Was der Mensch dem Menschen antut

Montag, 2. Februar 2015

Anja Reschke von den »Tagesthemen« hatte grundsätzlich recht. Auschwitz sollte als Mahnung nie enden. Was damals geschah, muss weiterhin in den Köpfen der Menschen präsent bleiben. Man darf nicht so tun, als gehe es uns ach so moderne Menschen nichts mehr an, was unser ruppiger Generationenvorgänger da angestellt hat.

Sie hätte vielleicht mehr über die Qualität des Gedenkens sprechen sollen. Das habe ich hier schon ziemlich oft getan. Ich glaube, seitdem es diese Plattform hier gibt, war das ein Thema. Mit ein wenig »Nie wieder!« kriegen wir das Bewusstsein nicht mehr in die Köpfe. Es reicht nicht, wenn an Tagen, da sich Ereignisse von damals jähren, der gute Anzug aus dem Kleiderschrank geholt wird und man Demut vor der Geschichte zeigt. Wenn wir es ernst meinen, dass Auschwitz sich nicht wiederholen darf, dann fängt der Kampf um Menschenrechte und Menschenwürde im Alltag an. Dort wo Bundespolizei besonders nach Schwarzfahrern fahndet, die genau das sind: Schwarz. Zum Beispiel. Oder wenn rechte Parteien mit dem Slogan »Gas geben!« werben und exakt diese Parteien jetzt mit der Mittelschicht durch Deutschlands Straßen marschieren ... »die Reihen fest geschlossen [...] mit ruhig festem Schritt.«

Reschke sagte weiter, sie schäme sich für die Bilder, die aus den Konzentrationslagern kommen. Das finde ich gut. Sie schäme sich als Deutsche. Das finde ich albern. Man sollte sich als Mensch dafür schämen, was sein Artgenosse so alles mit seiner eigenen Spezies anstellen kann. Ob es Teil heutiger deutscher Identitäten sein muss, dass man sich dafür schämt, wage ich stark zu bezweifeln. Gut, das sagen die modernen Bürger, die natürlich nicht rechts sein wollen, es aber verkappt sind, ja auch. Reschke hat auch ordentlich Zunder bekommen, weil sie den Deutschen mal wieder einen Schuldkomplex einflüsterte - aber so meine ich das gar nicht. Ist die strafrechtliche Verfolg homosexueller Männer in der Adenauerzeit denn etwa auch deutsche Identität? Die Spießigkeit und ihre Enge von damals - auch Identität? Die Spiegel-Affäre und Ohnesorg? Alles Teil deutscher Selbstwahrnehmung für Leute, die 1988 geboren sind?

Es geht auch überhaupt nicht mehr darum, was Deutschen der Welt angetan haben. Aber was der Mensch dem Menschen antut, darüber sollte man immer und immer wieder sprechen. Sich zu erinnern hat heute nichts mehr mit Schuld zu tun. Und in gewissem Sinne muss niemand, der weit nach dem Krieg in Deutschland geboren ist, seine Identität an die Shoa heften. Aber er sollte sie kennen, moralisch verinnerlichen und immer daran denken, was geschehen kann, wenn man die Würde des Menschen aus den Augen verliert. Geschichtliche Ereignisse werden im Laufe der Zeit generalisiert und bleiben dann von den Basisdaten enthoben. Das ist normal. Keiner macht heute mehr den Spaniern persönlich Vorwürfe für ihre limpieza de sangre. Man sagt nur: Seht her, wohin das führt, wenn vermeintliche Fortschrittsmenschen auf vermeintliche Primitive treffen. So endet der Mist dann. Lernt daraus.

Ich halte es auch für dringend notwendig, dass man Geschichte nach einer gewissen Zeit von Vorwürfen und Rollenverteilungen entblättert, um daraus einen ethischen Imperativ machen zu können. Reschke hat ja richtig erkannt, dass Auschwitz nicht als ethische Schule aufgebraucht sein sollte, dass es in unserer gesellschaftlichen Verantwortung liegt, auch weiterhin auf die damaligen Geschehnisse hinzuweisen. Aber das deutsche Schamgefühl sollte es heute nicht mehr anfachen. Nicht aus Vergessenheit oder weil das Damalige jetzt plötzlich verzeihlich wäre, sondern weil die Zeit reif ist, die Dinge mit etwas mehr Abstand zu betrachten. Ein Abstand natürlich, den die Patrioten auf den Straßen jetzt anders definieren. Sie wollen den Völkermord auf Abstand halten. Und genau das meine ich nicht. Wir müssen ihn immer wieder heranholen. Aber ohne Rollenmuster. Denn die Tore zu Auschwitz können überall sein. Mit der Singularität der Ereignisse entzieht man dem Stoff die Substanz, die dazu führt, doch ein klein wenig aus der Geschichte zu lernen.

4 Kommentare:

Anonym 2. Februar 2015 um 09:35  

"[...]Sie schäme sich als Deutsche. Das finde ich albern. Man sollte sich als Mensch dafür schämen, was sein Artgenosse so alles mit seiner eigenen Spezies anstellen kann[...]"

Seit ich vom Holocaust weiß denke ich ähnlich, denn in Auschwitz wurden Menschen umgebracht deren "Fehler" eben war nicht in die passende Kategorie zu passen - Heute gedenkt man dieser Menschen als "Juden", dabei war die Opferzahl weit größer und nicht jeder der als "Jude" vergaßt wurde war wirklich ein "Jude".

Was ist mit den anderen Opfergruppen? Wo ist das Gedenken an die vielen tausende von Menschen, die polnische oder "slawische" Menschen waren - wie die Nazi-Propaganda sah.

Es sei immer wieder dran erinnert, die Rote Armee hat Auschwitz befreit, und eben auch eigene Kameraden, die sonst - wie viele vorher - in der Gaskammer gelandet wären. Die ersten Opfer der Vergasung waren sowjetisch-russische Soldaten - das macht es doppelt schäbig, wenn man den Präsidenten des Landes, dass Auschwitz befreit hat nicht einlädt - auch bei dem hohen Blutzoll den sowjetische SoldatInnen - nicht erst bei der Befreiuung von Auschwitz - bezahlen mußten.

Das Gedenken übrigens hat auch räumliche Änderungen erfahren, denn es war einmal Buchenwald, und nicht Auschwitz das als schlimmster Ort der NS-Mordmaschinerie galt - Für mich gibt es übrigens einen Ort des Grauens, der evtl. weit in der Ferne mal ein Ort des Gedenkens wird - aus dieser Zeit: Das Vernichtungslager Treblinka, von dem die wenigen Überlebenden berichteten, dass es weitaus schlimmer noch als Auschwitz war.

Auch Gedenken ist eben von Menschen abhängig, die darüber entscheiden - Mir übrigens ein Rätsel warum Auschwitz statt Treblinka.

Liegt es daran, dass man in Treblinka gar keine Gnade kannte - nicht einmal durch "Selektion"?
Daran, dass man Treblinka nicht befreit hat, weil das Lager zum Zeitpunkt der Entdeckung - so im Originalton eines TV-Berichtes "nur eine gespenstische Lichtung war" bzw. erst bei Ausgrabungen direkt 1945 herauskam das dieser Ort weitaus mörderischer als Auschwitz war? Oder das die Häftlinge sich selbst befreit haben statt auf die Befreier - egal ob Rote Armee oder Allierte - zu warten? Ich weiß es nicht, aber sollte mal Treblinka Auschwitz als Ort des Gedenkens ablösen dann werden wir es wissen.

Übrigens es ist schon ein starkes Stück wenn man Auschwitz wieder als Kriegsbegründung mißbraucht - Putin war ja nicht eingeladen, aber sein "Widersacher" Poroschenko - aus der Ukraine, der stolz ist auf die Nazi-Kollaborateure rund um Bandera - schon. Hat sich Polens Präsident einmal darüber Gedanken gemacht? Oder gar die NATO? Übrigens, erst einige Tage später hat - wahrscheinlich von ganz oben abgesegnet - und dies trotz Besuch Poroschenkos in Auschwitz die ukrainische Regierung "Kopfprämien" für ukrainische Separatisten ausgeschrieben: Der Gipfel der Heuchelei, und der Schändung der Opfer von Auschwitz, die wieder einmal für einen verbrecherischen Krieg als Begründung herhalten müssen - wie damals im Krieg der NATO gegen Jugoslawien.

Entsetzter Gruß
Bernie

Sol Roth 2. Februar 2015 um 14:28  

Viktor Frankl, ein Jude der mehrere Jahre in verschiedenen KZ's überlebt hatte, formulierte es so:

Den Gedanken einer "Kollektivschuld" der Deutschen und Österreicher an den NS-Verbrechen lehnte Viktor Frankl vehement ab. Zum NS-Rassismus sagte er: "Es gibt nur zwei Rassen von Menschen: die Anständigen und die Unanständigen." Gefährlich werde es dann, wenn die Unanständigen eine negative Auslese ans Ruder kommen lassen. Davor sei keine Nation gefeit, grundsätzlich sei jede "Holocaust-fähig".

http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/wissen/mensch/483719_Psychiater-der-Lebensbejahung.html#

Lutz Hausstein 2. Februar 2015 um 14:59  

Sehr richtig, Roberto.

Es geht nicht darum, sich als Deutscher dafür zu schämen, was Deutsche anderen Menschen in der Vergangenheit anzutun fähig waren. Und es reicht auch nicht, sich als Mensch dafür zu schämen.

Geschichte und die Erinnerung daran ist nicht dafür da, Jahreszahlen oder einzelne Ereignisse in ihrem Ablauf auswendig zu lernen.

Nicht „Geschichte lernen“, sondern „aus der Geschichte lernen“. Verbrechen und Fehler verstehen und ihre Ursprünge begreifen. Damit diese Verbrechen kein zweites Mal begangen werden können. Um ihnen schon in ihrer Entstehung entgegentreten zu können.

kevin_sondermueller 3. Februar 2015 um 00:47  

Die Ubiquität des Unmenschlichen
muss erkannt werden: die einfache
Tatsache, dass sich die Tore der Hölle jederzeit an jedem Ort aus
unscheinbaren Anlässen öffnen können – in unseren Seelen und irgendwann im Alltag; die selbstverständliche Bestialität
als Alltagsintegrierte.

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