Telefonate, die man im Schatten des Atompilzes führt

Freitag, 17. Januar 2014

Arbeit. Es geht immer nur darum. Die Hälfte aller Artikel, die so ein Magazin in die Welt setzt, hat mit Arbeit zu tun. Mit der Arbeitsmarktsituation oder mit Empfehlungen, wie man am Arbeitsplatz erfolgreich ist. Was bedeuten politische Entscheidungen für ihren Job? Und wenn ja, wie kann ich trotzdem Erfolg haben? Ja, selbst die Unterhaltung taucht in die Arbeit ab. Kaum ein Programm, in dem nicht Bewerbungen oder Stellengesuche zentrales Thema sind.

In manchen Sendungen retten Sterneköche den schlechten Arbeitsplatz von Leuten, die gerne Koch wären. Woanders wird Bewerbungsehrgeiz postuliert und erklärt, dass der, der wolle, auch könne und der, der besonders wolle, auch jegliche Chance bekomme. Dann gibt es Formate, in denen sich Arbeitgeber schön rausputzen, ihre Belegschaft bespitzeln oder wahlweise einstellen und in die Kamera erklären, dass sie Leistungsträger sind und bleiben wollen. Man sieht Leute beim Praktikum oder in der Probezeit, in der Routine des Arbeitsablaufs oder in Hochbetrieb. Immer nur Arbeit. Ohne sie scheint es keine Unterhaltung zu geben. Der homo laboris braucht sein Quäntchen Arbeit auch dann, wenn er nicht arbeitet. Er ist immer mit Arbeit, besser gesagt mit Erwerbsarbeit, beschäftigt. Wenn nicht körperlich und in Aktivzeiten, so doch wenigstens geistig und zur Kontemplation.

Das erinnert mich an eine Geschichte, die Charles Bukowski mal in einem Interview erzählt hat. Eigentlich wollte er dieses Erlebnis in sein Buch Der Mann mit der Ledertasche packen - sie war ihm aber entfallen und erst wieder bei einem Interview 1975 in den Sinn geraten.

Sie geht ungefähr so: Als er bei der Post beschäftigt war, bekamen alle dort Angestellten eine Broschüre ausgehändigt. Das muss irgendwann in den Sechzigern gewesen sein. Titel der Broschüre war: "Wie verhalte ich mich bei einem atomaren Angriff?" Nach Schilderungen, was alles passiert, wenn ein Atomschlag geschieht und der beschriebenen Aussicht, dass dann nicht mehr viel los sei, folgte einen dienstlichen Ratschlag. Für Postangestellte gäbe es für die Zeit nach einem Atomangriff eine spezielle Telefonnummer, die man wählen könne, um sich zum Dienst zurückzumelden. Ich bin radioaktiv verstrahlt, Boss, aber noch gut in Schuss! Die Post dürfte ja nach so einem Ereignis ja ziemlich im Arsch sein, aber wer dort anruft, steht auf der Liste derer, die beim Aufbau einer neuen Post helfen dürfen. Sogar mit Gehaltsnachzahlungen, glaubte Bukowski sich zu erinnern.

Bukowski sagt im selben Interview, dass er in seinen Geschichten manchmal etwas dazuerfindet, um die Realität spannender zu machen. Aber diese Sache, die war echt. Er musste sie gar nicht dramatisieren. Genau so war es. Die Öffentlichkeit habe diese Broschüre nie zu sehen bekommen.

Diese Geschichte ist so eine Art wahre Parabel auf diesen Arbeitswahn. Das Land ist radioaktiv verseucht, aber es gibt Hoffnung, denn man kann eine Arbeit durch bloßen Anruf erhalten. Dass das die Idioten an der Spitze eines Unternehmens gut finden, ist normal. Die sitzen ja wahrscheinlich in isolierten Schutzräumen und werten nur ihre Profitmaximierungsquoten aus. Dass es aber bestimmt genügend Postangestellte gab, die beruhigt einschliefen, weil sie nun wussten, ihre Arbeit ist selbst in der größten Katastrophe noch sicher, das zeigt nur, wie verinnerlicht der Mythos von der Arbeit ist. Man brauchte den Overkill nicht fürchten, denn es geht einfach weiter. Solch tröstliche Meldungen hört man heute nur selten.

Gut, vor einem Atomschlag haben wir heute keine Angst mehr. Wir haben gelernt, mit der Gefahr zu leben. Wir wollen heute nur gewährleistet wissen, dass nach einem Reaktorunglück noch die gesamte Unterhaltung auf Arbeit und Erwerb getrimmt ist. Casting-Shows für Bewerber oder Kamerateams, die Angestellte bei wer weiß was begleiten - das wollen die Leute. Und zwischendrin Berichte vom Arbeitsmarkt, Analysen und Diagnosen und Erbauungstexte. Nur wenn wir schon am Freitagabend Monday, Monday, so good to me ... trällern können, nennen wir das Glück.

Eine Welt ohne Arbeit gibt es nicht. Das leuchtet ein. Von nichts kommt ja nichts. Spießerspruch, der nicht ganz falsch ist, auch wenn man ihn oft falsch anbringt. Aber Nischen ohne Arbeit sollten doch wohl möglich sein. Die muss es sogar geben. Um Abwechslung zu haben und um abzuschalten. Aber der zeitgenössische Mensch schaltet nicht ab. Er kommt vom Arbeitsmarkt, pflanzt sich auf seine Couch und zappt in den Arbeitsmarkt hinein, bevor er vom Arbeitsmarkt liest und Seminaren über den Arbeitsmarkt in der Volkshochschule lauscht. Er ist dauernd mit dem Sachgebiet Erwerbsarbeit beschäftigt. Selbst dann, wenn er sie schon hinter sich gebracht hat und bis zum nächsten Morgen einfach vergessen könnte.

Die großen und auch teils noch die modernen Klassiker erzählen von den vielen Facetten der Liebe, von Abenteuern und Erlebnissen, von Krieg und Frieden, von Sex und Leidenschaft, von den Erfahrungen des Menschen im Alltag. Zu letzterem gehört auch die Arbeit und die kommt darin auch vor. Auch. Nicht nur. In der alten Unterhaltung flüchtete der Mensch aus seinem Trott. Max Frisch schuf einen homo faber, also einen schaffenden Menschen, der wider seinem Namen aber nicht arbeitet, sondern aus dem Mief seines Erwerbslebens flieht. Die Arbeit kommt auch da vor. Als Teilbereich des Lebens. In der neuen Unterhaltung ist sie das Leben. Der homo faber schafft fernab des Jobs. Sich Freiräume. Sich Freiheit. Wenigstens für eine Weile.

Davon hört und spürt man heute nichts mehr. Hundertprozentiger Einsatz. Immer. Überall. Wer locker läßt, der verliert. Wer nie locker läßt, verliert auch. Damit uns das aber nicht zu bewusst wird, zappen wir uns ins TV-Programm, da wird schon irgendein Arschloch auf uns warten und uns Berichte von einem ganz tollen Assessment-Center liefern. Komm, Kumpel, rappel' dich auf und sieh, wie es auch gehen kann, wenn man sich noch mehr engagiert. Und manche arme Sau glaubt es sogar.

Es gibt kein anderes Leben im Arbeitsleben. Und Arbeitsleben ist ständig. Wenn wir heute eine Reportage über die lettische Küche gucken, dann wollen wir immer auch wissen, wie die Leute ihre Speisen finanzieren, wo sie nach der Arbeit einkaufen, ob sie Arbeit haben und was sie so arbeiten. Und wenn wir dann schon dabei sind, dann bitte gleich noch einen Bericht über die lettische Konjunktur, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und den Durchschnittslohn. Über Küche alleine kann man nicht mehr sprechen. Über nichts kann man sprechen, ohne gleich das Erwerbsleben einzubeziehen. Wir lauschen den Klängen eines Barden und fragen uns, ob er davon leben kann. Wir loben die grandiose Currywurst und unterhalten uns nicht über ihre Zubereitung, sondern darüber, ob sich so ein Imbiss überhaupt rechnet. Und was hat der Mann hinter der Theke eigentlich früher gearbeitet und warum tut er das heute nicht mehr? Verlor er den Job aufgrund schlechter Konjunkturlage? Warum war sie schlecht? Und warum ist die Wurst so gut, obwohl es manchmal schlechte Konjunktur gibt? Ohne solche Fragen kommen wir nicht mehr aus.

Selbst die Ethik ist davon befallen. Jetzt liest man, dass Rumänen und Bulgaren durchaus willkommen sind in Deutschland. Nee, nicht weil man plötzlich ein liebes Mitmenschenherz gefunden hat. Weil es billige und notwendige Arbeitskräfte sind. Sie tun unserem Arbeitsmarkt gut. Arbeit ist das omnipräsente Argument.

Wir werden alle am Abend vor der Glotze hocken und unsere Müdigkeit mit dieser totalen Erwerbsverarbeitung des Daseins einlullen, wenn die Bombe runterkommt. Und ich habe nicht mal eine Telefonnummer, die ich wählen könnte. Dann ist es doch gleich besser, ich bin sofort tot. Immer noch besser als gar keine Arbeit.


13 Kommentare:

ulli 17. Januar 2014 um 10:14  

Siehe dazu auch Max Webers berühmte Untersuchung: "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus", sicher die beste Analyse der kapitalistischen Vergötterung der Arbeit überhaupt.

Diese Propaganda, die du beschreibst, ist ja um so bekloppter, als man heutzutage mit Arbeit kaum zu irgendwas kommen kann. Ich kenne einige Leute, die durchaus wohlhabend sind, die haben aber alle geerbt, sei es in Form von Sparbüchern, sei es in Form der väterlichen Firma (wenn man diese Firma dann einigermaßen gut managt, winkt der dicke Wohlstand). Bei Erwerbsarbeit läuft es nach meiner Wahrnehmung um so besser, je weiter man vom Markt und dessen Mechanismen entfernt ist: Beispielsweise als verbeamteter Studienrat lebt man wirklich ganz gut. Am schlechtesten sind dagegen die dran, die wirklich marktkonform handeln. Wer etwa eine kleine Firma gründet, zb einen Laden aufmacht oder vielleicht ein neues Architekturbüro, kann häufig sehr froh sein, wenn ihm am Monatsende nach Abzug aller Kosten ein Hartz IV Satz übrig bleibt. Aber die Wirklicheit, die sich hinter all der Propaganda verbirgt, scheint ja immer weniger zu interessieren...

maguscarolus 17. Januar 2014 um 10:53  

War es denn nicht immer so, dass persönliche Freiheit, Bildung, Kunst, Kultur und Lebensart für eine Minderheit auf der anderen Seite Sklaverei, Fron und Ausbeutung aller Art für die Mehrheit der Menschen zur Voraussetzung hatten?

Gerne ließe ich mich eines Besseren belehren, wo je eine "Hochkultur oder Hochzivilisation" bestanden hätte, in der es anders war.

Anonym 17. Januar 2014 um 11:09  

Preußen ist noch überaus existent.
Ein jeder in Mitteleuropa, der Schwierigkeiten damit hat, gegen seinen Staat aufzubegehren, oder dem Wahn verfallen ist, er müsse (stoisch) zuerst noch seine Pflicht erfüllen, egal in welcher Kondition er sich selbst befindet, spürt, dass dieser Staat existiert hat.

Erinnerungen hat er nicht, weil es seine Vorfahren mehr betrifft, aber die Resultate, dass dieser Staat maßgeblich an der Prägung des Landstriches beteiligt war, in dem derjenige heute lebt, sind allgegenwärtig.

EuRo 17. Januar 2014 um 12:12  

Roberto J. De Lapuente lebt mit seiner Familie seit 2012 in Heppenheim an der Bergstraße. Er ist unter anderem als freier Publizist tätig. Im Jahr 2008 bastelte er sich das Blog ad sinistram. Dort befasst er sich mit Politik, Sprach- und Gesellschaftskritik. Seine ersten beiden Bücher "Unzugehörig" und "Auf die faule Haut" sind im Renneritz Verlag erschienen.

Äh - was ist mit Lieblings- essen, -musik, -reiseziel, -hobby?
Ich frag ja nur...

Ute Gisela 17. Januar 2014 um 12:19  

Ganz großartig "Die Telefonate, die man im Schatten des Atompilzes führt".

Diese unsere vorherrschende Arbeitsmoral gemahnt an faschistische Verhältnisse:
'Arbeit, Arbeit über alles, über alles auf der Welt...'!

Empfehle
"Frohes Schaffen" - Ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral"
http://www.youtube.com/watch?v=O6IpDDqFvPY

Anonym 17. Januar 2014 um 12:45  

"Arbeit macht frei!"

BRAMAN 17. Januar 2014 um 13:55  

Selbstverständlich ist ARBEIT das Nr.1 Thema für Sklaven!
An etwas anderes hat ein Sklave ja auch nicht zu denken, kann gar nichts anders denken, soll gar nicht anderes denken.
Für unsere Feudalherren gibt es wohl auch andere Themen, von denen wissen wir (die Sklaven) aber nichts. Das würde wohl auch unser Vorstellungsvermögen und unsere mögliche Denkleistung überfordern.
Aber wir haben ja für unser kleines glück das Dauerthema "Überleben", auch genannt "Arbeit"!

MfG. M.B.

Ute Gisela 17. Januar 2014 um 15:14  

@maguscarolus - "Gerne ließe ich mich eines Besseren belehren, wo je eine "Hochkultur oder Hochzivilisation" bestanden hätte, in der es anders war."

Heißt das jetzt, dass mannfrau sich mit dem vorherrschenden Elend abzufinden hat?

Ute Gisela 17. Januar 2014 um 15:17  

@EuRo - "Äh - was ist mit Lieblings- essen, -musik, -reiseziel, -hobby?
Ich frag ja nur... "

Hm - da braucht's aber noch ein paar Fragen mehr. Sonst entsteht der Eindruck als hätte der Frager das Anliegen dieses Beitrages noch nicht verstanden?!

Hartmut B. 17. Januar 2014 um 18:41  

Nun denn, für mich ist Arbeit eine unwürdige Tätigkeit, - soweit sie fremdbestimmt ist.

Spätestens seit der Erfindung des Roboters (robota - Arbeit) müßte jedem klar sein, dass Arbeit von Maschinen ausgeführt wird.

P.S. Das Denken solle man den Pferden überlassen, hörte ich als kleiner Junge wiederholt.
- und wer soll dann deren Arbeit verrichten, fragte ich mich.....

Sledgehammer 17. Januar 2014 um 19:30  

Einerseits skurril, andererseits gespenstisch, nahezu wie immer.

HMxxx 18. Januar 2014 um 09:46  

Bis 2005 habe ich Arbeit (Lohnarbeit) als eine Art von Prostitution gesehen, bei der ich mich über die Höhe des Lohnes entscheide, wie weit ich mich nach vorn bücke, um mich von meinem Chef in den Arsch ficken zu lassen. Seit der Umsetzung der Hartz-„Reformen“ ist auch noch ein Zuhälter dazugekommen, der mich zwingt, mich zu jedem Preis oder ganz umsonst ficken zu lassen.
Letztes Jahr bin ich auf ein kleines Buch von Bob Black mit dem Titel „Die Abschaffung der Arbeit“ gestoßen. Für Interessierte, hier der Link http://www.streifzuege.org/2005/die-abschaffung-der-arbeit.

Ute Gisela 19. Januar 2014 um 13:21  

@HMxxx - Wer sich über die "Abschaffung der Arbeit" Gedanken macht, dürfte dabei das sinnvolle Tun und Tätigsein entdecken wie es in der Sorgearbeit zum Ausdruck kommt.
Diese kann nicht abgeschafft, sondern muss getan werden vom ersten Augenblick an wo Mensch das Licht der Welt erblickt.
http://care-macht-mehr.com/

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