Zeiten, in denen die Linke sich als des Teufels Advokat aufreibt

Freitag, 14. März 2014

Es ist schon wieder geschehen. Man hat sich als Linker mal wieder entschuldigen müssen. Für einen, mit dem man ganz sicher nicht konform gehen kann. Ich sei ja nicht für Putin, sagte ich einem Kollegen, aber man muss die Sache doch auch mal so sehen: Die EU und die Bundesregierung haben diesem Kerl zugesetzt und ihre Grenzen nicht gekannt. Am selben Tag las ich einen Teaser bei den NachDenkSeiten, in dem es hieß: »Konstantin Wecker, bestimmt kein Freund des Systems Putin, kann diese Verlogenheit nicht mehr ertragen.« So geht es einem dauernd.

Immer wieder muss man Leute »in Schutz nehmen«, die einem fürchterlich widerlich sind. Das scheint zur Konstanten unserer Zeit zu werden. Jedenfalls wenn man der politischen Linken angehört. Das tut man ja nicht, um auf Deibel komm' raus irgendwie Opposition zu sein oder weil man etwa an einer querulantischen Persönlichkeitsstörung leidet. Da geht es um Werte des Humanismus und der Aufklärung. Was seltsam genug ist im Bezug zum Beispiel auf Putin. Es geht um Verstehenwollen und um Vermittlung zwischen Positionen und kulturellen Eigenarten - und vor allem um die Auflösung des simplifizierenden manichäischen Weltbildes, in dem das Licht mit dem Dunkel ringt und es also Gut und Böse als feste Kategorien gibt. Klar, an diesen Impuls des moralischen Unterscheidenwollens leiden wir seit den griechischen Philosophen. Aber die Welt ist eben nicht so eindeutig.

Wenn man heute Putin »verteidigt«, dann hält man kein Plädoyer für einen fälschlich Angeklagten. Man rückt nur wieder gerade, was in Schieflage geraten ist und sagt damit: Leute, beide Seiten, Putin und der Westen sind unmenschlich und schlecht, beide sind Protagonisten dieses zynischen Welttheaters. Propaganda vom »bösen Feind« ist keine Diskussionsgrundlage. Ich meine, wieso ist die geopolitische Motivation, die Merkel Putin vorwirft, jetzt plötzlich Gegenstand einer Debatte, wo sie doch in Afghanistan und im Irak überhaupt nicht diskutiert wurde? Wenn man jetzt also als Linker die Sicht Russlands nüchtern ins Gespräch wirft, tut man das nicht aus Kriegslüsternheit oder aus Faszination am oberkörperfreien Neo-Zaren, sondern weil man diese saturierte Selbstgerechtigkeit dieses Westens nicht mehr erträgt, von dem man selbst Teil ist.

Anfang des Jahres wollte ich einen Text publizieren, in dem ich auflistete, wen ich alles in Schriftform »verteidigen« musste im letzten Jahr. Leute, denen ich politisch und vor allem menschlich völlig fern stehe. Putin war damals schon dabei. Aber auch kleine Lichter wie Wulff. Oder Hochkaräter wie die Zschäpe, der man auch einen fairen und rechtsstaatlichen Umgang angedeihen lassen sollte. Erdogan und dessen Schergen waren auch dabei - als ob unsere Polizei so oft viel besser reagiert hat als die Polis. Von Islamisten und Taliban schrieb ich auch. Und klar, ich habe für die SPD und gegen die Stimmen geredet, die ihr die Mitgliederbefragung ausreden wollten. Ja, selbst einen wie Snowden, der politisch irgendwo zwischen republikanisch im amerikanischen Sinne und libertär schwebt, der Waffenbesitz für richtig und Sozialhilfe für verwerflich hält, musste von der politischen Linken »verteidigt« werden. Das klang bei manchen aber dann gleich wie Schwärmerei. Ach, die Linken und ihre Helden ...

Es mag mehr gegeben haben, ich erinnere mich an den Text nicht mehr. Ich habe ihn nie veröffentlicht. Er gefiel mir nicht, war zu unausgewogen und passte dann auch nicht mehr richtig ins Konzept - und immer kam ein anderes Thema dazwischen. Also landete er in der Mülltonne. Aber den Schluss kenne ich noch, er lautete sinngemäß so: Es wird nicht lange dauern, dann muss man schon wieder Partei ergreifen für eine Partei, deren Parteigänger man nie und nimmer ist.

Das Maßhalten, das wie eine Verteidigungsrede bewertet wird, ist ein gravierendes Problem für Menschen mit politisch linkem Hintergrund. Sie machen sich so für den Mainstream, der es gerne einfach und adäquat hat, unglaubwürdig und werden von der Massenstimmung an die Wand gepresst, als Verräter oder Träumer empfunden und teils pathologisiert oder schlimmer noch kriminalisiert. Besonders häufig merkt man das, wenn man der Linken mal wieder Antisemitismus vorwirft, weil sie die Politik Israels kritisiert. Stachel in den Wunden der modernen Welt zu sein, nicht alles einfach hinnehmen und nachplappern. Darum geht es doch. Kritik an Israel ist keine Schrift Streichers. Kritik an der Türkei muss ja auch keine turkophobe Handlung sein.

Ich bin schon so weit, dass ich alle tiefgreifenderen Gespräche meide, weil ich denke, dass ich letztlich immer wie so ein notorischer Querulant auf die Leute wirke. Aber was kann ich dafür, wenn mein Umfeld die Eindimensionalität der hiesigen Berichterstattung wiederkäut? Muss ich deshalb dieselbe Einfalt einnehmen? Gibt es kein richtiges Erleben des Weltgeschehens in der beschnittenen Wiedergabe allen Seins? Und dabei widern mich die, die die Diabolisierung bestimmter Gestalten ohne auf einen Anspruch an Balance zu achten, mindestens genauso an, wie die Figuren, für die man plötzlich und ungewollt als Advokat auftritt.

Man muss klar sagen, dass es diese Malaise ist, die es schwerer sein lässt, als Linker denn als Rechter durch die Welt zu gehen. Der Rechte hat klarere Konturen und ist schneller bereit, sich seiner Zweifel zu entledigen. Er hat ein Sendungsbewusstsein, in dem er immer richtig liegt und die anderen daher falsch. Kulturelle Ungleichheiten macht er mit Termini wie »rückschrittlich« und »fortschrittlich« wett. Er kennt nur Herrenmoral, wo man links auch weiß, dass es verschiedene Moralitäten geben kann, je nach sozialem Kontext, Herkunft und Erfahrungsschatz. Und da dieser Hang mittlerweile massenkompatibel zu sein scheint, kann man sagen: Wir leben in wahrlich rechten Zeiten.

Und ich verachte Putin und sein System eben doch - aber auch die Masche, mit der der Westen sich in alle Windrichtungen auszubreiten trachtet. Ich muss es ja betonen, auch wenn es aussichtslos ist. Man mich eh für unverbesserlich hält. Oder ist diese Masche, dass man den progressiv tickenden Teil der Bevölkerung ständig in die Rolle des Anwalts irgendwelcher Täterfiguren rückt, eine gezielte Maßnahme zur Diskreditierung derer, die immer noch an eine andere Welt glauben wollen? Seht nur, der Linke da drüben verurteilt den Terroranschlag nicht, er sagt, der Westen habe es provoziert! So ein Arschloch! Geh doch nach drüben! Ach ja, so, »Geh doch nach drüben«, hätte der Text damals heißen sollen. Jetzt fällts mir wieder ein.


17 Kommentare:

Anonym 14. März 2014 um 07:02  

Exzellent!
Hoffentlich wirst Du nicht abgeschaltet.

(Siehe: Antrag auf Redeverbot für Ex-Kanzler Schröder)

Nur, Dein Statement ist besser.

Lieschen Müller

Anonym 14. März 2014 um 08:38  

Ich schließe mich "Lieschen Müller" an.
EXZELLENT!

ANMERKER (DER ECHTE)

Sledgehammer 14. März 2014 um 11:04  

Wer Unrecht gegen Unrecht gewichtet, die Vorgänge und deren zugrunde liegenden Absichten und Zwänge offenlegt, befindet sich automatisch innerhalb einer paradoxen Ordnung.
Die gilt es, wo immer man sich in diesem System verordet, auszuhalten.

Gerd Hellmood 14. März 2014 um 12:43  

Zur Zeit kreist im Netz ein Wort welches für mich persönlich das "Dummwort des Jahres 2014" ist, unabhängig von dem, was da noch kommen möge. Es lautet "Putinversteher" und wird immer wieder im Zusammenhang mit Ex-Kanzler Schröder zitiert. Offenbar wollen manche Zeitgenossen nicht akzeptieren, dass ein im Verlauf der Geschichte mehrfach überfallenes Land berechtigte Sicherheitsinteressen hat und zwar dies unabängig von demjenigen der dort regiert. Glücklicherweise nimmt derjenige, der dort derzeit das Sagen hat genau diese Interessen wahr. So what?

Art Vanderley 14. März 2014 um 18:05  

Es ist in der Tat die Masche der herrschenden Strukturen , Differenzierungen zu diskreditieren und jedwede Form verantwortungsvollen Verhaltens an diejenigen abzuwälzen , die dazu bereit sind , teile und herrsche.

Ein Paradebeispiel der auch von Linken immer wieder brav zitierte Satz , daß es legitim sei , daß Unternehmen Gestzeslücken zu ihrem eigenen Vorteil nützen.

Es gibt keinerlei Verpflichtung für Progressive , den Mist wegzuräumen , den "Eliten" und Stammtische immer wieder von neuem auftürmen , wer es gerade will , Respekt , wer nicht , auch o.k. , soll der "Recht-auf-Blödheit"-Pöbel halt mal schauen , wie er ohne kritische Zeitgeister klarkommt.

Anonym 14. März 2014 um 18:46  

"Es wird nicht lange dauern, dann muss man schon wieder Partei ergreifen für eine Partei, deren Parteigänger man nie und nimmer ist."
Passierte und passiert mir oft Roberto. Beschimpfungen als Kryptokommunist oder Marxist-Leninist noch die netteren Reaktionen. Auf die Aufforderung "dann geh doch nach drüben" musste ich jedoch oft antworten: Du Pfeife, ich komme aus Frankreich, das Land, wo die Leute sich an die Schläfe tiipen, wenn sie von Berufsverbote für Linke hörten und ein "ils sont fous ces Allemands" ausstießen.
Anhänger des 04.08.1789

Anonym 14. März 2014 um 21:49  

Apropos "Linke" und ihre "Helden". Heute ist einer der ganz Großen von uns gegangen. Ein unermüdlicher Fürsprecher für Demokratie, Sozialismus und Frieden- Tony Benn. Das ist ein schwerer Verlust, nicht nur für die britische Linke.

LemmyCaution 15. März 2014 um 01:39  

Irgendwie hab ich den Eindruck, dass in dieser Argumentation ein tiefer Denkfehler begraben liegt.

So ein bisschen 'Er ist ein Drecksack, aber er ist NICHT "unser" Drecksack', also ist er mein Verbündeter, weil ich 'uns' kritisch sehe.

Ich glaub nicht, dass da was konstruktives bei rauskommen kann.

Anonym 15. März 2014 um 07:30  

Du sprichst mir aus der Seele.

Anonym 15. März 2014 um 08:33  

Man kann es auch schlichter formulieren: Alle in einen Sack stecken und draufschagen; man trifft stets den Richtigen!

Mowitz 15. März 2014 um 10:46  

@Ich sei ja nicht für Putin

Ein bisschen platt. Warum genau bist Du nicht für Putin? Wahrscheinlich nur so aus dem Bauch heraus, oder was?

Der US-Imperiumbau kam zum Stillstand in zwei strategischen Regionen: Russland und Asien. Unter Führung von Wladimir Putin wurde der russische Staat wieder aufgebaut; die Plünderung und der Zerfall wurde rückgängig gemacht. Die Ökonomie wurde in den Dienst der heimischen Entwicklung gestellt. Die Armee wurde in ein System nationaler Verteidigung und Sicherheit integriert. Russland wurde wieder eine wichtige Figur in der regionalen und internationalen Politik......

http://nattvandare.blogspot.se/2014/03/vormarsch-von-amerikas-imperium-putsch.html

ad sinistram 15. März 2014 um 11:06  

@Mowitz:
Aus dem Bauch heraus? Lach. Ja. Auch. Aber nicht nur. Mir gefällt es nicht, wenn sich jemand autokratisch aufführt. Auch wenn ich weiß, dass das natürlich eine Folge russischer Historie ist. Seine Homophobie wirkt lächerlich, seine Starke-Mann-Manier sowieso. Lagerhaft ist was aus grauer Vorzeit. Das kann ich nicht befürworten. Aber klar ist auch, dass es zu Putin sicher wenig demokratische Alternativen in Russland gäbe.

Mowitz 15. März 2014 um 12:14  

@dass es zu Putin sicher wenig demokratische Alternativen in Russland gäbe

Meinst Du so demokratische Alternativen wie EU und US-Putschisten?

ad sinistram 15. März 2014 um 12:19  

Komm, steck Dir Deine Unterstellungen sonstwo hin, Mowitz. Man weiß gemeinhin, wie ich zum Westen stehe. Von mir polter los, auch ohne Ahnung...

Mowitz 15. März 2014 um 12:45  

@Komm, steck Dir Deine Unterstellungen sonstwo hin

Das werde ich auch. Nur, Du solltest Dich einer weniger zweideutigen Sprache befleissigen, die mit Absicht beliebige Rückschlüsse zulässt. So bedient man sowohl diese als auch jene.

Nix für ungut. Ich werde auch ganz bestimmt nicht wiederkommen.

ad sinistram 15. März 2014 um 13:04  

Das ist doch mal eine gute Nachricht, Mowitz.

Anonym 15. März 2014 um 18:55  

Die Vorstellung vom "Putin-System" ist auch Propaganda-geprägt und muss realistisch hinterfragt werden. Die allumfassende Korruption gab es schon in den Zeiten der Monarchie, und mit jedem Umsturz wird sie einfach stärker. Erst nach Putins antritt wurde die Situation ein wenig besser, indem ein Teil der korrupten Eliten gezwungen wurden, etwas für das wirtschaftliche Wohl des Landes zu tun.

Man kann ihm natürlich vorwerfen, er würde mit dem Fluss schwimmen. Warum macht er dieses schreckliche System denn nicht einfach kaputt? Das mag man, wenn man wohlbehütet am Rande der Alpen sitzt sich gar nicht vorstellen, welche Ausmaße das hat, wie enorm die Verstrickung zwischen Verwaltung und Kriminellen auf allen Ebenen ist, und wie eingebürgert in die Gesellschaft dieses System ist. Die Eliten lassen investigative Journalisten, Rivalen und sonst wen tag täglich verschwinden. Ab einer bestimmten Schmerzgrenze machen die bestimmt auch bei Putin nicht halt, seine Haut ist nicht 8 Schichten Kevlar. Und wenn man die Bösen losgeworden ist, wo nimmt man die Guten her? Die Kriminellen werden für einen geeigneten Nachschub der Sockenpuppen schon sorgen, oder setzt sich eben einer selbst ans Steuer. Das sind alles keine Einzeltäter, ein Sechstel der Bevölkerung ist kriminell oder involviert.

Ich halte Putin für einen überraschend starken Beschützer der Interessen des eigenen Landes, der gerade an der Grenze des möglichen agiert, und sich dabei realen Risiken ausgesetzt. So einen Politiker muss sich doch jedes Land wünschen, viel besser als die allgegenwärtigen amorphen Merkels dieser welt.

Übrigens, wie ist der an die Macht gekommen? Eine Wirtschaftskrise galt bei Insidern als unabwendbar, und wäre verheerend gewesen. Sie war natürlich die direkte Konsequenz der Handlungen Jeltzins und seiner Bande. Was ich hier ab dieser Stelle zu sagen habe muss ich als Mutmaßung stehen lassen, macht daraus was ihr wollt. Er hat Jeltzin versprochen, seinen Kopf hinzuhalten, bis dieser mit seinem Erbeuteten vom Acker ist. Dann hat er jedoch einige seiner Verbündeten gegen ihn und gegeneinander ausgespielt, und einiges an hinterzogenen Steuern kurzfristig wieder in den Haushalt bekommen. Erdölpreisanstieg ist rechtzeitig gekommen, aber zu Jeltzins zeiten hätte der nichts gebracht, denn diese ganze Industrie hat damals die Einnahmen im Ausland versickern lassen und kaum Steuern gezahlt.

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