Die ethische Konzeptlosigkeit der Weltgesundheitsorganisation
Donnerstag, 14. August 2014
oder Pragmatismus ist keine Ethik.
Liberia wird experimentelle Ebola-Mittel erhalten. Die Weltgesundheitsorganisation behauptet, dieser Schritt sei ethisch vertretbar. Doch das ist ein Irrtum. Er ist zwar durchaus menschlich verständlich. Aber im Sinne jenes Teilgebietes der Philosophie namens Ethik ist dieser Schritt mindestens strittig.
Die Ebola-Epidemie greift um sich. Viele Menschen haben bereits den Tod gefunden - und viele werden ihn wohl leider noch finden. Die Eindämmung gestaltet sich schwierig. Es ist aus menschlicher Sicht völlig nachvollziehbar, dass man jetzt auch nach Strohhalmen greift und Präparate für den Kampf gegen die Krankheit zulässt, die noch nicht umfassend geprüft wurden. Aus altruistischen Gründen kann man diesen Pragmatismus rechtfertigen. Bürokratische Spitzfindigkeiten sind kaum vermittelbar, wenn einem die Patienten wegsterben. Nach demselben Prinzip greift ja auch mancher Schwerkranker auf Mittel zurück, die von Schulmedizinern als Humbug angesehen werden. Das ist wohl ein ganz normaler menschlicher Affekt. Man muss ihn wahrscheinlich akzeptieren. Die Ratio steht in Notsituationen hintan. Manchmal zählt einfach nur noch, dass irgendwas gemacht wird. Egal ob sinnvoll oder nicht.
Ethisch im eigentlichen Sinne ist dieses ganz spezielle Handeln der WHO aber nicht. Denn unter ethischen Kategorien ist diese Zulassung potenziell ein durchaus schwerwiegender Eingriff in die menschliche Würde der jeweiligen Patienten. Im Rahmen der Menschenwürde kristallisierte sich ja unter anderem eine Ethik der körperlichen Selbstbestimmung und des Respektes vor dem Körper des Nächsten heraus. Dabei handelt es sich um ein Konzept, das es moralisch und praktisch verbietet, etwaigen körperlichen Schaden am Mitmenschen in Kauf zu nehmen. Daher zum Beispiel die strengen Auflagen im Lebensmittel- und Pharmabereich. Erst wenn ausgeschlossen ist, dass der Eingriff »in den Körper« oder »in die Psyche« eines Patienten oder Kunden, keine Folgeschäden (oder sagen wir lieber: statistisch betrachtet eine geringe Aussicht auf Folgeschäden) zeitigt, entspricht es etwaigen Vorstellungen von (Menschen-)Würde.
Sich nun damit herauszureden, dass die Körper der Ebola-Patienten schon Schaden genommen hätten und es quasi nicht schlimmer werden könne, ist wiederum emotional verständlich, aber streng ethisch betrachtet kein Argument für die Aufgabe dieses »Konzepts der Würde«. Man kann es drehen und wenden wie man will, rein ethisch gesehen, ist es nicht begründbar, warum nun afrikanische Patienten Testpersonen für Mittel sein sollen, die noch nicht ausreichend geprüft sind, während an anderer Stelle Präparate vorenthalten werden, weil man sie noch nicht auf die Menschheit loslassen möchte. Wenn das ethische Konzept, wonach jedem Menschen grundsätzlich körperliche Unversehrtkeit und der absolute Respekt vor Schadensbewahrung zusteht, plötzlich aufgeweicht wird, um einem »Pragmatismus der Stunde« freie Bahn zu lassen, dann kann man schon von so einer Art ethischer Konzeptlosigkeit sprechen.
Ich will der Weltgesundheitsorganisation nicht unterstellen, dass sie diese Ethik unüberlegt für den Moment und für den gegebenen Fall aufgibt. Aber ich will festhalten, dass eine ethische Vertretbarkeit nicht zutrifft. Eine menschlich bedingte allerdings schon. Letztlich gilt, was Ernst Toller leitmotivisch sein Leben lang begleitete: Der Handelnde macht sich schuldig. Immer und immer wieder. Tut er es nicht, geht er unter. Die WHO besteht ja auch nur aus handelnden Menschen. Und wenn die Erlaubnis des Gebrauchs unzureichend getesteter Mittel dazu führt, dass die Epidemie abklingt, dann fragt keiner mehr nach ethischen Grundsätzen.
Notwendig wäre es dann jedoch trotzdem. Denn auch dann wäre dieser Schritt nicht ethisch vertretbar gewesen. Ethik lässt sich ja nur bedingt am Ergebnis ablesen. So war sie philosophisch betrachtet nie gedacht. Denn wenn aus etwas Schlechtem als Nebenprodukt Gutes entsteht, dann ist die Schandtat noch lange kein ethisch motiviertes Handeln. Hätte die Weltgesundheitsorganisation gesagt, dass dieser Schritt emotional vertretbar ist, dann hätte ich eher zugestimmt. Auch wenn ich dann an die Pharmaunternehmen gedacht hätte, die sich jetzt die Hände reiben können. So einen Feldversuch am lebenden Objekt hat man dort ja nicht ganz so oft.
Die Ebola-Epidemie greift um sich. Viele Menschen haben bereits den Tod gefunden - und viele werden ihn wohl leider noch finden. Die Eindämmung gestaltet sich schwierig. Es ist aus menschlicher Sicht völlig nachvollziehbar, dass man jetzt auch nach Strohhalmen greift und Präparate für den Kampf gegen die Krankheit zulässt, die noch nicht umfassend geprüft wurden. Aus altruistischen Gründen kann man diesen Pragmatismus rechtfertigen. Bürokratische Spitzfindigkeiten sind kaum vermittelbar, wenn einem die Patienten wegsterben. Nach demselben Prinzip greift ja auch mancher Schwerkranker auf Mittel zurück, die von Schulmedizinern als Humbug angesehen werden. Das ist wohl ein ganz normaler menschlicher Affekt. Man muss ihn wahrscheinlich akzeptieren. Die Ratio steht in Notsituationen hintan. Manchmal zählt einfach nur noch, dass irgendwas gemacht wird. Egal ob sinnvoll oder nicht.
Ethisch im eigentlichen Sinne ist dieses ganz spezielle Handeln der WHO aber nicht. Denn unter ethischen Kategorien ist diese Zulassung potenziell ein durchaus schwerwiegender Eingriff in die menschliche Würde der jeweiligen Patienten. Im Rahmen der Menschenwürde kristallisierte sich ja unter anderem eine Ethik der körperlichen Selbstbestimmung und des Respektes vor dem Körper des Nächsten heraus. Dabei handelt es sich um ein Konzept, das es moralisch und praktisch verbietet, etwaigen körperlichen Schaden am Mitmenschen in Kauf zu nehmen. Daher zum Beispiel die strengen Auflagen im Lebensmittel- und Pharmabereich. Erst wenn ausgeschlossen ist, dass der Eingriff »in den Körper« oder »in die Psyche« eines Patienten oder Kunden, keine Folgeschäden (oder sagen wir lieber: statistisch betrachtet eine geringe Aussicht auf Folgeschäden) zeitigt, entspricht es etwaigen Vorstellungen von (Menschen-)Würde.
Sich nun damit herauszureden, dass die Körper der Ebola-Patienten schon Schaden genommen hätten und es quasi nicht schlimmer werden könne, ist wiederum emotional verständlich, aber streng ethisch betrachtet kein Argument für die Aufgabe dieses »Konzepts der Würde«. Man kann es drehen und wenden wie man will, rein ethisch gesehen, ist es nicht begründbar, warum nun afrikanische Patienten Testpersonen für Mittel sein sollen, die noch nicht ausreichend geprüft sind, während an anderer Stelle Präparate vorenthalten werden, weil man sie noch nicht auf die Menschheit loslassen möchte. Wenn das ethische Konzept, wonach jedem Menschen grundsätzlich körperliche Unversehrtkeit und der absolute Respekt vor Schadensbewahrung zusteht, plötzlich aufgeweicht wird, um einem »Pragmatismus der Stunde« freie Bahn zu lassen, dann kann man schon von so einer Art ethischer Konzeptlosigkeit sprechen.
Ich will der Weltgesundheitsorganisation nicht unterstellen, dass sie diese Ethik unüberlegt für den Moment und für den gegebenen Fall aufgibt. Aber ich will festhalten, dass eine ethische Vertretbarkeit nicht zutrifft. Eine menschlich bedingte allerdings schon. Letztlich gilt, was Ernst Toller leitmotivisch sein Leben lang begleitete: Der Handelnde macht sich schuldig. Immer und immer wieder. Tut er es nicht, geht er unter. Die WHO besteht ja auch nur aus handelnden Menschen. Und wenn die Erlaubnis des Gebrauchs unzureichend getesteter Mittel dazu führt, dass die Epidemie abklingt, dann fragt keiner mehr nach ethischen Grundsätzen.
Notwendig wäre es dann jedoch trotzdem. Denn auch dann wäre dieser Schritt nicht ethisch vertretbar gewesen. Ethik lässt sich ja nur bedingt am Ergebnis ablesen. So war sie philosophisch betrachtet nie gedacht. Denn wenn aus etwas Schlechtem als Nebenprodukt Gutes entsteht, dann ist die Schandtat noch lange kein ethisch motiviertes Handeln. Hätte die Weltgesundheitsorganisation gesagt, dass dieser Schritt emotional vertretbar ist, dann hätte ich eher zugestimmt. Auch wenn ich dann an die Pharmaunternehmen gedacht hätte, die sich jetzt die Hände reiben können. So einen Feldversuch am lebenden Objekt hat man dort ja nicht ganz so oft.
5 Kommentare:
Ich finde diese Vorstellung von Ethik ein bisschen hölzern. Es geht ja nicht darum, moralische Prinzipien unter allen Bedingungen durchzuhalten, sondern im Gegenteil um die Frage, wie man sich in einer Welt, die moralischen Prinzipien in keiner Weise genügt, dennoch irgendwie moralisch verhalten kann. Oder wie Brecht sagte: "Gedenkt unser mit Nachsicht."
Im Endeffekt ist es allein Sache des einzelnen Patienten, zu entscheiden, welche Behandlung er erhalten möchte. Einem Patienten diese experimentellen Medikamente gegen seinen Willen vorzuenthalten, wäre ebenfalls unethisch.
"Frontier medicine" ist eben ein ethischer Graubereich, in dem es keine einfachen Lösungen gibt, die immer 100 % moralisch "richtig" und vertretbar sind. Ebenso verhält es sich bei der Sterbehilfe und Organspende, oder beim Klonen und Experimentieren mit menschlichen Zellen, bei der Notwendigkeit von Tierversuchen, bei den meist an ärmeren Bevölkerungsgruppen und gerne in der dritten Welt (Indien) durchgeführten Menschenversuchen usw.
Ethische Bedenken können jedenfalls kein Grund sein, sich dieser immer wieder auftretenden Debatte zu verweigern.
Dass die medikamentöse Behandlung von Ebola auch nach 40 Jahren noch so rudimentär ist, liegt eben maßgeblich daran, dass sich damit kein Geld verdienen lässt. Die Fallzahlen sind zu gering und die davon betroffenen Menschen zu arm, um für die Pharmaindustrie als Patienten von Interesse zu sein.
Diesen nicht moralisch, sondern in der kapitalistischen Ökonomie begründeten Nachteil, teilen die Ebolapatienten mit den Opfern vieler anderer exotischer Krankheitsbilder, die ebenfalls nicht kommerziell ausbeutbar sind.
Hier wäre es Sache des Staates, eine Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur aufzubauen, die sich im jene Felder der Medizin kümmert, welche von der Industrie nicht beackert werden.
Um nur ein sinnvolles Beispiel so eines "Staatspharmakonzerns" zu nennen: Der Steuerzahler investiert derzeit 100 Mal so viel in die Pflege von Querschnittsgelähmten, wie insgesamt in die Forschung an Therapien investiert wird. Hier handelt es sich häufig um ansonsten völlig gesunde junge Menschen, die rund um die Uhr intensive Pflege benötigen, weil ein winziger Teil ihres Körpers nicht mehr funktioniert. Gäbe es hier in der Forschung einen Durchbruch, könnten diese Menschen wieder selbstständig am gesellschaftlichen Leben teilhaben, wie Du und ich.
Selbst im Hinblick auf eine bloße utilitaristische ethische Betrachtungsweise ist es sinnvoll, hierfür mehr Ressourcen bereitzustellen, als es ein paar kurzsichtige Konzerne tun, deren Quartalsbilanzen stets wichtiger sind als ihre Patienten.
Wer sich mal etwas mit der Geschichte der Pharmazie beschäftigt hat, weiß, dass die offizielle Freigabe eines Medikaments nur allzu oft kein Qualitätssiegel ist.
Wer das glaubt, unterliegt einem zu frommem Glauben an die Wissenschaft. Es werden ständig Medikamente wieder vom Markt genommen - manchmal schon kurz nach der Freigabe, manchmal auch erst Jahrzehnte später.
Die Menschen der "Ersten Welt" sind naheliegenderweise die größte Versuchsgruppe, da diese am meisten Medikamente nehmen.
Entweder die Situation in den Ländern ist viel prekärer als man es dem Rest der Welt erzählt, oder die WHO ist hysterisch geworden.
perfekt auf den punkt gebracht was ethik wirklich ist. es ist ein philosophisches fach das man verstehen muss.
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