Mit dem Papst einer Meinung sein
Donnerstag, 29. September 2011
Als der Stellvertreter Jesu Christi die Abgeordneten des Bundestages in süße Träume wiegte, sprach er auch davon, dass das Mehrheitsprinzip, das in der Demokratie einen "Großteil der rechtlich zu regelnden Materien" ausmacht, nicht immer Anwendung finden könne. Handelt es sich nämlich um Kriterien wie die "Würde des Menschen und der Menschheit", reicht das Mehrheitsprinzip nicht mehr aus. Das sei aber, so schob er pflichtschuldig nach, als wollte er den Abgeordneten damit philosophische Weisheit beglaubigen, offenkundig. Ob er sich da mal nicht täuscht?
Im Kapital "Mehrheiten", das sich in meinem Buch "Auf die faule Haut" findet, bringe ich zur Sprache, dass das Majoritätsprinzip oftmals kritisch ist. Ich verweise auf die Agenda 2010, die wesentliche Aspekte der menschlichen Würde beinhaltete, neu interpretierte oder schlicht verleugnete und die, hätte man sie zur freien Abstimmung überstellt, eine Mehrheit gefunden hätte. Zu Zeiten, da Schröder eine Aufbruchstimmung erzeugte mit seinen großmäulig angesetzten Reformen, hätte die Agenda ein Fundament in der Bevölkerung gefunden - erst später wurde einer Mehrheit bewusst, dass es sich bei den Segnungen dieses Paketes, nur um eine neoliberale Grundsatzerklärung handelte. Was würde ferner geschehen, wenn in Zeiten, da xenophobe Aufwiegler den öffentlichen Diskurs diktieren, in die Runde gefragt würde, ob man denn aus Deutschland ausweisen solle oder nicht? Kriterien, die die menschliche Würde belangen, so konnte man ebendort lesen, seien nicht die Kompetenz der Masse. Schon gar nicht, wenn sie von den Medien im Denken und Fühlen angeleitet würden. Bereits vormals, in dem Text "Charmante Geste", der in meinem Buch "Unzugehörig" nachzublättern ist, führe ich jene Gedanken, die der Papst im Bundestag einwarf, auf konkretere Bahnen. Eine Gesellschaft, die sich den absoluten Mehrheitswillen unterwerfen würde, müsste sich zuerst von den publizistischen Rattenfängern befreien, um wirklich frei und unabhängig zu einer eigenen Meinung zu gelangen - tut sie es nicht, endet das in einem Fiasko.
Das Thema selbst soll jetzt nicht vertieft werden. Dazu schrieb ich bereits ausführlich, nachzulesen in besagten Büchern. Irritierend ist vielmehr, dass die Worte des Papstes Applaus ernteten. Dass er am Mehrheitsprinzip nestelt, es für per se nicht praktikabel hält in bestimmten Nischen, verbucht man unter Weisheit. Eine intellektuelle, bücherwürmige Weisheit vielleicht, aber deswegen doch nicht falsch, dennoch bedenkenswert. Es ist ja nicht so, dass Ratzinger alleine mit seinen Fingern in diesem allzu optimistischen Ansatz der Demokratie stierte, wie ich eben belegte. Spricht es allerdings er an, so schenkt man ihm Beifall, stilisiert es zum hohen Wort - das adelt auch alle anderen, die am Mehrheitsprinzip frevelten. Sagt es ein linker Publizist, so tut man es als weltferne Spinnerei ab - sagt es der oberste Katholik, so bescheinigt man, dass es abstrakt ist, aber doch unbedingt notwendig war, dass es endlich jemand ausspricht.
Es gibt mehrere Kisten voller Kritikpunkte, die man dem obersten Hirten der katholischen Kirche vor die Füße kippen kann. Aber in der Frage der Mehrheiten, die man manchmal für eine Art Heiligtum hält, muß man ihm beipflichten. Das kommt selten genug vor, dass man mit dem Papst einer Meinung sein kann. Wo wir aber schon wieder auseinandergehen, das ist die Diagnose. Er hält es für offenkundig, dass Mehrheiten nicht überall Anwendung finden können - er sagte das so, als wüssten die Abgeordneten das ganz genau. Die aber versuchen jede Reform, jede Kürzung, jeden Sozialabbau mit dem Rückhalt in der Wählerschaft, mit einer wirklichen oder erschwindelten Mehrheit also, zu rechtfertigen. Offenkundig ist denen also gar nichts! Und dass die Menschen- und Menschheitswürde nicht deshalb dem Mehrheitswillen zu entziehen sind, weil darin etwa ein Gott atme, halte ich wiederum für offenkundig. Es braucht keinen Gott, um die Menschenwürde für heilig zu erachten.
Im Kapital "Mehrheiten", das sich in meinem Buch "Auf die faule Haut" findet, bringe ich zur Sprache, dass das Majoritätsprinzip oftmals kritisch ist. Ich verweise auf die Agenda 2010, die wesentliche Aspekte der menschlichen Würde beinhaltete, neu interpretierte oder schlicht verleugnete und die, hätte man sie zur freien Abstimmung überstellt, eine Mehrheit gefunden hätte. Zu Zeiten, da Schröder eine Aufbruchstimmung erzeugte mit seinen großmäulig angesetzten Reformen, hätte die Agenda ein Fundament in der Bevölkerung gefunden - erst später wurde einer Mehrheit bewusst, dass es sich bei den Segnungen dieses Paketes, nur um eine neoliberale Grundsatzerklärung handelte. Was würde ferner geschehen, wenn in Zeiten, da xenophobe Aufwiegler den öffentlichen Diskurs diktieren, in die Runde gefragt würde, ob man denn aus Deutschland ausweisen solle oder nicht? Kriterien, die die menschliche Würde belangen, so konnte man ebendort lesen, seien nicht die Kompetenz der Masse. Schon gar nicht, wenn sie von den Medien im Denken und Fühlen angeleitet würden. Bereits vormals, in dem Text "Charmante Geste", der in meinem Buch "Unzugehörig" nachzublättern ist, führe ich jene Gedanken, die der Papst im Bundestag einwarf, auf konkretere Bahnen. Eine Gesellschaft, die sich den absoluten Mehrheitswillen unterwerfen würde, müsste sich zuerst von den publizistischen Rattenfängern befreien, um wirklich frei und unabhängig zu einer eigenen Meinung zu gelangen - tut sie es nicht, endet das in einem Fiasko.
Das Thema selbst soll jetzt nicht vertieft werden. Dazu schrieb ich bereits ausführlich, nachzulesen in besagten Büchern. Irritierend ist vielmehr, dass die Worte des Papstes Applaus ernteten. Dass er am Mehrheitsprinzip nestelt, es für per se nicht praktikabel hält in bestimmten Nischen, verbucht man unter Weisheit. Eine intellektuelle, bücherwürmige Weisheit vielleicht, aber deswegen doch nicht falsch, dennoch bedenkenswert. Es ist ja nicht so, dass Ratzinger alleine mit seinen Fingern in diesem allzu optimistischen Ansatz der Demokratie stierte, wie ich eben belegte. Spricht es allerdings er an, so schenkt man ihm Beifall, stilisiert es zum hohen Wort - das adelt auch alle anderen, die am Mehrheitsprinzip frevelten. Sagt es ein linker Publizist, so tut man es als weltferne Spinnerei ab - sagt es der oberste Katholik, so bescheinigt man, dass es abstrakt ist, aber doch unbedingt notwendig war, dass es endlich jemand ausspricht.
Es gibt mehrere Kisten voller Kritikpunkte, die man dem obersten Hirten der katholischen Kirche vor die Füße kippen kann. Aber in der Frage der Mehrheiten, die man manchmal für eine Art Heiligtum hält, muß man ihm beipflichten. Das kommt selten genug vor, dass man mit dem Papst einer Meinung sein kann. Wo wir aber schon wieder auseinandergehen, das ist die Diagnose. Er hält es für offenkundig, dass Mehrheiten nicht überall Anwendung finden können - er sagte das so, als wüssten die Abgeordneten das ganz genau. Die aber versuchen jede Reform, jede Kürzung, jeden Sozialabbau mit dem Rückhalt in der Wählerschaft, mit einer wirklichen oder erschwindelten Mehrheit also, zu rechtfertigen. Offenkundig ist denen also gar nichts! Und dass die Menschen- und Menschheitswürde nicht deshalb dem Mehrheitswillen zu entziehen sind, weil darin etwa ein Gott atme, halte ich wiederum für offenkundig. Es braucht keinen Gott, um die Menschenwürde für heilig zu erachten.
10 Kommentare:
Eigentlich reicht schon ein Blick in das Grundgesetz, Art.1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Ich glaube, dass das was das Majoritätsprinzip und das Grundgesetz betrifft, wenig miteinander zu tun haben...
Demokratie ist, wenn 9 Wölfe und ein Lamm darüber abstimmen, was es zum Abendessen gibt.
Ich stimme dem Artikel zu. Allerdings halte ich es für gefährlich, ausgerechnet dem Papst hier auf den Leim zu gehen (vor allem in den Schussfolgerungen, die er aus dieser Erkenntnis zieht).
Denn, soweit ich den Papst verstehe (nicht in der Bundestagsrede, aber in anderen Äußerungen, die er immer wieder getätigt hat) misstraut er der Demokratie zutiefst und denkt als Alternative eher an eine Art Gottesstaat, in dem die katholische Kirche die höchste Instanz ist, die das Recht hat, die moralischen Fragen (und nicht nur diese) gültig und für alle verbindlich zu beantworten (siehe das Buch "Der gefährliche Papst: Eine Streitschrift gegen Benedikt XVI" von Taschenbuch, in dem viele Zitate von Joseph Ratzingen nachzulesen sind, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen).
Also: Mehrheitsentscheidungen sind sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Allerdings kann man sich hier schnell an die Seite von Antidemokraten (von rechts) finden, mit denen man sicher nicht Seite an Seite stehen will, auch wenn man in manchen Fragen übereinstimmt. Also - der Artikel - meine Zustimmung. Der Papst als Zeuge - bitte nicht.
PS: auch die Grünen und sogar Greenpeace sind dem Papst auf den Leim gegangen, nur weil den Allgemeinplatz, dann man die Umwelt schützen soll und die Ökobewegung dabei eine gute Rolle gespielt habe von sich gegeben hat.
Ich schrieb ja am Ende, dass das quasi der kleinste Nenner ist, bei dem man einer Meinung sein kann. Danach geht es schon los. Man darf ihm freilich nicht auf den Leim gehen...
so ist das übrigens mit der mehrheit: diese hat dem sogenannten rettungsschirm zugestimmt und dient damit offensichtlich der finanzmafia
http://fair-berichten.de/index.php?option=com_content&view=article&id=2810%3Aeuropa-wird-sozial-sein-oder-es-wird-nicht-sein&catid=118%3Aaunpolitik&Itemid=117
@klaus baum:
Naja, das ist aber nur die Mehrheit der Abgeordneten. Ich denke es ging hier aber eher um eine tatsächliche oder vermeintliche Mehrheit in der Bevölkerung.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem 'Staat' und einem 'Reich'?
Vor einiger Zeit schrieb hier(?) einmal einer der Kommentatoren:
"Demokratie ist, wenn man sich selber aussuchen kann, wer einen ver... ."
"Demokratie ist, wenn 9 Wölfe und ein Lamm darüber abstimmen, was es zum Abendessen gibt."
Das wäre zwar recht grausam, entspräche aber dem Kern der Demokratie: die Mehrheit entscheidet. So eine Demokratie haben wir allerdings gar nicht.
Unsere Demokratie sieht eher so aus, dass die Wölfe einige Geier zur Wahl aufstellen, die dann von den Schafen gewählt werden und entscheiden, was es zum Abendessen gibt.
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