In der Groteske
Samstag, 30. Oktober 2010
oder: so ein bisschen in eigener Sache.
Vor einer Weile habe ich hier festgestellt, dass "Unzugehörig" womöglich eine zeitlose Anlage sei, weil die darin enthaltenen Texte auch in Jahren, vielleicht sogar gar in Jahrzehnten noch, an Aktualität nichts einbüßen werden. Was traurig für die Gesellschaft sei, so entblödete ich mich nicht vorzubringen, sei für einen Autoren wenigstens insofern gut, dass er nicht der Vergessenheit anheimgestellt wird. Das ewige Leben eines Schreibenden wäre damit gesichert. Nun dünkt es mir aber, dass ich eine Kleinigkeit übersehen habe. So zeitlos wie ich meinte, ist mein Machwerk allerdings dann doch nicht. Skizzen, Polemiken und Grotesken wird untertitelt - und genau dort steht das Problem gedruckt! Skizze, Polemik, Groteske: das klingt wie Verfremdung der Realität - aber ich befürchte fast stündlich, dass sich manche meiner Texte nicht mehr unter diesem Label halten; dass sie irgendwann als Berichte einer Realität gelesen werden könnten, denn Polemik und Groteske sind hoch im Schwange derzeit - getarnt als Wirklichkeit.
Denn was ich ursprünglich als polemischen Text verortete, drängt sich mehr und mehr als Realität auf. Gleiches gilt für die Grotesken, die sich bereits heute, nicht ganz ein Jahr nach Erscheinen des Buches, immer mehr wie ein Ausschnitt aus dem wirklichen Leben anfühlen. Und so besonders skizzenhaft ist manches heute auch nicht mehr - fast ist es so, als habe man den Plan, die Skizze vollendet, damit man nun unverzüglich mit dem Aufbau - was heißt: Abbau, Sozial- und Demokratieabbau unter anderem - beginnen könne. Ich habe meine Grotesken auf die Behördengänge der Arbeitslosenverwaltung verlegt, nicht ahnend, dass die Situation für Erwerbslose heute noch grotesker ist als vormals. Das gesamte Land streitet sich über fünf Euro, die zusätzlich erteilt werden sollen; über das kontinuierliche Beschneiden der Freiheitsrechte für Erwerbslose keine öffentliche Silbe: wenn das nicht grotesker als jede Groteske ist! Jedenfalls ist es eine groteske Situation für ein Land, das sich selbst als Rechts- und Sozialstaat wahrnimmt.
Und keine Groteske hätte je vermocht, eine Gestalt zu ersinnen, wie sie nun im Korpus des amtierenden Verteidigungsministers heranpirscht, blaublütig, gutaussehend, mit dem herben Charme schlecht gewürzten Sauerkrautes - der Mann und seine Entourage, dazu seine klassenübergreifende Anhängerschaft, die eigentlich nur erklärbar wird, wenn man sich vorstellte, diese hätte Ich hab Freibier! statt Ich bin Freiherr! verstanden... dieser Mann, er wäre doch fleischgewordene Groteske, wenn er nicht so verdammt wirklich wäre. Die Polemik indes ist zum verbindlichen Diskurs geworden - mehr noch als damals schon. Heute polemisiert man gegen Gesellschaftsgruppen und nennt es standhaftes Aufklären. Wehe dem, der es zum Beispiel wagt, objektiver über den Islam zu berichten: der bekommt eine Fontanelle gezogen - ich hätte schon mehrere, wäre meine Birne nicht so hart.
Es ernüchtert zweifach. Einmal, weil eine solche Republik, die ein großes Minijobwunder feiert, die von Wohlstand spricht, während immer mehr Menschen weniger Geld zur Verfügung haben, einen untragbaren Zustand darstellt. Und den schreibenden Menschen ernüchtert es neuerdings, weil er zu der Einsicht gelangt, dass seine Phantasie nichts ist im Vergleich mit einer Groteske oder Polemik ist, die sich Realität nennt. Vielleicht sollte "Unzugehörig" irgendwann mit "Abbildung der Realität" untertitelt werden. Oder mit "Ich habe es schon vorher geahnt!" - was nicht stimmte, was sich aber schön läse und mir schmeichelte.
"Unzugehörig - Skizzen, Polemiken & Grotesken" ist erschienen im Renneritz Verlag. Zudem können Sie, wenn Sie mögen, ad sinistram unterstützen. Entweder per Paypal (siehe rechte Seitenleiste) oder über den gewöhnlichen Bankweg. Hierzu ließe ich den Datenschutz ruhen und teilte Ihnen gerne meine Kontodaten mit.
Vor einer Weile habe ich hier festgestellt, dass "Unzugehörig" womöglich eine zeitlose Anlage sei, weil die darin enthaltenen Texte auch in Jahren, vielleicht sogar gar in Jahrzehnten noch, an Aktualität nichts einbüßen werden. Was traurig für die Gesellschaft sei, so entblödete ich mich nicht vorzubringen, sei für einen Autoren wenigstens insofern gut, dass er nicht der Vergessenheit anheimgestellt wird. Das ewige Leben eines Schreibenden wäre damit gesichert. Nun dünkt es mir aber, dass ich eine Kleinigkeit übersehen habe. So zeitlos wie ich meinte, ist mein Machwerk allerdings dann doch nicht. Skizzen, Polemiken und Grotesken wird untertitelt - und genau dort steht das Problem gedruckt! Skizze, Polemik, Groteske: das klingt wie Verfremdung der Realität - aber ich befürchte fast stündlich, dass sich manche meiner Texte nicht mehr unter diesem Label halten; dass sie irgendwann als Berichte einer Realität gelesen werden könnten, denn Polemik und Groteske sind hoch im Schwange derzeit - getarnt als Wirklichkeit.
Denn was ich ursprünglich als polemischen Text verortete, drängt sich mehr und mehr als Realität auf. Gleiches gilt für die Grotesken, die sich bereits heute, nicht ganz ein Jahr nach Erscheinen des Buches, immer mehr wie ein Ausschnitt aus dem wirklichen Leben anfühlen. Und so besonders skizzenhaft ist manches heute auch nicht mehr - fast ist es so, als habe man den Plan, die Skizze vollendet, damit man nun unverzüglich mit dem Aufbau - was heißt: Abbau, Sozial- und Demokratieabbau unter anderem - beginnen könne. Ich habe meine Grotesken auf die Behördengänge der Arbeitslosenverwaltung verlegt, nicht ahnend, dass die Situation für Erwerbslose heute noch grotesker ist als vormals. Das gesamte Land streitet sich über fünf Euro, die zusätzlich erteilt werden sollen; über das kontinuierliche Beschneiden der Freiheitsrechte für Erwerbslose keine öffentliche Silbe: wenn das nicht grotesker als jede Groteske ist! Jedenfalls ist es eine groteske Situation für ein Land, das sich selbst als Rechts- und Sozialstaat wahrnimmt.
Und keine Groteske hätte je vermocht, eine Gestalt zu ersinnen, wie sie nun im Korpus des amtierenden Verteidigungsministers heranpirscht, blaublütig, gutaussehend, mit dem herben Charme schlecht gewürzten Sauerkrautes - der Mann und seine Entourage, dazu seine klassenübergreifende Anhängerschaft, die eigentlich nur erklärbar wird, wenn man sich vorstellte, diese hätte Ich hab Freibier! statt Ich bin Freiherr! verstanden... dieser Mann, er wäre doch fleischgewordene Groteske, wenn er nicht so verdammt wirklich wäre. Die Polemik indes ist zum verbindlichen Diskurs geworden - mehr noch als damals schon. Heute polemisiert man gegen Gesellschaftsgruppen und nennt es standhaftes Aufklären. Wehe dem, der es zum Beispiel wagt, objektiver über den Islam zu berichten: der bekommt eine Fontanelle gezogen - ich hätte schon mehrere, wäre meine Birne nicht so hart.
Es ernüchtert zweifach. Einmal, weil eine solche Republik, die ein großes Minijobwunder feiert, die von Wohlstand spricht, während immer mehr Menschen weniger Geld zur Verfügung haben, einen untragbaren Zustand darstellt. Und den schreibenden Menschen ernüchtert es neuerdings, weil er zu der Einsicht gelangt, dass seine Phantasie nichts ist im Vergleich mit einer Groteske oder Polemik ist, die sich Realität nennt. Vielleicht sollte "Unzugehörig" irgendwann mit "Abbildung der Realität" untertitelt werden. Oder mit "Ich habe es schon vorher geahnt!" - was nicht stimmte, was sich aber schön läse und mir schmeichelte.
"Unzugehörig - Skizzen, Polemiken & Grotesken" ist erschienen im Renneritz Verlag. Zudem können Sie, wenn Sie mögen, ad sinistram unterstützen. Entweder per Paypal (siehe rechte Seitenleiste) oder über den gewöhnlichen Bankweg. Hierzu ließe ich den Datenschutz ruhen und teilte Ihnen gerne meine Kontodaten mit.
12 Kommentare:
Lieber Roberto,
Dein Buch Unzugehörig - JEDES Kapitel IST die bittere Realität.
Die Wirklichkeit hat schon längst -die Polemik und Groteske überholt.
Und wenn dereinst Archäologen Dein Buch ausgraben, werden Sie feststellen,dass wieder einmal die Menschheit die Mahnungen eines großen philosophischen Aufklärers zu spät erkannt hat .............
Ich möchte,da aktuell dieses unsägliche "Halloween Fest" ansteht, einen Text herausgreifen, indem Du sehr anschaulich darstellst, wie der geistig moralische Verfall voranschreitet.
"Festivität eins gruseligen Zeitgeistes" ( Seite 165)
Die Praktik Halloweens passt perfekt in unsere Zeit, in unsere Gesellschaft, ins Gruselzenario des Zeitgeistes. Während wir den Kindern einmal im Jahr einen solchen zügellosen Freiraum lassen, scheint in der Welt der Erwachsenen der Halloween-Geist vollends losgebrochen zu sein. Es ist eben keinesfalls nur der kindliche Egoismus, der mehr Freude an Halloween als am Martinstag entstehen lässt, sondern auch die Tatsache, dass ersteres Fest einfach besser ins Hier und Jetzt passt. Süßes oder Saures! könnte nämlich auch Lohnkürzung oder Arbeitsplatzabbau ! heißen; oder Integration oder Ausweisung! , oder in ganz verächtlicher Form: Arbeit oder Hunger!, und in weltpolitsche Formel gegossen: Erdöl oder Krieg!.
Das Schlimmste, was uns passieren kann: Wenn wir Recht behalten, wenn wir von der Realität noch überholt würden.
Könnte des Problem an der Verängstigung der Menschen liegen? Angst vorm Chef oder Angst den verbliebenen Wohlstand (durch Entlassung) zu verlieren?
Eben! Sehr treffend.
klaus Baum ... 30. Oktober 2010 12:06
Das Schlimmste, was uns passieren kann: Wenn wir Recht behalten, wenn wir von der Realität noch überholt würden.
Wobei mir das einfache Wort "überholen" schon nicht mehr als ausreichend erscheint. So man das Gefühl bekommt, man parke auf der Standspur und der Blick erhascht für einen Bruchteil von Sekunden den Kometenschweif des Ferraris, wobei Nachfolgende verzweifelt versuchen, etwas vom Windschatten zu verwerten.
"In der Groteske"
Wiedereinmal ein super Artikel von Dir. Die Zustände, leider nicht nur in diesem Lande, scheinen jeden Sarkasmus, selbst den bitterbösen, einzuholen. Wo man noch dachte, zu überzeichnen, holt die "Wirklichkeit" einen ein. Mfg Stefan
Erschreckend oder eher bitter die Erkenntnis nicht wahr ...
Zitat: De Lapuente Und so besonders skizzenhaft ist manches heute auch nicht mehr - fast ist es so, als habe man den Plan, die Skizze vollendet, damit man nun unverzüglich mit dem Aufbau - was heißt: Abbau, Sozial- und Demokratieabbau unter anderem - beginnen könne. Ich habe meine Grotesken auf die Behördengänge der Arbeitslosenverwaltung verlegt, nicht ahnend, dass die Situation für Erwerbslose heute noch grotesker ist als vormals. Das gesamte Land streitet sich über fünf Euro, die zusätzlich erteilt werden sollen; über das kontinuierliche Beschneiden der Freiheitsrechte für Erwerbslose keine öffentliche Silbe: wenn das nicht grotesker als jede Groteske ist! Jedenfalls ist es eine groteske Situation für ein Land, das sich selbst als Rechts- und Sozialstaat wahrnimmt.
Der Gesellschaftskritiker, Autor, Professor, Psychoanalytiker Arno Gruen benennt dies in einem Buchtitel:
"Der Wahnsinn der Normalität - Realismus als Krankheit"
Und etwas neuer ... der Theologe, Psychiater, Autor Manfred Lütz:
"Irre - Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen"
Kein Wunder, dass uns das alles so irre vorkommt, es ist Wahnsinn und Irrsinn.
Brauchen Sie ja nicht zu veröffentlichen, passt aber zum Thema.
Deutschland ist ein Saustall und irre. Die deutsche Öffentlichkeit ekelt mich an. Ich gehe raus und es weihnachtet schon im Oktober. Die Geschäfte stinken im Oktober schon nach Weihnachten. Wenn das das neue Christentum sein soll, will ich nicht mehr Christ sein. Und alles frisst sich schleichend in die Gehirne der Deutschen ein und wird dann zur Routine. Die Mehrheit der Deutschen sind Wellenreiter. Die Anderen machen es ja auch schon, sagen sie. Früher gab’s so was nicht: Weihnachten im Oktober. Da hat man das Christentum noch ernst genommen. Sollen Sie doch schon im Juli mit diesem kommerziellen Weihnachtsgestank anfangen. Pfui Teufel! Komme mir keiner und sage, dass wäre zu früh. Und alle machen diesen Scheiß mit bis nichts mehr geht. Ich bin Deutscher, will es aber nicht mehr sein. Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein.
Achso, ich dachte das Buch würde mal als eine geschichtliche Quelle dienen. Ich dachte in ein paar Jahren würde man es lesen, und den Kopf schütteln über die Zustände, die wir mal hatten...Aber die Gegenwart scheint einfach nicht vorbeizugehen.
Die einzigen, die es heutzutage leicht haben, sind Kabarettisten oder andere Komiker. Sie brauchen sich gar nichts mehr auszudenken, nicht mehr übertreiben. Es genügt, die Zustände, wie sie sind zu schildern - und die Leute schütten sich aus vor Lachen - solange sie selbst noch nicht richtig betroffen sind, geht es wohl noch. Mir ist das Lachen inzwischen vergangen.
Vorschlag für den Untertitel:
"Die Realität ist oft grausamer als die Wirklichkeit!"
@Margareth
Ich würde den lieben Roberto nicht wirklich als einen philosophischen Aufklärer bezeichnen. Dieser Titel ist mir zu nüchtern. Er ist mehr der prometheische Funken, der in uns allen steckt.
Blogger counselor hat gesagt...
"Könnte des Problem an der Verängstigung der Menschen liegen? Angst vorm Chef oder Angst den verbliebenen Wohlstand (durch Entlassung) zu verlieren?"
In der Tat, es IST bei den meisten Menschen ganz einfach die ANGST, sozial abzustürzen, damit zu den gesellschaftlich verächtlich gemachten "Transfersbeziehern" zu gehören!
Gesellschaftliche Verächtlichmachung und Ausgrenzung waren zu allen Zeiten sichere Zuchtruten um Menschen gefügig zu machen.
MfG Bakunin
"Könnte des Problem an der Verängstigung der Menschen liegen?" Jawoll! Die Medien predigen (im Auftrag der Herrschenden und der Einschaltquoten) Polarisation, Generalisierung und daraus folgend die Furcht vor Stereotypen und damit den Hass.
Gestern hab ich die im Internet die 'Rally To Restore Sanity And/Or Fear' in Washington gesehen. Organisiert von 2 Satirikern, Jon Stewart und Steven Colbert. 200000 Leute kamen vor das White House um sich die leider SO UNGLAUBLICH ernste Realsatire anzuschauen und/oder sich solidarisch zu zeigen.
Ein Amerikaner sagte mir gestern, dass die Satire TV Show 'Daily Show' von Jon Stewart mehr Zuschauer hat als die 'echten' News, weil dem Satiriker mehr Glauben geschenkt wird... Ist das nun eigentlich gut oder schlecht?
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