Zu Ohren gekommen

Dienstag, 12. August 2014

Neulich landete ich beim morgendlichen Kaffee im »ZDF Morgenmagazin«. Sie brachten ein spektakuläres Video aus Australien. Da rutschte ein Fahrgast mit seinem Bein zwischen U-Bahn und Bahnsteig und kam nicht mehr heraus. Prompt halfen die Passanten, kippten mit vereinten Kräften den Waggon, sodass der Mann sein Bein befreien konnte. Schwelgerischer Kommentar der Morgenmagazin-Tante: »Hach, die Australier halt.« Da war es wieder, dieses Stereotyp vom Sonnyboy, Surfer und gutherzigem Crocodile Dundee. »Singen können die alle«, die Neger. Griechen sind bekanntlich faul. Und Australier sind immer gut drauf, hilfsbereit und nett - was erwiesenermaßen an Sonne, Strand und Meer liegt.

Die »pazifische Lösung« ist jedoch auch australisch. Dabei handelt es sich um den Abwehrmechanismus Australiens gegenüber Flüchtlingen, die ins Land wollen. So wie afrikanische Flüchtlinge in Lampedusa ihrer ungewissen Zukunft harren, so landen asiatische und ozeanische Flüchlinge in Insellagern, die dem australischen Festland vorgelagert sind. Dort dürfte manches »coole Surferherz« als Sicherheitsangestellter seinen Dienst tun. Viele Flüchtlinge verweilen dort über Jahre. Stacheldraht und ein privater Sicherheitsdienst hindern die Leute, aufs Festland überzusetzen. Einen Rechtsweg gibt es für die Insassen des Lagers nicht. Sie müssen hoffen, dass sich die Situation in ihren Heimatländern ändert, um eventuell zurückkehren zu können. Es ist theoretisch nicht ausgeschlossen, dass ein Flüchtling in diesem »australischen System« den Rest seines Lebens verbringt.

Unschuldig eingesperrt, abgeschnitten vom Rest der Welt, behandelt wie Schwerverbrecher: Menschenrechte sind hier nicht viel wert. Auf den Inseln vor Australien gilt die australische Verfassung nicht - wir kennen das ähnlich im Falle Guantánamos und der Vereinigten Staaten. Im Jahr 2000 gab es dort einige Revolten, bei denen sich Flüchtlingsgefangene selbst in Brand steckten und sich mit Messern verletzten. Dies alles geht natürlich inklusive einer erhöhten Selbstmordrate ab. Wolfgang Benz behauptet, dass diese »pazifische Lösung« in Europa ins Auge gefasst wurde, als man die europäische Asylpolitik umgestaltete. Man hat gewissermaßen die neue deutsche Härte gegen Asylsuchende der frühen Neunzigerjahre mit dieser australischen Variante gepaart.

Nein, ich will damit nicht sagen, dass die Australier alles herzlose Rassisten sind. Aber nur aus diesen australischen Sonnengemütern, wie man das hierzulande gerne als australisches Stereotype nennt, besteht dieses Land am anderen Ende der Welt wohl auch nicht. Siehe Asylpolitik; siehe den Umgang mit den Aborigines. Es sind halt Menschen - wie überall. Sie helfen einem Verunfallten und schauen weg, wenn jemand seine Heimat verliert. So viel anders sind die Deutschen dann auch nicht. So viel anders wird wohl keine Gesellschaft der Welt sein. Gäbe es nur nette australische Surfer, so gäbe es vielleicht auch keine »detention camps«.

3 Kommentare:

Wolfgang Buck 12. August 2014 um 09:47  

Nur ganz kurz angerissen:

Es scheint evolutionär bedingt zu sein, dass unser Gehirn, simplifiziert, trivialisiert, verallgemeinert. Ich vermute Rassismus, Nationalismus oder Religion sind direkt auf den evolutionären Ursprung unseres Denkorgans zurück zu führen. Wenn Du einem Löwen gegenüber stehst ist es sicher sinnvoll sich zu entscheiden zu rennen oder zu kämpfen. Wer sich erst über die Existenz des Löwen und das Sein im allgemeinen Gedanken macht hat schon verloren. Heute hat sich die Situation radikal geändert.

Entweder wir schaffen es auf eine neue Stufe zu kommen (und ich meine das nicht esoterisch sondern ganz praktisch!) oder wir fressen (Ressourcenverbrauch, Klimawandel, Wirtschaftswachstum) und töten (Krieg, Hass) so lange bis wir Geschichte sind. Ich habe aktuell keine große Hoffnung, dass unsere technische Zivilisation die nächsten dreihundert Jahre überlebt.

Sledgehammer 12. August 2014 um 12:10  

Es fällt stets leichter, aus einem gemeinschaftlichen Impuls heraus, in einer akuten Notsituation zu helfen, zumal wenn dass eigene Risiko überschaubar bleibt, als wenn man zwar von einem Elend oder Unrecht weiß, aber weder im Kollektiv noch als Einzelner unmittelbar davon tangiert wird.

Anonym 13. August 2014 um 16:24  

Wie heißt es so schön: Das Boot ist voll.
So ist es.
Aus Flüchtlinsperspektive.
Ansonsten erfolgt die Betreuung durch FRONTEX.

Ex und hopp,
hopp...

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