Falsche Fragen, richtige Fragen
Freitag, 30. September 2011
Ob China bei uns Schule machen sollte, fragen sich seit geraumer Zeit innovative Geister. Helmut Schmidt ringt ab und an mit dieser Frage, wenn er sich wieder mal als Sinologe ausweist. Publizistisch wird das Thema gelegentlich ausgeschlachtet. Kürzlich tollte das Feuilleton, als Amy Chua sich als chinesischstämmige Erfolgsmutter ausgab - und nun fragt man sich wieder, ob wir weniger Demokratie wagen sollten, wie wir das aus China wissen. Von China lernen also?
Gleichwohl wir unsere europäischen Werte, unsere Lebensphilosophie gegen die Rotten des Islam zu verteidigen trachten, sinniert man ganz unverblümt über die Annahme von Idealen, die dem chinesischen Kommunkapitalismus, ja der chinesischen Geschichte überhaupt, entwachsen sind. Das historisch entstandene Lebensgefühl Europas ist verhandelbar, wenn es gegen eine Konditionierung Europas auf mehr Markt, mehr Produktivität, weniger Bürokratie in Form von Arbeitnehmerrechten oder Umweltschutzgesetzen, gedrechselt wird. Die Annahme neuer Ideale hat rentabel zu sein, dann kann man sich vorstellen, sie Europa, sie Deutschland aufzuerlegen. Dann wird aus einer Diktatur chinesischer Machart etwas, was vielleicht nicht das Gelbe vom Ei ist, aber immerhin etwas, was uns Wohlstand bescheren könnte.
Natürlich wissen Kenner unserer Situation, dass eine Welt, in der der Profit Gott und der freie Markt dessen Künder ist, dass die Demokratie, wie wir sie kennen - oder wie wir sie kannten? -, in Zugzwang gerät. Sie kostet, sie hemmt, sie steht dem Profit im Weg. Es könnte so schön sein ohne die Rituale, die die Demokratie installiert hat, ohne diese dauernde Rechenschaft, die ständigen Regierungswechsel, die Instabilität, die manche Parteiflügel-Phantasie verursacht. Die Rendite wäre üppiger abschöpfbar, müsste man nicht das Humankapital vor Verletzung, Krankheit und Arbeitslosigkeit schützen, im Alter durchfüttern - müsste man nicht eine Welt bewahren, die uns untertan für Gewinnerzielung zu sein hat.
Wie kann sich die Demokratie gegen diesen Zugzwang aufstellen, fragt man sich. Zyniker sagen, die Demokratie war eine kurze Episode - der Fortschritt leitet uns in eine Diktatur des Kapitals, wie wir sie in China beobachten. Warum zur Wehr setzen, wenn man eh nichts daran ändern kann, erklären sie weise. Wahr ist, dass wir uns bis dato nicht gewehrt haben. Viele Anzeichen nähren den Verdacht, dass wir auf den Weg sind, irgendwie geartete chinesische Zustände zu erlangen. Was wir erleben ist eine Diktatur - noch keine gänzlich politische, auch wenn sich die Politik zum Handlanger wirtschaftlicher Egoismen macht. Aber die Tendenzen stehen stramm. Dass wir uns Fragen gefallen lassen müssen, ob denn die Demokratie ein schwaches Staatswesen sei, weil es wirtschaftlich verkompliziert - was sie gar nicht tut, was aber als Märchen praktisch ist -, liegt an der Dominanz des Profitdenkens, liegt daran, dass wir dieser Denkart, die uns in Fleisch und Blut injiziert wurde, keine Leine um den Hals werfen. Der Wettlauf um satte und immer sattere Einkünfte veranstaltet einen Wettbewerb, der ganze Nationen vor Entscheidungen stellt, die keine Verbesserungen mit sich bringen werden, sondern nur die endlose Gewinnmaximierung einer kleinen Clique von Profiteuren. Das tut der Wettbewerb bereits heute - und wird er immer drastisch tun.
Wollen wir einen Weg aus dieser programmierten Diktatur finden, so müssen wir uns Fragen stellen, die außerhalb der neoliberalen Vorstellungskraft liegen. Fragen nach dem Sinn dieses ganzen Wirtschaftens - Fragen nach dem Motiv einer effizient strukturierten Arbeitswelt, die immer mehr Menschen davon ausschließt, ein Leben in Würde zu führen, weil sie darin keinen Platz mehr finden - Fragen nach der Absicht einer Wettbewerbsfähigkeit, die den Wettbewerb für diejenigen, die ihr unter die Räder kommen, verzerrt - Fragen danach, ob die Arbeit als Gesellschaftsfundament nicht anachronistisch ist, in einer Zeit, da Arbeit immer rarer wird. Das sind die eigentlichen Fragen, die wir uns stellen müssen - nicht solche, ob wir etwa in die Diktatur marschieren sollten, weil da das Leben vermeintlich besser organisiert und wohlständiger ist. Das sind im Diskurs sicher berechtigte, ja auch provozierende, damit aufweckende Fragen - aber es bleiben doch falsche Fragen, weil sie die Spielregeln und die gedankliche Voraussetzung des Neoliberalismus beinhalten, nicht außerhalb dieses Ideologiegebäudes angesiedelt sind.
Nur wenn wir als Gesellschaft in den Wettbewerb zu den (Wirtschafts-)Diktaturen dieser Welt treten, werden wir in die Gefahr geraten, gänzlich in den autoritären Heilslehren zu versumpfen. Der globale Wettbewerb, das Gieren nach Exportweltmeisterschaften und den größten Stück Kuchen des Welthandels, was wiederum zwangsläufig Kostenreduzierung um jeden Preis als Folge zeitigt, macht uns zu Wettbewerbern nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Kampf um das beste Staatssystem. Einen solchen Wettbewerb kann man sich nur entziehen, wenn man die treibenden Kräfte aus der Wirtschaft gesetzlich an die Leine nimmt und sie ihren nationalen wie internationalen Verantwortungen überführt - und man kann ihm sich entziehen, wenn man sich weigert, um der Krone der Welt willen, um jeden erdenklichen Preis wettbewerbsfähig zu sein. Entziehen wir uns nicht, so ziehen wir uns die Diktatur auf die eine oder andere Weise zu...
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Gleichwohl wir unsere europäischen Werte, unsere Lebensphilosophie gegen die Rotten des Islam zu verteidigen trachten, sinniert man ganz unverblümt über die Annahme von Idealen, die dem chinesischen Kommunkapitalismus, ja der chinesischen Geschichte überhaupt, entwachsen sind. Das historisch entstandene Lebensgefühl Europas ist verhandelbar, wenn es gegen eine Konditionierung Europas auf mehr Markt, mehr Produktivität, weniger Bürokratie in Form von Arbeitnehmerrechten oder Umweltschutzgesetzen, gedrechselt wird. Die Annahme neuer Ideale hat rentabel zu sein, dann kann man sich vorstellen, sie Europa, sie Deutschland aufzuerlegen. Dann wird aus einer Diktatur chinesischer Machart etwas, was vielleicht nicht das Gelbe vom Ei ist, aber immerhin etwas, was uns Wohlstand bescheren könnte.
Natürlich wissen Kenner unserer Situation, dass eine Welt, in der der Profit Gott und der freie Markt dessen Künder ist, dass die Demokratie, wie wir sie kennen - oder wie wir sie kannten? -, in Zugzwang gerät. Sie kostet, sie hemmt, sie steht dem Profit im Weg. Es könnte so schön sein ohne die Rituale, die die Demokratie installiert hat, ohne diese dauernde Rechenschaft, die ständigen Regierungswechsel, die Instabilität, die manche Parteiflügel-Phantasie verursacht. Die Rendite wäre üppiger abschöpfbar, müsste man nicht das Humankapital vor Verletzung, Krankheit und Arbeitslosigkeit schützen, im Alter durchfüttern - müsste man nicht eine Welt bewahren, die uns untertan für Gewinnerzielung zu sein hat.
Wie kann sich die Demokratie gegen diesen Zugzwang aufstellen, fragt man sich. Zyniker sagen, die Demokratie war eine kurze Episode - der Fortschritt leitet uns in eine Diktatur des Kapitals, wie wir sie in China beobachten. Warum zur Wehr setzen, wenn man eh nichts daran ändern kann, erklären sie weise. Wahr ist, dass wir uns bis dato nicht gewehrt haben. Viele Anzeichen nähren den Verdacht, dass wir auf den Weg sind, irgendwie geartete chinesische Zustände zu erlangen. Was wir erleben ist eine Diktatur - noch keine gänzlich politische, auch wenn sich die Politik zum Handlanger wirtschaftlicher Egoismen macht. Aber die Tendenzen stehen stramm. Dass wir uns Fragen gefallen lassen müssen, ob denn die Demokratie ein schwaches Staatswesen sei, weil es wirtschaftlich verkompliziert - was sie gar nicht tut, was aber als Märchen praktisch ist -, liegt an der Dominanz des Profitdenkens, liegt daran, dass wir dieser Denkart, die uns in Fleisch und Blut injiziert wurde, keine Leine um den Hals werfen. Der Wettlauf um satte und immer sattere Einkünfte veranstaltet einen Wettbewerb, der ganze Nationen vor Entscheidungen stellt, die keine Verbesserungen mit sich bringen werden, sondern nur die endlose Gewinnmaximierung einer kleinen Clique von Profiteuren. Das tut der Wettbewerb bereits heute - und wird er immer drastisch tun.
Wollen wir einen Weg aus dieser programmierten Diktatur finden, so müssen wir uns Fragen stellen, die außerhalb der neoliberalen Vorstellungskraft liegen. Fragen nach dem Sinn dieses ganzen Wirtschaftens - Fragen nach dem Motiv einer effizient strukturierten Arbeitswelt, die immer mehr Menschen davon ausschließt, ein Leben in Würde zu führen, weil sie darin keinen Platz mehr finden - Fragen nach der Absicht einer Wettbewerbsfähigkeit, die den Wettbewerb für diejenigen, die ihr unter die Räder kommen, verzerrt - Fragen danach, ob die Arbeit als Gesellschaftsfundament nicht anachronistisch ist, in einer Zeit, da Arbeit immer rarer wird. Das sind die eigentlichen Fragen, die wir uns stellen müssen - nicht solche, ob wir etwa in die Diktatur marschieren sollten, weil da das Leben vermeintlich besser organisiert und wohlständiger ist. Das sind im Diskurs sicher berechtigte, ja auch provozierende, damit aufweckende Fragen - aber es bleiben doch falsche Fragen, weil sie die Spielregeln und die gedankliche Voraussetzung des Neoliberalismus beinhalten, nicht außerhalb dieses Ideologiegebäudes angesiedelt sind.
Nur wenn wir als Gesellschaft in den Wettbewerb zu den (Wirtschafts-)Diktaturen dieser Welt treten, werden wir in die Gefahr geraten, gänzlich in den autoritären Heilslehren zu versumpfen. Der globale Wettbewerb, das Gieren nach Exportweltmeisterschaften und den größten Stück Kuchen des Welthandels, was wiederum zwangsläufig Kostenreduzierung um jeden Preis als Folge zeitigt, macht uns zu Wettbewerbern nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Kampf um das beste Staatssystem. Einen solchen Wettbewerb kann man sich nur entziehen, wenn man die treibenden Kräfte aus der Wirtschaft gesetzlich an die Leine nimmt und sie ihren nationalen wie internationalen Verantwortungen überführt - und man kann ihm sich entziehen, wenn man sich weigert, um der Krone der Welt willen, um jeden erdenklichen Preis wettbewerbsfähig zu sein. Entziehen wir uns nicht, so ziehen wir uns die Diktatur auf die eine oder andere Weise zu...