Der Tag, der unser Leben veränderte

Dienstag, 25. Oktober 2011

Die Welt ist nicht mehr so, wie sie einst war. Heute vor zehn Jahren hat sich unser aller Leben verändert. Das las man bereits vor fünfundvierzig Tagen - dies geschah aber verfrüht. Am 11. September vor zehn Jahren hat sich wenig in unser aller Leben verändert. Für die Familien der Toten schon - für die Skyline New Yorks auch - und auch für die Versicherungen, bei denen Schadensfälle eintrudelten. Aber für den Rest der Menschheit veränderte sich zunächst wenig - manche waren emotional verändert, aber letztlich lief der Rest der Welt wie eh und je geschmiert.

Heute vor zehn Jahren änderte sich etwas. Heute vor zehn Jahren erblickte der USA PATRIOT Act das Licht der Welt - die Mutter aller Anti-Terror-Gesetze, die in der westlichen Welt folgen sollten. Als der Kongress dieses Machwerk verabschiedete, dass uns nach Guantánamo und zu Waterboarding lotsen sollte, war es einer dieser historischen Augenblicke, in dem sich die Welt, wie sie war, aus unserer Realität verabschiedete. Sie war urplötzlich ein Tummelplatz von Terroristen, von sieben Milliarden potenziellen Terroristen. Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich nicht fürchten!, war die neue Losung - und der überwachte Bürger antwortete, dass er nichts zu verbergen habe. Dabei ist es nur gut, nur menschlich, dass es Dinge gibt, die man verbirgt. Persönliche Geheimnisse: plötzlich waren sie das Vorzimmer zum Terrorismus.

Nicht der 11. September war es, der unser aller Leben wandelte - es war jener 25. Oktober vor zehn Jahren. Vor diesem Tag hatte man unveräußerliche Menschenrechte, man war Bürger seines Staates - danach beäugten Staatsrechtler den Bürger mit einem Feindstrafrecht. Missliebige Bürger ernteten vorher vielleicht Zorn, Unflätigkeiten einiger dümmlicher Zeitgenossen - danach konnte es in Gewahrsam enden, auf der pittoresken Insel Kuba gar, fern jeglicher Bürgerrechte, fern jeglicher juristischen Beratung. Staaten der westlichen Welt nahmen sich ein Beispiel daran, fertigten sich ihren PATRIOT Act nach gegebenen Zuständen an. Terrorismusbekämpfungsgesetze, die nicht bindend in Gefangenenlager weisen, aber ein Klima des Misstrauens erzeugt haben, eine Überwachungsindustrie befeuerten und jeden Bürger zum personifizierten Verdachtsfall erklärten.

Dieser 25. Oktober, er war auch das Fanal zur Überwachung Europas. Anti-Terror-Pakete mit tollen Features erblickten bald darauf das Licht der Welt - Sieh her, Amerika, das ist unsere "bedingungslose Solidarität", die wir dir versprachen! Schnüffeleien aller Art wurden betrieben. Nicht gegen Terroristen: gegen G8-Gegner zum Beispiel - und gegen Parksünder oder Hundehalter, die den Kackhaufen ihres Wuschels nicht aufgehoben haben, wie das britische CCTV mittlerweile als scharfes Auge gegen Ordnungswidrigkeiten betrieben wird - oder gegen Leser, die Bücher ausleihen oder kaufen, die auf einem Index stehen. Telefone hört man ab, auf Festplatten greift man zu, über Militär mit polizeilicher Befugnis fabulierte man. Vor zehn Jahren änderte sich unsere Welt schlagartig. Aus Bürger wurden mögliche Verbrecher, das Gemeinwesen wurde zum Objektträger mikroskopischer Expertisen.

Nichts ist mehr, wie es einst war. Auch damit wirbt die Marketingstrategie des 11. September, die Überwachung und auch Kriege legitimieren soll. Diese werbewirksame Strategie des Terrors, die nicht die Welt veränderte, sondern die Gesetzgebung neu markierte. Es war auch nicht der Terrorismus, der unsere Welt veränderte - es waren die Schlüsse, die man aus diesem Anschlag zog, die alles anders machten. Am 11. September fand auch kein Anschlag auf die freie Welt statt - den gab es erst am 25. Oktober. Verübt wurde der vom Kongress, später von anderen nationalen Parlamenten. Nicht mit Flugzeugen verändert man das Gefüge des Zusammenlebens. Man verändert es mit Gesetzen. Keine Bande Terroristen, die mit Teppichmesser die Macht über Flugobjekte erwirken, können die Welt und unser aller Leben verändern - das können nur Parlamentarier, die mit Gesetzesentwürfen unter dem Arm geklemmt, die Unfreiheit, die Kontrolle, die Gesellschaft im offenen Vollzug verabschieden. Der wirkliche Terror gegen die freie Welt wurde ab dem 25. Oktober wirksam - vorher waren es nur Scharmützel an der Freiheit. Unfrei haben uns nicht Terroristen gemacht, diese Macht hätten sie gar nicht - unfrei haben uns die gemacht, die zu unser aller Wohle entscheiden sollten.

Männer und Frauen in Anzug haben unser Leben verändert. Keine Suren rezitierenden Fanatiker! Nicht der 11. September ist Gedenktag einer Gesellschaft, die in präventiver Lauerstellung lebt - der 25. Oktober ist es! Ein Gedenktag an die Zeit, da Diskretion (neumodisch "Datenschutz") noch ein wenig mehr galt. Stets wenn Daten erhoben, wenn Datenschutzrechte enthebelt werden, sollten wir an den 25. Oktober denken. Wenn sie Kontotransaktionen überprüfen wollen, um offiziell Terroristen zu entlarven, inoffiziell aber Hartz IV-Empfänger durchleuchten, dann sollten wir an den 25. Oktober denken. Wenn sie Arbeitsmarktdatenbänke ins Leben rufen und ihnen einen hübschen Frauennamen (Elena) verleihen, um das Volk flächendeckend zu erfassen, dann sollten wir an den 25. Oktober denken. Dann sollten wir an den Tag denken, der unser aller Leben nachhaltig veränderte...



9 Kommentare:

vera 25. Oktober 2011 um 07:55  

Strike.

EuRo 25. Oktober 2011 um 08:47  

Danke.
Es steht nur zu befürchten, dass das wieder nur die Falschen lesen, die das sowieso teilen.

MKM 25. Oktober 2011 um 08:48  

Auf Gutn Deutsch: Treffer Versenkt

Hartmut 25. Oktober 2011 um 09:03  

Gut geschrieben und ein wirklich sehr aktuelles Thema. Danke Roberto.

Statt eines längeren Kommentars ein Aphorismus.

Vertrauen heilt - Mißtrauen zerstört

Inhumanist 25. Oktober 2011 um 09:48  

Na, so Weltbewegend war das Wembley-Tor vor 45 Jahren auch nicht.

mp 25. Oktober 2011 um 09:54  

Erleuchtung!
Gut,dass Sie dieses Datum zum Wendepunkt im Verhältniss Wähler-Gewählte auf die Tagesordnung bringen!!!
&
"Wenn sie Kontotransaktionen überprüfen wollen, um offiziell Terroristen zu entlarven, inoffiziell aber Hartz IV-Empfänger durchleuchten, dann sollten wir an den 25. Oktober denken."

-dafür zünde ich heute, nein nicht das Amt an, sind ja nur Vasallen, sondern ne Kerze.

Anonym 25. Oktober 2011 um 13:46  

Zu: „…danach beäugten Staatsrechtler den Bürger mit einem Feindstrafrecht“

In der (Teutschen) kritischen Theorie, wie sie an der traditionell US-orientierten Uni Hannover unter dem Adorno-Schüler Detlev Claussen indoktriniert wird, gilt im Zuge der Renaissance von Carl Schmidt nach dem 25. Oktober dessen Feindstrafrecht als praktische Verwirklichung des kritischen Denkens Adornos und Horkheimers:

Ein dort umgepolter (promovierter) Soziologe war mal fähig, einer Bekannten Carl Schmidt in andächtig-bewunderndem Ton als „den grossen Theoretiker der deutschen Konservativen“ vorzustellen – kein Wort über dessen Anbiederung als „Kronjurist des Dritten Reiches“, „geistiger Quartiermacher des Nationalsozialismus“( http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt), kein Wort über dessen noch nach 1945 praktizierten exzessiven Antisemitismus. Danke, 25. Oktober!

Inzwischen lehrt der genannte Soziologe an einer türkischen Privat -Konzern -Universität „Westliches Denken“ und „Politisches Denken“. Diese Uni hat in ihrem Leitbild als Bildungsziel verankert: „being capable of defending the revolution and principles of Atatürk by being able to defend these beliefs and principles” – und konsequenterweise suchten sie angeblich ausdrücklich jemanden aus Hannover für diesen Job. Danke, 25. Oktober!

Die mehrmalige Militärdiktatur auf der Grundlage des Atatürk-Kemalismus galt innerhalb dieser Herrschaft immer als Garant universaler westlicher Modernisierung - unter Linken und besonders unter Flüchtlingen aus der Türkei galt und gilt der Kemalismus schlicht als türkische Variante des allgemeinen Faschismus. Die akademisch verbindliche vorauseilende Selbstvernichtung der Kritischen Theorie über deren praktische Identifikation mit dem Faschismus ist eine der grässlichen Folgen des 25. Oktober.

Nuntius 25. Oktober 2011 um 17:41  

@Anonym:
Sehr erhellende Ausführung. Der Faschismus ist auf dem Vormarsch, keine Frage. Und letzten Endes folgt auch der Prozess der Globalisierung der gleichen Strategie der Großraumordnung, wie sie Schmidt fordert. Somit ist 9/11 und der anschließende Patriot Act nur ein Kataysator für diesen US-dominierten faschistischen Eroberungsplan.
Schon vor 10 Jahren hat Ingeborg Maus in ihrem Aufsatz „Vom Nationalstaat zum Globalstaat oder: der Niedergang der Demokratie“ (in: Lutz-Bachmann/Bohman (Hrsg.): Weltstaat oder Staatenwelt. Für und wider die Idee einer Weltrepublik, Frankfurt/M. 2002, S. 226-259) festgestellt, dass bereits Carl Schmitt eine „den bloßen Nationalstaatsgedanken des 19. Jahrhunderts überwindende Raumordnung“ forderte und damit „ganz auf der Höhe des heutigen Mainstreams der Diskussion“ gestanden habe. Dazu weiterführend: http://www.theintelligence.de/index.php/politik/demokratie-demokratisches/3021-der-globalstaat-ein-erstrebenswertes-ziel.html

Ludwig Trepl 26. Oktober 2011 um 11:42  

"Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich nicht fürchten!, war die neue Losung".
So neu war das nicht. Wenn mir irgendeine Losung aus den 70er Jahren noch ganz lebhaft in Erinnerung ist, dann diese.

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