Ohne Sinn, ohne Ideale
Samstag, 23. Oktober 2010
oder: lose Gedanken zur atheistischen Überheblichkeit.
Über Atheisten ärgere ich mich häufig. Ich bin wahrscheinlich selbst einer - aber sie ergrimmen mich trotzdem. "Wahrscheinlich" schreibe ich, weil die Existenz oder Nicht-Existenz eines Gottes für mich zweitrangig ist. Gott gibt es nicht!, kann ich nicht behaupten; ich kann aber erklären, dass ich keinen brauche, keinen haben will, auch ohne einen Gott, ohne Religion, dafür mit Anleihen bei der Philosophie, meist ganz gut zurecht komme. Ich kann meine Gottlosigkeit nur auf mich begrenzen; ich will kein universelles Gebot herausfiltern, will Gott gibt es nicht! nicht als Parole über Felder und Flure rufen - nur weil es ihn für mich nicht gibt, heißt es ja nicht, dass es ihn für niemand geben soll. Agnostiker würde mich manche nennen - aber als solcher fühle ich mich nicht; ich bin ja nicht verunsichert, lasse mir auch nicht beide Optionen, Existenz oder Nicht-Existenz, offen; nein, es ist eindeutig: es gibt keinen Gott - für mich!
Und trotzdem sage ich mir paradoxerweise, dass es Gott gibt. Nicht den einen Gott vielleicht, jeder denkt sich gerade den Gott, den er leiden mag. Es gibt Gott! Nicht konkret, nicht stofflich sicherlich, sondern als Esprit, als Beseelung einer Person, als gute Absicht, in cerebralen Nervenfasern, als Gewissen letztlich - oft natürlich auch als böse, widerwärtige, als spießige Ausformung. Gott wie er ist, als innere Schau des Menschen, als Hilfskonstrukt für tugendhafteres Handeln, ist seiner menschlichen Herkunft gemäß eben auch das, was der Mensch zuweilen ist: ein ziemliches Miststück! Wenn jedoch Menschen ein Gott dabei behilflich ist, friedlicher und rücksichtsvoller und solidarischer mit ihren Mitmenschen, mit ihren Nächsten umzugehen, so freue ich mich, dass sie einen Gott besitzen. Ein transzendente Essenz sollte ja dazu dienen, all die Niedertracht, die Schikanen und Gehässigkeiten des alltäglichen irdischen Daseins zu kanalisieren, sie unter Kontrolle zu halten, zur Vernunft zu geleiten. Insofern ist der Versuch vieler neuzeitlicher Theologen, Glauben und Vernunft unter einen Hut bringen zu wollen - Kant tat es ja auch! -, gar kein Widerspruch. Auch wenn das, was man einen "vernünftigen Glauben" oder eine "glaubende Vernunft" taufen könnte, lediglich ein Optimum, ein Nonplusultra darstellt - denn der institutionalisierte und vorexerzierte, an feste Normen und Gebräuche geheftete Glaube an etwas Höheres, auch Religion oder Kirche genannt, verhinderte stets die Verquickung beider Pole.
Manchmal bin ich also auf Atheisten wütend. Sie frönen jener Ausschließlichkeit für ihr Es gibt keinen Gott!, die sie ansonsten bei den religiösen Zeloten verteufeln. Sie werden zu Missionaren ihres fast schon religiös betriebenen Nicht-Glaubens. Sie ergötzen sich an der Verbreitung ihrer Weltanschauung! Wo die einen jedermann ihren Gott überstülpen wollen, überschütten die anderen alle mit ihrem Nicht-Gott, ihrem Es gibt keinen Gott. Nicht dass ihnen das Glauben schwerfiele, die Rechtfertigung ihres atheistischen Weltbildes klingt oft banal, sie verurteilen in einstudierten Floskeln Kirche und Glaubenskriege und befürwortet einen freien Sonntagvormittag - man glaubt nicht, weil es bequemer ist, weil man keine Lust dazu hat, etwas tiefer in das natürliche menschliche Bedürfnis nach Glauben hineinzuschnuppern, in die Vereinbarkeit der conditio humana mit der Transzendenz. Nicht-glauben-wollen ist die bevorzugte Variante, Nicht-glauben können ist eher rar. Es ist ja so einfach ohne absolute, unantastbare, transzendente Moralvorstellungen zu leben - aus dieser Form des "Atheismus" entsprangen Großkotze und Narzisse. Man sagt das Zwanzigste Jahrhundert sei die Ära des Atheismus gewesen, Hitler und Stalin die Erscheinungsformen der Gottlosigkeit. Für mich ist das Unsinn, auch mit einem Gott wären sie gewesen, was sie waren; vielleicht hatten sie keinen Gott, aber einer Religion folgten sie und ihre Paladine dennoch. Sie hatten sich religiöses Brimborium erschaffen, ihre Weltanschauung war ihr Fels in der Brandung, man schuf sich Ideale und Werte, Katechismen und Gebote, die es erlaubten, ruhigen Gewissens Blut zu vergießen; für ihre profanen Götzen musste man töten. Wenn das Zwanzigste Jahrhundert überhaupt wirklich vollkommen unidealistische Gestalten erzeugt haben soll, dann nicht die Hitlers und Stalins, dann schon eher solche wie jene young urban professionals, kurz Yuppies genannt, die vollkommen entspiritualisiert waren, keinerlei Zuneigung zu universellen Idealen kannten, Moral für austauschbar hielten, für eine geistige Haltung, die je nach Kassenlage und Nutzen veränderbar sei. Dieser Menschenschlag, der in beinahe jeden Hollywoodfilm der Achtzigerjahre abgebildet wird, mal als Erfolgsmensch, mal als menschliche Hülle ohne liebenswerten Inhalt, sitzt heute in Vorständen und Aufsichtsräten, belagert Vorgesetztenposten und Vorarbeiterstellen, hat sogar bis in die Arbeiterschaft hineingestrahlt. Diese Geisteshaltung der Yuppies zeichnet sich durch absolute Diesseitsauschließlichkeit aus, leugnet Moral als nicht generalisierbare Spielerei einiger Romantiker, als hemmendes Kriterium für den menschlichen Fortschritt. Allzu viele atheistisch gesonnene Menschen kommen aus diesem Milieu; sie haderten nie mit Gott, nie mit der Religion, weil sie ihn oder sie für ungerecht erachteten - sie legten den Glauben nur ab (oder ihn sich nie zu), weil es weniger zeitaufwändig ist, weil die materielle Erlebniswelt keine Zeitvergeudung zulässt. Es sind Bequemlichkeitsatheisten, die den Gläubigen arrogant vor Augen halten, wie rückständig sie doch seien, weil sie immer noch an einem Märchen klammern, weil sie weiterhin einem Phantom nachbeten.
Und nun zurück zu Gott? Sicher nicht! Die Säkularisierung, die eine entspiritualisierte Gesellschaft zurückließ, hat natürlich unglaubliche Vorzüge - wir sind freier, wir leben gerechter dadurch; der Bigotterie und Frömmelei ist weitestgehend der Garaus gemacht, eine absolute, auf Gott zurückzuführende Wertetyrannis gibt es kaum noch - man kann heute Ideale hinterfragen - klammern wir mal das "Ideal Arbeit" aus! - und muß sich Sätze wie Das ist eben so! oder So war es immer! nicht stumm hinnehmen. Aber dort, wo moralische Imperative standen, steht heute nichts mehr: wir müssen betrübt feststellen, dass alle Aufklärung, dass die Philosophie nicht in dieses Vakuum hat hineinstoßen können. Die Wissenschaft richtet sich zuweilen dort ein und wälzt Ethik zu Biologismus, befördert einen unsagbar kalten Nihilismus, der Ethik bestenfalls als die Endsumme genetischer Wirkungsweisen wahrnimmt. Michel Houellebecq, sicher nicht verdächtig, besonders gottergeben zu sein, thematisiert das zuweilen in seinen Büchern: der Mensch des Mittelalters hatte Anhaltspunkte für ein "anständiges Leben", er bekam Kodizes mit der Muttermilch eingeflößt. Das geschah selbstverständlich nicht immer in edler Absicht, geschah durch Angst und kirchlichen Druck. Aber als die Kirche ihr gesellschaftliches Primat aufgeben musste, haben es profanere Schulen verpasst, in der leerstehenden ethischen Nische heimisch zu werden; kapitalistische Prozesse, die Menschen nach wertvoll und wertlos schieden, unterstützten die ethische Vakanz oder nutzten die moralischen Aspekte der Religion, um die Ausbeutung auch noch übersinnlich zu rechtfertigen. Houellebecq erkennt ganz richtig, dass die spirituelle Krise eine Krise der Moral ist.
Mir geht es nicht um Kirche, nicht um Religion, wenn ich hier den Glauben meiner Mitmenschen verteidigen möchte; es ist der Glaube einzelner Menschen an ein höheres Wesen, was mich zu ihren Verteidiger macht - undogmatischer Umgang mit einer Gottesgestalt, die geartet sein kann wie sie will: christlich, moslemisch, spinozistisch, das heißt: naturalistisch. Was moderne Atheisten aber beweisen: es braucht keinen Gott um intolerant zu sein - auch ohne ihn geht es radikal zu, pflegt man Unverständnis und Einseitigkeit; was letztlich unterstreicht: nicht der Glaube macht inhuman - blinde Dogmatik tut das; nicht der Gläubige an sich ist Eiferer - der Mensch an sich neigt dazu, wenn er seine Weltsicht überhöht und Andersdenkende, Andersglaubende praktischerweise über einen Kamm schert. Dieser unsägliche Radikalismus, alles spöttisch abzutun, was nach Gott riecht, Menschen auszulachen, weil sie als letzte Instanz immer noch einen großen Puppenspieler vermuten, er ist eine universelle Erscheinung allen Dogmatismus'.
Mein Gott, wenn ich Sorgen oder Ängste habe, spreche ich doch auch leise vor mich hin; Bitte laß es nicht wahr sein!, säusle ich schon mal - dann frage ich mich hernach oft, wem das gegolten habe. "Mein Gott!" schrieb ich vorhin absichtlich: auch diese Floskel rutscht mir zuweilen raus, auch wenn ich für mich gar keinen Gott habe. Wenn ich flehe und bitte, wenn ich mir denke oder flüstere, Laß dies oder jenes nicht geschehen!, bin ich dann ein Mensch, der immer noch einem Gott untertänig ist? Die Antwort, die ich mir dann gebe, scheint mir eindeutig: der Mensch hat das natürliche Bedürfnis nach Transzendenz, dass sich Menschen einen Gott bewahren ist keine schlechte oder antiquierte Gewohnheit, es ist menschlich und wahrscheinlich nie aus den Menschen zu tilgen. Helmuth Plessner eilt mir mit seinen drei anthropologischen Grundgesetzen zur Hilfe. Das erste Gesetz nennt sich "natürliche Künstlichkeit"; es besagt, dass der Mensch "den Umweg über künstliche Dinge" nehmen muß. Weil ihn die Natur nicht geborgen hält, lebt er von Natur aus künstlich, muß er von Natur aus eine Kultur gestalten. Die "vermittelte Unmittelbarkeit" ist das zweite Gesetz; es legt dar, dass der Mensch auf die Unmittelbarkeit des Vorgegebenen angewiesen ist, aber durch eigenes Erkennen und Gestalten vermittelt er das Vorgegebene an seine menschliche Welt. Das dritte und für die Thematik des religiösen Glaubens bedeutendste Gesetz ist der "utopische Standort"; es besagt, dass der Mensch durch dieses Abstandnehmen von dieser Unmittelbarkeit zur Welt, seiner Nichtigkeit erst bewusst wird. Daher hält er Ausschau nach einem festen Grund, nach einem absoluten Weltmotiv - nach Gott. Hierbei handelt es sich um den "apriorischen, mit der menschlichen Lebensform an sich gegebenen Kern, den Kern aller Religiosität", wie Plessner es formuliert.
Der moderne Atheismus weist die Einsicht von sich, dass Menschen von Natur aus transzendente Bedürfnisse haben. Er steht mit beiden Beinen auf dem Boden - was nicht falsch ist, was aber aus Mangel an ethischem Surrogat häufig in materieller Seelenheilprogrammatik verendet. Er nennt Gott eine Illusion - was er auch sein könnte; aber wenn Menschen sich einen Gott denken können, so gibt es ihn für diese Menschen auch. Führt das zu missionarischem Eifer, Separatismus oder gar Krieg: dann darf es keine Toleranz geben; gelingt es diesem Gott aber - und das geschieht häufig! -, Menschen zu Nächstenliebe und Anteilnahme zu ermutigen: dann kann ein Atheist doch kein Problem mit Menschen haben, die sich einen Gott erhalten haben.
Warum ich mir öffentlich Gedanken zum Atheismus mache? Weil er mich, wie erläutert, oft enttäuscht - nicht er, sondern diejenigen, die ihn vertreten. Das ist es ja gerade: sie vertreten ihn, als sei er etwas wie eine Bewegung, als sei er eine atheistische Kirche; sie werden zu Vertretern dieser privaten Sache. Und noch was treibt mich dazu: die öffentliche Debatte der letzten Wochen. An dieser hat man nämlich ermessen können, wie es um atheistische Sichtweisen bestellt ist. Was den Muslimen hierzulande wiederfahre sei zwar schon grob, aber Solidarität mit Menschen, die einen Gott haben, wollte man nicht so recht walten lassen. Unter atheistischen Argusaugen, die den stieren Blick missionarischer Zeloten aufweisen, gibt es keine Differenzierung. Alles was Menschen unter Gottesbürde tun, ist für die Mehrzahl der Atheisten unglaublich rückständiges Verhalten, plumpe Dummheit, unnatürliche Altmode, eine gestrige Marotte, die man ganz schnell liquidieren sollte. Die Toleranz, die man Gläubigen abspricht, kennt man selbst nicht. Da scheinen Berge an Weisheit mit Löffeln in sich geschaufelt worden zu sein.
Es ist ja nicht so, dass ich mich mit Gott gemein machen wollte; dass ich den Katholizismus zum Beispiel oder den Islam besonders attraktiv finde: das nie und nimmer! Aber mir gefällt es nicht, dass man Menschen mit Gottesbezug, ob sie rege am Gemeindeleben teilnehmen oder nicht, in die Ecke altmodischer Blödheit stellt. Führt deren Gottesbezug dazu, Schwule als Aussatz der Gesellschaft zu formen, dann schweige ich nicht ehrfürchtig; Wirtshaustheologie ist unerträglich. Da kann der Atheist freilich nicht ignorant sein, da muß er sich wehren. Aber er muß ignorant sein, wenn es um religiöse Praktiken geht, die man jedoch an seinem Mitmenschen respektieren muß. Ich schreibe absichtlich "ignorant", weil es für jemanden, der eher philosophisch denn theologisch geschult, eher profan statt sakral besaitet ist, schwer ist, offenen Auges religiösen Tand zu tolerieren. Erst neulich bestritt ich den Tag der offenen Moscheen; ich wollte ein solches Gebetshaus von innen bewundern, die Ornamente betrachten. Man bat die Besucher, sie mögen die Schuhe ausziehen, was ich natürlich tat. Aber die Erklärung, die verstimmte mich: wir tun das, meinte eine junge Muslima, weil unser Prophet das so tat. Das ist alles, fragte ich mich still. Nur weil der Prophet das tat? Diese Erklärung war mir zu dünn. Tun, weil einer mal etwas tat - dergleichen Argumentation befriedigt mich, erschließt sich mir nicht. Ich wunderte mich leise, mir stand kein kritisches Wort zu: man sollte Respekt haben, auch wenn es einen nicht zusagt - zumal wenn man Gast ist. Schnell trat ich dann den Heimweg an, noch bevor ein Rundgang und die Fragestunde folgte. Da war mir klar, dass Toleranz manchmal auch Ignoranz sein muß, weil man es anders vielleicht nicht ertragen kann. Jedem seinen Glauben, aber ich muß ja nicht dabei sein; schön, wenn Leute Erfüllung durch Religion erhalten, wenn sie zu besseren Menschen werden, wenn sie dort Trost und Kraft finden - aber ich muß ja nicht daneben stehen und eine Kerze halten. Da ist Ignoranz die bessere Toleranz!
Noch vor einigen Jahren hätte ich diese Besonnenheit arrogant belächelt; ich war sehr wohl der Ansicht, man müsse ein Botschafter des Nicht-Glaubens sein. Das Kruzifix beschmutzen, Mohammad karikieren: richtig so!, hätte ich gerufen. Nur für was? Ist es das wert? Dass ich meine Einsicht geändert habe, mag zu einem guten Teil auch Resignation sein: einen gläubigen Menschen bekehrt man nicht mit seiner leeren Lehre, in der kein Gott vorkommt - so eine Inhaltslosigkeit macht vielen Angst. Gelangen Gespräche in diese thematischen Gefilde, ziehe ich mich zurück; es erscheint mir unsinnig darüber zu debattieren. Das bisschen Dreifünftelbildung, das sich müde in mir regt, ist wohl der andere Teil meiner Einsicht. Der Mensch besitzt eine religiöse Natur, man kann sie nicht einfach abschalten, genetisch behandeln oder durch Sinngebungssurrogate auffüllen; man kann zwar in die wundersamen Tiefen des Konsums abtauchen und seinem Leben Sinn verordnen, der sich zwischen Rabatten und Schnäppchen erstreckt, aber irgendwann ist man auf sich zurückgeworfen und dann steht man vor seiner eigenen Nichtigkeit und landet im transzendenten Tummelbecken: was heute wahrscheinlich eher in der Esoterik als in der Kirche endet, weil erstere es besser versteht, Konsum und Transzendenz zu vereinen - dann bekommt die Sinnleere des Konsums ein spirituelles Kolorit und eine Weile fühlt man sich aufgehoben...
Ich will keinen Gott haben müssen; aber in einer vollkommen sinnentleerten und wertefreien Gesellschaft will ich auch nicht leben. Sollten Menschen einen Gott brauchen, um Sinn und Werte zu finden: nur zu! Glaubt! Machen wir uns doch nichts vor: ob eine Gesellschaft nun völlig religiös ist oder vollkommen frei von höheren Wesen, die Ethik verordnen - es ändert sich wenig. Hie Wertediktatur, dort Diktatur des Nihilismus. Ein Mittelweg wäre notwendig, mehr Gelassenheit auf allen Seiten...
Über Atheisten ärgere ich mich häufig. Ich bin wahrscheinlich selbst einer - aber sie ergrimmen mich trotzdem. "Wahrscheinlich" schreibe ich, weil die Existenz oder Nicht-Existenz eines Gottes für mich zweitrangig ist. Gott gibt es nicht!, kann ich nicht behaupten; ich kann aber erklären, dass ich keinen brauche, keinen haben will, auch ohne einen Gott, ohne Religion, dafür mit Anleihen bei der Philosophie, meist ganz gut zurecht komme. Ich kann meine Gottlosigkeit nur auf mich begrenzen; ich will kein universelles Gebot herausfiltern, will Gott gibt es nicht! nicht als Parole über Felder und Flure rufen - nur weil es ihn für mich nicht gibt, heißt es ja nicht, dass es ihn für niemand geben soll. Agnostiker würde mich manche nennen - aber als solcher fühle ich mich nicht; ich bin ja nicht verunsichert, lasse mir auch nicht beide Optionen, Existenz oder Nicht-Existenz, offen; nein, es ist eindeutig: es gibt keinen Gott - für mich!
Und trotzdem sage ich mir paradoxerweise, dass es Gott gibt. Nicht den einen Gott vielleicht, jeder denkt sich gerade den Gott, den er leiden mag. Es gibt Gott! Nicht konkret, nicht stofflich sicherlich, sondern als Esprit, als Beseelung einer Person, als gute Absicht, in cerebralen Nervenfasern, als Gewissen letztlich - oft natürlich auch als böse, widerwärtige, als spießige Ausformung. Gott wie er ist, als innere Schau des Menschen, als Hilfskonstrukt für tugendhafteres Handeln, ist seiner menschlichen Herkunft gemäß eben auch das, was der Mensch zuweilen ist: ein ziemliches Miststück! Wenn jedoch Menschen ein Gott dabei behilflich ist, friedlicher und rücksichtsvoller und solidarischer mit ihren Mitmenschen, mit ihren Nächsten umzugehen, so freue ich mich, dass sie einen Gott besitzen. Ein transzendente Essenz sollte ja dazu dienen, all die Niedertracht, die Schikanen und Gehässigkeiten des alltäglichen irdischen Daseins zu kanalisieren, sie unter Kontrolle zu halten, zur Vernunft zu geleiten. Insofern ist der Versuch vieler neuzeitlicher Theologen, Glauben und Vernunft unter einen Hut bringen zu wollen - Kant tat es ja auch! -, gar kein Widerspruch. Auch wenn das, was man einen "vernünftigen Glauben" oder eine "glaubende Vernunft" taufen könnte, lediglich ein Optimum, ein Nonplusultra darstellt - denn der institutionalisierte und vorexerzierte, an feste Normen und Gebräuche geheftete Glaube an etwas Höheres, auch Religion oder Kirche genannt, verhinderte stets die Verquickung beider Pole.
Manchmal bin ich also auf Atheisten wütend. Sie frönen jener Ausschließlichkeit für ihr Es gibt keinen Gott!, die sie ansonsten bei den religiösen Zeloten verteufeln. Sie werden zu Missionaren ihres fast schon religiös betriebenen Nicht-Glaubens. Sie ergötzen sich an der Verbreitung ihrer Weltanschauung! Wo die einen jedermann ihren Gott überstülpen wollen, überschütten die anderen alle mit ihrem Nicht-Gott, ihrem Es gibt keinen Gott. Nicht dass ihnen das Glauben schwerfiele, die Rechtfertigung ihres atheistischen Weltbildes klingt oft banal, sie verurteilen in einstudierten Floskeln Kirche und Glaubenskriege und befürwortet einen freien Sonntagvormittag - man glaubt nicht, weil es bequemer ist, weil man keine Lust dazu hat, etwas tiefer in das natürliche menschliche Bedürfnis nach Glauben hineinzuschnuppern, in die Vereinbarkeit der conditio humana mit der Transzendenz. Nicht-glauben-wollen ist die bevorzugte Variante, Nicht-glauben können ist eher rar. Es ist ja so einfach ohne absolute, unantastbare, transzendente Moralvorstellungen zu leben - aus dieser Form des "Atheismus" entsprangen Großkotze und Narzisse. Man sagt das Zwanzigste Jahrhundert sei die Ära des Atheismus gewesen, Hitler und Stalin die Erscheinungsformen der Gottlosigkeit. Für mich ist das Unsinn, auch mit einem Gott wären sie gewesen, was sie waren; vielleicht hatten sie keinen Gott, aber einer Religion folgten sie und ihre Paladine dennoch. Sie hatten sich religiöses Brimborium erschaffen, ihre Weltanschauung war ihr Fels in der Brandung, man schuf sich Ideale und Werte, Katechismen und Gebote, die es erlaubten, ruhigen Gewissens Blut zu vergießen; für ihre profanen Götzen musste man töten. Wenn das Zwanzigste Jahrhundert überhaupt wirklich vollkommen unidealistische Gestalten erzeugt haben soll, dann nicht die Hitlers und Stalins, dann schon eher solche wie jene young urban professionals, kurz Yuppies genannt, die vollkommen entspiritualisiert waren, keinerlei Zuneigung zu universellen Idealen kannten, Moral für austauschbar hielten, für eine geistige Haltung, die je nach Kassenlage und Nutzen veränderbar sei. Dieser Menschenschlag, der in beinahe jeden Hollywoodfilm der Achtzigerjahre abgebildet wird, mal als Erfolgsmensch, mal als menschliche Hülle ohne liebenswerten Inhalt, sitzt heute in Vorständen und Aufsichtsräten, belagert Vorgesetztenposten und Vorarbeiterstellen, hat sogar bis in die Arbeiterschaft hineingestrahlt. Diese Geisteshaltung der Yuppies zeichnet sich durch absolute Diesseitsauschließlichkeit aus, leugnet Moral als nicht generalisierbare Spielerei einiger Romantiker, als hemmendes Kriterium für den menschlichen Fortschritt. Allzu viele atheistisch gesonnene Menschen kommen aus diesem Milieu; sie haderten nie mit Gott, nie mit der Religion, weil sie ihn oder sie für ungerecht erachteten - sie legten den Glauben nur ab (oder ihn sich nie zu), weil es weniger zeitaufwändig ist, weil die materielle Erlebniswelt keine Zeitvergeudung zulässt. Es sind Bequemlichkeitsatheisten, die den Gläubigen arrogant vor Augen halten, wie rückständig sie doch seien, weil sie immer noch an einem Märchen klammern, weil sie weiterhin einem Phantom nachbeten.
Und nun zurück zu Gott? Sicher nicht! Die Säkularisierung, die eine entspiritualisierte Gesellschaft zurückließ, hat natürlich unglaubliche Vorzüge - wir sind freier, wir leben gerechter dadurch; der Bigotterie und Frömmelei ist weitestgehend der Garaus gemacht, eine absolute, auf Gott zurückzuführende Wertetyrannis gibt es kaum noch - man kann heute Ideale hinterfragen - klammern wir mal das "Ideal Arbeit" aus! - und muß sich Sätze wie Das ist eben so! oder So war es immer! nicht stumm hinnehmen. Aber dort, wo moralische Imperative standen, steht heute nichts mehr: wir müssen betrübt feststellen, dass alle Aufklärung, dass die Philosophie nicht in dieses Vakuum hat hineinstoßen können. Die Wissenschaft richtet sich zuweilen dort ein und wälzt Ethik zu Biologismus, befördert einen unsagbar kalten Nihilismus, der Ethik bestenfalls als die Endsumme genetischer Wirkungsweisen wahrnimmt. Michel Houellebecq, sicher nicht verdächtig, besonders gottergeben zu sein, thematisiert das zuweilen in seinen Büchern: der Mensch des Mittelalters hatte Anhaltspunkte für ein "anständiges Leben", er bekam Kodizes mit der Muttermilch eingeflößt. Das geschah selbstverständlich nicht immer in edler Absicht, geschah durch Angst und kirchlichen Druck. Aber als die Kirche ihr gesellschaftliches Primat aufgeben musste, haben es profanere Schulen verpasst, in der leerstehenden ethischen Nische heimisch zu werden; kapitalistische Prozesse, die Menschen nach wertvoll und wertlos schieden, unterstützten die ethische Vakanz oder nutzten die moralischen Aspekte der Religion, um die Ausbeutung auch noch übersinnlich zu rechtfertigen. Houellebecq erkennt ganz richtig, dass die spirituelle Krise eine Krise der Moral ist.
Mir geht es nicht um Kirche, nicht um Religion, wenn ich hier den Glauben meiner Mitmenschen verteidigen möchte; es ist der Glaube einzelner Menschen an ein höheres Wesen, was mich zu ihren Verteidiger macht - undogmatischer Umgang mit einer Gottesgestalt, die geartet sein kann wie sie will: christlich, moslemisch, spinozistisch, das heißt: naturalistisch. Was moderne Atheisten aber beweisen: es braucht keinen Gott um intolerant zu sein - auch ohne ihn geht es radikal zu, pflegt man Unverständnis und Einseitigkeit; was letztlich unterstreicht: nicht der Glaube macht inhuman - blinde Dogmatik tut das; nicht der Gläubige an sich ist Eiferer - der Mensch an sich neigt dazu, wenn er seine Weltsicht überhöht und Andersdenkende, Andersglaubende praktischerweise über einen Kamm schert. Dieser unsägliche Radikalismus, alles spöttisch abzutun, was nach Gott riecht, Menschen auszulachen, weil sie als letzte Instanz immer noch einen großen Puppenspieler vermuten, er ist eine universelle Erscheinung allen Dogmatismus'.
Mein Gott, wenn ich Sorgen oder Ängste habe, spreche ich doch auch leise vor mich hin; Bitte laß es nicht wahr sein!, säusle ich schon mal - dann frage ich mich hernach oft, wem das gegolten habe. "Mein Gott!" schrieb ich vorhin absichtlich: auch diese Floskel rutscht mir zuweilen raus, auch wenn ich für mich gar keinen Gott habe. Wenn ich flehe und bitte, wenn ich mir denke oder flüstere, Laß dies oder jenes nicht geschehen!, bin ich dann ein Mensch, der immer noch einem Gott untertänig ist? Die Antwort, die ich mir dann gebe, scheint mir eindeutig: der Mensch hat das natürliche Bedürfnis nach Transzendenz, dass sich Menschen einen Gott bewahren ist keine schlechte oder antiquierte Gewohnheit, es ist menschlich und wahrscheinlich nie aus den Menschen zu tilgen. Helmuth Plessner eilt mir mit seinen drei anthropologischen Grundgesetzen zur Hilfe. Das erste Gesetz nennt sich "natürliche Künstlichkeit"; es besagt, dass der Mensch "den Umweg über künstliche Dinge" nehmen muß. Weil ihn die Natur nicht geborgen hält, lebt er von Natur aus künstlich, muß er von Natur aus eine Kultur gestalten. Die "vermittelte Unmittelbarkeit" ist das zweite Gesetz; es legt dar, dass der Mensch auf die Unmittelbarkeit des Vorgegebenen angewiesen ist, aber durch eigenes Erkennen und Gestalten vermittelt er das Vorgegebene an seine menschliche Welt. Das dritte und für die Thematik des religiösen Glaubens bedeutendste Gesetz ist der "utopische Standort"; es besagt, dass der Mensch durch dieses Abstandnehmen von dieser Unmittelbarkeit zur Welt, seiner Nichtigkeit erst bewusst wird. Daher hält er Ausschau nach einem festen Grund, nach einem absoluten Weltmotiv - nach Gott. Hierbei handelt es sich um den "apriorischen, mit der menschlichen Lebensform an sich gegebenen Kern, den Kern aller Religiosität", wie Plessner es formuliert.
Der moderne Atheismus weist die Einsicht von sich, dass Menschen von Natur aus transzendente Bedürfnisse haben. Er steht mit beiden Beinen auf dem Boden - was nicht falsch ist, was aber aus Mangel an ethischem Surrogat häufig in materieller Seelenheilprogrammatik verendet. Er nennt Gott eine Illusion - was er auch sein könnte; aber wenn Menschen sich einen Gott denken können, so gibt es ihn für diese Menschen auch. Führt das zu missionarischem Eifer, Separatismus oder gar Krieg: dann darf es keine Toleranz geben; gelingt es diesem Gott aber - und das geschieht häufig! -, Menschen zu Nächstenliebe und Anteilnahme zu ermutigen: dann kann ein Atheist doch kein Problem mit Menschen haben, die sich einen Gott erhalten haben.
Warum ich mir öffentlich Gedanken zum Atheismus mache? Weil er mich, wie erläutert, oft enttäuscht - nicht er, sondern diejenigen, die ihn vertreten. Das ist es ja gerade: sie vertreten ihn, als sei er etwas wie eine Bewegung, als sei er eine atheistische Kirche; sie werden zu Vertretern dieser privaten Sache. Und noch was treibt mich dazu: die öffentliche Debatte der letzten Wochen. An dieser hat man nämlich ermessen können, wie es um atheistische Sichtweisen bestellt ist. Was den Muslimen hierzulande wiederfahre sei zwar schon grob, aber Solidarität mit Menschen, die einen Gott haben, wollte man nicht so recht walten lassen. Unter atheistischen Argusaugen, die den stieren Blick missionarischer Zeloten aufweisen, gibt es keine Differenzierung. Alles was Menschen unter Gottesbürde tun, ist für die Mehrzahl der Atheisten unglaublich rückständiges Verhalten, plumpe Dummheit, unnatürliche Altmode, eine gestrige Marotte, die man ganz schnell liquidieren sollte. Die Toleranz, die man Gläubigen abspricht, kennt man selbst nicht. Da scheinen Berge an Weisheit mit Löffeln in sich geschaufelt worden zu sein.
Es ist ja nicht so, dass ich mich mit Gott gemein machen wollte; dass ich den Katholizismus zum Beispiel oder den Islam besonders attraktiv finde: das nie und nimmer! Aber mir gefällt es nicht, dass man Menschen mit Gottesbezug, ob sie rege am Gemeindeleben teilnehmen oder nicht, in die Ecke altmodischer Blödheit stellt. Führt deren Gottesbezug dazu, Schwule als Aussatz der Gesellschaft zu formen, dann schweige ich nicht ehrfürchtig; Wirtshaustheologie ist unerträglich. Da kann der Atheist freilich nicht ignorant sein, da muß er sich wehren. Aber er muß ignorant sein, wenn es um religiöse Praktiken geht, die man jedoch an seinem Mitmenschen respektieren muß. Ich schreibe absichtlich "ignorant", weil es für jemanden, der eher philosophisch denn theologisch geschult, eher profan statt sakral besaitet ist, schwer ist, offenen Auges religiösen Tand zu tolerieren. Erst neulich bestritt ich den Tag der offenen Moscheen; ich wollte ein solches Gebetshaus von innen bewundern, die Ornamente betrachten. Man bat die Besucher, sie mögen die Schuhe ausziehen, was ich natürlich tat. Aber die Erklärung, die verstimmte mich: wir tun das, meinte eine junge Muslima, weil unser Prophet das so tat. Das ist alles, fragte ich mich still. Nur weil der Prophet das tat? Diese Erklärung war mir zu dünn. Tun, weil einer mal etwas tat - dergleichen Argumentation befriedigt mich, erschließt sich mir nicht. Ich wunderte mich leise, mir stand kein kritisches Wort zu: man sollte Respekt haben, auch wenn es einen nicht zusagt - zumal wenn man Gast ist. Schnell trat ich dann den Heimweg an, noch bevor ein Rundgang und die Fragestunde folgte. Da war mir klar, dass Toleranz manchmal auch Ignoranz sein muß, weil man es anders vielleicht nicht ertragen kann. Jedem seinen Glauben, aber ich muß ja nicht dabei sein; schön, wenn Leute Erfüllung durch Religion erhalten, wenn sie zu besseren Menschen werden, wenn sie dort Trost und Kraft finden - aber ich muß ja nicht daneben stehen und eine Kerze halten. Da ist Ignoranz die bessere Toleranz!
Noch vor einigen Jahren hätte ich diese Besonnenheit arrogant belächelt; ich war sehr wohl der Ansicht, man müsse ein Botschafter des Nicht-Glaubens sein. Das Kruzifix beschmutzen, Mohammad karikieren: richtig so!, hätte ich gerufen. Nur für was? Ist es das wert? Dass ich meine Einsicht geändert habe, mag zu einem guten Teil auch Resignation sein: einen gläubigen Menschen bekehrt man nicht mit seiner leeren Lehre, in der kein Gott vorkommt - so eine Inhaltslosigkeit macht vielen Angst. Gelangen Gespräche in diese thematischen Gefilde, ziehe ich mich zurück; es erscheint mir unsinnig darüber zu debattieren. Das bisschen Dreifünftelbildung, das sich müde in mir regt, ist wohl der andere Teil meiner Einsicht. Der Mensch besitzt eine religiöse Natur, man kann sie nicht einfach abschalten, genetisch behandeln oder durch Sinngebungssurrogate auffüllen; man kann zwar in die wundersamen Tiefen des Konsums abtauchen und seinem Leben Sinn verordnen, der sich zwischen Rabatten und Schnäppchen erstreckt, aber irgendwann ist man auf sich zurückgeworfen und dann steht man vor seiner eigenen Nichtigkeit und landet im transzendenten Tummelbecken: was heute wahrscheinlich eher in der Esoterik als in der Kirche endet, weil erstere es besser versteht, Konsum und Transzendenz zu vereinen - dann bekommt die Sinnleere des Konsums ein spirituelles Kolorit und eine Weile fühlt man sich aufgehoben...
Ich will keinen Gott haben müssen; aber in einer vollkommen sinnentleerten und wertefreien Gesellschaft will ich auch nicht leben. Sollten Menschen einen Gott brauchen, um Sinn und Werte zu finden: nur zu! Glaubt! Machen wir uns doch nichts vor: ob eine Gesellschaft nun völlig religiös ist oder vollkommen frei von höheren Wesen, die Ethik verordnen - es ändert sich wenig. Hie Wertediktatur, dort Diktatur des Nihilismus. Ein Mittelweg wäre notwendig, mehr Gelassenheit auf allen Seiten...
27 Kommentare:
Mit oder ohne Gott, das aendert leider nichts an unserer Gesellschaft. Aber ohne Gott haben wir das auch noch nie versucht. Oder doch? Sind die, die da "glauben" nicht bloss Angsthasen sich zu outen? Wahrscheinlich glaubt ja doch keiner wirklich an Gott ...
Es kommt darauf an ob man die Freiheit hat nicht glauben zu muessen. Ein bekennender Atheist kann wohl kein amerikanischer Praesident werden.
Wie du richtig schreibst haben die Schulen es versaeumt die Menschlichkeit zu lehren. Es ist halt billig und bequem diese Arbeit den Gottesvertretern zu ueberlassen und deine 'ignorante Toleranz' zu teilen.
Ich verstehe genau was du damit meinst.
Ich komm vom kath. Dorf, war Messdiener und lebe nun als zweifach-Unglaeubiger mit Familie in einem muslimischen Land - seit fast 20 Jahren. Hier beruht die tolerante Ignoranz auf Gegenseitigkeit. Bis jetzt jedenfalls. Wenn die Europaeer allerdings weiter die Muslimhetze betreiben bekommen wir hier im Ausland die Quittung dafuer ...
Schoenes Wochenende
Wer etwas glaubt bzw. nicht glaubt, muss eben immer ein ganzes Paket von irgendwo kaufen. Wer beispielsweise an Gott glaubt, muss natürlich entweder Christ, Moslem usw. sein. Wer sich nicht für Religionen begeistert, muss eben Atheist und Nihilist sein. Oder in man ist in irgerndeiner New Age Sekte, wo einem irgendein Guru wieder Vorgaben macht, was man zu glauben hat und was nicht.
Wer den Brutalo-Kapitalismus unserer Tage nicht toll findet, ist sicherlich Kommunist, Sozialist oder Marxist. Wer unser auf Zins und Zinseszins beruhendes Geldsystem kritisiert(komischerweise ist es bei den Anhängern der drei Großen Weltreligionen nie Thema, obwohl es eigentlich verboten ist...), will wahrscheinlich Geld abschaffen und in die Steinzeit zurück. Und so weiter...
Die meisten Menschen gehen sozusagen in einen imaginären Supermarkt, und kaufen sich dann das Päckchen, was ihnen am meisten zusagt. Da man von sich selbst gern auf andere schließt, glaubt man, dass alle Menschen das wahrscheinlich so machen.
Ich sage mir immer Religion oder nicht Religion, einen Menschen mit Gewissen kann sowieso nichts verderben. Der Glaube kann manchen eine Stütze sein, aber sie würden sich auch ohne diesen verantwortungs- und rücksichtsvoll verhalten. Oder eben auch nicht - da nützt irgendein Glaube dann auch nichts mehr.
Zu Hitler und den Nationalsozialisten wäre noch zu sagen, dass diese Okkultisten waren und zumindest glaubten, mit irgendwelchen 'Meistern' unterhalb von Tibet in Verbindung zu stehen. Auch hatte die NSDAP wohl recht großen Zulauf aus einer Sekte namens "Thule-Gesellschaft". Manche Forscher finden, dass die Aufmärsche und Inszenierungen der Nazis pseudoreligiösen Charakter hatte und wahrscheinlich deswegen auch so viele Leute in ihren Bann zog.
Wie kommst Du darauf, dass das, was Du empfindest einzigartig ist?
Du willst Glaube, Liebe Hoffnung - und trotzdem Atheist sein?
Das ist doch kein Problem.
Du bist nicht allein :o)
http://blog.dignitatis.com/wordpress/2010/10/22/vertrauen-liebe-hoffnung-und-barmherzigkeit/
Nunja, es passiert ja gerade das Gegenteil. Wir Atheisten sollen missioniert werden. Nicht der Atheist missioniert heutzutage, sondern der Christ, welcher Konfession auch immer. Wir werden beschimpft, sind verlottert, haben keine Ethik und nur die Ethik der Christen zählt, die sie nicht einmal selbst leben. Ach, was habe ich mir schon anhören müssen, so als diejenige, über den man sich nicht wundern muss, dass so ein Menschenschlag Kinder in Blumentöpfen vergräbt. In Ostdeutschland läuft jedenfalls eine christliche Missionierungsoffensive.
Wenn ein Lebewesen - ob Mensch oder Tier - aus der schützenden Hülle des mütterlichen Organismus hinaus in die "Welt" gepresst worden ist, sucht es als Erstes - Berührung.
Wir suchen also von Beginn an Nähe und Zuwendung! Ein Säugling sucht die mütterliche Brust, weil er dort Nahrung, Wärme und Geborgenheit vermutet.
Als "Säugetiere" sind wir dann auch im weiteren "Wachsen" auf diese "Zuwendung" angewiesen.
Finden wir sie nicht, breitet sich Angst in uns aus - und wir suchen Nähe und Zuwendung in der menschlichen Gesellschaft.
Sprich, wir suchen die Nähe bei Indididuen um uns herum. Doch jeder oder jede von ihnen ist ebenfalls auf der Suche.
Deshalb das Flüchten zu einem vermeintlich imaginären "Wesen", dass uns Nähe, Geborgenheit - eben dieses wohltuende "Eingehülltsein" verspricht.
Alle Varianten - ob Gott ist tot oder Gott lebt - oder Nieder mit der Göttlichkeit - spiegeln nur die verzweifelte Suche nach dem "Aufgefangenwerden" wieder.
All das gehört für mich zu einer Art Erwachsenwerden dazu. Die Menschheit wird langsam "erwachsen" und vielleicht gelingt es ihr, gelingt es jedem Individuum, dieses Suchen nach Transzendenz in sich selbst zu finden. Um dann, wenn man es gefunden zu haben glaubt, viel davon an den nächsten, der es sucht, abgeben zu können.
Wenn uns das gelingt - die Transzendenz in uns allen zu empfinden, und diese dann auch wieder teilen zu können, dann brauchen wir die, von uns Menschen gemachte "Ersatzbefriedigung" Kirche, Religion samt dem von Menschen verramtschten Gottesbegriff nicht mehr.
Und wir können in Gelassenheit Berührung zulassen . . .und selber berühren.
Ulrich Grober, Autor von "Die Entdeckung der Nachhaltigkeit - Kulturgeschichte eines Begriffs", fasst es mit dem Satz:
"Im Dreieck von planet, people,profits - wie die Amerikaner sagen - heißt die Priorität: Earth first."
Denn: Es gehört alles zusammen für uns "Erdwesen" - in dem wir unseren Lebensraum Erde pfleglich behandeln, tun wir uns Menschen Gutes - und daraus wächst dann die Gewissheit auf Geborgenheit, Nähe und Wärme.
Ein sehr schöner Text, der mir sehr aus dem Herzen spricht.
Es gibt leider viel zu viel Leute, die Atheismus als einzige Wahrheit betrachten und diese dann auch noch radikal-fundamentalistisch vertreten. Wenn man sie dann darauf aufmerksam macht, dass ihr verhalten sich nicht besonders von einem Mittelalterlichen Katholizismus unterscheidet (mal abgesehnen von Inqusition und Hexenverbrennung - jedenfalls zurzeit noch), erntet man im besten Falle noch Hohn und Spott, wird aber auch gerne Verbal runtergeputzt bis man sich kaum noch traut überhaubt was zu sagen.
Und auch die politischen Umstände machen es dem geneigte Atheisten (in Europa) zu leicht sich (zu recht) zu echauffieren: Die Macht der Evangelikalen in den USA, der türkische Ministerpräsident, der den laizismus am besten abschaffen möchte und die deutschen Politiker, die auch nicht weit davon entfernt sind einen christlichen Gottesstaat aufzubauen...
Falls es jemanden interessiert: Ich persönlich fühle mich keiner Galubensrichtung direkt zu gehörig, bin aber davon überzeugt, dass in jeder Religion Weisheit ,Ethik und Humanismus transportiert wird.
Ein paar Manmerkungen:
"Manchmal bin ich also auf Atheisten wütend. Sie frönen jener Ausschließlichkeit für ihr Es gibt keinen Gott!, die sie ansonsten bei den religiösen Zeloten verteufeln."
Um Atheist zu sein, genügt es NICHT an einen Gott ZU GLAUBEN - Man muss nicht zwingend glauben, dass es keinen Gott gibt. Bis vor kurzem hätte ich an dieser Stelle schluss gemacht und mich auf das nicht-Glauben berufen. Ein anderer Artikel hat mich aber daraufgestoßen dass ich guten Gewissens sagen kann: Ich weiß, dass es keinen Gott gibt. Komischerweise unterstellen hier alle eine absolute Gewissheit, die sonst nie unterstellt wird. "Ich weiß, dass morgen die Sonne wieder aufgeht! - Bist du dir da absolut sicher?" - Im Alltag würde das lächerlich klingen, bei der Existenz (eines) Gottes wird dieser Maßstab komischerweise ganz selbstversändlich angewandt.
In diesem Sinne weiß ich also, dass es keinen Gott gibt. Ich weiß auch dass es den Osterhasen nicht gibt. Wenn das auf dich arrogant wirkt dann kann ich dir nicht helfen.
Du wirst dich wohl fragen, was der Unterschied zwischen dem Wissen der Theisten und meinem (bzw. dem atheistischen Wissen) ist. Ganz einfach: Wissenschaft! Sie ist der beste Weg, Erkenntnisse über die Realität zu erlangen, und hier gab es bisher keine Hinweise auf einen Gott. Also ist dessen Nichtexistenz anzunehmen.
Das mag manche ängstigen, auf andere kalt und herzlos wirken, ist aber der richtige Weg zum Erkenntnisgewinn. Was sich daraus NICHT ableitet sind Handlungsanweisungen, d. h. Moral etc.!
"[...] nur weil es ihn für mich nicht gibt, heißt es ja nicht, dass es ihn für niemand geben soll."
Solche Aussagen kenne ich sonst nur von Theisten; das ist als würdest du sagen dass die Erdbeschleunigung für dich 9,81 beträgt, für andere aber auch anders sein kann. Beide Aussagen sind aber sinnlos, entweder gibt es einen Gott oder nicht, entweder ist die Erdbeschleunigung 9,81 oder sie ist anders. Theisten schaffen es irgendwie, anderen eine andere Realität zuzugestehen während sie gleichtzeitig ihre "eigene" behalten. Ich vermute, das kommt daher dass manche "Realität" als die persönliche Wahrnehmung betrachten. Ich meine mit Realität das, was IST, und zwar unabhängig von unserer Wahrnehmung. Wenn ich da einen Stuhl sehe und du nicht dann kommst du auch nicht mit "Einigen wir uns darauf, dass der Stuhl für dich da ist und für mich nicht", sondern du wirst annehmen, dass mit deiner oder meiner Wahrnehmung etwas nicht stimmt. Durch einfachste Messmethoden (Tastsinn) können wir beide experimentell herausfinden, bei wem das Problem liegt. Im Beispiel würde der Betroffene zum Arzt gehen, in der (weltanschaulichen) Realität fängt der Betroffene ehr einen Glaubenskrieg an als seinen Fehler einzugestehen.
"Und trotzdem sage ich mir paradoxerweise, dass es Gott gibt. Nicht den einen Gott vielleicht, jeder denkt sich gerade den Gott, den er leiden mag. Es gibt Gott! Nicht konkret, nicht stofflich sicherlich, sondern als Esprit, als Beseelung einer Person, als gute Absicht, in cerebralen Nervenfasern, als Gewissen letztlich - oft natürlich auch als böse, widerwärtige, als spießige Ausformung."
Nach diesem Maßsstab gibt es auch Elfen und Kobolde. Sicher kommt bei Gläubigen das Zugeständnis "Es gibt die Idee von einem Gott" weniger gut an als "Es gibt einen Gott", aber es würde das ausdrücken was du wirklich meinst. Dass es diese Ideen gibt ist unbestreitbar, vermutlich sind sie so zahlreich wie die Zahl der Menschen, die sie geglaubt haben.
Also solange ich in meinem Freundeskreis höre, dass die meisten das katholische Glaubensbekenntnis mitsprechen, davon aber nicht mal die Hälfte glauben, kann ich mein wissenschaftlich begründetes atheistisches Weltbild verteidigen und aktiv bekannt machen ohne mir selbst Arroganz vorwerfen zu müssen.
@ Christian
Ich befürchte, Du hast die Hälfte dessen, was ich schrieb, nicht verstanden. Mir geht es nicht um die Wissenschaftlichkeit einer Existenz. Wenn ich mir denken kann, dass es keinen Gott gibt, weil ich schlicht kein Bedürfnis habe auf einen solchen, dann kann auch der Gläubige dieses Recht für sich in Anspruch nehmen, solange er niemanden missioniert. Wenn ein Gott im Kopf herumgeht, dann gibt es ihn auch für diesen Menschen... wenn das zu mehr Harmonie führt, dann ist das nichts, was ich verurteilen möchte...
Und die Wissenschaft hat mitnichten festgestellt, dass es ihn nicht gibt. Das geht auch aus vielen Gründen gar nicht, die ich hier nicht weiter ausführen möchte.
Ob ich mir sicher bin, dass die Sonne aufgeht? Ich habe Hume gelesen, daher kenne ich diese Fragestellung. Nein, sicher sein kann ich mir nicht: die Gewohnheit sagt mir aber, die Sonne geht morgen wieder auf. Gewohnheit ist aber kein Wissen; so wie die Gewohnheit, jeden Gottesfürchtigen für einen Halbidioten zu halten, auch kein Wissen ist...
Ich bin glücklich mit einer bekennenden Baptistin verheiratet und habe großen Respekt angesichts dieses praktizierten Glaubens. Ich selbst würde mich als Atheist, bestenfalls als Agnostiker bezeichnen. Ich habe Religion immer als sehr menschliche Antwort auf die Unvermeidlichkeit des Todes angesehen und die diversen Regelwerke als Anleitung für ein ethisches Miteinander. Aber warum das Jenseits nur für den homo sapiens reserviert sein soll, will mir nicht einleuchten. Haben Katzen, Regenwürmer Einzeller keine Zugangsberechtigung? In der heutigen Zeit gewinnt in den diversen Religionen leider wieder das Irrationale an Boden und es könnte sein, dass wir bald ein paar große und kleine Gottesstaaten haben, die sich gegenseitig mit den absurdesten Argumenten die Existenz absprechen. Wie vor 800 Jahren...
"Nicht der Glaube macht inhuman - blinde Dogmatik tut das" (ZE).
Mehr muss zu dem ganzen Themenkomplex eigentlich nicht gesagt werden
aber:
@Christian: Du führst sehr schön vor, welche Art Atheisten Roberto meint. Schon mal darüber nachgedacht, dass die Wissenschaft sich weiterentwickelt und "unumstößliche" Wahrheiten immer wieder verworfen werden? Wo ist der Beweis der Nichtexistenz Gottes? Und warum regt es Dich so auf, dass manche Menschen Trost im Glauben finden? Ich bin katholisch, sehr kritisch gegenüber der Amtskirche eingestellt und ja, ich glaube an Gott. Was stört Dich daran? Ich bin übrigens Wählerin der einzigen Partei in Deutschland, die annähernd christliche Werte vertritt - der Linkspartei. Keine andere Partei in Deutschland ist im Grunde für einen Katholiken wählbar - zumindest nicht, wenn man nicht in Schubladen denkt und Etiketten für wichtiger hält als den Inhalt. Leider kreist die Katholische Kirche derzeit nur um sich selbst, anstatt mal auf den Tisch zu hauen und von den "christlichen" Parteien zu verlangen sich entweder endlich christlich zu verhalten oder sich in CapitalDemokratischeUnion oder CapitalSuperarschlöcherUnion umzubenennen. Der Missionierungseifer mancher Atheisten ist für einen denkenden undogmatischen Menschen wirklich schwer nachvollziehbar. Was geht es einen Atheisten an, was sich in MEINEM Kopf abspielt? Seid Ihr die Gedankenpolizei oder was?
potemkin hat gesagt...
"Ich bin glücklich mit einer bekennenden Baptistin verheiratet und habe großen Respekt angesichts dieses praktizierten Glaubens."
Ob deine Frau Baptistin ist oder einer anderen Religion oder auch Ideologie frönt, einen anderen Menschen, Frau/Mann zu lieben, gar in einer ehrlichen Beziehung zu leben, das ist immer ein Glück für einen Menschen, besonders wenn wir bedenken, wie kurz unser Dasein auf diesem Planeten ist.
Ich persönlch glaube auch schon lange, dass kein Mensch ehrlich und wahrhaftig leben kann ohne an etwas zu glauben was fundamental wichtig ist. Es kann ein ein Gott sein, oder auch ein Glaube an den Menschen, so wie er ist, wie er sein Könnte unter guten, optimalen gesellschaftlichen Bedingungen.(Mein ganz persönlicher Glaube an die Menschen, Menschen so vieler Regionen, Nationalitäten, Rassen...)
MfG Bakunin
wenn irgendjemand im stillen kämmerlein bei einem gott, heinrich oder oberguru trost und hilfe findet, dann ist das seine privatsache und für mich "voll in ordnung". solange er nicht versucht, mich mit irgendwelchen missionarischen anfällen zu belästigen oder irgendwelche sonderrechte für sich beansprucht, die auf himmlischen?? gegebenheiten beruhen.
wie die geschichte, bis in die jüngste zeit hinein, allerdings zeigt und gezeigt hat, wird glaube dann schädlich, wenn die "allgemeine volksbildung" durch glaubensbildung ersetzt oder ergänzt wird. ich denke da an bayrische gebirgsdörfer, esoterische zauberzirkel muslimisches mittelalter oder evangelikale eiferer.
solche gesellschaften sind nun einmal, da ja ein oder mehrere obergurus, die der gemeinde das denken vordenken,vorhanden sind, d viel leichter von den wahrhaftig und irdisch herrschenden zu beeinflussen und zu manipulieren als "aufgeklärte" menschen.
daher wohl auch z.b. die missionarische tätigkeit unserer kirchen im heidnischen osten. unwidersprochen bleibt natürlich, daß ersatzreliionen egal obs politischer fanatismus, zeitgeistmässiger konsumierschwachsinn oder als fanal dahergetragener atheismus ist,genauso abzulehnen sind.
es würde vollauf ausreichen, wenn jeder für sich darüber nachdenken würde, welche auswirkungen sein denken und handeln auf seine umwelt hat, auch das seiner mitmenschen, und entspechende konsequenzen daraus ziehen würde.
die toleranz anderen gegenüber ergäbe sich da automatisch - und nicht nur die!
Einem Gott zu dienen, sich hinter ihm verstecken zu können, die Verantwortlichkeiten zu delegieren, ist eine der faszinierensten Erfindungen des menschlichen Geistes. Sich dann vorzustellen, eine Gottheit, dies höhere Wesen, erschuf und formte all die Materie hier lediglich aus einigen Elementarteilchen [Quarks] heraus, ist ziemlich phantastisch.
Für mich ist Religion nur ein Placebo. Deshalb funktioniert Gott auch nicht richtig bei mir, glaube ich.
Ist Dir vielleicht schon einmal der Gedanke gekommen, daß eine "Radikalisierung" der Atheisten letztendlich nur eine Reaktion auf eine seit Jahren rollende Welle der Rechristianisierung unserer Gesellschaft ist?
Seit den 90ern wird in diesem ach so säkularen Staat von interessierter Seite versucht, die Kirchen bzw. den Glauben wieder zu stärken. "Religion ist Opium fürs Volk" meinte schon Karl Marx, und in Zeiten des wirtschaflichen Niedergangs breiter Bevölkerungsschichten anscheinend wieder besonders hilfreich für die Betreiber dieses Systems.
Die Giordano-Bruno-Stiftung, also der Verband der Konfessionlosen wenn man so will, hat sich erst im Jahre 2004 gegründet, und zwar als Reaktion auf die zunehmende Dominanz religiöser Lobbyisten (ob christlich oder muslimisch) in diesem Lande. Lange Zeit waren die Atheisten nicht organisiert, hielten sich bei hitzigen Debatten zurück und kamen so in der öffentlichen Diskussion überhaupt nicht vor, obwohl sie einen nicht unerheblichen Anteil der Bevölkerung repräsentieren.
Wenn nun Atheisten ihre Meinung laut und deutlich äußern, gelten sie sofort als arrogant, besserwisserisch und überheblich.
Zudem werden Atheisten nur all zu oft als kaltherzig, konsumgeil, narzistisch und frei von jeglichen Werten dargestellt. Es mag Atheisten geben, auf die dies zutrifft. Auf der anderen Seite gibt es jede Menge, die sich den Idealen der Aufklärung und des Humanismus verpflichtet fühlen und dafür auch streiten wollen. Das man dabei dem Einen oder Anderen verbal auf die Füße treten muß, läßt sich leider nicht immer vermeiden.
Zum Schluß noch einmal Karl Marx:
"Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes. Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist."
Gläubige, die der Meinung sind, Menschen im Namen Gottes schaden zu dürfen und Atheisten, die meinen "Wenn Gott tot ist, dann ist alles erlaubt." haben vermutlich beide eine ähnliche Vorstellung von Moral, die letztlich eine infantile, sklavische Vorstellung ist.
Als ob nicht allein der "Seufzer der bedrängten Kreatur", der Ausdruck von Leid auf dem Gesicht der Unterdrückten und ungerecht Behandelten in der Lage wären eine Moral zu begründen, wenn man denn wirklich bereit wäre eine anzunehmen.
Wer jemanden braucht, der ihm sagt, was richtig und falsch ist, ist doch letztlich nichts als ein Roboter oder ein abgerichteter Hund; ebenso wie jemand, der meint, es gäbe gar kein Richtig und Falsch, nur weil es keine allmächtige Vaterfigur zu geben scheint, die ihm genaue Anweisungen gibt.
Menschen, die solche Krücken nicht benutzen gibt es jedoch sowohl bei den Gläubigen, als auch bei den Atheisten. Man hört bloß nicht so viel von ihnen, da sie nicht zu den lauten Verkündern "ewiger"/"wissenschaftlicher" Wahrheiten gehöhren.
Nebenbei: Wer der Meinung ist, das nur "wissenschaftliches", "empirisches" Wissen, Wissen sein kann, kann ja mal versuchen den Satz: "Ich habe Schmerzen." zu beweisen; vorzugsweise in einer Situation, in der er zutrifft.
Die Angst vor dem Unbeschreibbaren, kreirt jede Menge Götter. Auch den "Nicht-Gott". Merkwürdiges rationales Denken, um sich davor zu drücken, dass auch mit dem beliebtesten Handwerkszeug, die Grenzen nicht verschwinden werden. Erkennbare Muster, für alles und jeden, um welchem Guru auch immer, die Deutungshoheit zu schenken. Löblich, die Menschen, welche die Fragen über das Wissen stellen. Wetten, dass sich jetzt wieder irgendjemand fragt, .... was will der eigentlich sagen? Na, ... immerhin.
Im Kontext unserer Gesellschaft, hier in Deutschland mag man einer atheistische Nicht-Religion sehr skeptisch gegenüber stehen. Ja, auch die Ansätze von Fanatismus kritisieren!
Kann man sich das aber in einer Gesellschaft leisten, in der Kreationisten versuchen ihre Schöpfungsgeschichte im Biologieunterricht zu lehren, in der öffendlich gemachter Atheismus zur Ausgrenzung und zu schwerem Mobbing führt?
In Amerika und England - und sicher noch vielen anderen Staaten wird dieser Konflikt mit viel härteren Bandagen ausgetragen. Einiges davon schwappt eben (in Kampfschriften die "der gotteswahn" auch zu uns nach Deutschland - und wird hier, wenn nicht im Kontext mit dem Ursprung betrachtet als übertrieben, als atheitischer Zealot bewertet.
Ja, ich kann tolerant sein - kann Religion in Deutschland ignorieren. In den USA könnte ich mir das nicht leisten und auch deine Ansicht würde sich in dem US-Amerikanischem Klima wohl verändern, Roberto!
ich werde nie verstehen können, wozu es ein gebetsbuch braucht, umzu wissen wie man sich gegenüber seinen mitmenschen denn richtig zu verhalten hat.. es gibt doch im grunde nichts einfacheres als das.. behandele einen jeden so, wie du selbst auch behandelt werden willst..
davon mal abgesehen, religionen schaffen in meinen augen nur eines, die menschen voneinander zu trennen statt sie zu vereinen..
btw, ich bin weder atheistin noch nihilistin oder was man sonst noch so an begrifflichkeiten kennt.. ich bin mensch, ganz einfach..
@ Elli
"behandele einen jeden so, wie du selbst auch behandelt werden willst.."
Gilt das auch für denjenigen, der es liebt sich auspeitschen zu lassen? Soll er seinen Nächsten so behandeln, wie er selbst gerne behandelt wird? Hiebe für alle, weil man selbst Nehmerqualitäten hat?
hab ich mir beinah schon gedacht, dass so ein einwand kommen würde.. vielleicht nicht direkt von dir roberto, aber ok..
in der heutigen, kaputten welt, gibt es leider menschen, die es als genuss sehen sich auspeitschen zu lassen.. in einer idealen welt, in der ein jeder jeden so behandelt, wie er selbst auch behandelt werden möchte, würde es solche menschen, und davon bin ich überzeugt, eben jene die sich gerne auspeitschen lassen, nicht geben.. von daher würde sich eine solche frage nicht stellen..
@ Elli
Ob z.B. der Lustgewinn durch masochistische Praktiken als krank zu erachten ist, wage ich schwerlich zu bezweifeln. Dass jeder solche Reaktionen durch solcherlei Praktiken zeitigt, dürfte im Grund erwiesen sein...
Ich habe Probleme damit, etwas als krank abzutun, nur weil man es nicht versteht. Insofern: Schwule sind auch krank...
unsere gesamte gesellschaft krankt doch..
aber ich glaub du hast mich mit absicht missverstanden.. zur verdeutlichung ein beispiel.. da ist also ein masochist der gerne gepeitscht werden möchte.. er bittet darum, sein gegenüber kommt dieser bitte nach.. mehr nicht.. ich möchte, dass man meiner bitte nachkommt, folge dessen komm ich der bitte meines gegenüber auch nach.. das bededutet doch nicht, dass ein jeder deswegen gepeitscht werden muss.. die vorstellung alleine.. auweia..
Vielen Dank für diesen Artikel.
Komisch, der Mond ist kein 'Licht' mehr, die Sonne, die Gestirne kreisen nicht mehr um uns. Die wechselnden Götter, in ihrer anheimelnden Renitenz, auch nicht mehr so richtig. Aber der Reiz der dramaturgisch wertvollen Vokabeln nimmt nicht ab. 'Oh Ozymandias, ye king of kings. Look at my works, ye mighty and despair...' schön, schön sagt noch ein König vom Hügel, Audi-Fahrer oder entrepreneur whatsoever.
Was ich hier lese dünkt mich wie die line von Sellers in Dr. Strangelove:
"Oh, that's much better. Yes. Fine, I can hear you now, Dmitri. Clear and plain and coming through fine.
I'm coming through fine too, eh? Good, then. Well then, as you say we're both coming through fine. Good.
Well, it's good that you're fine, and - and I'm fine. I agree with you. It's great to be fine."
Schön, wenn es einem gut geht... trotzdem ist das Leben einfach nur der Kitsch der Materie.
Ideale, Ethik, Sinn, Moral, Tradition und all der andere Quatsch sind bereits im WKI bankrott gegangen. Neuauflage überflüssig. 'Vorwärts in die Vergangenheit' ist unfug.
Ist frappierend einfach:
§ 1 Basics
(1) Taking part in life requires constant awareness and mutual hindsight.
(2) Every human has to act such that no other human is hurt, put at risk or is
hindered or pestered more than absolutely necessary under the given circumstances.
Ja, ja, jede zweite Vokabel birgt ungeahnte exegetische Möglichkeiten, aber für wen? Marketing subsummiert unendliche Angebotsfelder, wie Ökonomie. Kitsch nicht.
@Christian
Das ist erbärmlichster Szientismus. Diese Geisteshaltung wird (bzw. tut es jetzt schon) die Lebensbedingungen auf der Erde zunehmend ruinieren. Gott mit dem Osterhasen zu vergleichen ist absurd. Gott ist doch nicht der Mann mit dem Rauschebart. Kein großer christlicher Philosoph (Augustinus, Origenes, Ambrosius, Gregor von Nyssa, Bonaventura, Nikolaus von Kues usw.) hat sich Gott so vorgestellt. Liest man z.B. "De visione dei" von Nikolaus von Kues (Kardinal der kath. Kirche!), so argumentiert er kurz so: alles im Kosmos ist zufällig, die Erde z.B. könnte genausogut nicht existieren, kurz: die Materie hat KEIN SEIN. Es muss aber etwas geben das SEIN hat und das ist GOTT. Genauso bei Ibn'Arabi oder Shankara oder Jakob Böhme: die Welt ist vergänglich, also hat sie KEIN SEIN, aber es muss ... Das ist Logik und hat nichts mit dem Osterhasen zu tun. Außerdem beobachtet die Wissenschaft nur Phänomene. Im Bild von Platons Höhlengleichnis gesprochen: die Wissenschaftler sitzen in der Höhle und beobachten die Phänomene an der Höhlenwand und plustern sich dabei auf und die Masse glaubt ihnen, leider.
Anton Reiser
Man kann sich die folgende Frage stellen. Ist es Zufall, dass die Industralisierung/der Kapitalismus in England entstanden ist? Oder ist es die logische Konsequenz einer bestimmten Geisteshaltung? Hat nicht die englische Philosophie die Grundlagen dazu gelegt. Die Fixierung auf die Materie, d.h. Empirismus, Liberalismus (Übrigens: Die Freiheit gilt faktisch nur für den weißen, besitzenden Mann. Indianer sind noch im Naturzustand und dürfen ausgerottet werden, so LOCKE.), Realismus, Deismus (Gott nur noch als Anstoßender am Beginn der Schöpfung, er ist nicht mehr anwesend in der Welt), Rationalismus usw. - Locke, Hobbes, Bacon, Hume ... und Adam Smith (der in dieser Tradion steht). Noch eine Frage: Hängen nicht Wissenschaft und Kapitalismus eng zusammen? Wissenschaft: "Alles messbar machen, was messbar zu machen ist." - also reines Qunantitätsdenken. Wo bleibt die Qualität? Kapitalismus: "Alles in Geld bewerten, was in Geld bewertbar ist." - z.B. wird neuerdings die ganze Natur in Geldwerte ausgedrückt.
Anton Reiser
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