Tage wie dieser
Dienstag, 11. September 2012
Es ist nicht mehr der elfte Tag des September, nicht der heutige Tag, der unser aller Leben veränderte - was er ohnehin nie war, denn chronistisch gesehen war es der 25. Oktober, der uns als Gesellschaft verformte. Dieser 11. September hat abgewirtschaftet als Tag kollektiven Bewusstseins darüber, dass sich etwas verändert habe. Er war sowieso nur der sentimentale Auswurf eines aufgeblähten Weltveränderungsmythos' - denn nicht die Terroristen hatten die Welt verändert, sie rissen lediglich eine Lücke in die Skyline New Yorks und in etliche, aber doch überschaubare Schicksale; die wahrhaften Veränderer waren westliche Politiker, die einen Monat danach, als Oktoberrevolutionäre sozusagen, das Antlitz der Welt nachhaltig prägten, ihn zu einen unfreieren Ort machten. Nun wartet ein neuer Gedenktag; die neuen Iden des März liegen ebenfalls im September, jedoch nur einen Tag nach dem elften Tage dieses Monats.
Morgen befindet das Bundesverfassungsgericht über einen Umknetungsprozess, der unser aller Leben umgestalten wird.
Old Europe ist langweilig, hat keinen Sinn für Show, für Kitsch und Glamour, für Katastrophenstilistik. Das wirft man in den Staaten den Europäern gerne und oft vor. Dasselbe andersherum geht an die Adresse der verhollywoodeten US-Amerikaner. Schafft die US-Administration Tage, die die Welt verändern sollen, dann baut sie auf einstürzende Hochhäuser, auf Tränen und herzzerfetzende Schicksale, auf tragische Sequenzen und auf starke Sheriffs, die auf Rache sinnen, wenn sie von Gerechtigkeit quatschen; mit Fanfaren blasen sie zu metaphernreichen Reden und mit Trommelwirbel präsentieren sie Gesetze, die Freiheit dadurch sichern sollen, dass sie Unfreiheit festschreiben. Und Europa? Das ändert die Leben der Menschen langweilig, heimlich fast, in der Stille des Eurokratismus, ohne Pomp, ohne Katastrophen, was Glück ist!, ohne Tränendrüse, ganz sachlich, nüchtern, unterkühlt, im Duktus eisiger Ökonomen, in Wirtschaftssprech. Die Emotion steht der Ratio entgegen - beide kämpfen aber nicht gegeneinander, sie akzeptieren sich; beide haben ihren Bürgern auf ihre ganz individuelle Weise den Krieg erklärt.
Doch es sind stets stille Tage, die die Welt fast schon lakonisch modifizieren. Der 25. Oktober war auch kein bombastisches Feuerwerk, sondern einfach nur ein exekutiver Akt, der John Doe etwa so in den Bann schlägt, wie Monsieur Tout-le-monde oder eben Otto Normalverbraucher-Mustermann. Morgen erlebt letzterer den Tag der Veränderung als einen Akt judikativer Staatsgewalt, nicht als Folge terroristischer Anschläge.
Und wie verändern sie? Der Patriot Act setzte Bücher auf den Index, erschwerte deren Ausleihen - der ESM erschwert die Bücherleihe, indem er öffentliche Kassen leer hält und Kulturbudgets zusammenstreicht. Der Patriot Act machte Bürger zu terroristischen Verdachtsmomenten auf zwei Beinen - der ESM verdächtigt jede Ausgabe im Sozialwesen als unnötig und damit jeden Transferbezieher als überflüssig. Der Patriot Act schuf Gefängnisse, in denen ohne Richterspruch eingesperrt werden konnte - der ESM macht Gefängnisse zu profitbasierten Unternehmen, die sich selbst tragen müssen. Der Patriot Act sozialisierte Persönlichkeitsrechte, kollektivierte Privatsphäre, verstaatlichte Intimität - der ESM privatisiert den Sozialstaat, individualisiert soziale Probleme zu Folgen unmoralischer Lebensführung, zerstückelt das Allgemeinwohl.
Die Richter des Bundesverfassungsgerichtes, man darf es ahnen, werden sich nicht sperren. Mit Hurra! werden sie auch nicht in den ESM geleiten, die Haushaltshoheít werden sie theoretisch vom Bundestag eingehalten sehen wollen, gleichwohl sie praktisch in Brüssel ausgeübt werden wird. Bedenken werden sie als verständlich erklären, aber als unbegründet, wenn man sich an die Ratschläge hält, die man aus Karlsruhe der Politik erteilt - wie beim Bundeswehreinsatz im Inland.
Der 12. September 2012: ein Gedenktag. Und für die Propheten der neoliberalen Weltanschauung, für Sozialdarwinisten und Klassisten, für die Lehrer egoistischer Strukturen ein Dankestag. Free at last! werden sie rufen - und meinen die Freiheit, die sie haben, weil Staatshaushalte keinerlei Freiheiten mehr geben. Free at last! jubeln sie - und feiern jene Freiheit, die durch die Unfreiheit der 99 Prozent gesichert wurde. Free at last! brüllen sie sich zu - und sie werden hinzufügen: Wer sich bemüht, wer sich anstrengt, der wird auch frei - alleine es wollen so viele nicht ...
Morgen befindet das Bundesverfassungsgericht über einen Umknetungsprozess, der unser aller Leben umgestalten wird.
Old Europe ist langweilig, hat keinen Sinn für Show, für Kitsch und Glamour, für Katastrophenstilistik. Das wirft man in den Staaten den Europäern gerne und oft vor. Dasselbe andersherum geht an die Adresse der verhollywoodeten US-Amerikaner. Schafft die US-Administration Tage, die die Welt verändern sollen, dann baut sie auf einstürzende Hochhäuser, auf Tränen und herzzerfetzende Schicksale, auf tragische Sequenzen und auf starke Sheriffs, die auf Rache sinnen, wenn sie von Gerechtigkeit quatschen; mit Fanfaren blasen sie zu metaphernreichen Reden und mit Trommelwirbel präsentieren sie Gesetze, die Freiheit dadurch sichern sollen, dass sie Unfreiheit festschreiben. Und Europa? Das ändert die Leben der Menschen langweilig, heimlich fast, in der Stille des Eurokratismus, ohne Pomp, ohne Katastrophen, was Glück ist!, ohne Tränendrüse, ganz sachlich, nüchtern, unterkühlt, im Duktus eisiger Ökonomen, in Wirtschaftssprech. Die Emotion steht der Ratio entgegen - beide kämpfen aber nicht gegeneinander, sie akzeptieren sich; beide haben ihren Bürgern auf ihre ganz individuelle Weise den Krieg erklärt.
Doch es sind stets stille Tage, die die Welt fast schon lakonisch modifizieren. Der 25. Oktober war auch kein bombastisches Feuerwerk, sondern einfach nur ein exekutiver Akt, der John Doe etwa so in den Bann schlägt, wie Monsieur Tout-le-monde oder eben Otto Normalverbraucher-Mustermann. Morgen erlebt letzterer den Tag der Veränderung als einen Akt judikativer Staatsgewalt, nicht als Folge terroristischer Anschläge.
Und wie verändern sie? Der Patriot Act setzte Bücher auf den Index, erschwerte deren Ausleihen - der ESM erschwert die Bücherleihe, indem er öffentliche Kassen leer hält und Kulturbudgets zusammenstreicht. Der Patriot Act machte Bürger zu terroristischen Verdachtsmomenten auf zwei Beinen - der ESM verdächtigt jede Ausgabe im Sozialwesen als unnötig und damit jeden Transferbezieher als überflüssig. Der Patriot Act schuf Gefängnisse, in denen ohne Richterspruch eingesperrt werden konnte - der ESM macht Gefängnisse zu profitbasierten Unternehmen, die sich selbst tragen müssen. Der Patriot Act sozialisierte Persönlichkeitsrechte, kollektivierte Privatsphäre, verstaatlichte Intimität - der ESM privatisiert den Sozialstaat, individualisiert soziale Probleme zu Folgen unmoralischer Lebensführung, zerstückelt das Allgemeinwohl.
Die Richter des Bundesverfassungsgerichtes, man darf es ahnen, werden sich nicht sperren. Mit Hurra! werden sie auch nicht in den ESM geleiten, die Haushaltshoheít werden sie theoretisch vom Bundestag eingehalten sehen wollen, gleichwohl sie praktisch in Brüssel ausgeübt werden wird. Bedenken werden sie als verständlich erklären, aber als unbegründet, wenn man sich an die Ratschläge hält, die man aus Karlsruhe der Politik erteilt - wie beim Bundeswehreinsatz im Inland.
Der 12. September 2012: ein Gedenktag. Und für die Propheten der neoliberalen Weltanschauung, für Sozialdarwinisten und Klassisten, für die Lehrer egoistischer Strukturen ein Dankestag. Free at last! werden sie rufen - und meinen die Freiheit, die sie haben, weil Staatshaushalte keinerlei Freiheiten mehr geben. Free at last! jubeln sie - und feiern jene Freiheit, die durch die Unfreiheit der 99 Prozent gesichert wurde. Free at last! brüllen sie sich zu - und sie werden hinzufügen: Wer sich bemüht, wer sich anstrengt, der wird auch frei - alleine es wollen so viele nicht ...
10 Kommentare:
danke für diesen Artikel..großartig..
gibt es noch Hoffnung ?
ich schau mal eben kurz nach Vance Packard...Die wehrlose Gesellschaft..
let´s alive...
Hartmut
Ich repetiere schon mal meine Pump-Gun!
Der Kommentar von anonym 8:27 ist mir mehr als widerlich.....
Kurze Frage: warum veröffentlichst Du solch einen Kommentar ??
Ich wollte ihn fragen, was er mit dem Ding will - habe es vergessen. Also: Was willst Du damit?
An Tagen wie diesen ...
Es ist der 9. November - der "Schicksalstag aller Deutschen" und die geschichtliche Koinzidenz ist daran merkwürdig. Geschichtliche Inkontinenz fände ich auch nicht ganz unpassend ...
"'Nine-eleven" ist in Deutschland (egal, welcher politischen Couleur) kein Thema und wird es BOBseidank niemals sein. Und sich überhaupt an irgendwelchen Daten aufzuhängen, finde ich eher traurig - meist gibt es immer eine Vorgeschichte, die halt an einem Tag dann kulminierte.
Wie immer truely yours
Frank
John Lennon sagte einmal, dass wir von Wahnsinnigen regiert werden.
Aber die große Schafherde hält es eher für eine unverständliche Form von Wahnsinn, wenn man sich nicht mit Konsum und Dauerevents betäubt/betäuben läßt und fassungslos begreift... und höchstens gegen eine Wand schreit bei dem Anblick einer Welt, die täglich ein Stück mehr in den Faschismus 2.0 kippt.
Die Zukunft sieht wirklich ganz nach dem Stiefel aus, der uns laut Orwell immer und immer wieder ins Gesicht getreten wird.
ESM. Früher nannte man das: "Reise nach Jerusalem." Der Unterschied war, wer damals dabei übrig blieb, war der Gewinner. (Frei nach HG Butzko).
"...denn nicht die Terroristen hatten die Welt verändert, sie rissen lediglich eine Lücke in die Skyline New Yorks..."
Welche "Terroristen" sollen das gewesen sein? Sorry, aber hier verspielt du leichtfertig etwas...ein wenig mehr "Hintergrundwissen" sollte man da schon erwarten können.
Hintergrundwissen. Verschwörungstheorien sind unterhaltsam - aber ansonsten? Und auch wenn die CIA darin verwickelt ist: Terroristen bleiben es allemal... was keine Wertung sein soll, nur Definition.
Wahre Worte von Marina Weisband heute:
"Das Verhältnis des Bürgers zu seinem Abgeordneten ist schizophren. Wir wollen bürgernahe, authentische Volksvertreter haben, aber sobald jemand einen Fehler macht, zerreißen wir ihn.
Es sind ganz normale Menschen, die da im Parlament und im Kabinett sitzen. Aber das Umfeld, in dem sie arbeiten, zwingt sie, so zu tun, als stünden sie über den Dingen.
Wenn ein Politiker mal sagen würde: Ich blicke gerade nicht durch, ich brauche Hilfe, dann ist das doch nachvollziehbar. Politiker sollten thematisieren, wenn sie überfordert sind. Dass sie nie ausgeschlafen sind, dass ihr Privatleben leidet. Wir werden regiert von unausgeschlafenen, gestressten Menschen. Darüber müssen wir doch reden!
Ich habe nichts gegen einen Politiker, der vor der Kamera weint, wenn ihm danach ist. Oder seinen Referenten heranruft, wenn ihm ein Detail entfallen ist. Politiker sollen auch fluchen dürfen. Nicht um krampfhaft näher am Volk zu sein. Sondern damit er befreit von falschen Zwängen seine Arbeit machen kann."
Das ist auch eine dieser Prämissen, die Robert Lapuente nicht verstanden hat (nicht mal ein winziges Bisschen) und aus diesem Unverständnis heraus pausenlos gellendsten Unsinn und Stuss ableitet.
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