Als Oblomow nicht aus dem Quark kam und die Leute selbigen redeten
Freitag, 8. August 2014
Nach diversen Schlagzeilen fachsimpeln die Leute gerne. Einer sagte mir, dass die in den Nachrichten verbreitete Zunahme psychischer Erkrankungen eine Modeerscheinung sei. Früher habe es das alles schließlich auch nicht gegeben. Man hat das Tief mit Fleiß und Disziplin überwunden und hart angepackt. Es sei Anzeichen der Verweichlichung, dass jetzt so viele Menschen »Psyche hätten«. »Ah ja«, antwortete ich und ging weg. Was will man sich mit Arschlöchern streiten?
Wir haben da einen Kollegen, der seit Monaten nicht mehr zur Arbeit kommt. Er hat wohl depressive Phasen. Immer wieder gibt es Teile der Belegschaft, die ihm das ankreiden. Würde er sich nur zusammenreißen und aufrappeln, dann wäre seine Depression ganz schnell vorüber, heißt es von manchem. Sind sind aber taktvoll, denn solcherlei Ratschläge haben sie für ihn nur in seiner Abwesenheit. Einer hat nun erfahren, dass der schwermütige Kollege täglich bis Mittag pennt. »Kein Wunder, dass es nicht besser wird.« Dass das nicht die Ursache, sondern die übliche Folge von Depressionen sein kann, sollte vielleicht mal irgendeiner erwähnen und erklären. Ich nicht, ich habe auch da nichts mehr dazu gesagt. Man muss wissen, wann man mit Streit noch etwas bewegt oder sich nur noch aufreibt.
Wieder jemand anderes hat mir vor einigen Wochen erzählt, dass eine Führungskraft aus dem Konzern, in dem er arbeitet, verlautbaren ließ, dass der so genannte Burnout keine Sache sei, die man sich in der Arbeit einhandle. Der Burnout-Patient infiziert sich gewissermaßen daheim damit. Er kommt ausgebrannt aus seiner Wohnung und seinem Privatleben und glaubt dann irrtümlich, es sei eine Art Arbeitsunfall geschehen. Wahrscheinlich wollte diese Führungskraft nur mal klarstellen, dass das Privatleben reduziert werden sollte, um am Arbeitsplatz bei voller Gesundheit erscheinen zu können. In manchen »Leistungsträgern« schlummert tatsächlich noch immer eine latente Bereitschaft zum Gulag.
Ich glaube zwar auch nicht, dass der Burnout eine komplette Arbeitserkrankung ist. Viel mehr spielen da verschiedene Komponenten des modernen Lebens mit hinein. Wobei Gontscharows »Oblomow« zu belegen scheint, dass es ausgebrannte Zeitgenossen auch schon gab, als dieses moderne Leben noch nicht den Takt angab. Aber Erscheinungen wie lange Arbeitswege, Hektik auf allen Wegen, Menschenaufläufe, dazu private Verpflichtungen oder familiäre Probleme, die in Zeiten der Hetze nicht mehr adäquat behandelt werden, können einem schon zusetzen und desillusionieren. Dieses Phänomen ist aber eben nicht ausschließlich privat. Und da die Menschen jeden Tag zwischen sieben und zwölf Stunden für die Arbeit aufbringen müssen, dürfte dieser Faktor natürlich primäre Ursache sein.
All diese Ratschläge und Empfehlungen, die man Leuten mit psychischer Erkrankung angedeihen lässt, erinnern mich immer an ein bestimmtes Lied der »Biermösl Blosn«: »Sind Sie ein armes Würschtel, Sozialhilfeempfänger? / Haben Sie bei der Bank schon seit längerem einen Hänger? / Macht Sie die nächste Ratenzahlung schon bang und bänger? / Dann werden Sie doch einfach reich / dann werden Sie doch einfach reich / und zwar nicht irgendwann, sondern am besten gleich / am besten gleich.« So simpel kann die Welt manchmal sein. Man muss sich halt nur wahlweise für den Reichtum oder für die seelische Gesundheit entscheiden, nicht wahr?
Worauf ich hinauswill: So richtig weiter sind wir nicht. Gut, die Menschen gehen nun mit ihren psychischen Geschichten zum Arzt, nehmen diese Symptome ernster als früher. Aber Verständnis bekommen sie von ihrem Umfeld noch immer nicht uneingeschränkt. Eine harte und raue Arbeitswelt, in der man nur durch schroffen Einsatz von Ellenbogen weiterkommt, erlaubt solche Kinkerlitzchen nicht. Das färbt auf alle Marktteilnehmer ab, sodass eben auch Kollegen das seelische Dilemma als übersensible Anwandlung abtun, die man gefälligst hintanstellen soll. Die zur Schau getragene Unaufgeklärtheit in dieser Frage präzisiert bloß, dass auch Kollegen in diesem System knapper Jobs und gewollter Prekarisierung nur Gegenspieler sind.
Von überall her kommen diese Unverständigen und Besserwisser, die einem erklären, dass seelisches Ungleichgewicht Eigenverantwortung sei, eine Frage schlechten Charakters oder einfach nur ein hypersensibilisierter Auswuchs, den man sich nicht leisten darf. Sie raten heutigen Schwermütigen wie zu Oblomows Zeiten Arbeit und geregelte Struktur. »Mensch, steh' auf, die Sonne scheint, raus aus den Federn, nur keine Traurigkeit vorschützen!« Als sei der eigene Antrieb etwas, was man auf Knopfdruck auslösen könne. Wie der Prokurist in Kafkas »Die Verwandlung« stehen sie vor Gregor Samsas Türe und mokieren sich, dass man »leichtes Unwohlsein sehr oft aus geschäftlichen Rücksichten einfach überwinden« müsse. Sie sind wie diese Leute von gestern. Noch nicht im Heute angelangt. Immer noch die alten Lieder singend. Stell dir vor es ist medizinischer Fortschritt - und keiner kapiert es.
Wir haben da einen Kollegen, der seit Monaten nicht mehr zur Arbeit kommt. Er hat wohl depressive Phasen. Immer wieder gibt es Teile der Belegschaft, die ihm das ankreiden. Würde er sich nur zusammenreißen und aufrappeln, dann wäre seine Depression ganz schnell vorüber, heißt es von manchem. Sind sind aber taktvoll, denn solcherlei Ratschläge haben sie für ihn nur in seiner Abwesenheit. Einer hat nun erfahren, dass der schwermütige Kollege täglich bis Mittag pennt. »Kein Wunder, dass es nicht besser wird.« Dass das nicht die Ursache, sondern die übliche Folge von Depressionen sein kann, sollte vielleicht mal irgendeiner erwähnen und erklären. Ich nicht, ich habe auch da nichts mehr dazu gesagt. Man muss wissen, wann man mit Streit noch etwas bewegt oder sich nur noch aufreibt.
Wieder jemand anderes hat mir vor einigen Wochen erzählt, dass eine Führungskraft aus dem Konzern, in dem er arbeitet, verlautbaren ließ, dass der so genannte Burnout keine Sache sei, die man sich in der Arbeit einhandle. Der Burnout-Patient infiziert sich gewissermaßen daheim damit. Er kommt ausgebrannt aus seiner Wohnung und seinem Privatleben und glaubt dann irrtümlich, es sei eine Art Arbeitsunfall geschehen. Wahrscheinlich wollte diese Führungskraft nur mal klarstellen, dass das Privatleben reduziert werden sollte, um am Arbeitsplatz bei voller Gesundheit erscheinen zu können. In manchen »Leistungsträgern« schlummert tatsächlich noch immer eine latente Bereitschaft zum Gulag.
Ich glaube zwar auch nicht, dass der Burnout eine komplette Arbeitserkrankung ist. Viel mehr spielen da verschiedene Komponenten des modernen Lebens mit hinein. Wobei Gontscharows »Oblomow« zu belegen scheint, dass es ausgebrannte Zeitgenossen auch schon gab, als dieses moderne Leben noch nicht den Takt angab. Aber Erscheinungen wie lange Arbeitswege, Hektik auf allen Wegen, Menschenaufläufe, dazu private Verpflichtungen oder familiäre Probleme, die in Zeiten der Hetze nicht mehr adäquat behandelt werden, können einem schon zusetzen und desillusionieren. Dieses Phänomen ist aber eben nicht ausschließlich privat. Und da die Menschen jeden Tag zwischen sieben und zwölf Stunden für die Arbeit aufbringen müssen, dürfte dieser Faktor natürlich primäre Ursache sein.
All diese Ratschläge und Empfehlungen, die man Leuten mit psychischer Erkrankung angedeihen lässt, erinnern mich immer an ein bestimmtes Lied der »Biermösl Blosn«: »Sind Sie ein armes Würschtel, Sozialhilfeempfänger? / Haben Sie bei der Bank schon seit längerem einen Hänger? / Macht Sie die nächste Ratenzahlung schon bang und bänger? / Dann werden Sie doch einfach reich / dann werden Sie doch einfach reich / und zwar nicht irgendwann, sondern am besten gleich / am besten gleich.« So simpel kann die Welt manchmal sein. Man muss sich halt nur wahlweise für den Reichtum oder für die seelische Gesundheit entscheiden, nicht wahr?
Worauf ich hinauswill: So richtig weiter sind wir nicht. Gut, die Menschen gehen nun mit ihren psychischen Geschichten zum Arzt, nehmen diese Symptome ernster als früher. Aber Verständnis bekommen sie von ihrem Umfeld noch immer nicht uneingeschränkt. Eine harte und raue Arbeitswelt, in der man nur durch schroffen Einsatz von Ellenbogen weiterkommt, erlaubt solche Kinkerlitzchen nicht. Das färbt auf alle Marktteilnehmer ab, sodass eben auch Kollegen das seelische Dilemma als übersensible Anwandlung abtun, die man gefälligst hintanstellen soll. Die zur Schau getragene Unaufgeklärtheit in dieser Frage präzisiert bloß, dass auch Kollegen in diesem System knapper Jobs und gewollter Prekarisierung nur Gegenspieler sind.
Von überall her kommen diese Unverständigen und Besserwisser, die einem erklären, dass seelisches Ungleichgewicht Eigenverantwortung sei, eine Frage schlechten Charakters oder einfach nur ein hypersensibilisierter Auswuchs, den man sich nicht leisten darf. Sie raten heutigen Schwermütigen wie zu Oblomows Zeiten Arbeit und geregelte Struktur. »Mensch, steh' auf, die Sonne scheint, raus aus den Federn, nur keine Traurigkeit vorschützen!« Als sei der eigene Antrieb etwas, was man auf Knopfdruck auslösen könne. Wie der Prokurist in Kafkas »Die Verwandlung« stehen sie vor Gregor Samsas Türe und mokieren sich, dass man »leichtes Unwohlsein sehr oft aus geschäftlichen Rücksichten einfach überwinden« müsse. Sie sind wie diese Leute von gestern. Noch nicht im Heute angelangt. Immer noch die alten Lieder singend. Stell dir vor es ist medizinischer Fortschritt - und keiner kapiert es.
6 Kommentare:
Ja, das ist etwas verflixtes. Aktivität ist denn auch in jeder Therapie enthalten. Es gibt überhaupt nur wenige Therapieansätze, die die Sinnlosigkeitsneurose kennen und damit eine Gedanensequenz enthalten, die auch auf den Entstehungszusammenhang von Sinnlosigkeit rekurrieren kann. Andererseits leiden auch diese Ansätze daran, dass sie sich letztlich nicht in die Fülle des Abgrundes trauen und kurz davor mit divers konzipierten Aktivitätsvorstellungen die Kurve kratzen. Wer nach Oblomov einmal noch tiefer hinabsteigen möchte in die Dunkelkammern der Sinnlosigkeit der solle es einmal mit dem Buch der Unruhe versuchen, welches in der Tat noch leichte Kost ist im Vergleich zum Versprachlicher der Sinnlosigkeit schlechthin, Emile Cioran. Die meisten alltäglichen Therapien kennen den ganzen Komplex gleich gar nicht und gehen daher hochglanzlackiert von Anpasssungsinterferenzen aus. Es liegt hier die fertig erklärte und wohleingerichtete Welt im Großen und im Kleinen brach dar, aus welcher der Depressive oder der Ausgebrannte aus diversen Gründen herausgefallen ist. Der gesunde Eigen-elan dieser Welt ergreift ihn nicht mehr. Sinnerzeugungscluster kleben nicht mehr an seiner Seele und als Folge davon stürzt sie in die Untiefen das Haltlosen und Wirren. Sie braucht Struktur und Anbindung. Wie eine Henne, der man den Kopf entfernt hat und welche dann im Ausgeistern irre herumtaumelt bis sie umfällt und nur mehr zappelt. Man verzeihe den grausigen Vergleich, aber ich kenne den bäuerlichen Sektor zu gut. Daher ratet man, eine Arbeit zu suchen oder einen ähnlichen Tagesablauf sich einzurichten zuzüglich sportlicher Aktivitäten aufgrund der Ausschüttung wirksamer Neurotransmitter. Im Hintergrund wirken Medikamente wie Sinnerzeugungscluster anziehende Magnete. Mit ein bisschen Eigeninitiative soll das zugefeuerte Gas sich entzünden die Flamme des Sinnes wieder brennen. So soll man also alsbald wieder angepasst sein, Seele und Umwelt harmonisch pochen. Denn prinzipiell ist dies der Normalstatus. Work-Life-Balance verbeleibt dann auch als Bastelaufgabe am Abend. Hier ein Stükchen dran, dort eines weg, bis man ein nettes Bild aus Arbeit und Leben zusammengeplant hat. Du mußt aber unregelmäßig und viele Überstunden machen? Da würde ich mal mit dem Vorgesetzen reden. Aha, der würde sie dann kündigen? Naja, versuchen würde ich es schon, aber wie auch immer, machen sie mal den Plan. Wenn es dann nicht ganz genau so umsetzbar ist, macht das nichts. Sie könnne ihn gar nicht umsetzen und wollen ihn daher gar nicht machen. Nein, ich würde ihnen schon dazu raten. Oh ja, ich verstehe sie sehr gut, niemand hat es heute leicht. Da muss man sich schon auf die Hinterbeine stellen. Aha, da stehen sie sschon, aber halt nur bei der Arbeit. Na sehen sie, dann bauen sie mal etwas Freizeit ein in ihr Leben. Was haben sie schon gesagt? Ach so, das mit den vielen unregelmäßigen Überstunden. Naja, probieren sie es mal. So arg wird es schon nicht sein. Nun aber, ich glaube die Zeit ist für heute um.
Diese irrsinnige Arbeitsethik ist ja eine der "Errungenschaften" des modernen Kapitalismus, siehe Max Weber. Inzwischen ist es ja sogar noch schlimmer, denn die Freizeit muss ja ebenfalls supertoll und effizient genutzt werden. Durch die Literatur streifen aber einige dieser "Leistungsdissidenten" wie Oblomov. So die diversen "Taugenichtse" oder die umher trampenden Beatniks alá Kerouac. Ein besonders komisches Exemplar ist der "Moppel" aus Henscheids "Geht in Ordnung - Sowieso - Genau". Der "ehemalige Student der Geisteswissenschaften" hat im bayrischen Amberg ein Haus geerbt und lebt mit Ende zwanzig als Privatier. Er liegt zwar nicht im Bett, geht dafür aber immer nur in die Wirtschaft Weizen trinken oder in einen höchst sonderbaren Teppichladen, wo man Sechsämter-Magenbitter trinkt. Zu Anfang des Romans ist er auch mal verliebt, was ihn aber völlig überfordert, vor allem als seine Angebetete mit ihm jauchzend Schiffschaukel fahren will und er dabei beinahe in Ohnmacht fällt...
Unverständnis auf breiter Basis würde ja bedeuten, dass die meisten Leute die Probleme nicht an sich selbst kennen, also nicht davon betroffen sind, also diese Probleme die Ausnahme sind.
Wenn die Probleme "typisch" wären und die Leute sie an sich kennen würden, dann würden Sie natürlich nicht so reden und mindestens schweigen.
Solange die Probleme aber offenbar die Ausnahme sind (sonst würden die Menschen nicht verständnislos darüber reden), solange hat man es schwer, die Auslöser der Gesellschaft zuzuschreiben.
Diese Laienbetrachtungen der menschlichen Psyche samt einfachen Rezepten ragen bisweilen auch in internationale Konflikte hinein. Wenn Hobby-Seelenzergliederer ihre Mutmaßungen zur Seele ganzer Völker mitteilen, wird es besonders unappetitlich. So schrieb die FAZ kürzlich zu den neu entdeckten Untermenschen aus dem Osten:
"So ist es eben mit Russland: Immer kehrt es dahin zurück, wo es schon einmal war. Warum? Weil aufstehen und sich einmischen anstrengend ist, und anstrengen wollen sich die meisten Russen nicht, zu tief ist das Oblomowtum - die unbedingte Trägheit, die der Held in Gontscharows Roman 'Oblomow' für die Ewigkeit verkörpert - in die russischen Seelen eingewachsen."
Nicht so im eigenen Land. Hier beschwört man ja regelmäßig gerne die hanseatischen Kaufmannstugenden, die angeblich in der deutschen Seele schlummern und sich in Unternehmergeist und Innovationskraft manifestieren.
Über derartige Zerrbilder der Seelenkunde ist es nicht mehr weit bis zu neuen Rassentheorien. Den Wiedergänger der vererbbaren Intelligenz hatten wir ja schon.
»Menschenaufläufe« – dieses Gericht bereitet man aus uns normalen Arbeitskraft-zurverfügungsstellern doch gerade zu! Möglichst lecker und billig am All-you-can-eat-Büffet der Arbeitskraftabnahmegewährer.
Luzide Oblomows wirkten in seiner Kaste der Adligen und Land- sowie Seelenbesitzer (vor 1869) bereits ziemlich befremdlich (und ist sein »Freund « nicht ein Deutschrusse?) – aber er hatte ja auch die Mittel zu eigener Subsistenz. Aber heute trifft es halt Minderbemittelte – nicht im Geistigen, sondern im Materiellen.
Und das geht ja gar nicht! Magenumstülpung droht sich an …
Man könnte sich zu diesem Scenario auch mal den interessanten Film "Die Abfahrer" von Adolf Winkelmann anschauen, Ende der 70er auf 16mm gedreht. Ein erfrischendes audiovisuelles Abenteuer, sehr zu empfehlen. Erspare mir den Link, wer Interesse hat, kann's leicht auf youtube finden...
bernd_r
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