Die deutsche Linke und die Asylbewerber

Freitag, 19. Dezember 2014

oder Die innere Emigration und der strukturelle Eskapismus der Linken.

Zwei Drittel der Deutschen können Pegida nachvollziehen. Sagt zumindest der »Spiegel«. Viele von ihnen wollen auch nicht verstehen, dass eine Landesregierung einen Flüchtlingsstopp erlässt. So wie in Thüringen geschehen. Aber diese Linken können es halt einfach nicht lassen. Der Hass auf Menschen, die in dieses Land hier flüchten, verbindet der rechte Mob dieser Tage in den sozialen Netzwerken (und auf den Straßen) mit der Kritik der rot-rot-grünen Regierung, die es neuerdings gibt. Sie schieben es mal wieder den Linken in die Schuhe und erfinden dazu perfiderweise einen Linksruck, eine Wiederkehr des Sozialismus. »Tea Party Movement« auf Deutsch - da dürfen Neonazis nicht fehlen.

Petra Pau erhält Morddrohungen. Andere Linke berichten von dem Hass, der ihnen entgegenschlägt. Man mache nur mal Facebook auf. Oder lese die Kommentare auf den Seiten großer Magazine. Asyl ist ein Wort, das man derzeit nicht zu positiv hinstellen sollte, will man nicht anecken. Aber warum ist Asylpolitik und Flüchtlingshilfe so ein zentrales Thema für diese unverbesserlichen Linken? Warum kann man als Linker nicht »kompromissbereiter« in dieser Frage sein? Antwort: Weil sie eben selbst potenzielle Flüchtlinge sind. Und in diesem Land fast immer waren. Weil sie nachvollziehen können, dass es Augenblicke gibt, in denen man in »seinem Land« nicht bleiben kann. Wenn die Misanthropie zum Leitmotiv wird, das aus dem »gemeinsamen Land« einen engstirnigen und niederträchtigen Ort macht, dann weiß man, was es bedeutet, alles stehen- und liegenlassen zu wollen.

Vielleicht haben wir Linken es uns zu einfach gemacht. Wir beklagten, dass diesen Massen mehr und mehr die Empathie verloren geht. Ganz generell, gegenüber Obdachlosen und Arbeitslosen. Im Falle von Ausländern oder gar Asylbewerbern jedoch besonders stark. Aber mit rechtem Gedankengut ausgestattete Leute oder ganz einfach nur Nicht-Linke haben nicht das Feedback, das Linke haben. Sie kommen ja nicht an den Punkt, wo sie glauben, eine Flucht wäre besser. Sie tun zwar so, als entfremdeten sie sich von ihrem Land, weil plötzlich Linke regieren oder ein Moslem in die Nachbarwohnung einzieht - aber mehr als Show ist das alles nicht. Das rechte Lebensgefühl ist ja eine besonders weinerliche Angelegenheit. Immer gewesen. Es fühlt sich fortwährend missverstanden und ausgebeutet und keiner hat es lieb. Komisch, denn in diesem angeblich linken Klima konnte man putzmunter gegen Muslime hetzen. Morddrohungen kriegt man jedoch, wenn man etwaigen Muslimen in der Asylzeit helfen möchte. Siehe Pau. Wenn man gegen sie hetzt, ist alles im Lot. Diese Leute können ja gar nicht wissen wie es ist, wenn man mehr und mehr das Gefühl bekommt, dass man es in diesem Land nicht mehr besonders lange aushalten wird.

Die Linke weiß aus ihrer Geschichte, wie es sich anfühlt, das Land in dem man lebt, am liebsten heute statt morgen verlassen zu wollen. Ihre Ziele und Vorstellungen führten von jeher dazu, dass man ihnen die Ausreise quasi ans Herz legte. Das innere Klima, geprägt von konservativen Nationalismus und rassistischen Impulsen, nährte die Sehnsucht, dem zu entfliehen. Soll die Sintflut nach uns doch alles wegspülen. Wenn man das »eigene Land« schon nicht besser machen kann, die Menschen sich nicht dazu bewegen lassen, ihre von herrschaftlichen Interessen geleiteten Einstellungen zu überdenken, bleibt nur die Flucht. Entweder in die Introversion oder physisch, indem man den eigenen (Un-)Kulturkreis verlässt.

Pegida fördert den linken
Eskapismus
Aber klar, nicht alle Linke verlassen in Phasen der Hochkonjunktur des Hasses das Land. Aber wer von ihnen spielt nicht wenigstens phasenweise mit dieser Vorstellung? Ich jedenfalls schon. Die Situation nimmt einem den Atem. Wenn wie in den Neunzigerjahren Asylbewerberheime und Häuser ausländischer Mitbürger brennen, Applaus die Szenerie erfüllt und keiner auch nur ein bisschen Empathie zeigt und mitfühlende Personen als »linke Bazillen« und »Verräter« diskreditiert werden, dann liegt die Ferne doch so nah. Wenigstens als Gedankenspiel, als kurzfristige Phantasie, die die Sorge ein wenig lindert, die einem neue Kraft gibt, weil man sich einredet, man hätte quasi immer noch diese eine Option. Der Rechte kämpft für sein Land »bis zur letzten Patrone«. Der Linke weiß, das lohnt sich nicht - Patronen zerfetzen einen. Dieser Eskapismus ist eine kollektive Erfahrung der Linken, eine strukturelle Säule linker Selbstwahrnehmung, hat auch was mit der eigenen Würde zu tun. Andere nennen es Feigheit. Aber die finden auch mutig, wenn man Schwarze diskriminiert oder ähnliche Dinge. Besonders in Zeiten der Reaktion, des Rechtsruckes, des Rollbacks, des Backlashs - oder wie auch immer man solche Zeitabschnitte nennen möchte - wäre man gerne auf diese Weise »feige«.

Kurz gesagt, der Linke weiß gemeinhin wie es ist, »seinem Land« den Rücken zu kehren, weil er es in Gedanken mehr oder minder oft durchgespielt hat. Er sieht ja mehrfach dabei zu, wie ihm »sein Land« abhanden kommt, wie es von den Truppen einer menschenverachtenden Ideologie besetzt und alles, wofür er eintritt, als großer Irrtum heruntergespielt wird. Er kann das Leid der Asylbewerber nachvollziehen, weil es auch sein Leid sein könnte. Und weil es im Kleinen auch manchmal sein Leid ist. Weil er sich schon in einem fremden Land sieht, in dem er nichts hat, was ihm Stabilität garantiert. Sein Eskapismus ist die Grundlage seiner Empathie. Ihm schmerzt schon dieser geistig-moralische Verlust seiner Heimat, so dass er sich durchaus vorstellen kann, wieviel schlimmer es sein muss, seine Heimat realiter zu verlieren.

Vielleicht mag für die Pegida-Jünger und die »schweigende Mehrheit«, die dort nicht mitmarschiert, weil es zu kalt draußen ist, das Boot voll sein. Für Linke ist es so, dass sie im selben Boot sitzen wie die Menschen, die ihre Heimat verloren haben. Das sensibilisiert. Macht einfühlsam. Morgen schon könnten es Linke sein, die Hilfe brauchen. Morddrohungen werden ja schon ausgesprochen. In diesem Land wird es immer unbehaglicher. Jedenfalls für die, die diesen Backlash nicht hinnehmen wollen und andere gesellschaftliche Vorstellungen vertreten.

Ich emigriere nicht. Mache weiter. Noch habe ich was zu sagen. Gerade jetzt! Und wer mag, darf mich - oder sagen wir: »ad sinistram« - dabei unterstützen. Das geht entweder per Paypal (siehe rechte Seitenleiste) oder über den gewöhnlichen Bankweg. Meine Kontodaten teile ich auf Nachfrage gerne mit. Einen herzlichen Dank möchte ich an all jene richten, die mich seit langem und regelmäßig nicht nur ertragen, sondern sogar unterstützen. Danke auch an alle, die dies künftig tun wollen.

9 Kommentare:

Anonym 19. Dezember 2014 um 08:12  

Einmal mehr sprichst Du mir aus dem Herzen. Ich sitze gedanklich auch schon auf gepackten Koffern.
Noch bleiben wir aber hier. Meine Frau ist schwanger und hier ist die Versorgung nun mal sehr gut. Mein Kind möchte ich aber nicht hier aufwachsen sehen. Meine Frau kommt aus Indonesien und wir wissen ja, was es für einen Nichtbiodeutschen heissen kann, hier zu leben. Ich möchte nicht, dass mein Kind weinend aus der Schule kommt, weil es rassisteschen Angriffen ausgesetzt ist. Ich will auch nicht jeden Tag in angst um mein Kind leben.

Oppa Plaehte

Anonym 19. Dezember 2014 um 08:55  

Hallo Roberto,
nachvollziehen heißt nicht verstehen heißt nicht gutheißen.

Ulli 19. Dezember 2014 um 10:32  

Lieber Roberto,
offen gesagt finde ich diesen Text doch ein bisschen sehr melodramatisch. Sicher gibt es einen Bodensatz von vielleicht 30% der Bevölkerung, der ausländerfeindliche und potentiell rechtsextreme Vorstellungen hat. Diese Leute gibt es aber immer; alle paar Jahre kommt eine neue Untersuchung, in der das festgestellt wird. Heute haben sie mal wieder Oberwasser, wie Anfang der 90er. Hinzu kommt die immer drastischere Entsolidarierung der Gesellschaft, auf die gerade die von Abstiegsängsten geplagte untere Mittelschicht mit irrationalen und potentiell rechtsradikalen Ideen reagiert. Das war in den 30ern nicht anders und vermutlich ist das auch beim France National genauso.

Entscheidend scheint mir jedoch, dass Deutschland die viertstärkste Volkswirtschaft der Welt ist. Und die kann alles mögliche brauchen, bloss kein pegida. Wenn in einem Land Rechtsradikale, Hooligans und resentimentgeladene Rentner den Ton angeben: Dann aber gute Nacht. Dann ist Deutschland schnell auf Platz 24 abgestürzt. (Man sieht ja gerade in Russland, wie eine autoritär strukturtierte Volkswirtschaft ohne bürgerlich-liberale Mittelschicht abschmiert). Von daher bin ich eher gelassen: Politik und Wirtschaft werden alles tun, um diesen Spuk wieder zu besänftigen.

Fragen sollte man mal nach dem DDR-Erbe dieser pegida. Ich hatte in früheren Jahren schwarze Haare (jetzt sind sie halt ergraut) und habe schon damals auf Campingplätzen die Erfahrung gemacht, komisch beäugt zu werden. Schon damals galt: Je tiefer der Osten, desto xenophober die Menschen. Dresden ist ja kein Einzelfall. In der sächsischen Schweiz etwa fährt die NPD seit Jahren Traumergebnisse ein. Wenn man in Wahlkampfzeiten nach MeckPomm fährt und die Plakate sieht: "Grenzen dicht für kriminielle Ausländer", so fällt mir immer die DDR-Propaganda vom "antifaschistischen Schutzwall" ein, hinter dem angeblich nur imperialistische Bösewichter leben, die man aus der eigenen Puppenstube fernhalten muss.

So wie im Westen die Frage nach den psychischen Deformationen in der Nazizeit gestellt wurde, so sollte endlich mal gefragt werden, was für ein zutiefst autoritärer, fremdenfeindlicher und duckmäuserischer Menschenschlag in der DDR produziert wurde. Das würde vielleicht einiges Licht auf diese Dresdner Massenbewegung werfen.

Siewurdengelesen 19. Dezember 2014 um 14:33  

Wieso schreibst Du das, was ich für mich inzwischen denke und als (Aus)-Weg erwäge?

Wenn ich diese tumben Aussagen voller haltloser Vorurteile in den "Lügenmedien" höre und mir sicher sein kann, daß die Menschen das als ihre Wahrheit wirklich so meinen, wie sie es sagen, wenn sie denn etwas sagen (dürfen)...

...es muß nicht jeder hurra rufen beim Anblick eines offensichtlich Fremden, aber ein derart verinnerlichtes Hassen ohne überhaupt noch über Tatsachen nachzudenken, lässt mich bei einem Gutteil dieser Spaziergänger an einem vorhandenen und funktionierenden Denkapparat zweifeln.

http://www.laika-verlag.de/laika-diskurs/kaltes-land

Ich bin es langsam leid, immer und immer wieder gegen dieselben Windmühlen zu rennen, ohne daß es besser wird. Dann soll es eben sein, daß ein Land an seinem eigenen Nationalstolz erstickt und am Ende wieder den Dreck fressen muß, den es selbst verursacht hat.

Um es zynisch zu sagen:

Ob kein Asylbewerber, ein Asylbewerber oder 1 Million hier aufgenommen werden, hat auf die angeblich kritisierten Umstände genau null Einfluß. Das interessiert nicht, sondern es geht einfach nur gegen "die", unter welchem Vorwand auch immer. An anderer Stelle reibt man sich die Hände, heizt fleißig weiter und die PEGIDA-Deppen freuen sich noch über ihre Pyrrhussiege und spielen den angeblich Kritisierten weiter in diese.

Anonym 19. Dezember 2014 um 15:29  

du sed-schwanz kannst ja nur ein krebsgeschwür am volkskörper sein. geh doch aus deutschland weg. deine eltern hat doch keiner haben wollen!! du linker nazi. dein menschenrecht-gerede ist menschenverachtend.

ad sinistram 19. Dezember 2014 um 15:38  

Diese Sprachperle lasse ich doch mal zu. Man muss faschistische Kleinkunst erkennen und sie auch mal zulassen. Die Nachwelt wird auch gerne lachen.

Braman 19. Dezember 2014 um 16:32  

Lesenswert, dieser Kommentar von Anonym 15:29!
Warum streichst Du diese "Perlen" der Dichter und Denker?
Nur so kann man sich einen realistischen Eindruck von diesen Menschen machen wenn man sie so schon nicht täglich trifft.
Zum Thema Linke und Fluchtgedanken:
Die Linke hat halt das Pech, das die "Oberschicht" GEGEN Links ist da sie um ihre (unverdienten) Privilegien fürchtet und daher die Rechten unterstützt. Medial, finanziell und wie auch immer.
Und da es genügend Organspender (Hirntote) gibt, die die Interessen der "Oberschicht" meinen vertreten zu müssen (unbewusst), werden die Rechten und deren Sympathisanten immer irgendwie die Deutunsgshoheit für sich beanspruchen.
Recht Thesen begreifen eben auch die Organspender, für linke Thesen braucht es ein noch funktionsfähiges Gehirn.
Interessant ist ja auch die Frage:
In welches Land würde ich denn als 'Linker' gehen? Wo ist das 'Klima' für Linke gut? MfG: M.B.
Da fällt mir doch im Moment NIX ein!

Anonym 19. Dezember 2014 um 18:03  

ANMERKER MEINT:

Auch wenn da so ein faschistoider Hetzer meint, er müsse sich zu Wort melden, denke ich, es wäre falsch alle Pegidesen und - innen mit so einem gleichzusetzen. Er ist nicht vernachlässigbar aber auch nicht unbedingt repräsentativ. Andrerseits ist dieser PegidaSumpf halt nicht klar zu erkennen. Ich denke schon, dass da DDRVergangenes mitschwingt, und zwar die schon von der DDR gepflegte "WirsindDeutschland" -, und zwar das bessere,- Haltung, die dann während der Demonstrationen von der "WirsinddasVolk" Parole zum deutschtümelnden "WirsindeinVolk"Parole umgemünzt wurde.Übrigens von interessierten westlichenKreisen! Dieses den ehemaligen DDRLer*innen eigene Selbstbwusstein wird von ihnen nun entsprechend zelebriert und ermutigt die Westler sich anzuschließen. Sie kommen aus der Mitte unserer Gesellschaft und suchen Orientierung in vom Kapital so produzierten unsicheren Zeiten. Wegrennen hilft nicht, allein intelligentes Dagegenhalten, so leicht das gesagt ist. Die deutsche Linke muss kapieren, dass sich gegenseitiges Zerfleischen, wie am Beispiel des Friedenswinters zu sehen, den Gegnern dieser Republik in die Hände spielt. Der Gegner steht rechts!!!
PEGIDA ADEEEEE muss die Parole heißen!

MEINT ANMERKER

Anonym 20. Dezember 2014 um 09:03  

"[...]In welches Land würde ich denn als 'Linker' gehen? Wo ist das 'Klima' für Linke gut? MfG: M.B.
Da fällt mir doch im Moment NIX ein![...]"

Da muss ich Braman leider recht geben, die Alternativen für Linke, zum Auswandern, sind rar geworden - rein weltanschaulich gesehen - Wo bitte schön gibt es noch ein Land, dass weder steinzeitkommunistisch (z.B. Korea) oder bereits auf dem Weg in Richtung Neoliberalismus (z.B. Kuba) ist?

Die Religion (Stichwort Islamismus) klammere ich mal bewußt hier aus, da auch solche Länder als Alternative zum säkularen Deutschland wegfallen....

Außerdem ist auswandern auch per se nicht einfach, da man sich erstens mit einer neuen Kultur auseinandersetzen muss, was manchem schwerfällt, und zweitens eine fremde Sprache gesproche wird - auch hier tut sich so mancher schwer.....

Ich hoffe auch, dass Roberto J. de Lapuente uns erhalten bleibt, und wünsche ihm eine schöne Feiertagszeit.

Gruß
Bernie

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