Immer und zu allem etwas zu sagen haben

Freitag, 10. Dezember 2010

In einer Mediengesellschaft ist es möglich, dass aus jeder medialen Geringfügigkeit ein Hype erwächst. So wie neulich, als bei jener großen Samstagsabendsendung, die vom konzilianten Blonden mit dem neurotischen Kleidergeschmack geleitet wird, ein Kandidat in einen schwerwiegenden Unfall verwickelt war. Nun ist für die Beteiligten, für das Unfallopfer und dessen Familie und Freunde, dieses Ereignis freilich keine geringfügige Nichtigkeit - weshalb man aber die Öffentlichkeit minutiös über Gesundheitszustand und Familienverhältnisse aufklärt, kann nicht so richtig begriffen werden. Und wieso sich auch Hinterbänkler des Bundestages oder aus Senaten und Landtagen und halbwegs profilierte Gestalten des Berliner Zirkus zu Wort melden: das ist nicht zu verstehen und krönend noch peinlich.

Wichtig ist in einer Medienrepublik alles; die politische Gilde, die sich via Medien ins Mandat und in Szene rücken will, muß daher immer und überall, zu jedem wichtigen Thema und zu jeder Banalität eine Meinung haben, vor die Kameraobjektive drängen. Ob nun Wettkandidaten, die zu Sturz kommen oder eine Göre, die bei einem internationalen Gesangsblödel-Contest gewinnt: alles ist von Belang, alles muß kommentiert, alles muß rhetorisch verarbeitet werden. Und wenn morgen das agenda setting hellblaue Söckchen vorgibt, dann werden eben hellblaue Söckchen kommentiert - man ist ja flexibel, man hat zu allem eine zu vertretende Ansicht und zu verströmende Bedenken.

Bedenken, die nun auch im Falle der Samstagsabendsendung lang und breit ergossen werden. Gefährlich sei diese Wette gewesen, unverantwortlich sei es, dem Publikum zur Befriedigung seiner Gelüste so eine Risikonummer zu unterbreiten. Dass der Wettkandidat ein erwachsener und somit mündiger Mensch war, dass Unfälle zuweilen geschehen, dass in diesem Unfallsszenario letztlich auch der Reiz solcher Veranstaltungen ruht: davon keine Silbe! Wenn bei RTL mal wieder Klischee-Arbeitslose und Gemeinplatz-Asoziale am Nasenring vorgeführt werden, um dieser ganzen Gesellschaftsschicht zur Unehre zu verhelfen, dann vernimmt man keinen Laut von den derzeitig bitterböse Empörten. Gegen eine tendenziöse Berichterstattung, wie sie unter anderem bei RTL stattfindet, könnte man Maßnahmen ergreifen - da lohnten sich kritische Statements durchaus. Gegen Unfälle etwaiger Stuntmen läßt sich allerdings wenig machen, hin und wieder geschieht, was geschehen kann; das macht auch den Nervenkitzel solcher Aktionen aus - Statements sind hier vergebliche Wichtigtuerei.

Der wahre Auswuchs der Mediengesellschaft ist weniger, dass jede Nichtigkeit zum Skandal, zum Thema der Stunde aufgeplustert wird, als der Umstand, dass sich immer wieder mandatierte Idioten finden, die ihre Phrasendrescherei mit Wonne zu jedem Unsinn ablassen. Dieser verbale Aktionismus besonders engagierter Damen und Herren aus dem politischen Dunstkreis, diese Jetzt-muß-sich-was-ändern-Rhetorik zum banalsten Thema, diese Ich-habe-was-zu-sagen-Eitelkeit, die dann in plumper Nichtssagenheit verendet: das sind die wahren Krebsgeschwüre der Mediengesellschaft. Man kann Unfälle in einer Abendsendung ja bedauern; nur ob man dazu öffentlich Stellung beziehen muß, das ist fraglich - aber es gilt eben: wenn sie geschwiegen hätten, wären sie noch bedeutungloser geblieben, als sie es nach ihrem Statement waren...



14 Kommentare:

Anonym 10. Dezember 2010 um 08:38  

Diese widerliche Mediengesellschaft ist nichts anderes als der "Circus Maximus" der Römer. Damit wird das total verblödete Volk abgelenkt. (Diese abgrundtiefe Verblödung der Massen heißt dann "Informationsgesellschaft" oder "Demokratie".) Und hintenherum plündern die Bankster, Spekulanten und die Konzerne die arbeitenden Menschen (In römischer Zeit hießen sie ungeschminkt "Sklaven" - heutzutage im Neolib-Neusprech werden sie "Ich-AGs" oder "Mitarbeiter" genannt.) aus. Ein Hoffnungsschimmer: In England wachen die Studenten auf und merken plötzlich, hoppla, wir, das Fußvolk, können gar nicht mehr studieren, ohne, nach Abschluß des Studiums, als Schuldsklaven den zunehmend ausgedünnten Arbeitsmarkt zu bevölkern. Während der "Deutsche Michel" friedlich vor sich hin döst und sich freut, dass wir "Export-(Vize-)Weltmeister" sind.
Anton Reiser

Jutta Rydzewski 10. Dezember 2010 um 10:34  

Jedem Ihrer Gedanken und Formulierungen, lieber Herr De Lapuente, stimme ich zu. Noch eine kleine Ergänzung. Gestern las ich, dass sich dieser "konziliante Blonde mit dem neurotischen Kleidergeschmack", beim Vater des Unfallopfers sozusagen die Genehmigung eingeholt habe, den Jahresrückblick im ZDF zu moderieren. Übrigens, an diesem Klamauk nimmt natürlich Herr zu Guttenzwerg teil, vermutlich mit Gattin. ... Ich frage mich ernsthaft, bei allem Respekt vor den Gefühlen der nächsten Angehörigen des Unfallopfers, was ist das für ein Vater, der sich und seine Familie, nicht nur freiwillig sondern offenbar sogar sehr gerne, in dieser Form in die Öffentlichkeit bringen lässt. Der Sohn verunglückt schwer, liegt auf Intensiv, bleibt u.U. auf Dauer gelähmt und der eigene Vater, der zudem den Unglückswagen gesteuert hat, breitet seine Familienverhältnisse in der Öffentlichkeit aus, und "genehmigt" Herrn Gottschalk die Moderation für den Jahresrückblick 2010. Das ist alles nur noch krank.

mfg
Jutta Rydzewski

Anonym 10. Dezember 2010 um 11:08  

Anonym Jutta Rydzewski hat gesagt...

"Das ist alles nur noch krank."

dazu passend von

"Anonym hat gesagt..." Anton Reiser:

"Diese widerliche Mediengesellschaft ist nichts anderes als der "Circus Maximus" der Römer. "

MfG Bakunin

Margareth Gorges 10. Dezember 2010 um 12:20  

Grausam ja Grausam ist diese Medienrepublik!
Mich widert es ebenfalls zusehends an, wie Casting Kandidaten vorgeführt und lächerlich gemacht werden.
Roger Strassburg hat dazu vor längerer Zeit schon einen sehr lesenswerten Beitrag geschrieben: Menschenverachtung bei RTL “Deutschland Sucht den Superstar”

Auszug:
(..)Dass bei DSDS Kandidaten herausgesucht werden, die in der Sendung lächerlich gemacht werden sollen (was RTL bestreitet), ist eindeutig, und trägt zur Belustigung des Publikums bei. Es mag ja sein, dass die Kandidaten gerade die Aufmerksamkeit suchen. Sie suchen Aufmerksamkeit, werden aber nur bloßgestellt. Und das Publikum lacht.

Im alten Rom lachte ein anderes Publikum darüber, dass Menschen den Löwen zum Fraß geworfen wurden. Die “bloße” Verhöhnung von DSDS-Kandidaten kann man zwar nicht damit vergleichen. Der gemeinsame Kern ist allerdings, dass das Leiden anderer Menschen zur Schau gestellt wird, damit die Zuschauer sich darüber lustig machen können. Dort, wo Mitleid und Mitgefühl abgestumpft oder gar durch Belustigung ersetzt wird, da fällt es leichter, andere Menschen auszugrenzen.

Es ist also nicht nur die Verblödung, die solche Sendungen gefährlich machen. Es ist die Entmenschlichung der “Versager”, also derjenigen, die die erwartete Leistung nicht zu erbringen vermögen. Sie werden zu Freiwild, das man beschimpfen, belästigen, schickanieren oder gar angreifen darf. Es handelt sich also nicht mehr um einen Menschen, dem Würde gebührt, sondern um ein Spaßobjekt, mit dem man machen kann, was man will.
==>weiterlesen: http://www.nachdenkseiten.de/?p=2945

carlo 10. Dezember 2010 um 14:06  

Wenn's denn nur krank wär, könnt's vielleicht geheilt werden. Aber sowas ist völlig aus der Perspektive, besser noch so aus der Flucht oder gänzlich daneben. Und solchen groben Unfug liebt der Deutsche. Bakunin hat recht, allerdings mit einer Einschränkung:
Ich glaube kaum, daß das total verblödete Volk noch Ablenkung braucht. Es ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Anonym 10. Dezember 2010 um 14:43  

@ Jutta Rydzewski zu:

"Der Sohn verunglückt schwer, liegt auf Intensiv, bleibt u.U. auf Dauer gelähmt und der eigene Vater, der zudem den Unglückswagen gesteuert hat, breitet seine Familienverhältnisse in der Öffentlichkeit aus, und "genehmigt" Herrn Gottschalk die Moderation für den Jahresrückblick 2010.":

Es geht um Geld/ Connections des Show-Masters zu Kliniken & Co./ gegenseitige Gewissensentlastung (eine Hand wäscht emotional die andere),usw.. Das restliche Leben muss schließlich organisiert und finanziert werden.
Und vermutlich geht es auch um Aufmerksamkeit, die vermutlich wiederum Geld einbringen soll (Stichwort: Benefizveranstaltungen für den Verunfallten, auf denen sich so ganz nebenbei die Promis blicken lassen werden).
Ich nehme an, das geht pünktlich vor bzw. zu Weichnachten los.

Anonym 10. Dezember 2010 um 15:19  

Alle Kritik, die hier an unserem demokratischen System geäussert wird, ist Kritik auf höchstem Niveau. Deutschland ist mit Sicherheit eines der freiheitlichsten und sichersten Länder der Welt und trotzdem sind viele unzufrieden mit den Zuständen in unserem Land...das nenne ich wirklich Kritik auf höchstem Niveau.
Manchmal habe ich das Gefühl, das viele die hier leben die Freiheit und Sicherheit, die wir hier genießen, gar nicht zu schätzen wissen.

Anonym 10. Dezember 2010 um 15:27  

@ Anonym, 15:19 Uhr:

Ich habe das ständige Relativieren so satt!!!

Für den deutschen Michel findet sich immer noch jemand, dem es dreckiger zu gehen scheint.

Immer schön weiter Äpfel mit Birnen vergleichen.

Anonym 10. Dezember 2010 um 16:24  

@ anonym

"Manchmal habe ich das Gefühl, das viele die hier leben die Freiheit und Sicherheit, die wir hier genießen, gar nicht zu schätzen wissen".

und das Wetter auch nicht.....

http://www.nachdenkseiten.de/?p=7694

Anonym 10. Dezember 2010 um 16:30  

Die Aktivität von Wikileaks und der anderen Plattformen, die Skandale aufdecken, ist durch unser Grundgesetz ausdrücklich gedeckt. Art. 20 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland lautet:

1. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
2. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
3. Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
4. Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Eine Reihe dieser Versprechungen des Grundgesetzes sind schon so ausgehöhlt, dass man von ihrer Gültigkeit nicht mehr sprechen kann: So geht die Staatsgewalt nicht vom Volk, sondern in der Realität von jenen aus, die über viel Geld und viel publizistische Macht verfügen. So wird die Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland seit der Herrschaft der neoliberalen Ideologie systematisch ausgehöhlt. So beugt sich auch die Rechtsprechung anderen Mächten, wie man konkret am Fall der Rücksichtnahme auf amerikanische Interessen und die Geheimdienste der USA im Falle des von der CIA verschleppten Deutschen Khaled el-Masri sehen kann.
Wenn die Festlegung von Art. 20, 4, alle Deutschen hätten das Recht zum Widerstand, einen Sinn macht, dann unter den gegenwärtigen Verhältnissen. Die Versprechen von Sozialstaat und Demokratie werden locker missachtet. Das ist der Versuch, die vom Grundgesetz geschaffene Ordnung zu beseitigen. Also ist Widerstand angesagt und von Abs. 4 des Artikels 20 gedeckt.

http://www.nachdenkseiten.de/?p=7697

unschland 10. Dezember 2010 um 16:44  

Schweinegrippeersatz!

Dieser schmierige Käse, den unsere Glotze da ausgeworfen hat, ist als "Analog-Niesen" zu betrachten.
Ich will gefälligst wieder eine anständige Terrorwarnung oder wenigstens den Weltuntergang vor die Füße gerotzt bekommen!
Naja, mit Glück wird ja doch noch ein Anschlag inszeniert oder ein Deich bricht zu Weihnachten.
Aber in Zeiten der Flaute gibts dann wenigstens das TERRORWETTER!!11!(http://www.nachdenkseiten.de/?p=7694)
"Wir schalten nun zu unserer Liveberichterstattung zum Pendlerstau auf dem Essener Busbahnhof.."

Libero 10. Dezember 2010 um 16:45  

"SPORTSFREUND

Er schwärmte
von der unerhörten Eleganz
der Skispringer
die
abhebend von der Schanze
vor seinem
gierigen Blick
vogelgleich durch die Lüfte
glitten.

Und dann in dem Moment
wo sie heil den Boden trafen
huschte über sein Gesicht
eine kleine
Enttäuschung."

aus Jörn Pfennig, Hand aufs Hirn, 1981

Margareth Gorges 10. Dezember 2010 um 17:16  

Ich könnte auch ganz arrogant feststellen, dass ich es zunehmend als Beleidigung meines Verstandes aufnehme, es geradezu persönlich nehme, wie die Medien versuchen, "mich" zu manipulieren... man sollte es auch persönlich nehmen, denn das ist die Antriebsfeder sich dagegen zu wehren!

Wolfgang Buck 11. Dezember 2010 um 18:59  

Irgend wie bringts Marc-Uwe Kling auf den Punkt: http://www.youtube.com/watch?v=1c45ul0Oyvo

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