In eigener Sache

Samstag, 25. Dezember 2010

oder: ich werfe hin!

Es geht dem Ende zu, dieses Jahr ist gerade dabei, sich zu erschöpfen. Und erschöpft ist auch derjenige, der sich hier täglich in Buchstaben und Sätze, politischen Unrat und gesellschaftlichen Kehricht wirft. Weil derjenige erschöpft ist, wirft er hin...

Für einige Tage wohlgemerkt! Nur wenige wissen, und es sollten auch gar nicht alle wissen müssen, dass es für ihn ein schwieriges Jahr war - vielleicht das schwierigste seines Lebens, auch wenn man das heute noch nicht sagen kann, weil es zunächst eines zeitlichen Abstandes bedarf, um vergleichen zu können. Ein Jahr der Abtritte: da gingen welche und hinterließen Trauer, weil sie dem Tode überstellt wurden; da gingen welche und hinterließen Frohsinn, weil sie sich werweißwem hingaben.

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In Ruhestellung

Freitag, 24. Dezember 2010

Zuunterst, obgleich Kerzen glimmen, Tannenbäume schimmern, die ganze Erde juchzt und feiert, zuunterst, brütet selbst zum Liebesfest die Wut. Weihnacht ist und alle Welt tut so, als denke sie an die Gosse, an diejenigen, die im Rinnstein verwesen, die aus dem Raster gefallen sind, die nun in der Jauchegrube bemüht sind, ihren Scheißegeruch zu tilgen. Weihnacht ist und der Gosse wird gedacht, all der armen Kretins wird gedacht, die sich waschen und waschen und immer wieder waschen, nur um diesen penetranten Geruch nach Stuhl und Harn auszuradieren. Waschen waschen, um am Ende nie aus dem gestankspendenden Abfluß der Gesellschaft zu enteilen, um endgültig darin eingezogen und wohnhaft geworden zu sein.

Zwischen Stank und Brodem, tief drunten, zuunterst, ist es Weihnacht. Und einmal im Jahr, nur ein einziges Mal im Jahr, wird nicht dorthin geschissen und geschifft, wo der gesellschaftliche Menschenabfall döst. Wenn Weihnacht ist, wird aus dem Penner, dem Erwerbslosen, dem Ausländer, dem prekären Arbeitsnomaden ein Mensch - ganz kurzfristig und nur kurzzeitig, ein Mensch mit Antlitz. Er mag in Schwaden aus Abgasen und Abfällen leben, eine Bruchbude sein Heim nennen, monatlich, wöchentlich die Gosse vor den Hütern und Vermittlern der Drangsalsanstalten kennenlernen und einatmen - doch zur Weihnacht darf er sich, soll er sich Mensch rufen. Ein Mensch, den man anlächelt, dem man hilft, dem man Fressen in den Napf spuckt, mit dem man in einem wirren, irrationalen Moment der Leutseligkeit womöglich sogar an einem Tisch speisen würde. Ein richtiger, ein wahrer, ein menschlicher Mensch!

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Lobet und preiset den Herrenmenschen

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Wer hätte gedacht, dass der Tag kommen würde, da man Ihnen gratulieren muß, Sarrazin? Trotz allem, Sie scheinen doch eine ganz vernünftige Type zu sein. Weshalb, fragen Sie? Sie können es wahrscheinlich selbst kaum glauben, was? Nun gut, sehen Sie...

Einer Ihrer Kollegen, ein Genosse, oder sagen wir, ein ehemaliger Genosse, tritt nun auf Kommunalebene für die NPD an. Wie der Mann heißt ist unspannend, man wird seinen Namen sowieso in Zukunft nicht mehr vernehmen - was uns aber interessiert ist: dieser Mann, er trägt seine psychotischen Affekte in eine Partei, die sich offen zum (Sozial-)Rassismus bekennt. Vielleicht ist mein Weltbild dort besser aufgehoben, wird er sich gedacht haben. Dort brauche ich dieses sozialdemokratische Feigenblatt nicht, muß diese verlogene Eigenart nicht vorexerzieren, stets auf fürsorglich und sozialstaatlich zu machen, obwohl dergleichen Attribute schon lange im Orkus des Seeheimer Kreises versumpft sind. Bei der NPD kann ich diese Verlogenheit ablegen, könnte sein Motiv gewesen sein - hier bin ich, hier darf ich sein!

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Im Arsch

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Kerner war ja immer schon unerträglich, schlug einem halbwegs denkfähigen Menschen immer schon schrecklich auf den Magen. Als er damals bei ran einen Sportmoderator spielte, konnte man ihn ja noch ertragen, waren doch jene Passagen, in denen er plauderte recht kurz - und harmlos waren sie zudem. Später dann, als er einen künstlichen Gute-Laune-Talk zur Mittagsstunde anbot, damals noch im Dunstkreis der entsetzlich farblosen Vera Int-Veen auf Sat 1, da schlug sein Nervensägenpotenzial bereits gehörig durch - doch seitdem er abendlich beim ZDF quatschte, hat er den Sprung zum political correct-Talkmaster, zum Meister der abgegriffenen Worthülse, endgültig vollzogen - als er zu seinem Haussender zurückkehrte, nahm er diese Aura einfach im Koffer mit.

Dass er aber nun einen deprimierenden Bob Hope für deutsche Soldaten mimt, der einen Kriegseinsatz auflockern und zudem wohnzimmergerecht aufbereiten soll, es läßt einen schaudern. Hope galt stets als lausiger Unterhalter, seine Gags waren grobschlächtig und plump - in dieser Tradition steht auch Kerner, der mit seiner Show auf etwa demselben Level trottete, nur dass es eben keine erzählten Witze waren, die er seinem Publikum anbot: nein, seine ganze Sendung war ein elender Witz.

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Sit venia verbo

Dienstag, 21. Dezember 2010

"Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d.h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die sogenannten Religionen Antwort gaben. [...] Das Christentum zur Reformationszeit hat nicht das Aufkommen des Kapitalismus begünstigt, sondern es hat sich in den Kapitalismus umgewandelt."
- Walter Benjamin, "Kapitalismus als Religion" -

Aktuell in Ewigkeit?

Montag, 20. Dezember 2010

oder: ein wenig in eigener Sache, so kurz vor Ende eines quälenden Jahres.

Ein Jahr ist es nun her, dass ich meinen Erstling auf den Markt der schönen Eitelkeiten werfen ließ. Aus dem, der rein in Pixeln publizierte, ist einer geworden, der altmodisch Seiten mit Tinte schwärzt. Eine Eintagsfliege, meinte ich ursprünglich - ich habe mich geirrt, mehr dazu aber gleich.

Ich schrieb seinerzeit über die Absurdität desjenigen, der sich täglich ins Getümmel des gedruckten Wortes wirft; über das Leben als Ausländer in Deutschland; über bärtige Sozialrassisten; über Behördenallerlei; über faschistoides Gedankengut - ich hätte Unzugehörig auch ab heute zum Verkauf feilbieten können: denn die Inhalte sind immer noch aktuell, vielleicht sogar noch aktueller als damals. Als ich ehedem unter dem Titel "Heldenmut" einen schemenhaften Kriegsminister anblaffte, da hampelte in diesem Ministerium noch ein wortkarger Gartenzwerg durch die Flure - das Buch erschien zwar im Dezember und da war bekanntlich schon der fesche Theodor am Ruder, aber der Text wurde bereits vorher, im September oder Oktober geschrieben, als noch der Geistesgnom fuhrwerkte. Kurzum, heute turnt ein lasziv mit den Kameraobjektiven schmusender Blaublüter durch die Szenerie - und alles was in "Heldenmut" zu lesen ist, gilt heute gleichfalls: nur noch verstärkter!

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Es war nie anders

Samstag, 18. Dezember 2010

Wie sagten Sie, junger Mann? Enthüllungswas? Enthüllungsjournalismus? Sie sind sich sicher, dass Sie das so irgendwo gelesen haben? Ich frage, weil mich das nur wundert. Ich habe diese Komposition zweier Substantive von so gegensätzlicher Wesensart, noch nirgends gelesen.
Ein historischer Begriff, meinen Sie? Nun, ich bin Linguist, kein Historiker, aber ich bin mir sicher, dass Sie da etwas missverstanden haben, junger Mann! Warten Sie bitte mal, ich rufe mal schnell zu meinem Kollegen rüber, der ist Medienhistoriker, der soll mir die Sache mal erläutern.
Bleiben Sie bitte sitzen, ich bin gleich zurück.

Nun, junger Mann, Sie lagen da tatsächlich richtig. "Enthüllungsjournalismus" ist ein Begriff des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, der sich bis zum Anfang unseres Jahrhunderts hielt. Mein Kollege behauptet nun, dass dieses Wort für etliche Furore bei der gegenwärtigen Fachwelt gesorgt habe. Vor wenig mehr als einer Dekade, zwischen den Jahren 2060 und 2070, habe der so genannte Enthüllungsstreit unter den Experten getobt. Die einen behaupteten, es sei ein Kunstwort aus späteren Tagen, weil sich zweierlei Nomen, die so gegensätzlich sind wie jene, gar nie hätten zu einer Komposition verschmelzen lassen - und weil es überhaupt so eine schiefe Form des Journalismus nie gegeben haben kann! Andere schwörten darauf, dass es etwas wie Enthüllungsjournalismus tatsächlich gegeben habe. Mein Kollege tendiert natürlich zur ersten Variante, er ist immerhin Realist und Kenner der Mediengeschichte. Letztlich, so sagte er, habe sich diese Variante im Enthüllungsstreit auch durchgesetzt.

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Der Engel der Armen

Freitag, 17. Dezember 2010

Wie enthusiastisch sie die Opposition zur Kooperation ermahnt! Wie kämpferisch sie die röchelnde Reform zu reanimieren versucht! Jetzt greift Merkel ein!

Es gab in den letzten Tagen ja einige textliche Machwerke, quer verteilt durch alle möglichen Zeitungen, die sich zum Anwalt derer aufrafften, die von Leistungen nach SGB II leben müssen. Da das Vorhaben, nach welchem zum Beispiel Kinder aus sogenannten Hartz IV-Familien per Gutschein stigmatisiert werden sollen, im Bundesrat scheitert, seien es nun die Hartz IV-Empfänger, die darunter zu leiden haben - deren Kinder würden gutscheinlos ins neue Jahr treten und die diffizil errechnete Erhöhung von fünf Euro monatlich, sie fällt auch ins Wasser. Das sei eine unermessliche Enttäuschung für alle, die schon fest mit diesen fünf Euro gerechnet haben.

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Ridendo dicere verum

"Herr Keuner sagte: Schwierig ist, diejenigen zu belehren, auf die man zornig ist. Es ist aber besonders nötig, denn sie brauchen es besonders."
- Bertolt Brecht, "Zorn und Belehrung" -

Die mediale Darstellung zweier Herren

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Die deutsche Medien- und Berichterstattungskultur neigt zur Qualität - zur qualitas, wovon sich Qualität ja ableitet, übersetzt also: sie neigt zur Beschaffenheit. Damit ist nicht viel ausgedrückt, nichts zum Wert gesagt, ist letztendlich nur in den Raum gestellt, dass die deutsche Medien- und Berichterstattungskultur eine Beschaffenheit besitzt - so wie alles auf dieser Welt. Und jene Beschaffenheit ist, dass sie tendenziös ist, manipulativ und verzerrt; jene Beschaffenheit ist, dass sie ihren Konsumenten ein Weltbild beschafft, das nicht objektiv und neutral ist, sondern die Summe herrschender Interessen.

In diesem Sinne gilt Julian Assange als Verbrecher; Silvio Berlusconi aber, der nun zeitgleich durch die Journaille geistert, wenn er schon nicht gefeiert wird, wird jedoch nicht mit kritischem Journalismus konfrontiert. Assange, der für Transparenz einsteht, wird inhaftiert und die schreibende Zunft baut hinter diese Dreistigkeit eine breite Kampagnenfront; über Berlusconi aber, dessen einzige Transparenz darin bestand, schüchtern zuzugeben, dass er der alleinige Herr des italienischen Informationsmarktes ist, wird relativ neutral und wertfrei berichtet. Assange ist Krimineller, weil er die verdeckten Handlungen im Namen der Öffentlichkeit ebenjener überstellte; Berlusconi ist kein Krimineller, obwohl er sich seine mediale Präsenz ungesetzlich erschlichen hat, in seinem Lebenlauf manches krumme Ding vorzuweisen hat. Assange ist Terrorist, weil er Klarheit in die Läufe der Politik und der Wirtschaft bringen wollte; Berlusconi ist tolerierter Staatsmann, obwohl er die Konsumenten seines Medienimperiums mit Titten und Wahlkampfparolen terrorisiert. Sperrt Assange lange weg, rufen sie, er hat fundamentale Umgangsformen verletzt; Samthandschuhe für Berlusconi, benutzen sie, immerhin ist er der gewählte Repräsentant seines Landes, auch wenn er die Umgangsformen eines italienischen Rottenführers an den Tag legt.

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Eingeschränkt pazifistisch

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Den Gräueln des Krieges war es zu verdanken, dass 1950 gut Dreiviertel der deutschen Bürger auf die Frage, ob sie, ihr Sohn oder ihr Mann wieder Soldat werden möchten, uneingeschränkt mit Nein antworteten - so berichtet es zumindest Gunther Latsch in seinem kurzen Essay "Lieber tot als Soldat". Der Pazifismus schien die junge Republik okkupiert zu haben - die Wiederbewaffnungsdebatte formierte kurze Zeit später junge Menschen, die keine neue Wehrmacht wünschten. Paradoxerweise aber, so erklärt Latsch, waren zwei Drittel der befragten Bürger allerdings auch der Anschauung, die Wehrmacht hätte bis 1945 ehrenhaft und tapfer gekämpft; die Hälfte vertrat sogar die Meinung, man sollte das Tragen von Wehrmachtsauszeichungen wieder erlauben - auch sei das Hakenkreuz auf den Orden "nicht so schlimm".

Ein etwas kruder, kein konsequenter Pazifismus - vielleicht gar keiner, vielleicht nur durchschlagende Ohnmacht, nach so einem allumfassenden Debakel, nach Beschau der Ruinen, Bergen von Leichen, Männern in Gefangenschaft. Ein flatterhafter Pazifismus, der gleichfalls widersprüchlich war wie jener, von dem wir heute Notiz nehmen. Jeder sechste Bürger spricht sich gegen den Einsatz in Afghanistan aus - aber gleichzeitig erfahren die zur Show gestellten Beisetzungen erschossener Soldaten, die mit militärischem Pomp und soldatisch-rhetorischer Prachtentfaltung zelebriert werden, unglaublichen Zuspruch. Eigentlich seien es ja Helden gewesen, vernimmt man aus der Bevölkerung - für ihr Land seien sie gefallen, für unser Land, für Deutschland. Ehrenhaft und tapfer gekämpft hätten sie - aber natürlich sei man gegen den Kriegseinsatz; friedliebend zu sein ist doch mindestens eine Selbstverständlichkeit.

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De dicto

Montag, 13. Dezember 2010

"Das integrationskritische Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin wäre für mich kein Grund gewesen, den Mann seines Postens als Bundesbankvorstand zu entheben.
[...]
In einem Gespräch mit der „taz“ polterte Sarrazin auf die Frage, was er von der Kritik der Ex-Bischöfin Margot Käßmann an seinem Buch hält: „Vielleicht hat sie das Buch nicht gelesen. Oder sie hat beim Lesen wieder ein bisschen zu tief ins Glas geschaut. Wenn die Buchstaben auseinanderlaufen, kann man schon etwas missverstehen.“ Wenn einer hier alles missverstanden hat, dann der feine Herr Sarrazin. Er hat sich über einfachste Regeln menschlichen Umgangs hinweggesetzt."
- Peter Hahne, BILD-Zeitung vom 12. Dezember 2010 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Natürlich überrascht es wenig, dass eine Kreatur des Springerkonzerns, die Sarrazin zweifelsohne ist, gegen eine Antiheldin made by Springer, gegen Margot Käßmann also, schießt. Das ist Normalität in einem Land, dessen Eliten bekennende BILD-Leser sind. Dennoch hat Hahne natürlich recht, wenn er behauptet, dass Sarrazins Großkotzigkeit, der Bischöfin stete Trinkfreude zu attestieren, eine infame Sauerei ist. Gut, er nannte es nicht so, er sprach von einfachsten Regeln - aber so einfach, wie Hahne schreibt, sind derlei Regeln dann doch nicht.

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Auf nichts zurückgreifen zu können...

Samstag, 11. Dezember 2010

Immer nach vorne blicken, hoffnungsfroh in die Zukunft lugen; vorwärts immer, rückwärts nimmer. Wer in der Vergangenheit lebt, den bestraft das Leben; jetzt müsse man doch das in Angriff nehmen, was vor einem liegt - das sind oft vernommene Binsenweisheiten unserer modernen Gesellschaft. Eine aufgeblähte Zukunfts- und Fortschrittsgläubigkeit, die fast schon hegelianischen von der steten Besserung der Welt kündet, weswegen ins Vorne zu blicken, nicht ins Hinten zu starren ist. Dies ist die zeitgemäße Denkart der think positive-Unkultur, eines Wirtschaftszweiges der guten Laune, der Zuversicht, eines fast schon triebhaften Optimismus', der das Leben zum freien Markt uneingeschränkter Möglichkeiten verklärt.

Die Vergangenheit, sie ist in diesem Weltbild zum Pessimismus verkommen; wer in die Zukunft lugt gilt dagegen als Optimist. Vergangenheit ist vergangen, vergessen, nicht mehr relevant - Zukunft ist das unentdeckte Land, ist Mut und positive Denkrichtung. Wer zurückblickt haftet an negativen Gefühlen, ist Miesmacher, Schwarzmaler, Skeptiker; wer zurückblickt, wer Rückschau hält, gilt schnell als Schwärmer, als nicht mit beiden Beinen auf dem Boden. Der Zukunft gehört die Zukunft, die Vergangenheit soll endgültig, requiescat in pace, der Vergangenheit angehören.

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Immer und zu allem etwas zu sagen haben

Freitag, 10. Dezember 2010

In einer Mediengesellschaft ist es möglich, dass aus jeder medialen Geringfügigkeit ein Hype erwächst. So wie neulich, als bei jener großen Samstagsabendsendung, die vom konzilianten Blonden mit dem neurotischen Kleidergeschmack geleitet wird, ein Kandidat in einen schwerwiegenden Unfall verwickelt war. Nun ist für die Beteiligten, für das Unfallopfer und dessen Familie und Freunde, dieses Ereignis freilich keine geringfügige Nichtigkeit - weshalb man aber die Öffentlichkeit minutiös über Gesundheitszustand und Familienverhältnisse aufklärt, kann nicht so richtig begriffen werden. Und wieso sich auch Hinterbänkler des Bundestages oder aus Senaten und Landtagen und halbwegs profilierte Gestalten des Berliner Zirkus zu Wort melden: das ist nicht zu verstehen und krönend noch peinlich.

Wichtig ist in einer Medienrepublik alles; die politische Gilde, die sich via Medien ins Mandat und in Szene rücken will, muß daher immer und überall, zu jedem wichtigen Thema und zu jeder Banalität eine Meinung haben, vor die Kameraobjektive drängen. Ob nun Wettkandidaten, die zu Sturz kommen oder eine Göre, die bei einem internationalen Gesangsblödel-Contest gewinnt: alles ist von Belang, alles muß kommentiert, alles muß rhetorisch verarbeitet werden. Und wenn morgen das agenda setting hellblaue Söckchen vorgibt, dann werden eben hellblaue Söckchen kommentiert - man ist ja flexibel, man hat zu allem eine zu vertretende Ansicht und zu verströmende Bedenken.

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Behinderung ist nicht modern

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Die Neuregelung der Hartz IV-Regelsätze wird behinderte Menschen benachteiligen. Das ist nicht überraschend: das ist nur konsequent! Eine Grundsicherungsleistung, die von jeher darauf abzielte, die Wirtschaftlichkeit des Hilfebedürftigen zu hinterfragen, die als Grundsatz einen Slogan wie "Jede Arbeit ist zumutbar!" trägt, kann gar nicht anders gehandhabt werden. Sie muß folglich all jene, die eben nicht für jede Arbeit zur Verfügung stehen können, anders behandeln als diejenigen, die dies können oder jedenfalls theoretisch könnten.

Das Sozialgesetzbuch II fragt eben nicht in erster Linie nach Bedürfnissen und individuellen Lebenssituationen, es interessiert sich wenig für die jeweilige Lebenswirklichkeit der Hilfebedürftigen, sondern es stellt in erster Linie die bestmögliche Verwurstbarkeit des Transferbeziehers in den Mittelpunkt. Das ist sicher nicht neu, nicht einzigartig, auch die vormalige Sozialhilfe war darauf erpicht, den Hilfebedürftigen zur Lohnarbeit anzuhalten: nur hat die Wirtschaftlichkeit einer menschlichen Existenz nicht das Primat ausgemacht - was braucht der Mensch; wie lebt er; was kann man für ihn tun: das waren maßgebliche Fragen, die freilich im Behördenalltag viel zu oft zu kurz kamen.

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Nomen non est omen

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Heute: "Faulheit"
"Die Arbeit ist etwas Unnatürliches. Die Faulheit allein ist göttlich."
- Anatole France -
Faulheit bezeichnet im Sinne von faul und Fäulnis, dass Verderben und das Verwesen von Obst und von Tieren. Im Zeitalter von Arbeitsfetischismus, Sklavenmoral, Arbeitssucht und vorauseilendem Arbeitsgehorsam ist der Vorwurf der Faulheit eine schlimme Sünde. Wer als faul bezeichnet wird, sei träge, arbeitsscheu, unnütz, wertlos und letztlich gar überflüssig. Der Begriff ist im Kapitalismus negativ konnotiert und wird als Waffe gegen all jene verwendet, die sich nicht dem Hamsterrad der ewigen Selbstverwertung unterwerfen können oder wollen.

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Der Schmodder muß weg

Dienstag, 7. Dezember 2010

Der Stil der Springer-Journaille, der ja genaugenommen eher Stillosigkeit ist, ist die Verknappung, der gestraffte, der abgeknapste Satz. Eine Stillosigkeit, die zuweilen auch in seriöseren Blättern Anwendung findet - Richtschnur soll hierbei der Leser sein, der schnell, umfassend und effektiv informiert werden soll. Die Informationsvermittlung stehe somit im Mittelpunkt, unnötiger sprachlicher Tand wird zurückgewiesen; Springer und seine Nachahmer pflegen ein puritanisches, spartanisches Gepräge - sie frönen der frugalen Phrase, dem genügsamen Nebensatz, wenn es überhaupt einen Nebensatz geben soll.

Adjektive sind ohnehin Ballast, Verben unter Umständen auch - Franz Josef Wagner, derzeit Mann der Stunde bei BILD, rezitiert ausladend, aber nicht unzutreffend darüber. Für ihn zeichne sich der perfekte Satz dadurch aus, dass die Adjektive wegfielen, eventuell auch Verben - Schmodder nennt er das, die dem puren, rohen Satz im Wege stünden. Totale Verknappung sei das Prinzip. Aber gleichzeitig sollte Poesie erhalten bleiben, müsse man Sprachmelodie und Wohlklang einbauen. Wie aber die Ästhetik zu konservieren ist, wenn Eigenschafts- oder Zeitworte entfallen, verrät Wagner nicht - es bleibt sein Geheimnis, wie aus einem Satz, der hauptsächlich aus Nomen zusammengeschustert ist, ein aussagekräftiger, zudem noch schöner Satz entstehen soll.

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Zur Kriminalität verdammt

Montag, 6. Dezember 2010

Wir sehen gerade dabei zu, wie man kriminelles Potenzial erschafft, wie man Menschen und Organisationen in eine Rolle drängt, die man denen zuerkennt, die später "Terroristen" oder "Kriminelle" geheißen werden. WikiLeaks werden sämtliche Grundlagen entzogen, ein Versandhaus und ein Online-Bezahlsystem sind im vorauseilendem Gehorsam abgerückt - womit die (Über-)Lebensbedingungen von WikiLeaks erschwert werden; zusätzlich ächten die politischen und wirtschaftlichen Eliten, was wenig verwunderlich ist, die Plattform in steter Wiederholung. Eine Atmosphäre der Kriminalisierung wird entworfen, ein breiter Aktionismus, der mittels zielgerichteter Propaganda, bedenkenträgerischen Reden verantwortlicher Politiker und dem Abrücken etwaiger Geschäftspartner, klarlegen soll, dass man mit Kriminellen, mit Terroristen nicht kollaboriert.

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Facie prima

Freitag, 3. Dezember 2010

Heute: Der Kriminalisierte, Julian Assange

Der Macht der Bilder gelingt es zuweilen, aus einem Menschen, der aufklären und aufhellen möchte, einen Verbrechertypus zu destillieren. Dabei verunziert man das Konterfei des Kriminalisierten mit Verschlagenheit, macht aus ihm eine nebulöse Erscheinung, gibt ihm den Anstrich lichtscheuen Gesindels. Julian Assange wird mit getönten Brillengläsern ausgestattet, just in dem Augenblick, da Interpol mit einem internationalen Haftbefehl wedelt. Natürlich wird er damit nicht ausgestattet, natürlich ist es keine Fotomontage - Assange hat sich irgendwann so ablichten lassen. Dass aber ausgerechnet diese Fotografie ausgewählt wird, wenn der zwielichtige Charakter, befördert durch einen Haftbefehl, herausgekehrt werden soll, verrät die Intention dahinter. Es gäbe ja auch sympathischere Fotos. Die Wirkung, die eine solche Erscheinung zuhälterischen Zuschnitts erzielt, die damit latent geschürten Konnotationen und Vorurteile, sie machen aus Assange, den Geheimdienstler der Öffentlichkeit, eine Nachtgestalt, einen Gauner, dem das mögliche Schicksal in Haft nur recht geschieht.

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Das Schlichtungsmodell hat sich bestens bewährt

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Es war wahrlich nicht überraschend, dass sich am Ende doch für Stuttgart 21 ausgesprochen wurde. Wer nun verblüfft tut, der ist entweder hoffnungslos hoffnungsfroh oder, plump gesagt, einfach nur naiv. Es ging nie darum, ein Bauvorhaben, das durch alle Instanzen ging, eine Baugenehmigung besaß, zur Disposition zu stellen - wichtig war denen, die die Schlichtung für eine große Chance hielten, den Protest zu kanalisieren; treffender gesagt, sofern man die Fernsehübertragung beobachtet hat: den Protest einzuschläfern.

Das ist Schlichter Geißler glänzend gelungen; die Emotionen der Straße wurden ins Kleinklein technokratischen Papierwusts verlagert. Wer anfangs noch mit Eifer für die Auflehnung gegen die politische Willkür war, der döste nun regelmäßig dahin, wenn er zusah, wie aus Papieren Ödes verlesen, rhetorische Schnippchen geschlagen und der Schlichter auf seinen Stuhl von Stunde zu Stunde buckeliger wurden. Demokratie, so konnte man fast den Eindruck gewinnen, muß zwangsläufig im Geschnarche enden. Und das ist auch gar nicht zufällig so: die große Chance des Schlichtungsverfahrens, die man immer wieder expressiv hervorhob, sie besteht nicht darin, dass auf die Belange des demonstrierenden Bürgers eingegangen wird: die einmalige Chance war, die Querulanten in einen linden Schlaf hinüberzuwiegen, in dem demokratische Träume geträumt werden dürfen.

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Auschwitz verallgemeinern!

Mittwoch, 1. Dezember 2010

In Israel, so wird leider viel zu zögerlich berichtet, ist der Araberhass zur Staatsmaxime erhoben. Palästinenser in die Ödnis jenseits des Jordans oder des Gaza-Streifens abzuschieben, sie dort hinter meterhohen Mauern versauern, sie dabei stets mit militärischem Auge begutachten zu lassen, das ist die offizielle Leitkultur des Landes. Erlassene Apartheidgesetze, die die Knesset erließ, sind da fast nurmehr Beiwerk. Und dass sämtliche kleinen Hetzer da ins lauschige Geifern verfallen, versteht sich von selbst - es ist in Israel wie überall: wenn von offiziellen Ränge verhetzt wird, dann fühlt sich auch jeder Narr dazu aufgefordert, seine Frustration zu politisieren. Selbst Oberrabbiner rufen deswegen dazu auf, an arabische Studenten nicht mehr zu vermieten - der Hass auf Araber durchdringt auch - oder gerade! - den närrischen Kleingeist.

Avraham Burg fordert in seinem streitbaren Buch "Hitler besiegen: Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss", dass die israelische Gesellschaft sich von jener Staatsdoktrin verabschieden sollte, nach der der Holocaust ein singuläres Ereignis darstellt, das zur nationalen Identitätsstiftung missbraucht wird. Sicher sollte man den Massenmord nicht vergessen, man sollte an jene blutigen Ereignisse zurückdenken, nicht aber in dem Sinne, ihn als rein an den Juden begangenes Unrecht zu verstehen. Wenn der Holocaust überhaupt eine Bedeutung haben soll, so schreibt Burg sinngemäß, dann als universelle Mahnung; er soll eben nicht mahnen, was die Gojim mit den Juden getan haben - er sollte der Menschheit vor Augen führen, was der Mensch mit dem Menschen anstellen kann, wenn sämtliche moralischen Imperative einstürzen.

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