Es war nie anders

Samstag, 18. Dezember 2010

Wie sagten Sie, junger Mann? Enthüllungswas? Enthüllungsjournalismus? Sie sind sich sicher, dass Sie das so irgendwo gelesen haben? Ich frage, weil mich das nur wundert. Ich habe diese Komposition zweier Substantive von so gegensätzlicher Wesensart, noch nirgends gelesen.
Ein historischer Begriff, meinen Sie? Nun, ich bin Linguist, kein Historiker, aber ich bin mir sicher, dass Sie da etwas missverstanden haben, junger Mann! Warten Sie bitte mal, ich rufe mal schnell zu meinem Kollegen rüber, der ist Medienhistoriker, der soll mir die Sache mal erläutern.
Bleiben Sie bitte sitzen, ich bin gleich zurück.

Nun, junger Mann, Sie lagen da tatsächlich richtig. "Enthüllungsjournalismus" ist ein Begriff des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, der sich bis zum Anfang unseres Jahrhunderts hielt. Mein Kollege behauptet nun, dass dieses Wort für etliche Furore bei der gegenwärtigen Fachwelt gesorgt habe. Vor wenig mehr als einer Dekade, zwischen den Jahren 2060 und 2070, habe der so genannte Enthüllungsstreit unter den Experten getobt. Die einen behaupteten, es sei ein Kunstwort aus späteren Tagen, weil sich zweierlei Nomen, die so gegensätzlich sind wie jene, gar nie hätten zu einer Komposition verschmelzen lassen - und weil es überhaupt so eine schiefe Form des Journalismus nie gegeben haben kann! Andere schwörten darauf, dass es etwas wie Enthüllungsjournalismus tatsächlich gegeben habe. Mein Kollege tendiert natürlich zur ersten Variante, er ist immerhin Realist und Kenner der Mediengeschichte. Letztlich, so sagte er, habe sich diese Variante im Enthüllungsstreit auch durchgesetzt.

Die Jünger der Enthüllungsjournalismus-These seien demnach so naiv zu glauben, es hätte etwas wie eine enthüllende Bewegung der berichtenden Zunft gegeben, die versucht war, auf dem Wege des legalen Journalismus, Dinge ans Tageslicht zu fördern, die dort gar nichts zu suchen hatten. Sie kennen ja sicher diese Geschichten über diese Transparenzterroristen, junger Mann, die haben Sie sicherlich damals im Geschichtsunterricht durchgenommen - Sie wissen schon, diese Bande um diesen australischen Blutsäufer. Aber das waren ja auch keine Journalisten, das waren Terroristen - Geschwüre am journalistischen Handwerk. Jedenfalls behaupten diese linken Spinner, dass es auch handfeste Journalisten gegeben hat, die enthüllt haben. Stellen Sie sich das nur mal vor! Welcher Missbrauch von Journalismus hätte das denn sein müssen! Das steht ja dem, was Journalismus ist, diametral entgegen!

Sehen Sie, es hat da wohl eine Weile etwas wie Pressefreiheit gegeben. Mein Kollege hat mir knapp erläutert, dass das wohl so eine Art Bekenntnis dieser Zunft gewesen ist, das aber wenig reale Auswirkungen hatte. Zu Anfang unseres Jahrhunderts ist man immer mehr davon abgekommen, man wollte keinen falschen und irrelevanten Bekenntnissen nachjagen, pragmatischer sein. Außerdem wollte man sich vor denen, die im Namen der Transparenz empfindliche Daten an die Öffentlichkeit brachten, distanzieren. Der Journalist war ja nicht auf Transparenz aus - und daher durfte die Presse auch nicht zu frei sein. War sie ohnehin nie! Aber dieses sowieso tote Postulat der Pressefreiheit konnte natürlich fehlgedeutet werden und so hob man es auf - nicht der Staat tat das, die Medienanstalten selbst waren verantwortungsvoll genug, diesen Schritt zu gehen. Man wusste ja, was man der Gesellschaft schuldig war. Der Journalismus erkannte, dass zu viel Offenheit der Gesellschaft Schaden zufügen könne - und er war ja nie offen, aber jene, die im Namen etwaiger Freiheitsrechte Transparenz feilboten, die warfen natürlich einen Schatten auf den Journalismus.

Kurzum, man tat das, was man eigentlich schon immer tat, nur diesmal bewusster: man bildete die Realität so ab, dass die braven Bürger einen wohligen Schlaf haben konnten und die schlechten Exemplare Schlaflosigkeiten zu behandeln hatten. Journalismus eben! Die Nachzeichnung dessen was ist, bereichert um den Zierat derjenigen, die herrschen! Journalist zu sein bedeutet verantwortungsvoll zu sein, bedeutet durch die Augen der herrschenden zu blinzeln - mit Enthüllung hatte dieses Geschäft nie etwas zu tun. Wer das heute behauptet, der sitzt einem phänomenalen Irrtum, einer Geschichtslüge auf.
Denken Sie doch mal logisch, junger Mann! Und überhaupt: was gäbe es denn zu enthüllen? Die Herrschenden sagten uns, sagen uns und werden uns immer sagen, was Sache ist - es gab und gibt kein Potenzial für Schauermärchen über Enthüllungen. Und noch was sollten Sie sich gesagt sein lassen, bevor Sie erneut danach fragen: Ja, Journalisten waren immer schon staatliche Beamte - es war nie anders; mein Kollege, dieser erwiesene Fachmann, hat mir das als Information an die Hand gegeben. Es war nie anders, hören Sie...



13 Kommentare:

klaus Baum 18. Dezember 2010 um 13:47  

Was ist der Unterschied zwischen Enthüllung und Aufklärung?

Anonym 18. Dezember 2010 um 14:00  

Treffend auf den Punkt gebracht. Übrigens es war im gescheiterten Kommunismus auch nicht anders, und auch nicht bei den Faschisten.

Insofern zeigt Wikileaks auf, dass die westliche Welt auch nicht besser ist als die gescheiterten totalitären Staaten - rein was Journalismus angeht.

Einziger Manko, der KZs und Gulags fehlen derzeit noch, aber das bringen Adolf Westerwelle und Josef Merkel auch noch fertig, da bin ich mir fast sicher....

Anonym 18. Dezember 2010 um 14:04  

Noch was: "Stuttgart 21" ist für mich der lebende Beweis dafür, dass jede Partei, wenn die über 50 Jahre regiert irgendwann totalitär wird - In BW eben die CDU/FDP-Regierung, die immer mehr an die Ex-DDR Honeckers erinnert.

maguscarolus 18. Dezember 2010 um 14:14  

Ist es im Journalismus nicht so wie in allen anderen menschlichen Betätigungsfeldern?

Man tut das, wofür jemand zahlt.

unschland 18. Dezember 2010 um 15:01  

anonym schreibt
"KZs und Gulags fehlen derzeit noch"
Das stimmt nicht ganz, denn missliebige Personen werden schon mal entführt und im Ausland in detention-camps für uns 'verhört'.
Wir haben das höchst modern outgesourced.
Spätestens wenn wir unser FBI nach amerikanischem Vorbild bekommen, gehts wieder ab.

nemo vult 18. Dezember 2010 um 15:52  

Es war nie anders...,

Geld regiert.

Geld - diese schmutzige Sache, die alles mit allem gleichsetzen kann, die Werte bestimmt ohne selbst Wert zu haben.

Solange ein von Einzelnen geschaffener wertloser Gegenstand, also etwas das von allein weder währt, noch Geltung besitzt, Handlungen motiviert, tendieren diese Handlungen, zunehmend mit dem ihnen zugeschriebenen Wert, tatsächlich zur Wertlosigkeit für alle Anderen.

der bezahlte Status z.B. eines Telekom-managers der die Fa. Voicestream kauft oder die Fa. Digame verkauft hat doch wohl nichts mit Verantwortlichkeit zu tun. Und welcher Journalist hat sein täglich Brot gefährdet und berichtet.

Elga 18. Dezember 2010 um 16:03  

# Anonym 18. Dezember 2010 14:00
Einziger Manko, die KZs und Gulags fehlen derzeit noch, aber das bringen Adolf Westerwelle und Josef Merkel auch noch fertig, da bin ich mir fast sicher....

Dass die KZs und Gulags derzeit noch fehlen sehen zwischen 2 und 4 millionen Amerikaner in Gefängnissen anders. Mit den fast allabendlichen Hirnwäschedokus aus den Hochsicherheitstrakten der amerikanischen Gefängnisindustrie sollen wir wohl auf so etwas hierzulande vorbereitet werden.

Anonym 18. Dezember 2010 um 16:24  

Als Anfang dieses Jahrhunderts ein zwielichtiger Autralier, Gründer einer Internetplattforn, die sich der Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen widmete, eines rätselhaften Todes starb, hielten sich lange Gerüchte, der Mann sei vergiftet worden. Obwohl eine Expertenkommission renomerter Mediziner feststellte, dass die Todesursache eine seltene Lebererkrankung war, an der auch Jahre zuvor ein arabischer Clanchef aus der damaligen Westbank gestorben war, geisterte die Mär von der Ermordung dieses 'Enthüllungsjournalisten' noch lange durch einschlägige Publikationen und Internetportale.

Anonym 18. Dezember 2010 um 16:46  

@unschland, elga

Die USA sind mir derzeit eigentlich völlig egal, obwohl ich euch Recht gebe.

In Deutschland fehlt es eben noch an KZs und Gulags.

Oder wo stehen die, außer museale Stücke wie das Ex-Faschisten-Lager-Buchenwald, oder das Stasi-Gefängnis als Gruselmuseum für bekennende Antikommunisten, die eindeutig musealen Charakter haben?

Wir sollten eigentlich massenhaft demonstrieren, und zwar unter dem Motto: "Wir haben genug von Totalitarismus auf dt. Boden und benötigen keinen neuen, diesmal markttotalitären, Staat"

Ich weiß, ein Traum.....leider noch....

Cygnus 18. Dezember 2010 um 18:03  

Na, dazu passt doch diese aktuelle Meldung wie die Faust aufs Auge:

http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/0,1518,735410,00.html

scribine 18. Dezember 2010 um 19:17  

Ich glaube,die Anfänge des Journalismus liegen bei dem amerikanischen "Lohnschreiber" zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Ich glaube, es hat nie (!) einen freien Journalismus gegeben.

Denn: Von wem wird denn dieser "Journalismus" gemacht? Von ganz gewöhnlichen Menschen!

Und die sind, wenn sie mit der Schreiberei ihre Brötchen verdienen müssen, immer (!) Interessen geleitet.

"Wessen Brot ist ess, dessen Lied ich sing", das ist das "normale" Prinzip im inzwischen längst an seinem Ende angekommenen Kapitalismus.

Anonym 18. Dezember 2010 um 23:26  

@scribine

Irgendwer hat ja auch einmal geschriebe, dass die Presse nur die Meinung von 200 Menschen der reichsten Sorte vertritt, und der normale Zeitungskonsument dies oft verdrängt.

epikur 19. Dezember 2010 um 14:06  

Die Presse ist eben nur für den frei, dem sie gehört.

Der investigative Journalismus, die vierte Gewalt oder die objektive Berichterstattung sind euphemistische Begriffe, die verdecken, dass die Presse eben nicht frei und unabhängig ist. Wie meinte Karl Marx? "Die erste Freiheit der Presse besteht darin, keine Gewerbe zu sein".

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