Das »April, April!«, das erst zur Monatsmitte ertönt
Montag, 24. März 2014
Willkommen in der Endlosschleife neuer Wachstumsmeldungen. Nee, nicht die Wirtschaft wächst. Die wächst nur in den Prognosen. In der Realität passt man diese Zahlen dann wieder an. Aber die Langzeitarbeitslosen, die sorgen jedes Jahr um diese Zeit für Wachstum.
Mitte April 2011 meldeten die Gazetten, dass die »Arbeitsagenturen so viel strafen wie nie«. Im Schnitt kürzen sie »um 123,72 Euro im Monat«. In knapp 500.000 Fällen ging es »um Meldeversäumnisse« und »mehr als 102.000 Mal« war eine »als zumutbar angesehene Arbeit«, die nicht ergriffen wurde, der entscheidende Grund.
Mitte April 2012 hieß es dann: »Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger nehmen zu«. Die Leistungen seien »um 115,99 Euro im Monat gekürzt worden«. Erst weiter unten stand dann: »Betrugsfälle gehen zurück«.
Mitte April 2013 las man, dass »noch nie [...] so viele Sanktionen gegen Arbeitslose ausgesprochen [wurden] wie im letzten Jahr«. Durchschnittlich »110 Euro« habe man nicht ausgezahlt. In »697.000 Fällen« ging es um Meldeversäumnisse, 137.600 Strafen resultierten aus »der Weigerung, eine Arbeit aufzunehmen«.
Mitte März 2014 meldet jetzt die Bildzeitung in einem Vorbericht, dass die »Strafen gegen Empfänger auf Rekordniveau« lägen. Bis November des letzten Jahres hätten sich mehr als 94.000 geweigert, »bestimmte Jobs anzunehmen«. In mehr als 667.000 Fällen gab es Meldeversäumnisse.
Mehr dazu folgt dann sicher Mitte April, der traditionellen Zeit, um über Sanktionsrekorde zu berichten und natürlich für Sofortmaßnahmen gegen den Müßiggang mobil zu machen. Die Bildzeitung hat dann zu ihrem Vorabbericht auch gleich einen redaktionellen Kettenhund losgelassen, der einen Kommentar formulierte, in dem es irgendwie um Verschärfungen geht und um Jobcenter, die ihre »Kunden« per SMS einladen. Als ob das zulässig wäre. Und natürlich hätten sich Hartz-IV-Empfänger mal wieder im System eingerichtet. Ist schon klar, davon lebt man auch so gut und reichlich. Diese Typen schicken uns nicht am Ersten in den April, sondern seit Jahren erst zu Monatsmitte.
Denn die Rekorde sind nur selten welche, wenn man die Zahlen zerlegt und die einzelnen Positionen auflistet. Die Zahl, die die fehlende Motivation von Hartz-IV-Empfängern dokumentieren soll, ist hierfür exemplarisch, denn sie ging ja nicht konstant noch oben. Und dann muss man die Umstände berücksichtigen: Zu den Strafen aufgrund Ablehnung zumutbarer Arbeit gehören generell auch solche »Delikte«, die die Eingliederung in den Arbeitsmarkt vereiteln. Unter anderem ist damit auch die Verweigerung eine Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben gemeint. Die hält einseitig fest, dass der Arbeitslose bestimmte Dinge zu erfüllen und zu belegen hat. Eine bestimmte Anzahl Bewerbungen schreiben zum Beispiel. Mir sind Fälle bekannt, in der das Jobcenter 40 Bewerbungen im Monat forderte. Unterschreibt man diesen Wisch nicht, droht Sanktion. Das Sozialgericht hat mal beanstandet, dass diese Einseitigkeit nicht rechtens sei. Seither führen auch die Jobcenter ihre »Pflichten« auf, im Regelfall ein Standardsatz, der besagt, dass man die Daten des Arbeitslosen in die interne Stellenliste der Behörde einspeist, um so ab und an einen Stellenvorschlag zustellen zu können. Also folglich eine »Leistung«, die ohnehin erbracht werden sollte.
Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen werden häufig wieder zurückgenommen, weil beispielsweise die Krankmeldung erst verspätet auf dem Tisch des Arbeitsvermittlers landete. Oder es kommen Einladungen gar nicht erst an, was sich dann nur schwer belegen lässt. Als ich noch Hartz IV bezog, bekam ich Einladungen grundsätzlich immer kurzfristig höchstens zwei Tage vor Termin. Manchmal auch erst am Vortag. Die Berliner Behörden haben eine Weile Einladungen so zustellen lassen, dass sie erst am Tag des Termins im Briefkasten lagen.
Kurz gesagt, dieses Aufwärmen statistischer Belege ist nichts wert. Es sagt nichts über die »Arbeitsmoral« von Leistungsbeziehern aus. Nur wenn man die Praxis der Behörden kennt, weiß man, welche Aussagekraft diese Zahlen wirklich haben. Nämlich die, dass hier aus Spargründen ordentlich betrogen und gelogen wird, um sanktionswürdiges Verhalten zu erzeugen. Statistiken erfassen das freilich nicht. Und die Rotte derer, die auf solche Rekorde nur warten, um wieder strengere Gesetze zu fordern und etwaige verantwortliche Minister zum Handeln zu bewegen, wollen von dieser Praxis natürlich nichts wissen. Sie wollen nur den Untergang des Abendlandes herausdeuten, um den Stammtisch, an dem sie abendlich den Frust über ihr verkorkstes Leben hinabsaufen, auch in die Kommentarspalten und auf die politische Agenda dieses Landes zu setzen.
Mitte April gibt es Zahlen und Wasserstandsmeldungen, die uns sagen, dass die Brühe schon wieder höher steht. Ende April ist dann die Zeit der Experten, Mahner und Bild-Serien, in denen es dann um das »wirkliche Leben von Hartz-IV-Beziehern« geht.
Das Wetter ist im April gar nicht so wechselhaft, wenn man Hartz IV bezieht. Es ist dann meist durchgehend frostig und man friert stark wegen des Einbruches sozialer Kälte. »April, April, der macht was er will«, sagte man früher mal. Für Langzeitarbeitslose heißt es schon lange: »April, April, die machen mit uns, was sie wollen.« Das reimt sich zwar nicht, stimmt aber trotzdem.
Mitte April 2011 meldeten die Gazetten, dass die »Arbeitsagenturen so viel strafen wie nie«. Im Schnitt kürzen sie »um 123,72 Euro im Monat«. In knapp 500.000 Fällen ging es »um Meldeversäumnisse« und »mehr als 102.000 Mal« war eine »als zumutbar angesehene Arbeit«, die nicht ergriffen wurde, der entscheidende Grund.
Mitte April 2012 hieß es dann: »Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger nehmen zu«. Die Leistungen seien »um 115,99 Euro im Monat gekürzt worden«. Erst weiter unten stand dann: »Betrugsfälle gehen zurück«.
Mitte April 2013 las man, dass »noch nie [...] so viele Sanktionen gegen Arbeitslose ausgesprochen [wurden] wie im letzten Jahr«. Durchschnittlich »110 Euro« habe man nicht ausgezahlt. In »697.000 Fällen« ging es um Meldeversäumnisse, 137.600 Strafen resultierten aus »der Weigerung, eine Arbeit aufzunehmen«.
Mitte März 2014 meldet jetzt die Bildzeitung in einem Vorbericht, dass die »Strafen gegen Empfänger auf Rekordniveau« lägen. Bis November des letzten Jahres hätten sich mehr als 94.000 geweigert, »bestimmte Jobs anzunehmen«. In mehr als 667.000 Fällen gab es Meldeversäumnisse.
Mehr dazu folgt dann sicher Mitte April, der traditionellen Zeit, um über Sanktionsrekorde zu berichten und natürlich für Sofortmaßnahmen gegen den Müßiggang mobil zu machen. Die Bildzeitung hat dann zu ihrem Vorabbericht auch gleich einen redaktionellen Kettenhund losgelassen, der einen Kommentar formulierte, in dem es irgendwie um Verschärfungen geht und um Jobcenter, die ihre »Kunden« per SMS einladen. Als ob das zulässig wäre. Und natürlich hätten sich Hartz-IV-Empfänger mal wieder im System eingerichtet. Ist schon klar, davon lebt man auch so gut und reichlich. Diese Typen schicken uns nicht am Ersten in den April, sondern seit Jahren erst zu Monatsmitte.
Denn die Rekorde sind nur selten welche, wenn man die Zahlen zerlegt und die einzelnen Positionen auflistet. Die Zahl, die die fehlende Motivation von Hartz-IV-Empfängern dokumentieren soll, ist hierfür exemplarisch, denn sie ging ja nicht konstant noch oben. Und dann muss man die Umstände berücksichtigen: Zu den Strafen aufgrund Ablehnung zumutbarer Arbeit gehören generell auch solche »Delikte«, die die Eingliederung in den Arbeitsmarkt vereiteln. Unter anderem ist damit auch die Verweigerung eine Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben gemeint. Die hält einseitig fest, dass der Arbeitslose bestimmte Dinge zu erfüllen und zu belegen hat. Eine bestimmte Anzahl Bewerbungen schreiben zum Beispiel. Mir sind Fälle bekannt, in der das Jobcenter 40 Bewerbungen im Monat forderte. Unterschreibt man diesen Wisch nicht, droht Sanktion. Das Sozialgericht hat mal beanstandet, dass diese Einseitigkeit nicht rechtens sei. Seither führen auch die Jobcenter ihre »Pflichten« auf, im Regelfall ein Standardsatz, der besagt, dass man die Daten des Arbeitslosen in die interne Stellenliste der Behörde einspeist, um so ab und an einen Stellenvorschlag zustellen zu können. Also folglich eine »Leistung«, die ohnehin erbracht werden sollte.
Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen werden häufig wieder zurückgenommen, weil beispielsweise die Krankmeldung erst verspätet auf dem Tisch des Arbeitsvermittlers landete. Oder es kommen Einladungen gar nicht erst an, was sich dann nur schwer belegen lässt. Als ich noch Hartz IV bezog, bekam ich Einladungen grundsätzlich immer kurzfristig höchstens zwei Tage vor Termin. Manchmal auch erst am Vortag. Die Berliner Behörden haben eine Weile Einladungen so zustellen lassen, dass sie erst am Tag des Termins im Briefkasten lagen.
Kurz gesagt, dieses Aufwärmen statistischer Belege ist nichts wert. Es sagt nichts über die »Arbeitsmoral« von Leistungsbeziehern aus. Nur wenn man die Praxis der Behörden kennt, weiß man, welche Aussagekraft diese Zahlen wirklich haben. Nämlich die, dass hier aus Spargründen ordentlich betrogen und gelogen wird, um sanktionswürdiges Verhalten zu erzeugen. Statistiken erfassen das freilich nicht. Und die Rotte derer, die auf solche Rekorde nur warten, um wieder strengere Gesetze zu fordern und etwaige verantwortliche Minister zum Handeln zu bewegen, wollen von dieser Praxis natürlich nichts wissen. Sie wollen nur den Untergang des Abendlandes herausdeuten, um den Stammtisch, an dem sie abendlich den Frust über ihr verkorkstes Leben hinabsaufen, auch in die Kommentarspalten und auf die politische Agenda dieses Landes zu setzen.
Mitte April gibt es Zahlen und Wasserstandsmeldungen, die uns sagen, dass die Brühe schon wieder höher steht. Ende April ist dann die Zeit der Experten, Mahner und Bild-Serien, in denen es dann um das »wirkliche Leben von Hartz-IV-Beziehern« geht.
Das Wetter ist im April gar nicht so wechselhaft, wenn man Hartz IV bezieht. Es ist dann meist durchgehend frostig und man friert stark wegen des Einbruches sozialer Kälte. »April, April, der macht was er will«, sagte man früher mal. Für Langzeitarbeitslose heißt es schon lange: »April, April, die machen mit uns, was sie wollen.« Das reimt sich zwar nicht, stimmt aber trotzdem.
9 Kommentare:
"[...]Das Wetter ist im April gar nicht so wechselhaft, wenn man Hartz IV bezieht. Es ist dann meist durchgehend frostig und man friert stark wegen des Einbruches sozialer Kälte. »April, April, der macht was er will«, sagte man früher mal. Für Langzeitarbeitslose heißt es schon lange: »April, April, die machen mit uns, was sie wollen.« Das reimt sich zwar nicht, stimmt aber trotzdem[...]"
Lieber Roberto J. de Lapuente,
leider muss ich dir widersprechen, denn was du schreibst gilt nicht allein für Langzeitarbeitslose bzw. ALGII-Empfänger sondern sogar schon für manche frisch gemeldete ALGI-Empfänger - wird oft unterschlagen, is aber so.
Hast du einen normalen Lebenslauf - kein Problem.
Bei einem neuerdings so genannten "bunten" Lebenslauf, da fängt es dann an....
...oder bei solchen ALGI-Empfängern, die vorher sowenig verdient haben, dass die ergänzend HartzIV beantragen müssen, bis die einen neuen Job gefunden haben....auch hier ist es dann schon so weit....
...es wird nicht mehr gefragt, was für ein Schicksalsschlag dich - schon wieder - in die Arbeitslosigkeit getrieben hat, sondern nur unterstellt, dass du zu faul zum Arbeiten bist....
...ich weiß von was ich schreibe, da ich, wegen einer schweren Erkrankung meiner Chefin und baldiger Geschäftsaufgabe dererseits, wieder auf Arbeitsuche bin.....
Es ist eben nicht nur bei Langzeitarbeitslosen, sondern fängt schon beim ersten Tag der Arbeitslosmeldung an:
Die (Dauer-)Hetze gegen Arbeitslose zeigt Wirkung....auch bei den - oft frustierten - Mitarbeitern der Arbeitsagenturen....
...das fängt nicht erst bei Jobcentern an, sondern weit vorher....
...na ja, vielleicht schreibst du mal dazu was?....
Trauriger Gruß
Bernie
Jetzt denke aber bitte niemand, dass es sich hier um die Reaktion auf die Petitionsanhörung von Frau Hannemann im Bundestag handeln könnte, welche die Medienmaschinerie in der Manier "Das Imperium schlägt zurück" auf den Plan bringt. Immerhin sahen da einige der Regierungsvertreter zu diesem Thema - ähem - ziemlich alt aus.
Es muss doch bewiesen werden, dass die Sanktionen gerechtfertigt sind und benötigt werden, um das "arbeitsscheue Pack" in jede noch so unsinnige Massnahme zu pressen. Wen juckt da schon die Frage nach einem Existenzminimum oder gesellschaftlicher Teilhabe?
Hartz-IV-Empfänger sind nicht die einzige Zielgruppe, bei welcher auf diesem Pegel argumentiert wird. Wenn ich solche Beiträge lesen, kommt mir das Frühstück gleich noch einmal durch den Magenpförtner:
http://www.sueddeutsche.de/politik/eu-zuwanderer-ministerien-wollen-gegen-sozialmissbrauch-vorgehen-1.1920191
Ich bin ALG-2-Bezieher, habe KEINE Eingliederungsvereinbarung unterschrieben, sondern die Unterschrift begründet verweigert.
Es erfolgte keine EGV per Verwaltungsakt, denn dagegen hätte ich eine Klage eingelegt, es erfolgte keine Sanktion.
Dann gratuliere ich dir. Die Realität sieht für viele ganz anders aus. Die Sanktionsandrohung bei Unterschriftverweigerung ist der Regelfall. Wenn das bei dir nicht geschehen ist, hast du Glück gehabt.
Ein Ranking der dreistesten Arbeitsagenturen mit monatlichen update wäre nicht zu verachten.
Ich muss dir auch nochmal wiedersprechen roberto. Eine Eingliederungsvereinbarung nicht zu unterschreiben kann nicht mehr sanktioniert werden. Es kann natürlich gut vorkommen, das dreiste JC_Mitarbeiter, im Gespräch, eine solche Drohnung nutzen, weil sie auf das Unwissen ihres Gegenübers spekulieren, um doch noch ein Unterschrift zu bekommen. Aber ich bezweifle, das sie dir das schriftlich geben.
§ 15 SGB II Eingliederungsvereinbarung
"Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die Regelungen nach Satz 2 durch Verwaltungsakt erfolgen."
http://www.buzer.de/gesetz/2602/a37300.htm
neugefasst durch B. v. 13.05.2011 BGBl.
Es gibt unzählige Fälle von Sanktionen nach Verweigerung einer Eingliederungsvereinbarung. Auf damalige Anfrage, was geschehe, wenn ich nicht unterschreibe, hieß es, dass das unter Umständen Sanktionen nach sich ziehen würde.
@Roberto J. de Lapuente
Frag doch einfach mal in einem Erwerbslosenforum nach, oder bei einer Arbeitsloseninitiative.
Bin mal gespannt was die zu eurem Disput sagen.
Hier mal ein Link-Hinweis:
http://www.tacheles-sozialhilfe.de
...incl. Forum dort....
Gruß
Bernie
Hallo Roberto,
wie es geht habe ich Dir per Mail gesandt.
Man muss eben wissen WIE man sich wehren kann.
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