De auditu
Montag, 7. Januar 2013
Vor einigen Wochen las man, dass Alexander Schweitzer neuer Gesundheitsminister von Rheinland-Pfalz werden soll. Er löse damit Malu Dreyer ab, die zur Ministerpräsidentin gewählt wird. So war es an mehreren Stellen zu lesen und zu hören: ... die zur Ministerpräsidentin gewählt wird. Mag sein, dass es sich dabei um einen formaldemokratischen Akt handelt. Dennoch ist der Floskel zu entnehmen, dass dieser demokratische Akt der Wahl eines Landesoberhauptes gar nicht erst angezweifelt wird; man hat sich in der postdemokratischen Wirklichkeit, die Wahlen als abgemacht und für eine sozusagen rituelle Verrichtung hält, sprachlich passend eingerichtet.
Dass Dreyer gewählt werden soll oder könnte, wurde unterschlagen. Man hatte sie sprachlich für schon gewählt erwähnt. Ihre Wahl war schon sprachlich zur Tatsache vor der Wahl gemacht. Geschenkt, dass es sich um einen förmlichen Akt handelt. Bedeutet aber Demokratie nicht auch, die Entscheidung von Wählenden abzuwarten? Die Sprache hier verrät, dass Demokratie heute bedeutet, Wahlen für einen lästigen Akt zu erachten, auf den man auch verzichten könnte, wenn er verfassungstechnisch nicht vorgesehen wäre. Die Verächtlichkeit schmiedet sich in Sprache, schleicht sich in Sätze. Nicht unbedingt bewusst, wohl aber im Affekt, unbedacht und scheu. Im Crouchs Sinne ist das die sprachliche Erfüllung der Postdemokratie. Das geschieht nicht brachial, sondern in Nebensätzen, fast unscheinbar, wohl aber geprägt und prägend.
Was war nun zuerst da: Ei oder Henne? Will heißen: die Sprache, die die Demokratie ausgehebelt hat oder die ausgehebelte Demokratie, die die Sprache beeinflusst? Wohl darf man von einer Wechselwirkung sprechen. Die Sprache schleift sich ideologisch ein, sie macht Zustände, formt aus Worten Taten. Sie bildet das ab, was materiell oder ideologisch erfahrbar ist. Sprache und die allgemeine Stimmung, die man auch Zeitgeist nennen könnte, korrelieren. Sie bedingen sich einander und durchdringen sich gegenseitig. Wenn sich eine abschätzige Stimmung gegen die Demokratie auftut, so greift die Sprache diese Impulse durchaus auf. Gleichwohl ist sie es, die die Abschätzigkeit forciert.
Natürlich ist es nicht so, dass die Ausdrucksweise von jedem Sprechenden ideologisch benutzt wird. Wenn es im Vorfeld heißt, dass Dreyer gewählt wird, dann muss das nicht von einem Menschen so ausgedrückt werden, der die Demokratie für ein lästiges Instrument hält. Es sind eingeschliffene Sprachverbindlichkeiten, die gleichberechtigt neben anderen Möglichkeiten der Umschreibung stehen. ... die gewählt wird oder ... die gewählt werden soll werden hier als zwei gleichlautende Aussagen, als synchrone und gleichwertige Optionen angesehen. Dass sie aber durchaus verschieden verstehbar sind, wird dabei nicht mehr wahrgenommen. Das ist den üblichen sprachlichen Einschleifungen anzulasten. Wer sich für die sprachliche Variante der Demokratieabschätzigkeit entscheidet, ist deswegen noch kein Antidemokrat und dennoch wirkt man an der sprachlichen Zerrüttung demokratischer oder parlamentarischer Prozesse mit und spielt der postdemokratischen Ritualisierung in die Hände.
Dass Dreyer gewählt werden soll oder könnte, wurde unterschlagen. Man hatte sie sprachlich für schon gewählt erwähnt. Ihre Wahl war schon sprachlich zur Tatsache vor der Wahl gemacht. Geschenkt, dass es sich um einen förmlichen Akt handelt. Bedeutet aber Demokratie nicht auch, die Entscheidung von Wählenden abzuwarten? Die Sprache hier verrät, dass Demokratie heute bedeutet, Wahlen für einen lästigen Akt zu erachten, auf den man auch verzichten könnte, wenn er verfassungstechnisch nicht vorgesehen wäre. Die Verächtlichkeit schmiedet sich in Sprache, schleicht sich in Sätze. Nicht unbedingt bewusst, wohl aber im Affekt, unbedacht und scheu. Im Crouchs Sinne ist das die sprachliche Erfüllung der Postdemokratie. Das geschieht nicht brachial, sondern in Nebensätzen, fast unscheinbar, wohl aber geprägt und prägend.
Was war nun zuerst da: Ei oder Henne? Will heißen: die Sprache, die die Demokratie ausgehebelt hat oder die ausgehebelte Demokratie, die die Sprache beeinflusst? Wohl darf man von einer Wechselwirkung sprechen. Die Sprache schleift sich ideologisch ein, sie macht Zustände, formt aus Worten Taten. Sie bildet das ab, was materiell oder ideologisch erfahrbar ist. Sprache und die allgemeine Stimmung, die man auch Zeitgeist nennen könnte, korrelieren. Sie bedingen sich einander und durchdringen sich gegenseitig. Wenn sich eine abschätzige Stimmung gegen die Demokratie auftut, so greift die Sprache diese Impulse durchaus auf. Gleichwohl ist sie es, die die Abschätzigkeit forciert.
Natürlich ist es nicht so, dass die Ausdrucksweise von jedem Sprechenden ideologisch benutzt wird. Wenn es im Vorfeld heißt, dass Dreyer gewählt wird, dann muss das nicht von einem Menschen so ausgedrückt werden, der die Demokratie für ein lästiges Instrument hält. Es sind eingeschliffene Sprachverbindlichkeiten, die gleichberechtigt neben anderen Möglichkeiten der Umschreibung stehen. ... die gewählt wird oder ... die gewählt werden soll werden hier als zwei gleichlautende Aussagen, als synchrone und gleichwertige Optionen angesehen. Dass sie aber durchaus verschieden verstehbar sind, wird dabei nicht mehr wahrgenommen. Das ist den üblichen sprachlichen Einschleifungen anzulasten. Wer sich für die sprachliche Variante der Demokratieabschätzigkeit entscheidet, ist deswegen noch kein Antidemokrat und dennoch wirkt man an der sprachlichen Zerrüttung demokratischer oder parlamentarischer Prozesse mit und spielt der postdemokratischen Ritualisierung in die Hände.
6 Kommentare:
Gibts eine Quelle für das Zitat? Ich finde es nirgendwo bei Suche nach den stichworten 'Dreyer Ministerpräsidentin gewählt'.
Überall heißt es "gewählt werden soll", meist: "Dreyer, die am 16. Januar zu Ministerpräsidentin gewählt werden soll". Damit wird die Absicht der Mehrheitspartei wiedergegeben. Richtig oder falsch?
Quelle sind vor allem SWR 3 Rheinland-Pfalz und Hessen 3.
@Claudi
So legitim es ist, in jedem Einzelfall nachzufragen, woher ein Zitat stammt, so klar ist doch aber, dass derartige Sprachnutzung mittlerweile gar nicht mehr versteckt werden muss, sondern massenhaft medienöffentlich daher kommt und Selbstverständlichkeit geworden ist. Ein interessanter Beitrag zur Funktionalisierung von Sprache:
http://www.philipp-thom.de/blog/2012/12/die-wahrheit-was-wirklich-passierte-und-was-in-der-zeitung-stand/
Anfang der 70er hatten wir einen Dozenten, der sagte zum Thema Demokratie: "Demokratie ist, wenn gemacht wird, was ich bestimme.....".
- Damals lachten wir darüber herzlich - heute aber....., ich glaube nicht, daß darüber noch einer lachen kann.....
sehr guter Artikel,
Frau Drayer wird zur Ministerpräsidentin gewählt ...
Ist das die Aussage eines Hellsehers?
Es ist eine sprachliche Unzulänglichkeit, die vielleicht nicht überbewertet werden sollte. Es zeugt für mich nur von einer schlechten Leistung des Journalisten. Ein anderes Beispiel fällt mir ein:
Herr westerwälle sprach von spätrömischer Dekadenz, in der manch Alg 2 Empfänger lebt. Die reichen Bürger Roms haben in Luxus und Ausschweifungen gelebt, lukullische Festgelage abgehalten. Dabei konnten sie auf Sklaven zurückgreifen, die ihr Eigentum waren und über deren Leben und Tod die Besitzer relativ frei verfügen durften.
Was hat die Situation eines Alg 2 Empfängers mit spätrömischer Dekadenz zu tun? Gar nichts, denn beim Alg 2 handelt es sich um ein Minimum.
Wenn in Deutschland heute jemand spätrömisch dekadent lebt, dann handelt es sich bestimmt nicht um einen Sozialleistungsempfänger.
....Westerwelle sprach von sich selbst und seiner Bagage.....
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