Mächtig ergriffen

Mittwoch, 30. Januar 2013

oder Der Machtergreifung gedenken und die Machtergreifung betreiben.

Vor exakt achtzig Jahren haben sie ihn eingerahmt, ihn sich engagiert. Die übliche Tour des Konservatismus, den Pakt mit der Teufelei als etwas hinzustellen, das hochvernünftig und alternativlos sei. Das Teuflische hat sich seither verändert - die konservativen Gesichter auch. Die Masche ist aber irgendwie immer dieselbe.

Mächtig ergriffen sind sie am heutigen Tage. Auf den Tag genau achtzig Jahre ist es nun her, dass die Demokratie zu Weimar endgültig erlegen ist. Und gleichzeitig steht die Demokratie heute am Scheideweg, weswegen die im Gedenken schwelgenden Funktionseliten dieser Republik allerdings weniger ergriffen sind. Sie rufen Nie wieder! und schon wieder gibt es eine Gefahr, die man als alternativlos und hochvernünftig hinstellt. Eine ohne Fliegenschissbart und ohne Zuhälterfrisur. In einem Zeitalter, da alles auf Hochglanz gedruckt, in dem alles mit steriler Politur bepinselt, in der aalglatte Flächen, weiche Brüche und manierierte Kantenlosigkeit sowohl architektonisches als auch gesellschaftliches Renomée besitzen, sehen auch Gewaltmenschen ansprechender aus.

Machtergreifung nannten die Machtergreifer selbst ihren für damalige Verhältnisse legalen Aufstieg. "... alles ging streng "legal" vor sich, mit Mitteln, die durchaus in der Verfassung vorgesehen waren, "Notverordnungen" des Reichspräsidenten zunächst und schließlich einem Beschluß, die unbeschränkte Gesetzgebungsgewalt auf die Regierung zu übertragen, gefaßt von einer Zweidrittelmehrheit des Reichstages, wie sie für Verfassungsänderungen vorgesehen war", schrieb Sebastian Haffner dazu in seiner Geschichte eines Deutschen. Die heute gefährdete Demokratie wird nicht zum Opfer von illegalen Bestrebungen, sondern von legalisierten Zuständen. Auch sie ergreifen die Macht nicht, sie bekommen sie garantiert, gesetzlich zugeschustert - man rahmt die Marktradikalität ein, engagiert sie sich.

Der Vergleich hinkt natürlich. Muss er. Kaum etwas ist in der Geschichte vergleichbar. Man kann, wenn man genau sein will, nichts miteinander vergleichen. Alles Äpfel und Birnen und noch so viel anderes Obst mehr. Nichtsdestotrotz gibt es immer einzelne Positionen, die sich etwas gleichen, die Licht und Schatten auf das werfen, was sich aktuell ereignet. Marx täuschte sich, als er irgendwo bemerkte, dass sich "weltgeschichtliche Thatsachen und Personen" einmal "als große Tragödie" und ein zweites Mal "als lumpige Farce" ereignen würden. Richtiger wäre die Feststellung gewesen, dass sich Geschichte immer als Tragödie scheinwiederhole - und gelegentlich auch mehr als zwei Mal.

Unsere zeitgenössische Tragödie ist keine, die mit hasserfüllter Stimme spricht; keine, die von jetzt auf gleich ermächtigt wird; keine, die eine Führergestalt benötigt. Aber sie ist gleichwohl tragisch für viele Menschen. Und die Ermächtigungsarbeit, die Legalität als Mittel zur gesellschaftlichen Verankerung der Ideologie, aber auch die Exklusionsbestrebungen für einen Teil der Gesellschaft, machen einen dergestalt hinkenden Vergleich doch wieder zu einer gerechtfertigten Sache.

In einer Machtergreifung leben wir seit Jahren, vielleicht Jahrzehnten. Das Primat der Politik schwindet zusehends. Bundestagsabgeordnete sind mit Diäten bezahlte Angestellte der Privatwirtschaft; Regierungen sind der verlängerte Arm von Konzernen. Die Finanzindustrie und die Lobbyverbände allerlei Sorten griffen nach der Macht und halten sie seither schön fest - bloß geben sie es nicht zu. Wir befinden uns in einer Situation nach der Demokratie. Was uns blieb sind Demokratierituale, parlamentarisches Brauchtum und eine pseudopartizipierende Liturgie. Täglich leben wir mehr in Zeiten der Machtergreifung. Diese Ökonomie der Eliten will ihre Macht in Schulen, in Behörden und im Arbeits- und Sozialwesen etablieren und hat sie teils schon dort eingepasst und verschweißt.

Machtergreifung ist dauernd. Und heute denken wir mal an eine. Wir leben im Rückblick und verlieren unsere Gegenwart aus den Augen. Rückwärts immer, vorwärts nimmer. Natürlich ist die Rückschau existenziell. Man muss seine Vergangenheit kennen, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Binsensprüche natürlich - aber zutreffende. Wenn die Vergangenheit allerdings nur dazu dient, die gegenwärtigen Prozesse zu übertünchen, dann wird es verwerflich. An die eine Machtergreifung gedenken und die amtierende Machtergreifung betreiben ist eine Sauerei. Aber genau so läuft es immer. Vor Jahren betrieb man eine Art journalistisch angeleiteten Gesinnungs-Pogrom gegen Arbeitslose - danach war die Genetik der Araber dran - und im Bundestag repetierten sie am Holocaust-Gedenktag Nie wieder! Nie wieder! Diese Verlogenheit nennt man Verantwortung vor der Geschichte.

Auch so ein Vergleich verschiedener Obstsorten - aber er hat seine Berechtigung, denn einst nährte man erst ein Klima, dann kam es zur allgemeinen Stimmung, zum Befürworten und Wegschauen, dann zur Exklusion und später zum bis dahin Undenkbaren. Das Undenkbare war nicht einfach so in die Gesellschaft getreten, sondern vorbereitet worden. Nie wieder! appellieren und gleichzeitig die Vorbereitungen ungestraft und ungesühnt lassen, ist schon ein sehr perverser Gebrauch von Rückschauhalten. Ähnlich ist es nun bei der Machtergreifungschose.

Es gibt einen Stichtag zum damaligen Antritt der Dunkelheit. Eben dieser 30. Januar 1933 - in sechzig, achtzig oder hundert Jahren wird es an einen Stichtag mangeln. Die Machtergreifung der neoliberalen Ökonomie in jeden noch so banalen Lebensbereich, die Durchdringung der Lebensrealität mit Krämerjargon und einem unhaltbar biologistischen Menschenbild - all das wird nicht auf einen Tag gelegt werden können. Zu schleichend war der Prozess, zu still, zu abseits von den lauten Kanälen. Aber klar wird es dennoch immer mehr: Sie haben die Macht ergriffen. Ohne Notstandsgesetze durch den Bundestag beschlossen, dafür mit eingeflüsterten Notstandswarnungen in Hinterzimmern.

Zynisch gesagt: Man hat aus der Geschichte doch etwas hinzugelernt - nicht die Gesellschaft hat gelernt, nur die, die die Macht ergreifen wollen, haben ihre Lehren daraus gezogen und ergreifen die Macht nun effektiver als alle Machtergreifer vor ihnen.



19 Kommentare:

Inglorious Basterd 30. Januar 2013 um 08:06  

Die große Masse der Bevölkerung, die das ändern könnte, ist zudem genauso wie damals phlegmatisch und von anhaltender Lethargie geprägt. Heinrich Heine hat einmal gesagt, "dem Deutschen fehlt zum Hunde nur der Schweif zum Wedeln".

flavo 30. Januar 2013 um 08:56  

@ Inglorious Basterd: Nicht nur die Deutschen sind zu phlegmatisch und lethargisch. Es geht so in den meisten Nationen zu. Mir ist es zumindest von vier weiteren europäischen Nationalcharakteren bestens bekannt, dass die eigene Nation immer irgendwie sei und im Ausland es besser sei. Dies ist eine Rede, die anscheinend zum Konstrukt Nationalität gehört und ist somit redundand und vernachlässigbar.

Alle europäischen Nationen haben in ihrer Geschichte die Erfahrung von Herrschaft, von Obrigkeit und Unterwürfigkeit, von Niedertracht und Hochglanz, von Gehorsam und Befehl produziert. Diese Erfahrungen sind immer noch aktualisierbar, wie Fusstaupfen, in die man (als Herrschender) noch immer treten kann.
Und der Neoliberalimus hat in vielen seinen Facetten diesen scheinbar gestrigen Autoritarismus intus: nur zwängt er das Verhalten nicht mehr so gewaltvoll in die geforderte Schablone, sondern hat sich eine neue Raffinesse ausgedacht: die autoritäre Forderung besteht ja noch zu Hauf, nur heißt es jetzt: du kannst es auch lassen, aber dann wirst du in der eingerichteten Ödnis dein Verderben finden oder dein Glück nach deinem Massstab. Der Akt der gewalttätigen Verhaltensformung ist gewichen einer Verwahrlosungsoption. Derart gab es eine Metamorphose der Herrschaftsmechanismen: freiwillige vs. gewaltvoll erzwungene Konformität wurde zu freiwillige Konformität oder freiwillige Verwahrlosung. Hier hat man sich zweifellos erfolgreich eines Schandfleckes von Herrschaft entledigt. Man kann nun wählen. Man muß nicht. Man kann sogar frei dagegen sein.
Aber warum geht das? Es scheint, als seien in der Anordnung von Herrschaft Elemente neu moduliert worden, die es ermöglichten, fortan freiwillige Nichtkonforme, gewissermaßen freie Radikale zu absorbieren. Sie stören nicht, sie sind keine Gefahr. Dies ist eine wichtige Innovation im Bereich Herrschaft. Wäre man ein Unternehmer, es stünden Schlangen von Kunden vor der Tür. Externe Diktaturen erhalten daher vielleicht auch auch ihre Bedeutung: sie rufen den Menschen die malignen Formen der Zwangsgewalt in Erinnerung, während man im neoliberalen Universum anscheinend im Reich der freien Wahl west. Oh, dubist Arm. Na, zumindest hast du wählen können!
Konformität oder Verwahrlosung mit ein paar Abschattungen dazwischen. Man kann es auch so sehen: es ist eine äußerst solide Herrschaftsanordnung im Vergleich zu anderen älteren Formen. Diese ertrugen Widerstand nicht und mußten ihn abwürgen bzw. vorsorglich gar nicht aufkommen lassen. Es ist gelungen so weit oder tief auszuholen und einen austaffierten Raum zu schaffen, der Abweichlern, Widerständlern und Nichtmitmachern den Schein eines freien Raumes gewährt. Sie agieren in einem Raum, der sie beschränkt und der ihre Aktivitäten wirkungslos bleiben läßt, den sie selbst aber für das Gegenteil halten bzw. wenn nicht, so reicht doch nicht einmal die Phantasie dazu, diesen Raum zu transzendieren sei. Im Falschen ein Bewegungsraum für das Richtige. Total irre eigentlich. Ein inverses Gefängnis: man ist nicht im zu Kleinen eingesperrt, sondern im zu Großen ausgesetzt.

MKM 30. Januar 2013 um 09:12  

Dazu am Wochenende meine Frau " Du immer mit deinem Politikkram! Uns geht es doch gut." Tja was soll ich denn dazu sagen?

Anonym 30. Januar 2013 um 09:21  

Ein sehr gelungener Beitrag! Vor allem der schleichende Charakter der Machtergreifung, die Macht der Gewohnheit, die Banalität des Normalen ist gut herausgearbeitet. Gewerkschaften sind nicht verboten, sie sind korrumpiert. Die Medien unterliegen keiner Zensur, sie gehorchen lediglich den Gesetzen der Ökonomie. Polizei und Justiz sind demokratisch verfasst, aber ihre Organe wissen, was von ihnen erwartet wird. Diktatorisch ist nur das Exportprimat. Ihm ordnet sich alles unter.

Anonym 30. Januar 2013 um 09:36  

"Wenn die Vergangenheit allerdings nur dazu dient, die gegenwärtigen Prozesse zu übertünchen, dann wird es verwerflich."
Dieser wunderbare Satz von Ihnen sagt alles!

aebby 30. Januar 2013 um 10:42  

Danke für dieses klaren und präzisen Text. Dieser Abschnitt

In einer Machtergreifung leben wir seit Jahren, vielleicht Jahrzehnten ...

fasst die Situation unserer Tage in wenigen Sätzen präzise zusammen.

Nobbi 30. Januar 2013 um 11:29  

Inglorious Basterd, wenn es tatsächlich ein ur-deutsches Problem ist und Franzosen, Spanier, Italiener usw. eben nicht "zum Hunde nur der Schweif (Schwanz?) fehlt", wäre die zunehmende Auflösung des Staates in der EU ja eine Lösung.
Wie lautet das Heine-Zitat noch vollständig? Es findet sich so nicht im Netz.

Anonym 30. Januar 2013 um 11:58  

Kein Stichtag lieber Roberto J. de Lapuente?

Wie wäre es mit diesem Tag:

"[...]Schöner Tag für Arbeitslose
Von Sauga, Michael

Mit dem Abschlussbericht der Hartz-Kommission will die rot-grüne Regierung im Wahlkampf Punkte machen. Eine Reihe ihrer Pläne mussten die Job-Reformer aufgeben[...]"

Quelle und kompletter Text:

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-23786256.html

Oder dem hier:

01.01.2005 - Dem Tag der Einführung von Hartz IV?

Übrigens, mich interessiert auch wieviel Todesopfer Hartz IV schon gefordert hat - Gibt es da schon, wenn auch inoffizielle, Zahlen?

Wie wäre es mit einem - nicht zynisch gemeinten - Gedenktag für die Opfer von Hartz IV?

Ich weiß, der müßte weit jenseits von Schwarz-Gelb, Rot-Grün, und Schwarz-Rot liegen.

Evtl. wenn einmal ganz andere "regieren" als die neoliberalen Taliban......in Deutschlands Politik, Medien und Wirtschaft.....

Frägt sich
Bernie

Anonym 30. Januar 2013 um 12:02  

@MKM

Das Problem kenne ich auch in meiner Verwandschaft ;-)

Manche sind eben lernresistent....

Übrigens, ich erlebe derzeit, dass einer meiner Neffen ein Fach in München studiert, dass ich vor Jahren, weil ich diese Ideologie nicht als mit meinem Leben kompatibel ansah abbrach - BWL, Schwerpunkt Management.....Tja, lern- und beratungsresistent eben....

Übrigens, dem seine Vater macht beruflich etwas - aus der Arbeitslosigkeit heraus - was ich auch, wegen Unseriosität ablehne - er arbeitet als Versicherungsvertreter......

Tja, muss damit leben, ebenso wie du mit deiner Frau....die nicht kapiert, dass "Politikkram" eben nicht mehr regiert in Deutschland sondern "Wirtschaftskram".....

...ich halte alle Politiker für wirtschaftlich unfähig, und käuflich....wie Straßennutten eben.....

Gruß
Bernie

willi 30. Januar 2013 um 12:03  

"Zynisch gesagt: Man hat aus der Geschichte doch etwas hinzugelernt - nicht die Gesellschaft hat gelernt, nur die, die die Macht ergreifen wollen, haben ihre Lehren daraus gezogen und ergreifen die Macht nun effektiver als alle Machtergreifer vor ihnen."

That's it. Die Methode hat sich geändert. Aber es geht nach wie vor um Dasselbe. Nur diesmal wird es nicht den Einen geben, den man - wenn man denn wollte- aufsuchen und beseitigen könnte. Stattdessen findet man sich in Brüssel, Straßburg oder Frankfurt wieder, vor riesigen Gebäuden in denen Apparatschiks ihren Job machen -dicht umlagert von den Büros tausender Lobbyisten. Business as usual.

Die historische Machtergreifung wird indessen auf andere Art entsorgt: Schuld waren von Papen und Hindenburg. Die Stadt hier hat dem Rechnung getragen und der Hindenburgplatz heißt jetzt seit kurzem Schlossplatz. So findet alles seine Ordnung.

Die Faschisten von heute kommen nicht mit Fackeln, Marschmusik und schweren Stiefeln daher. Sie tragen schicke Anzüge.

Anonym 30. Januar 2013 um 13:15  

"[...]Die Faschisten von heute kommen nicht mit Fackeln, Marschmusik und schweren Stiefeln daher. Sie tragen schicke Anzüge[...]"

@Willi

Seh ich schon seit Jahren so ;-)

Gruß
Bernie

Hartmut 30. Januar 2013 um 13:20  

"Mächtig ergriffen" das bin ich, in der Tat, über deinen treffenden, wunderbaren Artikel.... dem kann ich fast nichts hinzufügen.... doch eins, der Kommentar von willi hat es auf den Punkt gebracht - auch ihm ein großes Lob..........

Anonym 30. Januar 2013 um 14:05  

@ Inglorious Basterd
"Der Türke ist arbeitsscheu", "Dem Deutschen fehlt zum Hunde nur...", usw.

Siehst du das Problem?
Solche Sprüche werden nicht besser, indem man Sie von vermeintlichen Würdenträgern "absichern" lässt.
Immer ärgerlich, wenn sich genau dessen bedient wird, was man bekämpfen will.

Anonym 30. Januar 2013 um 15:34  

Wie fies und ekelhaft die Heuchelei der heutigen Polit-Banditen ist, kann man prima an einem Redeausschnitt des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) sehen. Er sagte heute ganz feierlich sinngemäß "Demokratie ist nicht naturgegeben, Demokratie muss jeden Tag neu erarbeitet werden".
Das sagt einer aus der Partei, die den lieben langen Tag nichts anderes macht, als diese bestehende Restdemokratie jeden Tag weiter zu demontieren und auszuhöhlen.
Was für ein niederträchtiger, feiger, widerlicher Zynismus ist das ?

Anton Chigurh

Aldo 30. Januar 2013 um 15:47  

Ein Tag wie jeder andere.
Ein sehr milder Tag,
regnerisch und windig,
dieser 30 Januar 2013.
°Frühstück mit Herrn Brüderle
und Frau Himmelreich“
titel die Welt.
Im Deutschlandfunk wird im Kalenderblatt
an den französischen Komponisten
Francois Poulenc erinnert.
In einem Redaktionsraum
einer Zeitung für das Ruhrgebiet
ringt ein Duisburger SPD Bezirskbürgermeister
mit seiner Fassung.
„Einfach unfassbar, wie dort
beim Jobcenter mit Menschen
umgegangen wird.“
°Unfassbar.“
Eben hat man den 18 -Jährigen
an der Pforte abgewiesen,
der junge Mann, mittellos und ohne Essen.
Ein ganz normaler Tag dieser 30 Januar 2013
So normal wie der 30 Januar 1933
als Hitler die Macht ergriff...

Anonym 30. Januar 2013 um 15:48  

Anmerker meint:
Ein unbestritten wichtiges Thema, dem Du Dich am heutigen Tag widmest. Dafür danke.
Aber dennoch möchte ich einiges zu bedenken geben:
1. Ich finde es immer wieder nicht richtig, den Nazibegriff "Machtergreifung" zu verwenden. Dass die Nazis das so gesehen und in ihrer
Propaganda gepflegt haben, ist die eine Seite, die andere aber ist, dass es eigentlich eine Machteinsetzung war, eine wenn man so will, gelungene Machterschleichung, die allerdings dann kraftvoll ergriffen und so propagiert wurde.
2. Ich halte es , bei aller berechtigten Empörung über die Scheinhaltigkeit unserer Poltiker_innenKlasse, für falsch, sie mit den Faschisten in einen Topf zu werfen. Damit wird man beiden Gruppierungen nicht gerecht.
3. Dass sie wie alle Politiker_innen vor ihnen mit dem Instrumentarien "Teile und Herrsche" und "Brot und Spiele" arbeiten ist unserer Demokratie nicht zuträglich und muss immer wieder, so wie bei adsinistram, an den Pranger gestellt und verurteilt werden.
4. Ich glaube immer noch an die Kraft der Äufklärung und finde dabei Deine Rolle, Roberto, unentbehrlich. Wer den Menschen die Ungerechtigkeiten aufzeigt, die Urheber_innen benennt und Wege zur Veränderung aufzeigt, macht Macht und Gewalt durchsichtig und damit bekämpfbar.

Allerdings sollten, bei allem Furor, Anklänge an den undifferenzierten Meinungsbildungsstil, gewisser Hetzblätter in unserem Lande vermieden werden.

MEINT ANMERKER

Kassandra 30. Januar 2013 um 17:36  

Und täglich/ wöchentlich/ monatlich/ jährlich/ jahrzehntelang grüßt das Murmeltier.


Empfehlung:

Buch: Hans-Joachim Maaz: "Die narzisstische Gesellschaft."

Film: "Hannah Arendt"

maguscarolus 31. Januar 2013 um 12:37  

Trivial: Tatsächlich ist das fast schon krankhafte deutsche Desinteresse am Politischen der Grund für die katastrophale Manipulierbarkeit der deutschen Gesellschaft. Die Leute erwachen aus ihrem Wellness-Schlaf erst, wenn die eigene Bude zu brennen anfängt – wenn es also für jede Abhilfe zu spät ist.

Und dann wird vom Abwiegeln direkt auf das Jammern umgeschaltet, es sei denn, man kann von der Katastrophe profitieren.

Michael Klas 31. Januar 2013 um 14:51  

Das schlimme ist, dass wir es nicht mit einer Machtergreifung sondern mit einer Machterschleichung bzw. -infiltration zu tun haben, oder eher hatten, denn diese Phase, in der noch hätte gegengesteuert werden können, ist schon fast vorüber. Jetzt sehen wir uns konfrontiert mit einem System aus perfekt auf Linie getrimmten Politmarionetten, an deren Fäden das Wirtschaftsprimat, europa- und weltweit vernetzt, zieht.

Tragisch daran ist besonders, dass gerade unerschütterlicher Glaube an das gute im Menschen, verbunden mit dem Wunsch, man könne sich auf Führungspersönlichkeiten verlassen, es noch schwerer macht, gegenzusteuern oder gar aufzubegehren. Denn all jene, an die wir uns instinktiv hilfesuchend wenden möchten, indem wir ihnen unsere Stimme geben, sind, wie Herr De Lapuente in einem seiner weiteren Artikel, „Reaktionen einer Kanzlerin“, ebenfalls
korrekt festgestellt hat, entweder handlungsunfähig oder -unwillig bzw. korrumpiert.

Das neue System der Macht ist dezentralisiert, schwer überschaubar und wird nur von einer absoluten Minderheit noch halbwegs verstanden. Der Unmut der breiten Masse und die Enthüllungen, die uns Recht zu geben scheinen, müssen im Vergleich zur Komplexität des Systems als ein bloßer Schimmer einer Erkenntnis gesehen werden. Als eine Art ganz diffuser Anfangsverdacht. Wenngleich das, was uns eher unsere Intuition als unser Verständnis des Ganzen sagt, schon furchterregend und entmutigend genug ist. Auf jeden Fall aber kann, wer ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und den Mut zur Widerrede gegen scheinbar besseres Wissen oder aber zumindest zu dessen Infragestellung hat, fühlen, dass etwas sehr, sehr großes im Begriff ist, statt zu finden:

Ein riesiger Zug nimmt zusehends Fahrt auf, beladen mit endlosen Mengen an Globalisierung, Deregulierung, Kommerzialisierung, Technisierung, geschickt überlackiert mit einer Tarnfarbe aus Fortschritt, Aufgeklärtheit, sozialer Vernetzung und einem trügerischen Gefühl der Freiheitlichkeit und Individualität. Im Führerstand die absolut mächtigen 0,1 Prozent, von denen bereits die Rede war, und deren Lehren und Regeln ihre höchst eigenen sind. Das Getriebe bestückt mit einer ausreichend großen Zahl an Halbmächtigen, ausgebildet in einem System von Universitäten, Ausbildungsbetrieben, Wirtschaftsschulen, in denen jene Regeln gelehrt werden, die zur Rechtfertigung deren Handelns und Profitierens vonnöten sind. Im Motorraum all jene, die die Kraft und bzw. oder Gleichgültigkeit besitzen, durchzuhalten und zu funktionieren, ohne zuviel Einblick zu verlangen. Das Getriebe geschmiert mit Geld- und Machtgier, der Motor geölt mit Versagensangst und der Furcht, in Ungnade zu fallen und dort zu landen, wo, ganz zuletzt, der große Rest west: Auf den billigen Plätzen der letzten Wagen, wo man sich erst viel zu spät bewusst wurde, dass die Räder sich schon so schnell drehen, dass es nur noch heißen kann: Sitzenbleiben und mitfahren, oder abspringen und unter die Räder kommen.

Kaum konkret vorstellbar, wo genau uns dieser Zug hinbringen wird. Geschweige denn, was passieren wird, wenn dieser Zug irgendwann außer Kontrolle gerät.

Auf jeden fall aber, das dürfte sicher sein, werden nur wenige unbeschadet davon kommen. Und die dürften wohl weniger auf den billigen Plätzen gesessen haben...

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