Wikileaks' wirkliches Verdienst
Mittwoch, 27. Oktober 2010
Das US-Außenministerium zeigt sich nach der Veröffentlichung weiteren brisanten Materials besorgt, denn die nationale Sicherheit stehe auf dem Spiel. Dies ist so ziemlich die einzige offizielle Reaktion, nachdem Wikileaks erneut über Greuel im Kriegsgebiet berichtete. Das Leben von US-amerikanischen Soldaten stehe nun auf dem Spiel, kam einzig als Resumee über die offiziellen Kanäle des deutschen Bündnispartners.
Gewiss, große Überraschungen barg die Veröffentlichung nicht - das hat das Pentagon schon ganz richtig erkannt. Vorher wusste man nicht sicher, nicht mit letzter Klarheit, ob dort unkontrolliert auf Zivilisten geschossen wurde; man wusste nicht, ob Kinder und verwundete Frauen wirklich abgemurkst wurden; wusste nicht hundertprozentig von Folterexkursionen - man konnte es nur ahnen, konnte eins und eins addieren, konnte sich mit etwas lebhafter Phantasie ausmalen, dass es den edlen Soldaten und das kalkulierte Maschinengewehrgeknatter nicht gibt. Kriegserfahrung am eigenen Leibe ist heute nicht mehr nötig, um sich einen Einblick in die Zufälligkeit eines Kriegsschauplatzes zu verwirklichen; diese Zufälligkeit, die kalkuliert und berechenbar alles mit sich in den Tod reißt, wenn nur lange genug gefeuert und gebombt wird, sie wurde im letzten Jahrhundert ausladend bildhaft in Fotografie und Film, in Literatur und Reportagen umgesetzt, sodass man ahnen konnte, wie es an Fronten und auf Schlachtfeldern im Mittleren Osten aussehen könne.
Wikileaks hat wahrlich nichts Sensationelles geliefert, nur Geahntes untermauert. Was die Clique um Julian Assange aber tatsächlich blankgelegt hat, ist etwas anderes. Dass der dort fechtende Westen wenig Interesse an Aufklärung von Foltervorwürfen oder Gemetzeln an Zivilisten hat, war gleichfalls bekannt, wurde auch intensiv geahnt. Scheinprozesse gegen folterndes Militärpersonal, wie sie die Welt vor einigen Jahren in den Vereinigten Staaten beobachten konnte, täuschen darüber nicht hinweg. Dass sich nun die US-amerikanische Administration aber hinstellt, sich trotz der massiven Vorwürfe und der Beweise mokiert, es sei nun als oberste Sorge die Sicherheit der Nation und der Soldaten in Gefahr: das ist schon ein Meisterstück an herrischer Überheblichkeit und es ist das Meisterstück von Wikileaks.
Spekuliert hat man nämlich schon lange darüber, dass das Leben von Irakern, früher von Vietnamesen, keinen Pfifferling wert ist in den Augen westlicher Herrenmenschen. Jürgen Todenhöfer erklärte vor geraumer Zeit, dass der Westler im Inneren denke, das Leben eines Europäers sei mehr wert, als das Leben eines Muslims. Wie Außenministerin Clinton da verärgert und mit Sorgenfalten, die einem ausgetrockneten Flussbett glichen, vor die Presse trat, ihre Erklärungen abgab: da wurde anschaulich, dass Todenhöfer nicht ganz so verkehrt lag.
Von den Greueltaten wusste man vorher schon, auch wenn es weniger Beweise gab als jetzt; ein wenig Menschenkenntnis, ein Schuss Vorstellungskraft, die Fähigkeit sich in Krisengebiete hineinzudenken: und man ahnt nicht nur mehr - man weiß, wie es dort zugeht, sieht die Gemetzel vor seinem inneren Auge. Dem Menschen des Zwanzigsten Jahrhunderts, diesem Jahrhundert der Kriege, scheint das Wissen von Grausamkeit ins kollektive Gedächtnis gebrannt zu sein. Oder, mit Albert Camus gesprochen, der in "Der Fall" einen Aufenthalt in einem Internierungslager umschreibt: "Ich will es Ihnen nicht weiter beschreiben. Wir Kinder dieser Jahrhundertmitte brauchen keine anschaulichen Schilderungen, um uns derartige Orte vorstellen zu können. Vor hundertfünfzig Jahren brachten Seen und Wälder das Gemüt zum Schwingen. Heute stimmen Lager und Gefängniszellen uns lyrisch. Ich überlasse die Ausmalung also vertrauensvoll Ihrer Phantasie. Fügen Sie nur noch ein paar Einzelheiten hinzu: die Hitze, die senkrecht herabbrennende Sonne, den Wassermangel, die Fliegen, den Sand."
Ein wenig Phantasie und die Todeslyrik war geschrieben. Dass aber für die Herren des Westens, die sich immerhin als die Krone der Menschheit verstehen, eine Hierarchie existiert, dass denen ein toter Europäer oder Amerikaner mehr schmerzt als ein Muslim: das konnte man ahnen, darüber konnte man spekulieren - glauben wollte man es nie so richtig; es war ja auch bequemer, ein solches Abwägen von Leben und von Kulturen, für einen unsachlichen Vorwurf zu halten. Dass man dies nun anhand der offiziellen Reaktionen der westlichen Administrationen glauben kann: das ist Wikileaks zu verdanken - das ist Wikileaks' wirkliches Verdienst!
Gewiss, große Überraschungen barg die Veröffentlichung nicht - das hat das Pentagon schon ganz richtig erkannt. Vorher wusste man nicht sicher, nicht mit letzter Klarheit, ob dort unkontrolliert auf Zivilisten geschossen wurde; man wusste nicht, ob Kinder und verwundete Frauen wirklich abgemurkst wurden; wusste nicht hundertprozentig von Folterexkursionen - man konnte es nur ahnen, konnte eins und eins addieren, konnte sich mit etwas lebhafter Phantasie ausmalen, dass es den edlen Soldaten und das kalkulierte Maschinengewehrgeknatter nicht gibt. Kriegserfahrung am eigenen Leibe ist heute nicht mehr nötig, um sich einen Einblick in die Zufälligkeit eines Kriegsschauplatzes zu verwirklichen; diese Zufälligkeit, die kalkuliert und berechenbar alles mit sich in den Tod reißt, wenn nur lange genug gefeuert und gebombt wird, sie wurde im letzten Jahrhundert ausladend bildhaft in Fotografie und Film, in Literatur und Reportagen umgesetzt, sodass man ahnen konnte, wie es an Fronten und auf Schlachtfeldern im Mittleren Osten aussehen könne.
Wikileaks hat wahrlich nichts Sensationelles geliefert, nur Geahntes untermauert. Was die Clique um Julian Assange aber tatsächlich blankgelegt hat, ist etwas anderes. Dass der dort fechtende Westen wenig Interesse an Aufklärung von Foltervorwürfen oder Gemetzeln an Zivilisten hat, war gleichfalls bekannt, wurde auch intensiv geahnt. Scheinprozesse gegen folterndes Militärpersonal, wie sie die Welt vor einigen Jahren in den Vereinigten Staaten beobachten konnte, täuschen darüber nicht hinweg. Dass sich nun die US-amerikanische Administration aber hinstellt, sich trotz der massiven Vorwürfe und der Beweise mokiert, es sei nun als oberste Sorge die Sicherheit der Nation und der Soldaten in Gefahr: das ist schon ein Meisterstück an herrischer Überheblichkeit und es ist das Meisterstück von Wikileaks.
Spekuliert hat man nämlich schon lange darüber, dass das Leben von Irakern, früher von Vietnamesen, keinen Pfifferling wert ist in den Augen westlicher Herrenmenschen. Jürgen Todenhöfer erklärte vor geraumer Zeit, dass der Westler im Inneren denke, das Leben eines Europäers sei mehr wert, als das Leben eines Muslims. Wie Außenministerin Clinton da verärgert und mit Sorgenfalten, die einem ausgetrockneten Flussbett glichen, vor die Presse trat, ihre Erklärungen abgab: da wurde anschaulich, dass Todenhöfer nicht ganz so verkehrt lag.
Von den Greueltaten wusste man vorher schon, auch wenn es weniger Beweise gab als jetzt; ein wenig Menschenkenntnis, ein Schuss Vorstellungskraft, die Fähigkeit sich in Krisengebiete hineinzudenken: und man ahnt nicht nur mehr - man weiß, wie es dort zugeht, sieht die Gemetzel vor seinem inneren Auge. Dem Menschen des Zwanzigsten Jahrhunderts, diesem Jahrhundert der Kriege, scheint das Wissen von Grausamkeit ins kollektive Gedächtnis gebrannt zu sein. Oder, mit Albert Camus gesprochen, der in "Der Fall" einen Aufenthalt in einem Internierungslager umschreibt: "Ich will es Ihnen nicht weiter beschreiben. Wir Kinder dieser Jahrhundertmitte brauchen keine anschaulichen Schilderungen, um uns derartige Orte vorstellen zu können. Vor hundertfünfzig Jahren brachten Seen und Wälder das Gemüt zum Schwingen. Heute stimmen Lager und Gefängniszellen uns lyrisch. Ich überlasse die Ausmalung also vertrauensvoll Ihrer Phantasie. Fügen Sie nur noch ein paar Einzelheiten hinzu: die Hitze, die senkrecht herabbrennende Sonne, den Wassermangel, die Fliegen, den Sand."
Ein wenig Phantasie und die Todeslyrik war geschrieben. Dass aber für die Herren des Westens, die sich immerhin als die Krone der Menschheit verstehen, eine Hierarchie existiert, dass denen ein toter Europäer oder Amerikaner mehr schmerzt als ein Muslim: das konnte man ahnen, darüber konnte man spekulieren - glauben wollte man es nie so richtig; es war ja auch bequemer, ein solches Abwägen von Leben und von Kulturen, für einen unsachlichen Vorwurf zu halten. Dass man dies nun anhand der offiziellen Reaktionen der westlichen Administrationen glauben kann: das ist Wikileaks zu verdanken - das ist Wikileaks' wirkliches Verdienst!
10 Kommentare:
Der "Westen" auf seinem hohen Roß sitzend, gebetsmühlenartig von "Democracy","Recht" und "Freiheit" redend, um genau das Gegenteil herbeizuführen ist schon für mich in dieser Hemisphere lebenden unerträglich. Um wieviel mehr muß die Wut derer sein, welche dazu noch Bombem und schlimmste Ausbeutung ertragen müssen. Mfg Stefan
wikileaks betreibt ein kriminelles spiel. wer von euch würde gerne seine privaten daten veröffentlicht sehn? so ist es hier auch. die dokumebnte sind privatsache.
@LL
Seit wann ist den der "Krieg gegen den Terror" Privatsache. Es geht hier ja auch nicht um Tagebucheinträge und Briefe an die Lieben daheim. Es geht um offizielle Berichte. Die sind nicht privat, allenfalls vertraulich. In wesem Interesse die Vertraulichkeit liegt ist dann die andere Frage.
Tai Fei
LL . . . Low Level
Nein, LL, die Dokumente sind nicht privat. Es sind staatliche Dokumente, und da der Staat die Gesamtheit der Bürger ist und somit seine Verwaltung auch den Bürgern gehört, sind es eben nicht private, sondern Dokumente, die der Allgemeinheit gehören.
Es ist natürlich intellektuell bequemer, sich vorzustellen, "der Staat" sei ein zwar abstraktes, aber symbolisch greifbares Gebilde aus Parteiköpfen und Regierungsorganisationen. Das erspart nämlich das eigenständige Denken und vor allem das Engagement des Einzelnen, da der Staat ja bekanntlich allmächtig ist und man als kleiner Mann ja nix dagegen tun kann...
Unter dem Strich steht aber dieses eine Wurzelproblem für all das Schlechte, das nicht sein müsste, wenn "man" nur rechtzeitig was dagegen getan hätte. Und jeder einzelne kann etwas tun, um nicht von der Geschichte ein dickes, fettes "Versager" auf den Grabstein gemeißelt zu bekommen und noch zu Lebzeiten seine eigene Situation zu verbessern: Indem man nämlich denen, die laut Verfassung eigentlich nur die Verwalter des Landes und damit lediglich verlängerter Arm der Bürger sein dürften, wieder verdeutlicht, wo ihr Platz ist - und welcher ihnen nicht zusteht. Aber dazu muss man was tun. Sie wählen offensichtlich den Jammerweg, den zwölf Jahre lang Millionen von Menschen gegangen sind, die dann Brandbomben von ihren Dachböden oder letzte Habseligkeiten aus den Ruinen, die ehemals ihr Zuhause waren, holen durften; die mit unzureichender Ausrüstung als Kanonenfutter in einen sinnlosen Krieg bis nach Stalingrad geschickt wurden; oder die ihren Überwachern freimütig von Nachbarn erzählten, die sich für den schweren Weg in die Freiheit entschieden oder für die Teilnahme an Montagsdemonstrationen. Das, lieber LL, sind IHRE Brüder und Schwestern.
In den Wäldern des Westens gefangen,
brachten sie dich nach Rom, Sklave,
sie gaben dir die Arbeit eines Schmiedes.
Das glühende Eisen, welches du aus dem Ofen holst,
könntest du nach deinem Willen formen,
du kannst Schwerter schmieden,
damit die Deinen ihre Ketten zerschlagen,
aber du, o Sklave,
du schmiedest Ketten, mehr Ketten.
(J. Sarrionandia)
Meiner Meinung nach wird nicht nur die komplette Gleichgültigkeit der Herren des Westens entlarvt. Sondern auch die jedes Einzelnen, der nichts davon wissen will, oder der sogar abgeklärt fragt, wen das denn jetzt eigentlich noch überrasche, so als sei dies schon die Rechtfertigung.
Wir, Bürger, Journalisten, Politiker, Integrationswillige und -unwillige sollten aber sehr genau wissen, was dort in unserem Namen geschieht und uns nicht länger einreden, es würde uns schon irgendwie nützen.
"wir haben doch von alldem nichts gewußt!"
(bonmot aus bekannten zeiten.)
[jd]
"sind es eben nicht private, sondern Dokumente, die der Allgemeinheit gehören."
Wenn man die Besitzerfrage schon genau definieren will, müßte man feststellen, dass die Dokumente den US-Bürgern gehören, aber eben nicht der ganzen Welt.
Davon ab gibt es sicherlich Kategorien von Regierungsdokumenten, bei denen es im Sinne der Allgemeinheit ist, dass die nicht für die Allgemeinheit einsehbar sind.
Gegen organisierte Kriminialität könnte z.B. gar nicht vorgegangen werden, wenn Einsatzpläne usw. öffentlich wären. Sollte klar sein.
Die Existenz von Wikileaks gründet sich zu einem großen Teil auf der Tatsache, dass es im Mainstream kaum noch kritischen oder investigativen Journalimus gibt.
Das ist aus meiner Sicht ebenfalls ein Verdienst von Wikileaks, denn eigentlich wäre die Verwandlung von Ahnungen in Gewissheiten die ureigenste Aufgabe des Journalismus. Aber dazu müsste er unabhängig sein, und ich bezweifle, dass man im Mainstream Unabhängigkeit vorfindet.
Um so mehr ist es wichtig, solche Artikel wie hier lesen zu können, damit von Wikileaks mehr im Kopf hängen bleibt als krude Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange.
Danke, lieber Roberto J. De Lapuente!
wikileaks sind faschisten. liest man doch überall
Kommentar veröffentlichen