Facie prima

Montag, 3. September 2012

Heute: Der Verbrämte, das Altkanzlerische

Derer sind es drei; sie residieren ohne politische Macht, die ihnen innewohnte, werden als Koryphäen in das gesellschaftliche Bewusstsein verschraubt, gelten als unantastbar. Das Altkanzlerische wiegt viel in Funk und Fernsehen, in Print und Presse. Es tritt als Mahner auf, als Visionär, als elder statesman von höchsten Weihen. Alles, was das Kanzlerische nicht hatte, soll nun im Altkanzlerischen aufgehen, soll dort sprießen, wo es damals keinen Boden hierfür gab. Selbst das ist Legende, denn das Altkanzlerische ist nicht selten die Fortführung des Kanzlerischen mit publizistischen Mitteln. Eines dieser Mittel ist es, dass man diese verödete Richtlinienkompetenz in eitle, in weihevolle und gravitätische Bilder bannt. Der Altkanzler ist niemals einer, der dümmlich dreinblickt. Er ist einer, der stets mit würdevollem Gesichtsausdruck abgelichtet wird. Und falls das Gesicht wenig Würde abwirft, so wirkt er doch jedenfalls energisch, beschwörerisch, in seiner Weltsicht omnipotent. Der Altkanzler ist stets der, der es hinterher schon immer gesagt hat und stets der, der es vorher immer anders meinte, als es interpretiert wurde. So steht das schröderianische Altkanzlerische mit Professur verleihender Sehhilfe vor einem Mikrofon, abseits gestellt, als stehe er außer aller Ordnung, außerhalb des Politbetriebes, als bebrilltes Menetekel, vor Leuten, die er aufrütteln muss, die er bekrittelt, die er beschwört. Er steht da als eingefleischtes Lob seiner seelenlosen Politik, als mutiger Visionär und Reformer.

Wir sehen eigentlich das Gesicht eines Mannes, der gezeichnet ist vom Leben; dem die Fähigkeit des Sprechens peu a peu abhandenkommt, der an den Rollstuhl gefesselt ist und sein eigenes Gebrechen verwaltet. Dennoch zieren Bilder eines standhaften, eines fürstlich stierenden Altkanzlers diverse Interviews, die er leistet. Das kohlsche Altkanzlerische ist stets auch vom feierlichen Antlitz seines Trägers geleitet. Ein im Alter starrer, ja fast starrsinniger Fels in der konservativen Brandung, der in Sendungen von diversen Schildträgern und Vasallen vertreten wird, der aufgrund seiner Konstitution kaum mehr selbst auftritt, sondern seine Spitzen in die politischen Debattiervereine des Fernsehens ausschickt, um dort sein Andenken zu pflegen. Dennoch lächelt uns immer süffisant ein Altkanzler an, den man die Rolle des fragilen Greisen nicht recht abnehmen mag. Vor schwarzem Hintergrund ist der bildlich gestaltete Kohl eine Ikone, die mit der wirklichen Figur nichts mehr gemein hat. Er ist die fachmännisch von einem Fotographen aufgepeppte Fassade eines abgezehrten und angegriffenen Mannes, die nur noch als altväterliche Karikatur eines Wetzsteines für konservative Sittenwächterei fungiert. Er ist der Kanzler, der Geschichte machte wie alle Kanzler, die aber überhöht und übertrieben wird, seitdem er altkanzlert.

Anders das älteste Altkanzlerische. Ob er sozialdemokratische Werte vertritt, die ihn zur omnipräsenten Gestalt berechtigen, sei dahingestellt. Interessant wäre im Vergleich zu ihm eine heutige Altkanzlerschaft Willy Brandts. Wäre der bald hundertjährige Brandt auch der Vertreter einer Altkanzlerschaft der Hoffnung? Die schmidtsche Variante ist dies nicht. Er redet viel, manchmal zu viel. Seine Ansichten sind angekommen in der heutigen Zeit; nennt man die Zeit, da Kohl die Kanzlerschaft ergriff, auch die geistig-moralische Wende, womit impliziert wird, dass Kanzler Schmidt noch vor dieser Wende Dienst tat, so muss man heute festhalten, dass seine Altkanzlerschaft diese Wende angenommen hat. Der stilisierte Schmidt ist eine still beseligte Gestalt in Rauchschwaden; Kettenraucher und dennoch Methusalem, was heißt: Der hält was aus, der hat eine unverwundbare Konstitution. Er wird wie kein anderer mit fast schon kultischer Staatsmännigkeit dargestellt; seine Hände sprechen stets visionär, väterlich erklärend, stimmungsvoll getragen. Er vertritt eine pathetische Altkanzlerschaft; eine, die auch zum Sozialabbau nicht mahnend spricht, die dennoch Anerkennung erntet hierfür. Das schmidtsche Altkanzlerische ist die mediale Ausschlachtung und die foto- und filmtechnisch ausgereifteste Kampagne, die hierfür denkbar ist. Weihevolle Bilder, agile Aufnahmen, im Fernsehen schnelle Schnitte und genussvolles Rauchen verleihen diesem Mann eine irrationale Aura von Unsterblichkeit. Diese professionelle Altkanzlerschaft suggeriert, er habe die beste aller Kanzlerschaften getragen.




7 Kommentare:

Anonym 3. September 2012 um 08:16  

....und es ist sehr erstaunlich, dass die Menschen auf der Strasse das Geseiere dieser drei Pappkamerden wie Öl aufsaugen......

Inglorious Basterd 3. September 2012 um 08:32  

Das Faible des deutschen Michel für derartig notorische Laberbacken resultiert aus dem sehnlichen Bedürfnis autoritätsgebundener Charaktere nach Führungspersönlichkeiten mit graumelierten Haaren und Pseudoweisheiten.

Bestes Beispiel Helmut Schmidt: Der geht mir allmählich auf den Geist, bei allem, was man ihm zugute halten mag. Mit seiner tatsächlich wohl absichtlich zu Schau gestellten miesen Laune, seinen kurzen Antworten und seinem mürrischen Gehabe taugt er doch nur noch zur Klamaukfigur für jene, die eigentlich genau das an ihm mögen und fehlende Manieren mit Staatsmännischkeit verwechseln.

Ansonsten hast Du mal wieder wie schon in den letzten Tagen einen richtig derben Taxt rausgehauen. Gratuliere.

potemkin 3. September 2012 um 11:16  

Da das Niveau der politischen Klasse sich seit Jahren im Sinkflug befindet, ist es leider kein Wunder, dass die Altkanzler vielen geradezu als Lichtgestalten erscheinen. Gerade der rechte Sozialdemokrat Schmidt verkörpert Integrität, gilt als bescheiden und unbestechlich. Bei seinen Nachfolgern sah das dann bereits ganz anders aus...

Anonym 3. September 2012 um 12:24  

Wenn ich den Schröder sehe, dann bekomme ich Würgereize und Krämpfe in den Händen!

Reyes Carrillo 3. September 2012 um 12:34  

Ich habe selbstverständlich keine besonderen Sympathien für die drei Protagonisten deines Artikels. Am Wenigsten freilich für den "Bebrillten". Andererseits denke ich, ach Gott, wo ist das Problem? Der mediale Umgang hierzulande mit diesen Herren ist doch vergleichsweise nüchtern, ja geradezu leidenschaftslos, denkt man an sozialistisch regierte Länder der Gegenwart. Wobei ich freilich nicht Nordkorea und den dortigen "geliebten Führer" oder dessen Papa meine. Ich denke an Cuba, das ich natürlich sehr liebe, und an den Umgang mit Fidel Castro. Oder daran, wie einmal mit Hugo Chávez verfahren werden wird, sollte Venezuela nach seinem Abtritt sozialistisch bleiben - was ich dringend hoffe! Nein, was Kult, Weichzeichner, Weihrauch und die Stilisierung zum weltlichen Heiligen angehen, kann der kapitalistische Westen noch einiges vom kleinen, aber feinen sozialistischen Teil dieses Globus dazu lernen.

Anonym 3. September 2012 um 15:07  

wer schröder noch was glaubt, der lässt sich auch mit hütchenspielern ein.

kohl würde ich nicht weiter kritisieren: dieser mann ist alt und schwer krank, außerdem ist er der einzige der drei, der tatsächlich von dem berühmten mantel der geschichte umweht war.

helmut schmidts popularität hat wohl auch jede menge mit frau maischbergers eros für alte, mächtige männer zu tun.

Anonym 3. September 2012 um 20:06  

Jeder dieser ehem. Kanzler hat eine arrogante und ignorante Haltung gegenüber allen sozialpolitischen Errungenschaften in seiner pol. akt. Amtszeit gezeigt.

Schmidt: "Das Grundübel in Deutschland ist die soziale Überversorgung"(SPD)

Kohl: "Ich habe mein Ehrenwort gegeben" (CDU)

Schröder: "basta"(SPD)

Sie fühlen sich halt unentbehrlich, unsterblich...und jeder möchte das größte Denkmal in der Geschichte bekommen....

Meiner Meinung nach ist das Grundübel in Deutschland der Untertanen-geist !

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