Seid umschlungen Millionen
Montag, 10. September 2012
Es ist keine Eigenschaft des Qualitätsjournalismus', wenn er beständig von Uns und Wir spricht. Dies war ursprünglich einzig die Stilistik des Boulevard, Springeristik sozusagen - heute nimmt man diese Tour auch andernorts wahr.
Unsere Sportler, unsere Minister
Leider verfallen die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zusehends in boulevardeske Schablonen. Auch sie bedienen sich mittlerweile solcher fraternisierenden Pronomen, auch dort verbrüdern sich Nachrichtensprecher und Moderatoren mit ihren Zuschauern.
Bei den Olympischen Spielen war es Usus, dass Reporter "unsere Athleten" lobten oder kritisierten. Den nötigen journalistischen Abstand, um von "deutschen Athleten" zu reden, brachte man nicht mehr auf. Und selbst bei heute mehrt sich diese verbrüdernde Entjournalisierung. Neulich meinte ein junger Nachrichtensprecher, "unser Verkehrsminister" habe mit seiner KFZ-Schilder-Idee etwas losgetreten. Das ist eine neue Qualität, denn dass man Sportler ins Uns kollektiviert, war nicht neu, kannte man ausreichend. Einen Verkehrsminister zu "unserem Minister" zu machen, das klingt furchteinflössend, als kriegten wir ihn am Ende gar nicht mehr los, denn er gehört doch zu uns.
Die nüchterne Distanz und die absichtlich gewählte Unterkühlung gegenüber den Sujets der Berichterstattung machten mal gute journalistische Arbeit aus. In dritter Person zu berichten, galt als sprachliche Ausformung von Objektivität. Die Worte Abstand und Anstand hatten in diesem Metier insofern eine Wurzel. Objektivität war sicherlich auch nicht stets gegeben, es gab immer parteiische Journalisten - aber der Stil, das Handwerk, ja die Seriosität wurde wenigstens noch eingehalten.
Journalistische Ver-Wir(r)-ungen
Die distanzlose Ver-Wir-ung und Ver-Uns-ung ist weder seriös noch realitätsnah, denn sie suggeriert, es gäbe eine nicht näher definierte Schicksalsgemeinschaft. Wir und Uns schmiedet gesellschaftliche Partikularinteressen zusammen und sondert gegenteilige Ansichten und Interpretationen ab. Das Personalpronomen personifiziert die Sichtweise auf Dinge, die eigentlich aus Informationszwecken unpersönlich gestaltet und gehalten sein sollten. Diese persönliche Zuordnung erzeugt eine rhetorische Annäherung, täuscht eine Schicksalsgemeinschaft vor, in die wir alle eingebettet sind. Alle sind eingebunden, die Millionen umschlungen.
Du bist Deutschland! war eine Kampagne, die nicht wenig kritisiert wurde. Denn die Verwirrung mit der Ver-Wir-ung ist - und das Du in dieser Kampagne sprach einzig das Wir an -, dass sie das Zusammen postuliert, gleichwohl die Dynamiken zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten und -gruppen, kein naives Zusammenspiel, sondern ein mehr oder minder ordentlich organisiertes Nebeneinander ist, ein Arrangement und zuweilen ein unversöhnliches Gegeneinander. Der Qualitätsjournalismus nimmt sich dieses Wir mittlerweile ungeniert an, wahrscheinlich nicht ideologisch bedingt, sondern um flapsig zu klingen, nicht altbacken zu sein - er nimmt damit Abschied von journalistischen Tugenden und drückt dem Abnehmer journalistischer Berichte Tendenzen auf.
Unsere Sportler, unsere Minister
Leider verfallen die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zusehends in boulevardeske Schablonen. Auch sie bedienen sich mittlerweile solcher fraternisierenden Pronomen, auch dort verbrüdern sich Nachrichtensprecher und Moderatoren mit ihren Zuschauern.
Bei den Olympischen Spielen war es Usus, dass Reporter "unsere Athleten" lobten oder kritisierten. Den nötigen journalistischen Abstand, um von "deutschen Athleten" zu reden, brachte man nicht mehr auf. Und selbst bei heute mehrt sich diese verbrüdernde Entjournalisierung. Neulich meinte ein junger Nachrichtensprecher, "unser Verkehrsminister" habe mit seiner KFZ-Schilder-Idee etwas losgetreten. Das ist eine neue Qualität, denn dass man Sportler ins Uns kollektiviert, war nicht neu, kannte man ausreichend. Einen Verkehrsminister zu "unserem Minister" zu machen, das klingt furchteinflössend, als kriegten wir ihn am Ende gar nicht mehr los, denn er gehört doch zu uns.
Die nüchterne Distanz und die absichtlich gewählte Unterkühlung gegenüber den Sujets der Berichterstattung machten mal gute journalistische Arbeit aus. In dritter Person zu berichten, galt als sprachliche Ausformung von Objektivität. Die Worte Abstand und Anstand hatten in diesem Metier insofern eine Wurzel. Objektivität war sicherlich auch nicht stets gegeben, es gab immer parteiische Journalisten - aber der Stil, das Handwerk, ja die Seriosität wurde wenigstens noch eingehalten.
Journalistische Ver-Wir(r)-ungen
Die distanzlose Ver-Wir-ung und Ver-Uns-ung ist weder seriös noch realitätsnah, denn sie suggeriert, es gäbe eine nicht näher definierte Schicksalsgemeinschaft. Wir und Uns schmiedet gesellschaftliche Partikularinteressen zusammen und sondert gegenteilige Ansichten und Interpretationen ab. Das Personalpronomen personifiziert die Sichtweise auf Dinge, die eigentlich aus Informationszwecken unpersönlich gestaltet und gehalten sein sollten. Diese persönliche Zuordnung erzeugt eine rhetorische Annäherung, täuscht eine Schicksalsgemeinschaft vor, in die wir alle eingebettet sind. Alle sind eingebunden, die Millionen umschlungen.
Du bist Deutschland! war eine Kampagne, die nicht wenig kritisiert wurde. Denn die Verwirrung mit der Ver-Wir-ung ist - und das Du in dieser Kampagne sprach einzig das Wir an -, dass sie das Zusammen postuliert, gleichwohl die Dynamiken zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten und -gruppen, kein naives Zusammenspiel, sondern ein mehr oder minder ordentlich organisiertes Nebeneinander ist, ein Arrangement und zuweilen ein unversöhnliches Gegeneinander. Der Qualitätsjournalismus nimmt sich dieses Wir mittlerweile ungeniert an, wahrscheinlich nicht ideologisch bedingt, sondern um flapsig zu klingen, nicht altbacken zu sein - er nimmt damit Abschied von journalistischen Tugenden und drückt dem Abnehmer journalistischer Berichte Tendenzen auf.
16 Kommentare:
Das Wir kennen wir aus Prousts Suche nach der verlorenen Zeit, sofern wir dieses Romanwerk gelesen haben.
Da ich es gelesen hatte, verwendete ich das Wir in meinem ersten Essay für den Süddeutschen Rundfunk. Der Redakteur, Bernd H. Stappert, strich mir das weg, und zwar mit der Begründung, es vereinnahme den Zuhörer - und diesen Vereinnahmung sollte man besser unterlassen.
....es hiess ja auch schon damals:
"UNSER Führer"....lach
Als Schüler, in den 60ern, war mir schon "uns Uwe" aufgestossen.
Am Krankenbett war es gängige Formulierung von Schwestern und Ärzten: "Wie geht es uns denn heute ?" So wurde fast jeder Patient/in begrüßt.
Für mich ist das nicht ein neuer Trend, sondern seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, gang und gäbe.
Meine Eltern hat das bereits gestört, als ich noch ein Kind war (also in den 70er Jahren).
Sie haben sich immer an dem "uns" gestört, vor allem in Bezug auf die Fußbalnationalmannschaft.
Seitdem achte ich darauf.
Und es kam auch schon immer in den Öffentlich-Rechtlichen Medien vor.
Was mir and der Ver-Wir-ung aufstößt ist die Schreibweise des Boulevards à la: "WIR fordern..." wobei es unklar bleibt ob das 'wir' sich auf die Redaktion beruft oder den Leser einschließt. Dies empfinde ich als sehr abstoßend, insbesondere wenn ich die 'gemeinsame Meinung' nicht teile.
Hingegen finde ich durchaus, dass es "unser Verkehrsminister" ist. Es ist auch "meine Kanzlerin" ob ich diese gewählt habe oder nicht. In der Schule war es auch "meine Lehrerin", auch wenn ich sie nicht mochte.
Das mit dem 'unsere Sportler' sehe ich etwas zwiegespalten, da ich einerseit mit den Sportlern nichts zu tun habe und sie auch nicht demokratisch zu 'unseren Sportlern' wurden, auf der anderen Seite sie aber aus unserem Land hervorgehen (so wie früher 'unsere Schulmannschaft').
Ein zwanghaftes Unterstützen dieser 'unserer Sportler' wie zu Schulzeiten gewünscht lehne ich gleichzeitig zutiefst ab.
Guter Beitrag. Ähnlich ist es auch mit der Einbeziehung aller in eine Fragestellung, wie oft hört man: Ganz Deutschland rätselt; Ganz Hollywood tuschelt...etc. Dies nimmt meiner Meinung nach auch inflationäre Züge an, die nur noch ärgerlich sind, weil mich fragt niemand, ob ich wirklich rätsele...
@hartmut: die krankenschwester meinte 1972 zu mir: wir setzen jetzt die brille auf.
Deutscher Verkehrsminister -
angesprochene Gruppe: Deutsche
= unser Verkehrsminister
Die "nicht näher definierte Schicksalsgemeinschaft" sind die Deutschen bzw. deutschsprachigen.
Ich finde diese "wir"/"unser"-Formen auch nicht schön, aber eher aus stilistischen Gründen. Hier wird mir da zuviel reininterpretiert
Es hiess doch eigentlich schon immer:
"WIR haben gewonnen!" bzw. "SIE haben verloren!"
In der Presse der DDR(also im Unrechtsstaat)war ausschließlich
von "unseren Menschen" die Rede,
real existierender Sozialismus eben.
Und UNSERE Variation davon lautet in Steigerungsform:
WIR sollten, WIR brauchen, WIR müssen...
... und wir sind uns sicher alle einig, dass Roberto die Tendenz zum Kampagnenjournalismus mit seinem Beitrag "Seid umschlungen Millionen" gut verdeutlichen konnte...
;-)
Einer fiel mir noch ein !
"Deutschland ist Papst"
oder hieß es
"Wir sind Papst"
selbst der strengste Katholik muß sich doch hier ver.... fühlen.
1954 sagten die Menschen zwar, "Wir sind Weltmeister!" - aber der Reporter Zimmerman sagte "Deutschland ist Weltmeister!" Zimmermann war parteiisch, aber seine Radioansprache nutzte das Wir und Uns nicht. "Jetzt Deutschland am linken Flügel ..." Das war der Unterschied. Man konnte als Journalist parteiisch sein und Abstand wahren.
"Deutschland ist Weltmeister" ist genauso falsch, und zwar gleich doppelt.
1. Aus "Deutschland" läßt sich wieder das WIR ableiten.
2. Es handelte sich 1954 nur um einen Teil Deutschlands.
Es hätten heißen müssen "die Fußballnationalmannschaft der Bundesrepublik Deutschland". Alles andere war und ist falsch.
Dieses Einzelbeispiel für die damalige Zeit zu verallgemeinern ist auch irreführend.
Unsere Bänker, unsere Regierung, unsere Leistungselite - das muss erlaubt sein, denn die kleben uns tatsächlich dauerhaft wie Häufchen am Fuß, inklusive des strengen Geruchs.
Doch, es gibt – populistisch gesehen – die »nicht näher definierte Schicksalsgemeinschaft«, besonders im Sport. Es verhält sich medial nämlich immer so, dass »wir« gewinnen und »die« verlieren. Achte mal drauf ;)
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