Wessi, mit dir geht es zu Ende!
Freitag, 28. November 2014
Tja, mein lieber Westdeutscher. Deine Überlegenheit beruht auf einem Interpretationsfehler. Nicht der Stärkste überlebt. Das hat Darwin ganz anders gemeint. »Survival of the fittest« nannte er sein Prinzip. »To fit in« heißt aber »sich anpassen«, »einfügen« und »sich einpassen«. Mit Stärke im eigentlichen Sinne hat das nichts zu tun. Und daher ist es so, dass du in der Struktur dieses Staates ganz klar ein Evolutionsverlierer sein wirst.
Da helfen dir deine Besserwessi-Klauen nichts; deine Reißzähne sehen nett aus, mehr aber auch nicht. Du magst stark sein, aber darauf kommt es nicht an. Dinosaurier waren Kraftpakete, aber was helfen gigantische Körperbauten, wenn die allgemeine Situation vorgibt, sich durch den engen Treppenabgang in den Keller zu schieben, um sich noch rechtzeitig vor dem Meteoriteneinschlag in Sicherheit zu begeben? Der T-Rex hatte durchaus Kraft, aber mit seinem Ärmchen konnte er keine Butterbrezel schmieren. Der Neandertaler war der kräftigere Hominide. Beim Armdrücken mit einem modernen Menschen hätte er dem den Arm gebrochen. Und was außer einen Armwrestling-Pokal hat es ihm eingebracht? Ein bisschen so bist du nun auch, lieber Wessi. Stark, potent, hast immer noch die Deutungshoheit und bist trotzdem im Nachteil. Tut mir leid, so läuft das halt mal hier unten. Gräme dich nicht. Mal gewinnt man, mal verliert man.
Als es andersrum lief, gefiel es euch doch noch. Als ihr den Osten gefressen habt, sagtet ihr noch, dass der, der zu spät kommt, vom Leben bestraft wird. War das nicht eine bisschen Evolutionsrhetorik? Ihr sagtet, ihr habt den Wettbewerb gewonnen und habt die Geschichte für beendet erklärt. Letzteres war naiv, denn wer ein selbstgefälliges Nickerchen macht, weil er glaubt, jetzt habe er alles erreicht, der kommt irgendwann auch zu spät und dann bestraft das Leben eben ihn.
Schau, du lebst jetzt in einem Milieu, in das du nicht angepasst bist. Sie bespitzeln dich, hören deine Anrufe ab, lesen deine elektronischen Briefe. Schreib mal bei Facebook, dass dein Boss ein Arschloch ist. Früher am Stammtisch konntest du das grölen. Es hat keinen interessiert. Heute notiert sich IM Facebook alles. Mit Foto. Es gibt keine nennenswerte Privatsphäre mehr. Auch deswegen reden alle mittlerweile einen vorgefertigten Einheitsbrei, eine Sprache der biederen Übereinkunft. Denn man ist ja fortwährend auf Verkaufstour für sich selbst. Man muss sich an den Mann bringen. Darf keine Kratzer haben. Und so wägt man ganz genau ab, was man sagen darf und was nicht. Wenn das die Falschen hören, oh Gott! Überall sind nun Ellenbogen. Selbst unter Kollegen sagt man nicht mehr, dass der Boss ein Arsch ist, weil der Nebenmann ja um seinen Vorteil besorgt sein könnte und man befürchten muss, dass er Meldung macht. Man spricht eine Sprache, die nur noch touchiert, andeutet, aber nichts mehr auf den Punkt bringt.
Man will schließlich nicht gegen den Kanon, gegen die allgemeine Konvention verstoßen. Pseudosprech ist das Gebot der Stunde. Reden, aber wenig sagen. Und schon gar nichts sagen, was irgendwie kritisch aussehen könnte. Konstruktive Kritik sei natürlich weiterhin erwünscht, heißt es offiziell. Sie muss aber affirmativ sein. Man muss nicken, während man höflich nachfragt, ob die Entwicklungen der Wirtschaft denn auch alternativ gestaltet werden können. Dann erklären sie einem, dass es keine Alternativen gibt und man muss immer weiter nicken und so tun, als habe man verstanden. Und lächeln. Und dann nicht mehr weiter fragen. Falls man das alles nicht tut, könnte der Arbeitgeber morgen schon einen sozialistischen Wohlstandsgefährder in einem erkennen und man wird langsam aber sicher weggelobt. Ist man nicht affirmativ, machen sie dich mundtot, drangsalieren dich und werfen dich bei Bedarf aus deinem Job.
Alles, was es im Osten an Fehlentwicklungen einer an sich guten Idee so gab, haben wir heute auf eine andere, etwas perfidere, weniger plumpe Weise wieder. Man observiert die Bürger und die Bürger werden verstärkt zu hausbackenen Biedermännern, zu treuherzigen Abnickern, die sich keine politische Meinung mehr zutrauen. Wenn doch, leisten sie sich keine eigene Meinung, sondern schwatzen nach, was karrieristische Schwätzer so von sich geben. Der Ostdeutsche kennt das schon. Für den Wessi sind das ganz neue Erfahrungen. Nicht, dass er vorher eine politische Koryphäe gewesen wäre. Du meine Güte!
Auf seinen satten Wiesen musste er das gar nicht sein. Er passte sich seiner Flora und Fauna an und war ein seliges Rindvieh. Und jetzt landet er auf mageren Wiesen, die ihm unbekannt sind und wirkt so unglücklich und so beklommen. Er reibt sich ungläubig die Augen. Scheint in Schockstarre. Man muss sich an die Ossis halten. Die haben gelernt damit umzugehen. Obwohl sie das System gewechselt haben, konnten sie nicht den Nachteilen entfliehen, die ein moribundes System so in sich trägt. Na gut, wenigstens sind sie jetzt frei. Können endlich die ganze Welt bereisen. Könnten sie. Wenn sie Geld hätten. Früher hatten sie Geld. Konnten aber nicht überall hinreisen. Der Ossi ist das Modell der Zukunft, weil er eine Vergangenheit kennt, die wie unsere Zukunft riecht.
Da helfen dir deine Besserwessi-Klauen nichts; deine Reißzähne sehen nett aus, mehr aber auch nicht. Du magst stark sein, aber darauf kommt es nicht an. Dinosaurier waren Kraftpakete, aber was helfen gigantische Körperbauten, wenn die allgemeine Situation vorgibt, sich durch den engen Treppenabgang in den Keller zu schieben, um sich noch rechtzeitig vor dem Meteoriteneinschlag in Sicherheit zu begeben? Der T-Rex hatte durchaus Kraft, aber mit seinem Ärmchen konnte er keine Butterbrezel schmieren. Der Neandertaler war der kräftigere Hominide. Beim Armdrücken mit einem modernen Menschen hätte er dem den Arm gebrochen. Und was außer einen Armwrestling-Pokal hat es ihm eingebracht? Ein bisschen so bist du nun auch, lieber Wessi. Stark, potent, hast immer noch die Deutungshoheit und bist trotzdem im Nachteil. Tut mir leid, so läuft das halt mal hier unten. Gräme dich nicht. Mal gewinnt man, mal verliert man.
Als es andersrum lief, gefiel es euch doch noch. Als ihr den Osten gefressen habt, sagtet ihr noch, dass der, der zu spät kommt, vom Leben bestraft wird. War das nicht eine bisschen Evolutionsrhetorik? Ihr sagtet, ihr habt den Wettbewerb gewonnen und habt die Geschichte für beendet erklärt. Letzteres war naiv, denn wer ein selbstgefälliges Nickerchen macht, weil er glaubt, jetzt habe er alles erreicht, der kommt irgendwann auch zu spät und dann bestraft das Leben eben ihn.
Schau, du lebst jetzt in einem Milieu, in das du nicht angepasst bist. Sie bespitzeln dich, hören deine Anrufe ab, lesen deine elektronischen Briefe. Schreib mal bei Facebook, dass dein Boss ein Arschloch ist. Früher am Stammtisch konntest du das grölen. Es hat keinen interessiert. Heute notiert sich IM Facebook alles. Mit Foto. Es gibt keine nennenswerte Privatsphäre mehr. Auch deswegen reden alle mittlerweile einen vorgefertigten Einheitsbrei, eine Sprache der biederen Übereinkunft. Denn man ist ja fortwährend auf Verkaufstour für sich selbst. Man muss sich an den Mann bringen. Darf keine Kratzer haben. Und so wägt man ganz genau ab, was man sagen darf und was nicht. Wenn das die Falschen hören, oh Gott! Überall sind nun Ellenbogen. Selbst unter Kollegen sagt man nicht mehr, dass der Boss ein Arsch ist, weil der Nebenmann ja um seinen Vorteil besorgt sein könnte und man befürchten muss, dass er Meldung macht. Man spricht eine Sprache, die nur noch touchiert, andeutet, aber nichts mehr auf den Punkt bringt.
Man will schließlich nicht gegen den Kanon, gegen die allgemeine Konvention verstoßen. Pseudosprech ist das Gebot der Stunde. Reden, aber wenig sagen. Und schon gar nichts sagen, was irgendwie kritisch aussehen könnte. Konstruktive Kritik sei natürlich weiterhin erwünscht, heißt es offiziell. Sie muss aber affirmativ sein. Man muss nicken, während man höflich nachfragt, ob die Entwicklungen der Wirtschaft denn auch alternativ gestaltet werden können. Dann erklären sie einem, dass es keine Alternativen gibt und man muss immer weiter nicken und so tun, als habe man verstanden. Und lächeln. Und dann nicht mehr weiter fragen. Falls man das alles nicht tut, könnte der Arbeitgeber morgen schon einen sozialistischen Wohlstandsgefährder in einem erkennen und man wird langsam aber sicher weggelobt. Ist man nicht affirmativ, machen sie dich mundtot, drangsalieren dich und werfen dich bei Bedarf aus deinem Job.
Alles, was es im Osten an Fehlentwicklungen einer an sich guten Idee so gab, haben wir heute auf eine andere, etwas perfidere, weniger plumpe Weise wieder. Man observiert die Bürger und die Bürger werden verstärkt zu hausbackenen Biedermännern, zu treuherzigen Abnickern, die sich keine politische Meinung mehr zutrauen. Wenn doch, leisten sie sich keine eigene Meinung, sondern schwatzen nach, was karrieristische Schwätzer so von sich geben. Der Ostdeutsche kennt das schon. Für den Wessi sind das ganz neue Erfahrungen. Nicht, dass er vorher eine politische Koryphäe gewesen wäre. Du meine Güte!
Auf seinen satten Wiesen musste er das gar nicht sein. Er passte sich seiner Flora und Fauna an und war ein seliges Rindvieh. Und jetzt landet er auf mageren Wiesen, die ihm unbekannt sind und wirkt so unglücklich und so beklommen. Er reibt sich ungläubig die Augen. Scheint in Schockstarre. Man muss sich an die Ossis halten. Die haben gelernt damit umzugehen. Obwohl sie das System gewechselt haben, konnten sie nicht den Nachteilen entfliehen, die ein moribundes System so in sich trägt. Na gut, wenigstens sind sie jetzt frei. Können endlich die ganze Welt bereisen. Könnten sie. Wenn sie Geld hätten. Früher hatten sie Geld. Konnten aber nicht überall hinreisen. Der Ossi ist das Modell der Zukunft, weil er eine Vergangenheit kennt, die wie unsere Zukunft riecht.
4 Kommentare:
Mitteldeutsch bitteschön :-)... nicht Ostdeutsch ... in Ostdeutschland spricht man mittlerweile andere Sprachen ;-)
ANMERKER MEINT:
Genauso ist es,Roberto. Und im politischen Gewese nicht anders. Vergleiche dazu im neusten "Blättchen" (Dein Magazineroll) den Artikel "Ex oriente lux", dem ich vorm letzten Wort noch das Adjektiv "malus" zugefügt hätte, wäre ich der Schreiber. Dennoch ein erhellender Text zum PolitOssiWessi!
MEINT ANMERKER
Sehr gut! Um mit Daniela Dahn zu sprechen: "Wehe dem Sieger!"
In der DDR wurde die metaphern- und bildreiche Kunstsprache in Lyrik & Prosa von Staatsüberdrüssigen manchmal als Sklavensprache bezeichnet. Was Sklavensprache in echt ist, fällt seit dem Ende 1989 über die sogenannten Neuen Länder her. Danke, Roberto, für diesen Text.
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