Ein kurzer Text über rein gar nichts

Freitag, 6. Dezember 2013

Hier sollte mein Text stehen. Genau hier. An dieser Stelle, über die gerade eure Augen huschen. Und was steht nun hier? Nichts. Oder doch: Anstelle dessen dieser Text hier. Dieser Text, der nicht mein Text ist. Also, er ist schon meiner, ich tippe ihn ja gerade. Aber es ist nicht der Text, der hier hätte sein sollen. Scheiße! Das ärgert mich. Ich habe das fertige Ding gelöscht. Versehentlich. Alles war fertig, ich verließ die Eingabemaske, kam zurück und alles war leer.

Es wäre der beste Text gewesen, den ich hier gebracht hätte. Na gut, einer der besten Texte. Einer der besseren Texte - ich will nicht übertreiben. Gelöschte oder nie erschienene Texte werden ja immer verklärt. Das liegt im Naturell der Schreiber-Leser-Beziehung. Zeilen, die nicht erscheinen sind jungfräulich. Noch kein Arsch hat ihn mit seinen Augen berührt. Niemand kritisiert. Bei Schreibenden geht die uralte religiöse Verehrung der Jungfräulichkeit auf diese Weise weiter. Na ja, es ging um so viele Dinge in meinem unbefleckten Text; Dinge, mit denen ich mich üblicherweise beschäftige. Sozialismus, Fairness, die Welt als Ganzes, der Mensch und sein Versagen und Schokopudding. Alles in diesem einem Text. Und den kriege ich nicht mehr zusammen.

Da war wirklich alles drin. Er war gut gedrechselt. Schöne Überleitungen. Alles gut arrangiert. Ich habe das Sujet gut betont und hübsche Schnörkel angebracht. Der große Wurf. Wenn ich das Ding nun schnell zusammenschustere, wäre es nicht mehr dasselbe wie das, was ich gelöscht hatte. Es wäre nur die Illusion eines Textes. Ich würde mir nur vormachen, dass der Text wieder in der Welt wäre. Wäre er aber nicht. Es wäre nur der Versuch eines Textes, den die Welt nie erblickte. Ein Abklatsch. Alles kommt nur einmal auf die Welt.

Warum macht der Typ hier so viel Wind um ein Phantom?, werdet ihr euch fragen. Spinnt er jetzt endgültig? Fällt ihm nichts mehr ein, sodass er über etwas schreiben muss, dass er geschrieben haben könnte? Wenn er es denn geschrieben hat. Behaupten kann das ja jeder. Steht es so schlecht um ihn? Nur wieso sollte ich nicht über Dinge schreiben, die es nicht gibt? Das macht doch alle Welt. Wir leben doch in einer Gesellschaft, die sich mit Vorliebe mit Dingen beschäftigt, die es so gar nicht gibt. Die ganze herrschende Ökonomie baut auf solche Phantasmen. Im Schnitt haben wir alle hohe Ersparnisse, liest man zum Beispiel. Der Wohlstand ist also noch gewährleistet. Nur Leute, ich sag' euch ganz offen: Meine Ersparnisse kann ich nicht sehen, sie sind nicht da und trotzdem schreiben irgendwelche Einfaltspinsel darüber, als habe sie es je gegeben.

Man höre sich nur das soziale Gewissen einiger sozialdemokratischen Politiker heute an. Was mir mein angeblicher Text, der nicht wurde, wie er geplant war, das ist denen ihr Reformwerk, das so gut geplant war, aber nicht wurde, wie sie es angeblich wollten. Ersetzt mal hier das Wort Text mit dem Scheißwort Hartz IV! Manchmal klingen wir halt alle wie Sozialdemokraten. Wir müssen nur über Dinge reden, die uns nicht gelungen sind. Dann hören wir uns alle so an. Die Sozis reden doch auch nur dauernd von Dingen, die es nicht gibt, die es aber geben sollte oder sogar gegeben haben soll. Hartz IV als soziale Reform und so. Wenn Sozialdemokraten heute kommentieren, was die Arbeitsagentur noch alles will, zum Beispiel Zugriff auf Internetdaten von Arbeitslosen bekommen, dann sagen sie: So war das alles nicht gemeint. Wir hatten was ganz anderes vor. Was daraus geworden ist, hat nichts mehr mit uns zu tun. Was letztlich aus diesem Text wurde, hat mit dem, der geplant war, auch nichts zu tun.

Alles nur Luft, ganz heiße Luft. Warum soll also nicht auch mal ich von Luft erzählen? Gönnt mir doch diesen Text über so rein gar nichts. Die Presse ist voll davon. Das Fernsehen ohnehin. Bei Jauch geht es stets um das ganze Nichts, um das Alles des Nichts. Um feine Absichten, die man hege, die man aber nicht umsetzen könne. Ich habe meinen Text wenigstens geschrieben. Die Kotzbrocken bei Jauch hatten nie irgendwelche guten Absichten. Ich lege mich gleich wieder zwischen die Kissen. So ein gelöschter Text kostet viel Kraft.


7 Kommentare:

Anonym 6. Dezember 2013 um 09:10  

ANMERKER MEINT:

Manchmal lassen gelöschte Texte ganz tief blicken. Ein Hoch also auf die Löschtaste!

MEINT ANMERKER

ninjaturkey 6. Dezember 2013 um 10:10  

Hey, gelöschte Texte sind so ziemlich das Anstrengendste, was es gibt. Das kenne ich aus ungezählten Kommentaren, in denen ich hoch emotional, wortgewaltig und intellektuell fein geschliffen meine Zustimmung oder meinen Rochus loswerden wollte. Seitenweise Wortgebirge, die nach ein paar tausend in weite Ebenen übergingen und dann von mir kurz vor dem Abschicken wieder gelöscht wurden. Erstaunlicher Weise ohne Bedauern - mir ging es danach z.T. besser als wenn ich sie abgeschickt hätte. Gelöschte Texte machen mittlerweile bei mir etwa 60% aus. Es ist wie ein Tagebuch, dass außer mir definitiv niemand je lesen wird. Also - weiter so.
Dein "leerer" Text st natürlich nicht sooo leer. Etwas weniger Inhalt hätte es schon noch sein dürfen. Aber nach langer Zeit wieder mal wunderbar entspannend einfach mal fast NICHTS zu lesen ;-)

Hartmut B. 6. Dezember 2013 um 11:19  

way hitcso
@ninjaturkey

mir gehts ganz ähnlich... inzwischen lösche ich mehr, als ich veröffentliche......
danke für Deinen Kommentar....

Anonym 6. Dezember 2013 um 11:35  



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Die Politik macht die drei Affen und das liebe Vaterland bleibt ruhig. Es ist zum kotzen!

Klaus 6. Dezember 2013 um 13:36  

Texte werden doch während des Schreibens von Blogspot zwischengespeichert?

RobatArt 6. Dezember 2013 um 13:53  

Roberto ich liebe dich!

maguscarolus 7. Dezember 2013 um 09:52  

Einerseits ist es nicht sinnvoll, einen nicht geschriebenen Text zu kommentieren, aber andererseits geht es ja ständig nur um irgendwelche Satellitengedanken, die um das Gravitationszentrum "Großkapital" kreisen.

Womöglich erleben wir ja gerade den Kollaps dieses Gravitationszentrums zu einem schwarzen Loch.

Schaumermal, was man danach noch wird schreiben können.

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