spiegelbild dieser Gesellschaft ab, in der hochglanzgelächelt, gefühlvoll gestreichelt wird, in der es aber eigentlich eiskalt zugeht.

Muss man also Respekt vor einer Frau haben, die das Opfer ihrer strikten Asylpolitik streichelt? Oder ist eine solche Aktion nicht eher Hohn? Und überhaupt, was ist mit der Rhetorik der Kanzlerin? Schieben wir mal beiseite, dass die Frau mit dem Teenager ein sehr kühles, ja geschäftsmäßiges Gespräch führte. »Deshalb muss das jetzt einer Entscheidung zugeführt werden«, sagte sie und meinte den Umstand, Asylbewerber schneller ausweisen zu können. »Entscheidung zugeführt« - spricht man so mit einem Mädchen, das von ihrem Leben spricht und davon, dass es Angst hat, dieses Leben abermals zu verlieren? Klar, das ist Kälte. Das ist nicht empathisch und zeigt, die hat keine Ahnung, wie man mit jungen Leuten spricht. Sie hat ja nicht mal begriffen, dass es nicht wegen Nervosität weinte, sondern wegen der Kälte, die sie spürte. Nur lassen wir das alles mal beiseite. Erwähnt wollte ich es allerdings haben. Die eigentliche Frage ist doch: Ist diese Frau nicht auch eine dieser Entwicklungen, die wir aus dieser neoliberalen Wirklichkeit kennen?

Was ich schlimmer empfand war ein anderer Aspekt dieser schrecklichen Rhetorik. Und zwar, als sie sagte: Hör mal, Kleines, es gibt noch viele Menschen, die in Flüchtlingslagern hocken und die können wir halt nicht alle aufnehmen. Was so ein Gedankengang mit einem Menschen in dem Alter macht, ist die eine Sache. Man hat es ja gesehen. Aber wieder mal so zu tun, als wollten alle in dieses Deutschland einbrechen und für ewig hier bleiben, die Heimat einfach für immer vergessen, das ist der Köder, den man als unumstößliche Wahrheit hinwirft und mit dem man Ressentiments schürt. Boot ist voll und so. Dass das Mädchen aber nun mal schon da ist und nicht in einem Lager steckt, zählte wohl gar nichts.

Sie spricht übrigens überdies hervorragend Deutsch. Sagte man nicht immer, dass Integration mit dem Erlernen der Sprache beginnt? Bittesehr, sie kann es! Was bringt es ihr? Sie bekommt gesagt, ihr aufgebautes Leben hierzulande wird enden und wird dann als Ersatz für diese Hiobsbotschaft geherzt. Ach, wie einfühlsam das Klima in diesem Land doch ist. Lauter nette Leute ...

Das ist der eigentliche Knackpunkt dieser Affäre. Wir haben uns zu einer Gesellschaft gewandelt, die ihre Ressentiments und Exklusivitäten, ihren sturen Kurs und ihre Hardlinerei, nicht mehr mit bitterer Miene durchboxt, sondern mit fröhlichem Gesicht. Bei Strauß wusste man noch, dass er ein Arsch war. Er hat sich nie verstellt. Heute sind sie alle glatt und tun so, als täte ihnen die Konsequenzen ihrer Politik herzlich leid. Warum machen sie sie es dann so und nicht anders? So ist es überall, in sämtlichen Bereichen: Arbeitslose nennt man nun Kunden, denen man gewisse Umgangsformen selbstverständlich zuspricht, die aber in der Sache wie Unrat behandelt werden. Moslems bekommen Anteilnahme, wenn man sie von Untergrundorganisationen aus tötet. Man streichelt sie. Aber in der Sache wissen wir doch: Der Islam ist das Problem, weil er so schrecklich gewaltbereit ist. Lächeln, herzen, verständig sein und trotzdem weitermachen mit dem Plan.

Nein, es geht bei alldem nicht um Merkel und ihre Hundeschnauze. Sie ist auch bloß so ein Symptom einer Politik, die lächelt, während sie Not verordnet, die Anteilnahme predigt, wenn sie tötet. Das hat System, weil es das System ist. Man lebt wie in einem Hochglanzsystem, in dem die Fassade schimmert. Und Sauereien lächelt man weg. Streichelt man weg. Wir sind so weich, wenn wir hart sind.

Wenn sich die deutsche Regierung mal wieder aufregt, weil griechische Karikaturisten die Kanzlerin als SS-Rottenführerin zeichneten, dann werde ich sie streicheln und dann in der Sache hart bleiben und sagen: »Tja, trotzdem, rechts geschiehts dir ja, die Zeichner mussten halt eine Entscheidung zuführen und haben dich gut getroffen. Aber - Och! - lass dich nochmal drücken ...«

Hier weiterlesen...

ad sinistram ist tot

Freitag, 17. Juli 2015

Jetzt ist es wohl passiert: ad sinistram ist tot. Jedenfalls habe ich das Gefühl. Wenn ich sage ad sinistram, dann meine ich nicht unbedingt diese bescheidenen Seiten hier. Ich spreche vom linken politischen Spektrum. Vom »Links um!«. Einen political turn wird es in so naher Zukunft nicht geben. Wir sind festgefahren. Linke Politik ist in Europa nicht durchsetzbar. Nicht unter diesen Vorzeichen. Wir sind als Linke, Humanisten, Egalitaristen oder wie man Alternatives auch immer nennen möchte, in die Defensive gedrängt. Das »Imperium der Schande« setzt seinen Siegeszug fort. Nicht unbedingt als strahlender Sieger - aber egal, es gewinnt letztlich trotzdem. Aber die Linke verliert an Boden - und das in Zeiten, in denen der Boden für linke Perspektiven fruchtbar wäre. Die Linke schabt hierzulande an den zehn Prozent. In anderen Ländern macht sie New Labour. Und kommen doch mal Linke an die Macht, brechen sie beim Druck, den Europa erzeugt, jämmerlich ein.

Der Zeitgeist ist nicht links, wie man das zuweilen liest. Das ist eine Lüge. Der Zeitgeist ist ein Rechter. Kein Faschist mehr. Er hat seine Stiefel abgelegt. Ein Nadelstreifen-Rechter. Die Yuppies haben unsere Epoche nachhaltig geprägt. Mitmenschlichkeit und sozialen Ausgleich haben sie nie gepredigt. Tja, man merkts. Nach deren Paradigma leben wir heute. Arrogant, egoistisch und rücksichtslos. Gemeinschaftsgefühl hat keinen Stellenwert mehr. Nur in Sonntagsreden. Wie kann eigentlich einer, der im Rollstuhl sitzt und auf Hilfe seines Umfeldes angewiesen ist, so wenig Empathie für Menschen haben, die jetzt Hilfe und Perspektiven brauchen?

Die Linke hat es auf dem gesamten Kontinent schwer. Erst eine so schwere Krise des Gemeinwesens hat mal wieder eine linke Regierung, die diesen Namen verdient, an die Spitze eines Staates gespült. Nach dem Sozialismus, den man einst geschaffen hatte, musste man links immer wieder mit diesem Gespenst ringen. Keiner wollte Sowjetmodelle. Verständlich. Und plötzlich war jeder Linke ein Wiedergänger von drüben. Als habe es linke Konzepte hüben nie gegeben. In so einem Klima verliert man Rückhalt. Dennoch muss sich die europäische Linke die Frage gefallen lassen, wieso es nicht klappt mit einer Reaktivierung einer starken Linken in Europa. Woran mangelt es? Sind die Konzepte, die sie vertritt, nicht praktikabel? Oder vermittelt man nicht richtig? Und dann diese ewige Zersplitterung linker Gruppen und Sektierer. Auch so ein Riesenfehler.

Alles was momentan links geschieht, geschieht aus Gründen der Moral. Damit man was tut in Zeiten, da die alternativlose Trostlosigkeit über uns gestülpt wird wie ein luftundurchlässiges Präservativ. Linke Abgeordnete sprechen im Bundestag, obwohl ihnen keiner zuhört. Und sie halten Referenden ab, die einige Tage später kassiert werden. Alles Makulatur. Andere betreiben ein Weblog und schreiben und schreiben und schreiben. Fast täglich. Sie verändern so viel wie alle anderen Linken derzeit: Nichts. Aber man tut es. Weil man muss. Weil es Leidenschaft ist. Man es für richtig erachtet und sich nicht nachsagen lassen will, man sei eingeknickt. Hasta la victoria siempre? Nun gut, wenigstens siempre. Nach victoria sieht es ja nicht gerade aus ...

Wer mag, der darf diese Sinnlosigkeit namens »ad sinistram« natürlich unterstützen. Denn es ist ja nicht so, dass ich jetzt einfach aufhöre. Gerade jetzt nicht! Und ich muss in dieser rechten Welt ja auch Rechnungen begleichen. Das geht entweder per Paypal (siehe rechte Seitenleiste) oder über den gewöhnlichen Bankweg. Meine Kontodaten teile ich auf Nachfrage gerne mit. Herzlichen Dank möchte ich an dieser Stelle mal wieder an alle richten, die mich seit langem unterstützen. Danke auch an alle, die dies künftig tun wollen.

Hier weiterlesen...

Oxi und der Pessimismus

Donnerstag, 16. Juli 2015

Europa ist nicht etwa tot, wie viele unken. Es ist jetzt nur das, was es immer werden sollte: Eine graue Bürokratie weitab von Alternativen, Demokratie und sozialer Ausrichtung. Vielleicht war Oxi das letzte Zucken alter Wertvorstellungen. Jetzt sind die Wege frei für Hochfinanz und TTIP.

61 Prozent der Griechen, die zur Urne stürmten, riefen laut Nein. Was für ein Einschlag das war am Sonntag vor zwei Wochen. Ich schlug mir auf die Schenkel. Damit hatte ich nie und nimmer gerechnet. Tsipras war damit ein Coup gelungen. Griechenland stand auf. Das hatte was von einer plebiszitären Revolution gegen ein Europa, das sich als Wirtschaftszone versteht, nicht aber als der Lebensraum von Europäern verschiedenster kultureller Herkünfte. Oxi bot zwar keine Alternative im eigentlichen Sinne. Aber es war zunächst mal das notwendige Nein zu einer Politik, die die Menschen in den Abgrund spart und die Perspektiven, Hoffnungen und Wünsche von Jung und Alt unter sich begräbt. Man kann viel über Geld sprechen, aber was ist ein Gemeinwesen wert, in dem Menschen keine Zukunftspläne mehr schmieden, weil alles trostlos ist? Das hat die Troika, das haben die Rädelsführer aus Berlin in all den Jahren nicht begriffen: Eine Kontinentalunion, die die Perspektivlosigkeit nicht nur duldet, sondern zur Agenda macht, schafft Tristesse und nicht etwa ökonomische Zuversicht, wie man das dieser Tage zuweilen liest.

Hier weiterlesen...

Nur kein Wortspiel mit einem H zuviel mehr

Mittwoch, 15. Juli 2015

Jetzt regt man sich über Dieter Nuhr auf. Wieso eigentlich? Der Mann ist nur konsequent. Nicht konsequent für Meinungsfreiheit. Das sollte man nicht verwechseln. Er ist konsequent für Herrschaftsmoral. So flutscht doch die Satire, die er meint.

Vor Jahren gab er sich verbittert. Kabarett in diesem Land sei so eine trockene Veranstaltung, weil man nur immer das Negative heranziehe, um die Leute zum Schmunzeln zu bringen. Aber so müsse Kabarett nicht sein. Es müsse viel mehr auch mal die positiven Seiten des Lebens präsentieren und damit Lacher ernten. Ich stellte mir vor, wie ein Georg Schramm die Rentenpolitik lobt. Oder Hildebrandt (damals lebte er noch) plötzlich Wortspiele macht, bei denen sich »Merkel« auf affirmative Begriffe reimt. Was unmöglich ist, weil es da nichts gibt. Aber mit der Kraft des positiven Denkens, müsste wohl auch das möglich sein. Kurz und gut, die Vorstellung war bizarr. Denn wenn Kabarett buchstäblich etwas bedeutet, dann den Mächtigen eben gerade nicht nach dem Mund zu reden. Ihnen Dinge an den Kopf zu schmeißen, die man im realen Leben nicht schmeißt. Weil man es nicht kann oder es nicht geht, es sich nicht geziemt.

Denn das Kabarett kommt aus der Bierstube - cabaret, französisch: Schänke. Dort nahm der Pöbel kein Blatt vor dem Mund. Allzugroßer Respekt vor der Macht verlor hier seine hemmende Wirkung. Alkohol und so. Der Mut wächst mit den Promille. Die kleine Kneipe war ein Ort, der nicht von Devotion vereinnahmt wurde, sondern von versteckter Offenheit gegen die, die Macht in ihren Händen hielten. Dieses Klima der Schänke, in der der jeweilige Machthaber ausgeschlossen war, es ist das Fluidum des Kabaretts. Dem Kabarett seine Zähne ziehen zu wollen, um ihm versöhnende Wirkungsweisen zu überschreiben, das widerspricht dem Wesen dieser Kleinkunst. Was Nuhr da damals forderte, das war nicht weniger als der Umstand, dass Flüsse nicht immer nass sein müssen. Oder Schnee in der Sonne nicht zwangsläufig Schmelzwasser wird.

Als dann sein »Satire-Gipfel« startete, konnte man sehen, was er meinte. Irgendwie fand er kein kritisches Wort zur Regierung. Alles wirkte leicht (und seicht) auf INSM getrimmt. Neoliberalismus in flapsiger Form. Wie ein Professor Sinn auf Hallimasch. Oder ein Hans Tietmeyer, der zu viel am Distickstoffmonoxid gesaugt hat. Seine derzeit kursierenden Statements zu Moslems oder Griechen sind da wie gesagt nur konsequent. Er wiederkäut Herrschaftsmoral. Stellt sich nicht auf die Seite der Randgruppen und von Verbalpogromen bedrohten Menschen, indem er witzig und profund auf deren Situation hinweist. Nein, das wäre ja negativ im Sinne der Agenda. Er macht was Positivies daraus und basht. Das stärkt den Zusammenhalt. Deutschland ist halt eine exklusive Gesellschaft. Der Kitt besteht daraus, andere aus der Gemeinschaft herauszuhalten. Sein Job ist es nun, die Grundlagen dafür zu schaffen.

Insofern verstehe ich die Aufregung mal wieder nicht. Nuhr hat seine Pfade ja gar nicht verlassen. Er macht, was er ankündigte und gewisserweise schon immer machte. Und die Medien wiederum machen, was sie immer machen, wenn sie von ihm schreiben: Sich eine Überschrift mit einem Nur ausdenken und dann ein H reinbasteln. So macht es der Mann ja mit seinen Programmen auch. Ich wünsche mir indes nu(h)r kein Wortspiel mit einem H zuviel mehr. Dass der Mann irgendwann kabarettistischer tickt, wünsche ich mir hingegen nicht. Man muss realisitisch bleiben. Aus dem wird nichts mehr. Und aus einem H zuviel wird nie ein guter Kalauer.

Hier weiterlesen...

... wenn man trotzdem lacht

Dienstag, 14. Juli 2015

»Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert, dass wir nicht besser regiert werden, als wir es verdienen.«

Hier weiterlesen...

Die Diktatur des Handelspatriziats

Montag, 13. Juli 2015

Die westliche Welt ist eine Diktatorenschmiede. Entweder hilft sie solchen in die Schuhe und nennt sie dann konziliant »Freunde« oder kritischer »Hurensöhne, aber unsere Hurensöhne« - oder aber, was vielleicht nicht weniger schlimm ist, sie schafft Narrative, die legitim gewählte Vertreter fremder Völker zu Diktatoren verklärt. Besonders dann, wenn diese Vertreter aus dem linken politischen Spektrum stammen.

In den letzten Wochen war Europa mal wieder um einen Diktator reicher. Alexis Tsipras hieß er. Der Mann war und ist zwar ein legitim gewählter Vertreter seines Volkes. Aber das hinderte viele Austeritätsjünger nicht daran, ihn als Tyrannen zu stilisieren. Schließlich führe er sein Volk in Not und Elend. Und wiegele es gegen die Europäische Union auf. Dass die Not und das Elend schon vor ihm da waren, mitunter Geschenke aus Brüssel und Berlin sind, hat man bei dieser Verdiktatorung einfach mal nicht erwähnt. Schweigen ist Gold. Verschweigen Fort Knox. Jedenfalls wenn es um Fakten geht. Üble Nachrede darf man nicht verschweigen. Die muss geradezu sein, um aus einen - nennen wir es mal etwas verkürzt - »linken Politiker«, einen Diktator zu destillieren. Tsipras ist da in guter Gesellschaft. Die Riege der Diktatoren, die die kapitalistische Welt für die gefährlichsten ihrer Art hält, sind »Linke«, Egalitaristen oder wie man sie sonst nennen mag. Es funktioniert letztlich immer nach demselben Prinzip.

Tsipras ist ein europäischer Präzedenzfall. Er ist der erste »Diktator« dieser rufschädigenden Art auf unserem Kontinent. Vorher gab es diesen Typus vor allem in Südamerika, laut Monroe-Doktrin immerhin nicht weniger als der Hinterhof der Vereinigten Staaten. Jetzt also auch hier. Der Linke als Tyrann. Auch auf dieser Ebene schreitet die Amerikanisierung der Verhältnisse voran.

Castro, Allende, Chávez und Morales: Sie alle gelten als Diktatoren, weil sie die Interessen ihrer Völker ernster nahmen, als es alle ihre Vorgänger taten. Es ging und geht ihnen um die Vergesellschaftung von Ressourcen. Und darum, ein gewisses Maß an Menschenwürde zu halten. Alle dürften sie keine Heiligen sein. Aber sie hegten Ansichten, die man durchaus als demokratisch im besten Sinne des Wortes halten konnte. Und alle lagen sie im Clinch mit den mächtigen Wirtschaftsbaronen aus dem Norden des Kontinents. Mit Regierungen von dort, die den Willen dieses »Adels« exekutierten. Erster Schritt immer: Man nennt diese legitim gewählten Leute Diktator. Das macht die Sache leichter. Das alles ähnelt jedenfalls den Vorgängen um Tsipras. Kein Wunder also, dass ihm Fidel Castro zum Oxi gratuliert haben soll. Denn Tsipras ist sein europäisches Spiegelbild.

Andere nennt man hingegen nicht Diktator, obgleich sie eher dorthin tendieren. In Peking regieren lediglich Handelspartner. Guantánamo ist kein Ort aus einer Diktatur. Wer das diktatorisch nennt, der pflegt Antiamerikanismus und zeigt nur, wie wenig Ahnung von Fairness und Freundschaft er hat. Mancher afrikanische Warlord bekommt Waffen geliefert und die Hände geschüttelt. Despoten aus Saudi-Arabien lädt man zu Firmenjubiläen ein. Viktor Orbán ging zwar aus freien Wahlen hervor, sein Antiziganismus gefährdet aber Freiheiten: Schon mal gehört, dass jemand dessen Rücktritt erzwingen will? Nie hat einer diesen Schreckensherrscher aus Budapest von institutionellen Treffen gejagt. Das widerfährt nur linken Finanzministern. Die Hardliner aus Kiew sind unsere Verbündeten. Nicht so wild, dass sie faschistoid auftreten und ein bisschen was von Tyrannei mit sich herumschleppen.

Nein, das Handelspatriziat hat klare Vorstellungen wie sich Diktatoren definieren. Sie sind nicht ruppig, gemein, exklusiv, hetzerisch oder gar kriegerisch. Sie sind Diktatoren, weil sie nicht bereit sind, das Spiel mitzuspielen. Weil sie Ökonomierebellen sind, die den Ausverkauf von Menschen- und Bürgerrechten nicht dulden wollen. Bloß deswegen erklärt man sie dazu. Einerlei, ob die Vorwürfe zutreffen - man hängt es ihnen an. Irgendwer glaubt immer, was er da liest und in den Nachrichten hört. Und wenn das Gerücht erst in der Welt ist, dann ist es gewissermaßen schon ein Stück Wahrheit geworden.

Das Handelspatriziat will die Diktatur des Proletariats nicht dulden. Selbst dann nicht, wenn es gar keine ist, sondern einfach nur ein normaler Schritt zur Autonomie von Völkern. Wenn also die Diktatur des Proletariats nichts weiter ist, als bloß das, was man geheimhin Demokratie nennt. Daher ziehen sie eine Diktatur des Handelspatriziats auf und taufen diese Veranstaltung »ökonomische Vernunft«. Die Schlechten sind die Guten und die Guten (oder sagen wir: die Besseren) sind die Schlechten. Verdrehungen allerorten. So läuft das. Verdrehungen sind systemimmanent. Ohne sie bricht der Laden auseinander.

Ab Ende des Jahres könnte dann auch Pablo Iglesias, Kopf von Podemos, in den Genuss dieser Machenschaft geraten. Ein weiterer Diktator, der in den Startlöchern sitzt.

Hier weiterlesen...

§ 140 SGB III, Zumutbare Beschäftigungen

Freitag, 10. Juli 2015

Das Stellenangebot über das Portal des Jobcenters klang wenig verlockend. Spargelstechen im Umland. Stundenlohn so niedrig, dass man nicht mal ein Drittel Bund Spargel dafür bekam. Dazu Plackerei, krummer Rücken und man sollte einen eigenen PKW haben, um an die Felder zu gelangen. Der ganz große Hauptgewinn. Ich klickte auf das Kreuzchen oben rechts und flüchtete so vom digitalen Sklavenmarkt. Drei Tage später hatte ich ein Jobangebot im Briefkasten: Es handelte sich exakt um diese Stelle. Das Angebot war natürlich eine Aufforderung, ein verbindlicher Marschbefehl. Die Sprachregelung der Behörde ist die Tünche, die die Erpressung kaschiert. Weil ich musste, rief ich dort an. Man sagte mir, ich sollte morgen ins hiesige Büro kommen.

Ich betrat den Laden und ein Mittfünfziger mit Wanst begrüßte mich nicht sehr herzlich. Solche wie mich hatte er wahrscheinlich zu Hunderte aufs Feld geschickt. Früher schickten sie sie »ins Feld«. Was für ein Glück, dass wir heute weiter sind.
   »Ich soll mich hier vorstellen«, sagte ich.
   »Setzen Sie sich, ich habe gleich Zeit für sie.«
   Er hackte auf seiner Tastatur herum. So sahen also die Kunden des digitalen Sklavenmarktes aus. Sie klimperten die Tasten und machten so ihre Offerten klar. Fleischbeschau körperlos.
   »Haben Sie schon mal Spargel gestochen?«
   »Nein, noch nie. Ich esse ihn nicht mal besonders gerne.«
   Das war gelogen. Ich mochte ihn sogar sehr, aber ich wollte meine Verachtung für sein Metier zum Ausdruck bringen.
   »Haben Sie einen Wagen?«
   »Nein, ich habe meinen Wagen abgemeldet. Konnte ihn mir nicht mehr leisten.«
   »Das ist schlecht. Melden Sie ihn doch wieder an.«
   »Bezahlen Sie mir die Kosten?«
   »Es gäbe noch die Möglichkeit, dass Sie mit dem Shuttle hinausfahren. Wir holen manche Mitarbeiter ab und fahren sie abends wieder heim. Als Service gewissermaßen.«
   Ich nickte nur. So eine Scheiße. Aber so war es immer. Sklaven verfrachtete man schon immer wie Sperrgut.
   »Der Stundenlohn ist ja nicht sehr hoch.«
   »Das sind unsere Standards.«
   »5,57 Euro ist standardisiert? Wer legt denn diese Standards fest?«
   »Wir haben Leute da draußen, die für noch weniger Geld arbeiten.«
   »Noch weniger?«, rief ich erstaunt aus.
   »Die Polen machen es mir für unter vier Euro.«
   »Sie machen es Ihnen? Draußen auf dem Feld? In welcher Branche sind wir hier noch gleich?«
   Der Kerl sah mich pikiert an. Er hatte ungefähr den Humor einer Bettwanze.
   »Wollen wir den Arbeitsvertrag festmachen?«, fragte er mich dann nach einem kurzen Moment peinlicher Stille.
   »Ich muss darüber nachdenken. Mir wurde beigebracht, nichts übers Knie zu brechen.«
   »Wollen Sie arbeiten oder nicht?«
   »Ja doch. Aber als mündiger Verbraucher muss man doch überlegen dürfen, ob man einen Vertrag unterschreibt oder nicht.«
   »Sie sind ja kein Verbraucher im Moment. Sie sind Arbeitnehmer. Oder jedenfalls ein potenzieller.«
   Er nickte mir zu, als wolle er mich auf den rechten Pfad führen.
   »Und als solcher soll man mir nichts dir nichts einfach was unterschreiben?«
   »Hören Sie, ich könnte jetzt eine Mail an das Jobcenter schreiben und davon berichten, dass Sie hier Mätzchen machen. Was meinen Sie, was dann los ist?«
   »Erpressen Sie gerade eine Unterschrift? Klingt so.«
   »Lesen Sie sich den Vertrag durch und rufen Sie mich morgen nochmal an, dann vereinbaren wir einen Termin. Aber ich brauche bald jemanden auf dem Feld. Zögern Sie nicht zu lange.«
   Er reichte mir den Vertrag und als ich ihn zusammenfaltete, sagte er, dass ich ihn nicht mitnehmen dürfe. Durchlesen sei in Ordnung. Und dann eine Nacht darüber schlafen, wenn es denn sein muss. Das musste mir reichen. Und es reichte mir wirklich, nachdem ich ihn gelesen hatte. 5,57 Euro pro Stunde. Zum Glück waren es genug Wochenstunden, sodass man mit einem kleinen Reichtum rechnen konnte. 45 Stunden immerhin. Mehrarbeit konnte es unter Umständen auch geben. Mit etwas Glück konnte ich mit 1.000 Euro brutto heimgehen. Und das nach einem langen und schweren Tagwerk. Da ist man zum Glück zu müde, um seine Groschen auszugeben.

Ich ging wieder heim, dachte nach und fand, dass ich doch nicht unbedingt arbeiten wollte. So ehrlich musste man sein. Der Kerl verkauft seinen Spargel am Markt und in den Läden zu einem Kilopreis, von dem ich als Spargelstecher nur träumen konnte. Das sah ich nicht ein. Also wurde ich krank. Das beschloss ich an diesem Abend so. So umschiffte ich eine Unterschrift und genas erst wieder, nachdem die Saison zu Ende war. Und genau diese Arbeitsverhältnisse sind mit dafür verantwortlich, dass der Krankenstand bei Langzeitarbeitslosen erhöht ist. Na gut, solche Arbeitsverhältnisse und der Umstand, dass Langzeitarbeitslose grundsätzlich nicht bei bester Gesundheit sind. War ich auch nicht, aber ich hatte es dem Wanst gar nicht erst gesagt. Man hätte es eh nur als Ausrede gelten lassen.

Hier weiterlesen...

Im Fokus

Donnerstag, 9. Juli 2015

Die »Bildzeitung« hat es geschafft. Sie hat sich aus ihrem qualitativen Nirwana befreit. Jetzt rangiert sie nicht mehr ganz unten in der Skala. Wer heute so richtig verblöden will, der greift nicht mehr primär zur »Bild«, der klickt lieber mal auf »Focus Online«.

Informiert wurde man bei »Focus Online« in den letzten Tagen nicht. Jedenfalls nicht auf journalistischen Niveau. Man las zwar etwas von Varoufakis und Tsipras. Aber nur von ihren teuflischen Plänen, ihrer Diktatur und dem Verrat an ihrem Volk. »So hetzt Tsipras seine Griechen gegen eine Einigung auf« oder »Nicht nur Syriza schafft Chaos: Die größten Flops der Linksregierungen Europas« waren so Schlagzeilen zur aktuellen Lage in Griechenland. Und unter »Sie erraten nie, wer Alexis Tsipras diesen Glückwunsch-Brief geschrieben hat«, konnte man ein Filmchen sehen, in dem man sich darüber mokierte, dass Fidel Castro – O-Ton: »Ikone« und der »Ober-Linke« - ihm Grüße sendete. Dass Varoufakis ein Bonvivant ist und Angela Merkel nun entschlossen handeln werde, diese »heimliche Königin Europas« (auch O-Ton), ließ man die Leser täglich wissen. Artikel über die eiserne Kanzlerin stehen meist zwischen Expertenmeinungen, die die Dreistigkeit und die ökonomische Dummheit der Griechen thematisieren. Wohlwollendes über Griechenland gibt es nicht.

Hier weiterlesen...

Ein, zwei, viele Oxis schaffen

Mittwoch, 8. Juli 2015

Oxi sollte der Gruß der europäischen Linken werden. Denn dieses Referendum in Griechenland macht trotz der Zustände dort Hoffnung. Das Nein zur Neoliberalisierung wurde endlich laut und deutlich formuliert. Oxi ist Selbstwertgefühl und ein Bekenntnis zu einer Ordnung, in der Kapitalinteressen nicht über den Menschen stehen. Lasst uns nun ein, zwei, viele Oxis schaffen.

Meinem Kind habe ich stets das wichtigste Wort verinnerlicht, welches ein Mensch von gewissen Format können muss: Nein. Dieses anti-affirmative Wort sei letztlich notwendig in einer Welt, in der einem Dinge zugetragen werden, die man für sich nicht haben will. »Nein« ist kein einfacher Weg. Wenn es zum Beispiel Nein zur Lehrerin sagen muss, weil etwas in Augen meines Kindes zu weit geht, dann ist das ein mutiger Akt. Und Teil des Reifeprozesses. Als Elternteil bin ich der Auffassung, dass ich diese Verweigerung seitens meines Kindes unterstützen muss. Jedenfalls nicht gleich verurteilen. Ich muss das Nein vielleicht nicht unbedingt als richtig erachten. Aber es hat eine Chance verdient. Und pauschale Aburteilung würde nur dazu führen, den Mut zur Negation zu untergraben. Nein zu sagen, Stopp, bis hierher und nicht weiter, ich möchte das nicht, das geht mir zu weit und so weiter: Das ist das allerwichtigste Wort des menschlichen Wortschatzes. Und in Griechenland heißt dieses Wort nun mal όχι.

Es war lange nötig, dass jemand Nein zu diesem Wahnsinn sagt. Zu einer Ökonomie, die die Menschen ausbluten lässt, ihnen die Würde nimmt und in Armut entlässt. In Griechenland war das Maß längst voll. Aber Oxi sollte ein Ruf für ganz Europa werden. Die Griechen haben uns gezeigt, dass man trotz größter Not noch Würde im Leib haben kann. Sie standen auf und sagten: »Nicht weiter, keinen Schritt mehr, ihr seid uns schon viel zu nahe gekommen.« Überall in Europa brauchen wir nun diese Haltung gegen den Neoliberalismus. Gegen Privatisierung, radikale Verwettbewerbung und laxe Steuerpolitik für Vermögende. Wohin eine massive Angebotspolitik führt, hat man nun letztlich gesehen: In den Widerstand. Und das macht den Verfechtern der Nachfragepolitik Hoffnung.

Wir brauchen Oxis in Spanien und Portugal, dort wo die Jugendarbeitslosigkeit eine Generation heranwachsen lässt, die perspektivisches Denken gar nicht mehr kennt. Den Irrglauben, dort hätte der Austeritätskurs gefruchtet, wie man das nun oft hört, muss man bekämpfen. Wir brauchen Oxis in Großbritannien, in dem der Thatcherismus noch immer fröhlich gegen die Arbeiterklasse vorgeht. Wir benötigen Oxis in den Teilen Europas, in denen man noch so satt vor seinem Abendessen sitzt, während Nachbarn, Freunde und Bekannte in prekarisierten Arbeitsverhältnissen darben. Ja, wie brauchen ein lautes Oxi in diesem Deutschland, das sich als Kontinentalprimus gibt, aber innerhalb seiner Grenzen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft fördert und die Lage vieler arbeitender Menschen sukzessive verschlechtert.

Oxi sollte wie gesagt der neue Gruß der europäischen Linken werden. Denn mit dem Nein fängt man an, die alten Fesseln abzulegen. Das Nein ist der semantische Ausdruck von Selbstbewusstsein. Zuerst richtet man sich auf und sagt genau dieses Wort. So beginnt der aufrechte Gang. In einem der vielen Teile von »Planet der Affen«, erzählt ein Schimpanse die Geschichte des Beginns der Antrophomorphisierung seiner damals noch versklavten Gattung. Irgendwann richtete sich ein Affe auf, stand seinem Peiniger gegenüber und sagte »Nein«. Nur dieses Wort. Damit nahm alles seinen Anfang. Dieses Wort sprengt Fesseln. Und genau deswegen müssen wir es auch laut schreien. Oxi ist der Beginn dieser neuen Haltung. Wir müssen es nur sagen wollen. Und wir können es sagen. Lo podemos - wir können es und von dieser Gruppierung kommt vielleicht bald das nächste Nein zur aktuellen Lage.

Hier weiterlesen...

Aus fremder Feder

Dienstag, 7. Juli 2015

»Diese Zeitung ist ein Organ der Niedertracht. Es ist falsch, sie zu lesen. Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel. Es wäre verfehlt, zu einem ihrer Redakteure freundlich oder auch nur höflich zu sein. Man muss so unfreundlich zu ihnen sein, wie es das Gesetz gerade noch zulässt. Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun.«

Hier weiterlesen...

Der beleidigte Mann in Europa

Montag, 6. Juli 2015

All die Debatten zu Griechenland, Grexit und Tsipras, die die letzte Woche erfüllten, haben eines ganz deutlich gezeigt: Es geht den Deutschen offenbar schon lange nicht mehr um Ökonomie, Politik oder ein irgendwie geartetes Krisenmanagement. Nein, sie sehen die Ereignisse als moralisches Kräftemessen in der Welt.

Neulich plauderten wir wieder über das Weltgeschehen. Ein Arbeitskollege und ich. Eigentlich ein vernünftiger Mann. Aber beim Thema Griechenland streifte er seine Ratio ab. Er fand, dass die Griechen die Deutschen seit langer Zeit nur verarschen. Geld wollten sie haben, aber die Schuld nicht begleichen. Als Steuerzahler interessiere ihn sehr wohl, wohin sein Geld gehe. Man kennt diese Sprüche ja. Jeder hat mindestens so einen Arbeitskollegen oder Nachbarn oder wer weiß wen in seinem Umfeld. Man spürte deutlich, dass da jemand beleidigt war. Irgendwie getroffen. Schrecklich eingeschnappt ob der griechischen Art und Weise. Die ganze Argumentation, die er sich in jenen gleichgeschalteten Medien aufgegabelt hat, die nun in Nibelungentreue zu Troika stehen, hatte den Duktus eines beleidigten Mannes in Europa. Kein Wunder, denn dieser Unterton bestimmt die ganze Berichterstattung. Eine rationale Ebene gibt es in dieser Angelegenheit schon lange nicht mehr.

Das Bild der Griechenland-Affäre wird eindeutig von beleidigter Rhetorik überlagert. Von einem sachlichen Umgang mit den Entwicklungen ist kaum noch die Rede. Es geht um Verarschung, um die Wut, die einer hat, wenn ihm übel mitgespielt wurde. Verletzte Gefühle halt. Und zu guter Letzt geht es damit auch um Moral. Nicht um Pekuniäres. Nicht um Ökonomie. Oder um Politik oder was für eine Kategorie auch immer. Griechenland und seine Folgen findet als moralische Debatte statt. Als eine Moral der beleidigten Leberwürste.

Die Debatte wird nur bedingt als Melange aus Thesen, Antithesen und letztlich Synthesen bestritten. Beleidigte neigen nicht dazu, dem Sachverhalt, der sie beleidigt hat, mit gebotenen Abstand zu begegnen. All die Zeitungsleser, Radiohörer, TV-Zuschauer und Webnews-Surfer sind zum Bestandteil einer Debattenkultur geworden, die nicht aufklären und abwägen und damit informieren will, sondern dieses dumpfe Gefühl der Wut und des Eingeschnapptsein aufgreift, um damit das bisschen Objektivität in dieser Angelegenheit im Ärger verrauchen zu lassen.

Das eingeschnappte Lebensgefühl ist ja ohnehin eine deutsche Angewohnheit. Dieses »Wir gegen die Welt!« beeinflusst die Wahrnehmung, die die Deutschen von der Welt haben, immer stark. Das hat einen Weltkrieg verursacht. Man war damals auch der beleidigte Mann Europas und hatte genug von all den Beleidigungen, die man allerorten witterte. Danach zog sich die beleidigte Haltung zurück. Aber jetzt ist sie wieder da. Man fühlt sich seit Jahren unverstanden, zurückgesetzt und glaubt doch, dass man so viel Gutes in Europa und der Welt tut. Bezahlen, Wirtschaft ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen, Waffen liefern. So viel notwendige Dinge - und keiner dankt es »uns«. Seit Jahren ist man hierzulande der Ansicht, dass Deutschsein vor allem bedeutet, von allen Herrenländern ausgenutzt und ausgebeutet zu werden. Das ist die Wurzel der Wut und des Beleidigtseins. Jetzt sind es eben die Griechen, die dieses Weltbild abermals bestätigen.

Die Chronologie der Wahrnehmung: Zuerst ist da das Gefühl, dass man zu kurz kommt. Nicht ausreichend gewürdigt wird. Daraus fabrizieren die Opinionleader dann Verärgerung und fachen die allgemeine Wut an. Man grenzt sich mental ab, zeigt mit den Finger auf die, die verägern und verleiht Attribute, um schön schwarz und weiß malen zu können. Hier kommen Fleiß und Faulheit, »Bruder Leichtfuß« und »ehrlicher Makler« und weitere andere Kategorisierung ins Spiel. Und ehe man sich versieht, wird aus einem Sujet, das bestenfalls für einen sachlichen Diskurs taugen würde, ein täglich wiederholtes, täglich verstärktes, täglich indoktriniertes moralisches Traktat.

Das deutsche Wesen, an dem die Welt genesen soll, war immer Moralia. Wenn die Welt so würde, wie es die Menschen sind, die auf jenem Erdenplatz leben, den Gott persönlich geküsst hat, so würde es in der Welt besser und fairer zugehen. Das ist die Bestimmung eines moralisch gewählten Volkes, das sich zuweilen so herrisch aufführt, dass man ahnt, welches Diktat Moral sein kann. Wer die griechische Tragödie unserer Zeit als moralisches Schauspiel begreift, der begreift die kapitalistischen Funktionsweisen nicht. In diesem System gibt es keine Moral. Und jetzt eine zu bemühen ist absurd und eigentlich nicht systemrelevant. Aber damit macht man Stimmung. Feindbilder erhalten das System. Und insofern ist die Moral innerhalb eines amoralischen Komplexes doch systemrelevant, weil systemerhaltend. Der beleidigte Mann Europas ist eine prokapitalistische Leberwurst. Wenn er seine Eingeschnapptheit und seinen moralischen Duktus abstreift, haben wir gute Chancen, den Irrweg zu verlassen. Ansonsten ersticken wir in einer Moral, die uns lehrt, dass Geld alles und Gemeinwesen nichts ist.

Hier weiterlesen...

Είμαι Ελληνικά!

Freitag, 3. Juli 2015

Ich würde am Sonntag mit Nein stimmen. Also wenn ich Grieche und wahlberechtigt wäre. Nicht aus vollster Überzeugung, weil ich etwa glaubte, ohne Euro gehe es uns Griechen dann besser. Sondern aus verletztem Stolz. Weil genug genug ist.

Exakt dieser lädierte Stolz ist ein ganz wichtiger, vielleicht sogar der allerwichtigste Punkt, den die Medien in ihrer Berichterstattung kaum beachten. Sie reden viel über Auswirkungen und Volksverrat der Regierenden. Über ökonomische Vernunft oder das, was sie dafür halten. Doch dass viele Griechen das Referendum nur deshalb für eine gute Idee halten, weil sie darin endlich aussagen können, dass es genug ist und dass sie nicht mehr länger gewillt sind, die abstrakte Verfügungsmasse europäischer Schreibtischtäter zu sein, kommt in der Troika-Logik nicht vor. Was ist die Rettung ihres Landes wert, wenn sie nachher noch weniger Chancen auf einen Arbeitsplatz, Bildung oder Medizin haben? Jetzt ist es schon beschissen. Die Steigerungsform von beschissen lautet »immer weiter dem Austeritätskurs folgen«. Alleine wenn ich die arroganten und abgehobenen Mienen der Finanzminister und der Troika im griechischen Fernsehen sehen würde, wüsste ich schon, wie ich zu votieren hätte. Vernunft hin oder her. Die Ratio ist in manchen Lebenslagen kein Kriterium mehr. So auch hier.

Man nenne das Sturheit oder dumm und darüber hinaus für die Lebensrealität nicht zielführend. Aber man muss sich weite Teile des griechischen Volkes als tief im Stolz verletzte Menschen vorstellen. Über Jahre wurden sie bevormundet und langsam trockengelegt. Über Jahre ist ihr nationales Parlament eine Puppenkiste voller schlenkender Marionetten gewesen. Kein Wunder also, dass diese linke Regierung weitaus nationalistischer auftrat, als es die konservativen Vorgängermodelle waren. Das musste sie gewissermaßen tun, um diese Entmündigung zu durchbrechen.

Es kommt bei der Entscheidung am kommenden Sonntag in erster Linie nicht auf Soll und Haben an, auf das Abwägen von Für und Wider. Das Referendum ist eine emotionale Sache für die Menschen in Griechenland. Es ist Wut, Enttäuschung und es ist das über viele Jahre geschliffene Bewusstsein am Start, dass man nicht mehr bereit dazu ist, die entstandene Armut noch weiter zu beschränken. Auf dieser Grundlage fußt die Entscheidung der griechischen Regierung, die Zukunft des Landes in die Hände derer zu legen, die diese Zukunft erdulden müssen.

Aber natürlich geht es in zweiter Linie auch um weniger gefühlsbetonte Dinge. Es geht nicht um Euro oder Drachme, es geht nicht um Verbleib in der Union oder Austritt - es geht viel mehr auch darum, dieser Art von Austeritätspolitik (Privatisierungen, Senkung des Sozialstandards usw.) eine Abfuhr zu erteilen. Europa soll sich nie mehr anmaßen, mit einem anderen Mitgliedsstaat so zu verfahren.

»Jeder Mensch von Kultur hat zwei Vaterländer: das seine - und Frankreich.« Dieser Satz stammte von Thomas Jefferson und drückte den tiefen Respekt vor der Kultur der Aufklärung aus, die Jefferson (der lange Zeit als Diplomat in Paris weilte) sehr befürwortete. Heute kann man sagen, dass jeder Mensch von Aufklärung auch eine griechische Seele in sich tragen sollte. Wer möchte, dass diese neoliberale Brachialpolitik vor ihren Scherben steht, der ist am Wochenende voll und ganz Grieche.

Είμαι Ελληνικά!. Ich bin Grieche. Denn ich weiß auch, dass es für die Menschen dort so oder so dramatisch wird. Ob mit oder ohne Sparauflagen. Sie werden es ausbaden. Und dann kann man genauso gut auch Nein sagen. Sich abwenden und den Vätern und der Mutter der Austerität eine Niederlage erteilen. Auf, Landsleute im Geiste, sagt Nein und sprecht für alle Europäer, die die Verfahrensweise mit eurem Land seit Jahren verurteilen! Dieses Europa, dass euch Kredite gewährte, damit ihr Kredite abbezahlen könnt und euch immer tiefer in die Schuldenspirale stieß, damit Euro und Wirtschaftsinteressen nicht angetastet würden, hat nichts anderes verdient, als zu Bruch zu gehen.

Grieche zu sein kann am Sonntag heißen, den Anfang von Ende einer Union einzuleiten, die völlig versagt hat. Grieche zu sein kann am Sonntag heißen, Europa in ein neues Zeitalter zu katapultieren. Wie immer das dann gemeint sein mag. Vielleicht geht es den Austeritätskriegern ja an den Kragen und vielleicht wählt ihr Merkel ab, wenn wir es schon nicht können ...

Hier weiterlesen...

Alles Gute, ihr ewig Ewiggestrigen!

Donnerstag, 2. Juli 2015

Die erzkatholisch geprägten Iren sprachen sich neulich in einem Referendum für die Ehe von Schwulen und Lesben aus. Auch der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hält die Homo-Ehe mittlerweile für legal. Nur die Union in diesem Lande läuft mal wieder dem Weltgeist hinterher.

Die Christlich Demokratische Union Deutschlands hat dieser Tage Geburtstag. Sie macht das siebte Jahrzehnt voll. Und alt sieht sie tatsächlich aus. Wie eine Greisin, die in einer Welt lebt, die ihr völlig abhanden gekommen ist; die für sie fremd wurde, weil sie nicht mehr die Welt ist, die sie mal war. Die Union ist eine gestrige Veranstaltung. Das wäre nicht so schlimm, wenn sie nur gestern regiert hätte. Das Problem ist, dass sie es heute tut. Und wahrscheinlich auch morgen. Wenn Post-Demokratie in Deutschland überhaupt etwas bedeutet, dann der Umstand, dass man dieser Merkel nicht ledig wird.

Hier weiterlesen...

Angst verleiht Prügel

Mittwoch, 1. Juli 2015

Die Polizei in Hagen rüffelt Eltern. Sie sollen ihren Kindern keine Angst machen mit der Polizei. Die Kinder »sollen zu uns kommen, wenn sie Angst haben...und nicht Angst vor uns haben«, erklärt sie. Nicht übel. Vielleicht ist in Hagen die Welt ja noch in Ordnung.

Blöd ist nur, dass man in diesem Land schon Angst haben muss vor der Polizei. Nicht unbedingt als Kind. Eher als Bürger, der nicht weicht und der protestiert. Oder wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Amnesty International gab bereits vor Jahren zu Protokoll, dass die Polizeigewalt in Deutschland anwachse. Immer wieder wird unkontrolliert auf Menschen eingeschlagen, die sich nicht sofort der Staatsgewalt beugen wollen oder können. Weil sie zum Beispiel autistisch sind oder dergleichen. Und wenn man auf Demonstrationen geht, dann begegnet einem die Polizei mit Schild, Schlagstock und Sturmhaube. Wie Roboter stehen sie vor einem und eskalieren manche Situation unnötig. Neulich auf einer Kundgebung gegen Nazis habe ich gesehen, mit welch maßloser Härte sie einen Demonstranten, der in einen verbalen Streit mit einem Polizisten geriet, auf den Boden zogen. Acht oder zehn Beamte gegen einen unbewaffneten Zivilisten, der bestenfalls ein Maulheld war.

Dummerweise kann man Kindern kein Video von den Protesten von Stuttgart 21 zeigen. Oder von Blockupy. Und auch sonst geistern im Netz Videoaufnahmen herum, auf denen man sieht, wie Polizisten mit Zivilisten umgehen. Sie prügeln, drücken Arme nach hinten und teilweise »machen sie von der Schusswaffe Gebrauch, aus der sich dann ein Schuss löst«. Zeigt man das alles Kindern, dann kann die Hagener Polizei noch so dringlich appellieren, dass Kinder keine Angst vor ihr haben dürfen. Die Polizei in diesem Land macht seit Jahren alles dafür, dass man sich vor ihr fürchtet. Sie hat ihre Bürgernähe auf der Straße aufgegeben und reagiert mit blanker Gewalt. Polizeiausbilder meldeten letztes Jahr, dass die gezückte Waffe zur Routine der Polizei werden sollte. Kann man da noch mit Angstlosigkeit werben?

Kindern Angst zu machen ist wahrlich dämlich. Eltern sind manchmal so. Hin und wieder ist man überfordert. Dann kommen solche Sprüche heraus. Jeder von uns hat das mal getan. Die besten Eltern unter uns ganz sicher auch. Jetzt aber Eltern quasi zu verurteilen, weil sie den Kindern Angst vor den Polizei einflüstern, das ist nicht berechtigt. Man kann Angst haben. Muss es vielleicht sogar. Mit einer PR-Masche, die die Eltern ins Gebet nimmt, verlagert man das Problem unpassenderweise in die Privathaushalte. Nur kriegt man die Furcht nicht in den Griff, nur weil man plötzlich Eltern verantwortlich macht. Mit der Polizei in diesem Lande, die einerseits als politisches Instrument fungiert und andererseits ein negatives Menschenbild beim Umgang mit den Bürgern auf der Straße zum Leitmotiv erklärte, ist jedenfalls kein sorgenloser Spaß zu machen. Nirgends in Deutschland.

Auch nicht im vermeintlichen Idyll in Hagen übrigens. Vor sieben Jahren hat die dortige Polizei einen unter Drogeneinfluss stehenden Mann auf den Bauch liegend fixiert. Er litt unter einen schizophrenen Schub und 13 Beamte traktierten den Mann. Bis zu dessen Atemstillstand. Nach einigen Tagen im Koma starb er. Tja, auch in Hagen muss man sich fürchten. Aber liebe Eltern, erzählt das nicht euren Kindern! Sie sollen doch denken, dass die Welt noch in Ordnung ist.

Hier weiterlesen...

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP