... dass ich nichts weiß

Samstag, 1. Oktober 2011

Schämen sich die Leute denn nicht? Eine Meinung haben, schön und gut - die haben wir alle. Gleichwohl viele nur meinen zu meinen, doch auch das kann gemeint sein, wenn man Meinung vertritt. Lausche ich diesem Völkchen, dass sich selbst als Volk von Ökonomen begreift, dann schäme ich mich. Fremdschämen! Kürzlich erst wieder, da hörte ich verstohlen zwei Männern zu, wie sie versuchten und rangen, die Rettung des Euros ökonomisch zu analysieren. Inflation war ein häufig gebrauchtes, inflationär benutztes Wort. Umschuldung war auch mehrmals zu hören. Zwei Finanz-Asse in der Fußgängerzone. Ich gebe es ja zu, manchmal habe ich mich auch schon dabei ertappt, ein wenig Ökonomisch zu sprechen - wenn ich mir dann mitten im Satz gewahr werde, wie geschwollen das dröhnt, dann schäme ich mich anstandslos. Warum ich das tue, ist leicht erklärt, mit einem kurzen Satz: Weil mich das Gefühl beschleicht, dass ich von Ökonomie keine Ahnung habe.

Dieser Satz im Bezug auf die Fährnisse und Wirrungen des Malstroms Ökonomie, dieser Satz, in dem man seine relative Ahnungslosigkeit aufrollt, den hört man viel zu selten. Der wäre aber angebracht - und wenn man solchen, wie diesen zwei Männern zuhört, dann wäre er vermutlich sogar dringend geboten. Was ist denn dabei, auch mal etwas nicht zu wissen? Zu wissen, dass man nichts weiß - war das nicht mal eine Einsicht von höchster, von philosophischer Weisheit? Im Volk der Ökonomen, in dem jeder mitredet, jeder etwas weiß, jeder Fachjargon quälen will, ist der Satz nicht mehr weise, nicht mehr philosophisch, sondern das demütigende Eingeständnis, nicht auf der Höhe dieser protzig wichtigtuerischen Zeit zu sein. Man muß doch heute, wenn man sonst schon nichts hat, so doch wenigstens eine Meinung haben! Nichts zu wissen, kann in einer Epoche, da Philosophie als brotlose Disziplin verunglimpft und aus den Universitäten verjagt wird, wahrscheinlich keine Weisheit mehr sein, sondern nur das Gegenteil.

Natürlich: nicht jeder ist ökonomisch ungehobelt. Ich vielleicht auch nicht gänzlich. Dass so einfache Allgemeinplätze wie jener, dass Angebot und Nachfrage sich bedingen, nicht grundsätzlich stimmen, habe ich schon bemerkt. Oder dass der freie Markt angeblich pluralistische Konsumwelten schaffe, erkenne ich anhand des Warensortiments in Supermärkten, wo es beinahe nur noch standardisiertes Gemüse und Obst gibt, auch als beliebte Lüge an. Bauchgefühl würde ich dieses Wissen nennen. Ohnehin, so vermute ich stark, wenn ich die Taschenspielertricks der momentan schnieken Ökonomen so verfolge, scheint dieses Metier mehr auf Bauch als auf Kopf zu bauen. Da gibt es diesen Geschäftsklimaindex, den das ifo Institut unter Leitung Hans-Werner Sinns monatlich an die Presse schickt. Geht er dreimal in Serie abwärts, so heißt das Pi mal Daumen: Trendwende! Und das, obwohl dieser Index sich nur aus einigen tausend Meinungen von Managern und Führungskräften zusammensetzt. Je nach Lust und Laune können diese das Ergebnis beeinflussen. Es kann also sein, dass sich die Herbstdepression manches in der Midlife-Crisis steckenden Managers, dann als Klimaindex-Schwankung niederschlägt. Stichhaltig nach persönlichen Befindlichkeiten analysiert - muß man da viel Ahnung von der Materie haben? Da bin ich mit meinem Bauchgefühl recht gut dabei, glaube ich.

Das bisschen Ahnung, das man hat, das kann man ja verwenden. Aber dass plötzlich, da man nur noch von Krise, von Rettung, von Finanzdschungel hört und liest... dass da plötzlich jeder dick auftragen will, das ist doch peinlich. Es sind eh Zeiten, in denen wir leben, die sich nicht leicht kategorisieren lassen. Ist Bankenrettung gut oder schlecht? Es widerstrebt einen, diesen Aasgeiern auch nur den kleinen Finger hinzuhalten. Nur, wenn man es nicht tut, dann mag die Katastrophe perfekt sein. Und die Milliarden für Griechenland: ja oder nein? Ich bin ehrlich, ich weiß es nicht. Es gibt Argumente dafür und dagegen - und je nach Gestimmtheit und Wetterfühligkeit leuchtet mir entweder die oder eine andere Ansicht darüber ein. Da ich nicht weiß, was richtig ist, halte ich vorsichtshalber mein Maul. So beschämt es weniger.

Vermutlich würde es der gesamten Branche nicht schlecht tun, wenn man mal freiweg feststellen würde, dass man nichts Genaues weiß. Dass es so oder auch so kommen könnte, dass es sich als richtig oder aber als ganz falsch erweisen kann. Dass es so viele unkalkulierbare Faktoren gibt - angefangen beim Verhalten der Aktionäre, aufgehört beim Stuhlgang der Manager, die für den Klimaindex befragt werden, und die ihre Scheißlaune in die Fragebogen kloppen können. Ich meine, dass drei und drei unter den herrschenden Naturgesetzen sechs ergibt, das ist genaue Wissenschaft - wenn man drei und drei im Sturm ausrechnen soll, kopfüber und unter Einflüsterungen, dass auch sieben richtig sein könnte, dann sieht die Geschichte ganz anders aus, denn dann sind da ein Übermaß an Faktoren im Spiel, die man berechnen muß, die aber letzthin unberechenbar bleiben. Unter erschwerten Bedingungen ist genaue Wissenschaft kaum noch drin - die Ökonomie ist ja auch nie solche gewesen. Das erklärt man den Menschen aber nicht ausdrücklich, weswegen sie die Straßen mit ihren Ökonomie-Sprech überziehen. Ökonomie ist religiöser Terror - sie wirkt unantastbar.

Der Wirtschaftsexperte, der offen erklärte, er wisse nicht, was geschieht und es könne gleichwohl rot wie auch grün, windig wie auch sonnig kommen, der sein begrenztes Wissen nicht über die Grenzen ausweitete, sich nicht in Sophistereien ergösse, dem würde ich glauben.



20 Kommentare:

Hartmut 1. Oktober 2011 um 10:59  

Danke für den nachdenkenswerten Artikel mit der Überschrift, die auf die von Platon überlieferte "Verteidigungsrede" des Sokrates zurückgeht. - Ich denke, dass dieser Ausspruch heute noch oder auch wieder aktuell ist.

Bei dem heute, wenn überhaupt noch von Denken die Rede sein kann, verbreiteten "Wirtschaftsdenken" oder besser "Kosten-Nutzen-Denken" oder kürzer "Nützlichkeitsdenken", handelt es sich um ein Denken, das ein "totales Armutszeugnis" ausstellt.
Leider ist es so, daß unser Neusprech beherrscht wird von wirtschaftlichen,kriegerischen und aggressiven Worten.
Innere Zweifel, Zurückhaltung oder gar Nachdenken sind fremde Vokabeln geworden. - Schade.
Es triumphieren: Phrasen, Rechthaberei, Schlaumeierei und das Wichtigste: Schnelligkeit (schnell=gut)!!!

Mein Wunsch ist ein sinnvolles, langsames und sinnerfülltes Leben ! - Wenn dieses teilweise in Erfüllung geht, bin ich dankbar !

Mit "freien Spätsommergedanken"

freundliche Grüße
Hartmut

Totschka 1. Oktober 2011 um 11:25  

In einem Punkte bin ich gehalten, leisen Zweifel anzumelden:
"...Milliarden für Griechenland..."

Ich bin da rein vom Bauchgefühl eher bei Egon W. Kreutzer, der davon schrieb, dass diese Milliarden nicht für Griechenland bestimmt seien, sondern allein zur Sicherung der Vermögen der Gläubiger Griechenlands.

Das dürfte auch die allgemeine Stammtisch-Latrinenparolen-Streit"kultur" entkräften, die da meint, den faulen und überversorgten Griechen kein deutsches Geld mehr in den Rachen zu werfen. Dabei wird nicht ein einziger Cent bei Otto Normalgrieche ankommen...

Ansonsten muss ich auch mal ein Kompliment loswerden:
Mich regen bestimmte politische und gesellschaftliche Erscheinungen, Entwicklungen und Entscheidungen manchmal furchtbar auf. Lese ich davon allerdings hier, normalisiert sich mein Blutdruck recht schnell, und der Schleier der Entrüstung vor meinen Augen legt sich sehr schnell und ich sehe wieder klar.

Danke, lieber Roberto J. De Lapuente

Anonym 1. Oktober 2011 um 11:54  

Im akademischen Bildungswesen ist es üblich, in den ersten zwei, drei Semestern Wissenschaftstheorie abzuhaken, welche eigentlich die hier beschriebene Einsicht des Nicht-Wissens auch und gerade gerade unter Fachleuten festigen könnte. Anschliessend wird das Gelernte systematisch vergessen gemacht und ehemals interessante Gesprächspartner mutieren mit den akademischen Karrierejahren zu langweiligen Besserwissern, deren Ansichten und Meinungen mittels simpler Deduktion aus der herrschenden Ideologie so vorhersehbar sind wie das Schlagen einer Kirchenuhr.

Eine simple Suchmaschinen-Abfrage nach [Finanzkrise Mathematik] fördert die Problematik dieses vorherrschenden präpotenten Habitus zutage, siehe etwa http://www.nzz.ch/nachrichten/forschung_und_technik/eine_falsch_angewendete_formel_und_ihre_folgen_1.2216399.html
„Die Formel war von dem aus China stammenden Finanzexperten David X. Li hergeleitet worden und erlaubte es Banken und institutionellen Anlegern, abzuschätzen, wie riskant es ist, in korrelierte Wertpapiere zu investieren. (...) Die Formel von Li hatte eine denkbar einfache Form und war einfach zu interpretieren. Deshalb wurde sie von mathematisch wenig versierten Finanzmanagern gerne und weitherum benützt. (...) Der Mathematiker Paul Embrechts von der ETH-Zürich (...) unterstreicht, dass Mathematiker immer wieder auf die Annahmen verwiesen hätten, auf denen gewisse Formeln basieren.“

Kürzlich war in einer Bahnhofs-Bar von Investmentbanking die Rede, ein Mann sagte, habe eigentlich keine Ahnung, was das sei, auf jeden Fall sei das keine seriöse Wirtschaftstätigkeit. Ich warf ein, die meisten Investmentbanken hätten einen unverzichtbaren hochbezahlten Mathematiker, welcher der einzige im Betrieb sei, der die Formeln begreift, denen die Banker täglich vertrauen. Der Mann lächelte und sein Kollege klärte mich auf, er sei genau einer jener Mathematiker!

klaus baum 1. Oktober 2011 um 14:22  

ICH HABE AUCH KEINE AHNUNG - von ökonomie, auch nicht von ökomene.

deshalb äußere ich mich nicht darüber.

jenes berger und albrecht müller sollen davon etwas verstehen.

Nicolai Hähnle 1. Oktober 2011 um 16:56  

Sehr guter Kommentar. Seitdem ich vor etwas über einem Jahr angefangen habe, mich ernsthafter in den ganzen Kram einzuarbeiten (wenn auch nur auf der Seite), kann ich an mir selbst erkennen, wie ich zunehmend forscher auftrete. Ab und zu muss mich dann auch mal jemand zurück pfeifen.

Mein Wissensrepertoire hat logischerweise Grenzen. Genauso logisch gibt es innerhalb dieser Grenzen Dinge, von denen ich felsenfest überzeugt bin. Ich glaube auch, dass ich durch logische Argumente überzeugbar bin.

Aber wie kommuniziert man das in all dem Dröhnen, ohne das Dröhnen noch schlimmer zu machen?

Wie auch immer, ich werde erst einmal in meiner kleinen Ecke weiter wursteln.

Anonym 1. Oktober 2011 um 17:31  

Warum muss man überhaupt wissen, was in einer kapitalistischen Ökonomie richtig oder falsch ist? Wer hat konkret was davon?

Du z.B. sagst ehrlich nicht zu wissen, ob Griechenland "gerettet" werden soll oder nicht.
Und warum weißt du das nicht? Gibt es etwas, was dich PERSÖNLICH mit Griechenland verbindet(ausgenommen Tourismus...)?
Wahrscheinlich wohl nicht, denn sonst würdest du auf Grund deiner ganz persönlichen Interessen schnell zu einem "Wissen" darüber kommen, ob Griechenland "gerettet" werden soll oder nicht.

Ganz konkret, ganz langsam: Besitzt Herr Lapuente jene Firmen einschließlich der diese Geschäfte vorfinanzierenden Banken in Deutschland, Franreich etc..., die schon seit Jahren lukrativ U-Boote, Panzer, Daimlers, BMWs, Maschinen, U-Bahnen, Güter aller Art nach Griechenland mit gutem Gewinn verkaufen?
Wenn ja, dann MUSS Herr Lapuente aus lauter Kehle geradezu mit Ohren betäubenden Lärm nach einer "Rettung", "Rettungsschirmen" für Griechenland schreien, stürmisch gar EURO-Bonds fordern, gar "Weltuntergängen" warnen, den "Zusammenbruch Europas" an die Wand malen; dazu passend Schreckenszenarien entwerfen, welche selbst noch einen Francisco Goya(Schlaf der Vernunft) als Stümper erscheinen lassen müssten!
Eine "Verrücktheit"? Mitnichten!
Siehe BDI-Keitel erst vor 2 Tagen im Beisein von Andeas Pandreou!
Natürlich muss Griechenland "gerettet" werden - damit ALLES so schön weitergehen kann wie bisher... ich täte auch schreien....

Andererseits aber..., gehört nun Herr Lapuente zu jener Species von Bewohnern dieses Landes, die außer sich selbst, ihrer Arbeitskraft gar nix zu verkaufen haben, ABER bei einem Zahlungsausfall seitens Griechenlands, durch die dadurch fälligen Bürgschaften auch des deutschen Staates eventuell mit Steuererhöhungen, welche nicht zu umgehen sind, konfrontiert würde.., wie stände es da mit der Bereitschaft zur "Rettung" Griechelands?

Noch ein weiterer Fall: Herr Lapuente wäre in Ingolstadt ein in der IG Metall organisierter Schicht-Knecht der AUDI AG, welche ebenfalls wie toll teure Audi-Limousinen nach Griechenland verhöckert und sein Arbeitsplatz wäre bei Nichtgewährung von "Rettungsschirmen" für Griechenland gefährdet, müsste er nicht dann wieder ebenso laut wie seine Herren und Meister aus der Vorstandsetage von Audi und BDI-Keitel ebenfalls mit Ohren betäubenden Lärm nach "Rettungsschirmen" für Griechenland schreien?
Nein? Doch! DGB-Häuptling Michael Sommer, die Häuptlinge von IG Metall und gar von Ver.di!!! schreien laut nach diesen "Rettungsschirmen!

Nun, lieber Herr Lapuente, entscheide dich selbst, FÜR D I C H und deinen näheren Anhang ganz persönlich, ob Griechenland "gerettet" werden soll, "muss"!!! :-)

Im Kapitalismus ist sich jeder selbst der Nächste, Vernunft daher zwangsläufig "subjektiv".., hat immer zuerst die eigene Kasse klingeln zu lassen....

Rettende(leider wenig hilfreiche) beste Grüße von

Bakunin

Anonym 1. Oktober 2011 um 20:41  

Wir leben in einem komplexen und vor allem dynamischen System. Vorausberechnung ist in der Tat nicht möglich.

Die Volkswirtschaftwissenschaft kann Abhängigkeiten analysieren und sichtbar machen, sie kann auch Szenarien entwerfen und versuchen zu gewichten anhand vergangener ähnlicher Umstände, welches Szenario mit welcher Wahrscheinlichkeit eintritt.

Aber schon letzteres geht in den Spekulativen Bereich, denn nur die Empirie hilft an der Stelle oder Extrapolation. Beiden in sehr dynamischen und komplexen Systemen (und damit chaotisch wirkend auf den Betrachter), aber ist wissenschaftlich nicht gesichert.

Auch die Wissenschaft spielt im Bereich der Spekulation, wie ein Meteorologe, der das Wetter voraussagt. Erfahrungsgemäß passt das mal, mal nicht auf ein paar Tage gesehen. Auf Wochen weiß das niemand mehr, da ist pures Raten genauso gut, wie eine Prognose basierende auf aktuellen Messdaten.

Richtig und wichtig finde ich Abhängigkeiten zu erkennen, die nicht als ursächlich zu betrachten sind in einem komplexen System, sondern die zusammenwirken oder entgegenwirken. Letztlich haben wir es ja mit einer Vielzahl von Regelkreisläufen zu tun, die mal verstärkend, mal abschwächend wirken können.

Nur was ist jetzt die Quintessenz aus all dem? Nichts tun? Abwarten?

Ich denke, es gibt wirtschaftliche Spielregeln (die dann Regelkreisläufe entstehen lassen), wo wir heute sehen können, dass die Schwierigkeiten machen und zwar schon über lange Zeit.

Dazu gehört die Abhängigkeit von Staaten von privaten Geldgebern und ihrem guten Willen - diese Abhängigkeit ist eine freiwillige staatliche Entscheidung dies so zu handhaben, was natürlich überhaupt erst eine Möglichkeit auf Spekulation bietet.

Denn die Kreditfinanzierung über Staatsanleihen, die frei verkauft werden, ist heute das Hauptinstrument für Staaten an Geld zu kommen.

Faktisch läuft es dann so, dass sich Banken bei der Zentralbank Geld leihen für sehr niedrige Zinsen und das gleiche Geld für einen deutlich höheren Zinssatz an die Staaten leihen, wobei diese Banken dann bisher immer noch, falls ein Ausfallrisiko entsteht, vom Staat versichert wurden (Stichwort Bankenrettung).

Das führt dann eigentlich nur dazu, dass Banken risikolos Zinsen bekommen und es zudem im Interesse der Bank ist, dass ein Staat Schwierigkeiten bekommt, um mehr Zinsen erheben zu können. Der Fall Griechenland zeigt dann, dass die einfache Erhöhung der Zinssätze sofort dafür sorgen, dass ein sich selbst verstärkender Kreislauf entsteht, denn jegliche Zinserhöhung macht sofort die zukünftige Refinanzierung schwieriger, was natürlich sofort zu Zinserhöhungen führt.

Allein über diesen Finanzierungsmechanismus kann man mal nachdenken, ob der überhaupt oder wenn ja, in welchen Fällen der Sinn macht.

Ja, wenn die EZB direkt Kredite vergibt an Staaten, weiß man auch nicht, was passiert. Sicher ist aber, dass es gerade kurzfristig mit dem bestehenden Mechanismus zu größeren Schwierigkeiten kommt, als wenn man es ändern würde.

Sicher würden auch Detailregelungen eine große Auswirkung haben dabei, wenn man es umstellt, aber man kann so ein Instrument ja auch schrittweise einführen, um zu sehen, wie das Gesamtsystem darauf reagiert.

Das halte ich sowieso für den Königsweg: Instrumente wählen, die man schrittweise einführen kann und wo es auch wieder einen Schritt zurückgehen kann. Dies ist beim Risikomanagement denke ich ein ganz wichtiger Faktor.

Anonym 1. Oktober 2011 um 23:08  

Wie immer toll getroffen.

Dass Menschen wie Sinn & Konsorten übrigens mit ihren Kruden Thesen im ökonomischen Bereicht durchkommen hat wohl auch etwas damit zu tun, dass die Mehrheit hier ökonomische Analphabeten sind - Eigentlich sollten die nicht nicht wissen über die Ökonomie, sondern so gebildet werden, dass die die ganze neoliberale Wahrheitsverdreherei durchschauen. Is leider nicht so, wie du völlig richtig eingestehst, und damit es so bleibt werden Ökonomen eben so geschult wie einst die Elitekader gewisser Parteien in der alten UdSSR, oder - um bei dem Vergleich mit der Religion zu bleiben - der Kader der katholischen Kirche in der Gegenreformation - eine "selbsternannte Elite", die keinen Fehler zugeben kann, und schon gar nicht, dass ihre ökonomische Wissenschaft einseitig und ideologisch ist, und dies auch noch nach ihrem Scheitern anno 2008.

"[...]Unter erschwerten Bedingungen ist genaue Wissenschaft kaum noch drin - die Ökonomie ist ja auch nie solche gewesen[...]"

Was die Ökonomie widerrum, um bei deinen Vergleich Kapitalismus = Religion zu bleiben mit der Theologie des Christentums verbindet - auch die ist keine Wissenschaft und wird von jedem als bare Münze genommen, und wer Fehler erkennt ist eben, wie wir hier ein Katharer (frühere Bezeichnung für Ketzer).

Gruß und weiter so
Bernie

Anonym 1. Oktober 2011 um 23:10  

Ergänzung:

Als Religionskritiker hörte ich, in diesem Bereich einmal von einer Aufklärung 2.0.

Mein Vorschlag, dehnen wir diese neue Aufklärung doch auch über die Ökomomie aus - eine ökomomische Aufklärung 2.0.

Sokrates, auf den du hier anspielst mit dem Satz "ich weiß, dass ich nichts weiß", würde es freuen;-)

Gruß
Bernie

Dexter 2. Oktober 2011 um 01:19  

Es müssen aber nun mal Entscheidungen gefällt werden, so gut es eben möglich ist. Man kann ja nicht sagen: "Ökonomie ist zu kompliziert, wir hören jetzt auf damit."
Und es wäre auch albern, für jede Aussage in dem Bereich den Zusatz: "Nach bestem Vermögen, aber ohne Gewähr" zu fordern.
Folglich ist dieser Artikel - um Merkels geflügeltes Wort zu einem bekannten Buch zu benutzen - "nicht hilfreich".

Anonym 2. Oktober 2011 um 11:52  

@Dexter

Du scheinst ein Fan der bekennenden Thatcheristin Angela Merkel zu sein? "Nicht hilfreich" ist für mich eine Umschreibung von "alternativlos", und genauso hirnrissig wie andere Äußerungen dieser politischen Agitatorin für Propaganda - sie wurde in der DDR, genau sogar der FDJ-Organisation darauf geschult.

Ergo ist auch deine Äußerung hier "nicht hilfreich", wie Du so schön schreibst.

Ganz im Gegensatz zu Robertos Artikel, der den ökomomischen Analphabetismus unserer selbsternannten "Eliten" aus Wirtschaft, Politik und Kultur voll auf den Punkt bringt.

Da ist mir doch Sokrates tausendmal hilfreicher als eine Kanzlerin, die, wenn die hoffenlich bald abgewählt wird, bald vergessen ist.

Du glaubst mir nicht?! Wer redet den heute noch von Helmut Kohl, Gerhard Schröder & Konsorten?

Niemand!

Sokrates hingegen ist nach 2000 Jahren so aktuell als hätte der sich nie mit dem berühmt berüchtigten Schierlingsbecher umgebracht.

In diesem Sinne
Tschö
Bernie

christophe 2. Oktober 2011 um 18:14  

Karl Kraus hat es schon viel früher auf den Punkt gebracht: 'Es reicht nicht aus, keine Meinung zu haben; man muß auch unfähig sein, sie auszudrücken...'

Anonym 2. Oktober 2011 um 23:04  

@dexter,

und war Ihr Beitrag jetzt hilfreich?
Oder wenden Sie Ihre Kriterien ausschliesslich auf
Andere an? Klar, so halten es alle Konservativen …

Vielleicht ist Ihnen ja auch die Ironie in R. d. l. P. Beitrag entgangen. Aber ja, Konservative sind durchgängig humorbefreit.

Anonym 2. Oktober 2011 um 23:26  

"Johannes Paul II. zeigte sich wohlinformiert über die aktuelle Situation bei Kohle und Stahl im Revier. Er blieb darüberhinaus bei der Auslegung der katholischen Soziallehre, die er vor einigen Jahren mit seiner Enzyklika „Laborem exercens" fortgeschrieben hatte, nicht im Unverbindlichen, sondern ging "ins Eingemachte".

Dabei appellierte er an Arbeitgeber und -nehmer gleichermaßen, in solidarischer Weise Lösungsmöglichkeiten für den Abbau der Arbeitslosigkeit zu entwickeln. Indirekt forderte das katholische Kirchenoberhaupt zu kürzerer Arbeitszeit auf, indem er es als einen Skandal bezeichnete, wenn die zu Verfügung stehende Arbeit nicht gerecht verteilt wird. Indirekt verurteilte er die Unternehmen, die ihren Gewinn nicht dazu verwenden, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Direkt verurteilte er Politiker und Entscheidungsträger, die die Arbeitslosigkeit einfach hinnehmen und dabei ihr Vertrauen allein auf den Marktmechanismus setzen."

"Am weitesten wagte sich der Papst zweifelsohne in der Frage der Mitbestimmung vor. Da das Prinzip des Vorranges der Arbeit vor dem Kapital, wie es bereits in „Laborem exercens" beschrieben ist, anzuerkennen ist, so der Papst, müsse die Frage des Miteigentums des Arbeiters an Produktionsmitteln noch weiterentwickelt werden."

Die Exportwirtschaft ist die regierung hinter der Regierung.

Und ihr Kanon die Märkte des Auslands zu erobern ist die Ersatzreligion unserer Zeit.

Abstrus das eigene Volk zu knechten und ungeheuerlichen Entbehrungen zu unterwerfen.

Was kommt danach wenn alle Märkte erobert sind?

Anonym 3. Oktober 2011 um 00:42  

"...dass ich nichts weiß"

... aber meist reicht schon die einfache Frage: wem nützt das?

Siehe dazu auch den sehr interessanten Beitrag im Tagesspiegel:
http://www.tagesspiegel.de/politik/mit-dummheit-geld-machen/4656616.html

Aldo 3. Oktober 2011 um 14:12  

Gut zu wissen, dass es noch Andersdenkende gibt, die versuchen, gegen den Einheitsbrei der herrschenden neoliberalen Dogmatik der sog. Wirtschaftswissenschaften anzukämpfen.
Wir werden von einer machtversessenen Expertokratie beherrscht, die starke Überzeugungen hat, aber von der Sache sehr wenig versteht. Ökonomie hat ja etymologisch mit Altgriechisch oikos, also Haus zu tun und meint damit, sein Haus in Ordnung zu halten.
Im neoliberalen Neusprech bedeutet das, wenigen Gruppen die Taschen bis zum Bersten mit Geld zu füllen, so dass den ach so notleidenden Banken nichts anders mehr übrig bleibt als im Casino um ihr Überleben zu zocken. Wie ist das möglich dass eine kleine, habgierige Elite ihre egoistischen Interessen als Gemeinwohl verkaufen kann?

Anonym 3. Oktober 2011 um 23:39  

"[...]Wie ist das möglich dass eine kleine, habgierige Elite ihre egoistischen Interessen als Gemeinwohl verkaufen kann?[...]"

Das muss wohl daran liegen, wie ich heute über meine eigene Schwester erfuhr, die eigentlich im sozialen Bereich arbeitet, dass neoliberales Denken eben auch in solche Bereiche Einzug hält, die man eigentlich mit Gewinnstreben nicht assoziert, und - bei mir zumindest, der im ehemals väterlichen Unternehmen in einer Erbengemeinschaft mitarbeitet, sogar in privateste Denke mit reingeht.

Manchmal denke ich am besten man hat gar nichts, denn dann hat man keine Sorgen mehr.

Übrigens bei Rissen, die mittlerweile durch ganze Familienclans in Deutschland gehen würde es mich nicht wundern, wenn es einen Bürgerkrieg gäbe.

Ich vermute einmal stark das es nicht nur bei mir hier so ist, sondern dass es vielen in Deutschland mittlerweile so geht wie mir - mit Clinch in der Familie aufgrund neoliberaler Einheitsdenke - auch im ganz normalen Alltag.

Gruß
Bernie

flavo 4. Oktober 2011 um 11:52  

Zu wissen, dass man nichts weiß entspringt einem Prozess des Sichlösens. Seit 2500 Jahren wird nunmehr metaphysisches Wissen angehäuft, heute unter der Formel Wissenschaft. Sie ist Metaphysik, Diskurs hinter den Dingen. Die ganzen altbekannten Stellungen kursieren in der Postmoderne nicht anders als im Mittelalter, vielleicht etwas seichter.
Die Aufsplittung der Philosophie in die Wissenschaften hat letzteren ihren reflexiven Charakter genommen. Sie sind als halbe Wahrheiten selbstständig geworden. Um nicht ganz zu unreflektiert zu wirken, wurde die Wissenschaftstheorie eingeführt. Darin denkt man nicht, sondern forscht wissenschaftlich. Im Grunde schafft man immer Wissen, wenn man schaufelt, schafft man ein Loch. Wenn man denkt, schafft man Wissen. Die Frage ist immer, wie darin die dem Menschen eigene Fähigkeit Zururückwendung auf sich selbst zum Tragen kommt. Je nach Radius und Reichweite dieser Fähigkeit in einem Wissen, ist es borniert, ist es weise, sektiererisch, beschränkt usw. Die Ökonomie ist in der Tat eine wenig reflexive Wissenschaft. sie möchte ja immer als Naturwissenschaft betrachtet werden und nicht als Sozialwissenschaft. Abgesehen vom ideologischen Gehalt dieses Wunsches, ist sie, wollte man diesen Wunsch mal ernst nehmen, recht bescheiden in ihren Modellen und Wirklichkeitsgehalt. Mit der Physik kann man sie nicht vergleichen. Diese ist bei Weitem reflexiver und problembewußter in Grundsatzfragen. Die Ökonomie oft ein abgeschottetes Wunschdenken. Dazu kann sie sich nicht von Geldinteressen trennen, sondern ist heillos verstrickt in das Denken des "Geschäftsmannes". Nicht einmal davon hat sie sich reflexiv trennen können. ALs BWL ist sie nichts anderes und insofern eher ein Handwerk als eine Wissenschaft. VWL ist wohl eher eine Wissenschaft. Aber wohl keine Naturwissenschaft, weil sie das Reich der Freiheit zum Gegenstand hat und nicht die Natur.

alterSack 4. Oktober 2011 um 22:46  

Manchmal mag ich kommentieren.

Manchmal hält mich ab, dass ich mich nicht als intelligent genug empfinde.

Manchmal hält mich ab, dass ich mich nicht werde verstanden fühlen.

Anonym 8. Oktober 2011 um 00:47  

Mir würde es -nur fürs erste- schon mal reichen, wenn aufgrund Rationalität VWL wieder Oberhand über eine "magische" Denke von BWL des Staates bekäme. Staaten können nicht mit BWL-Kriterien beurteilt oder bemessen werden. EINER von vielen Kritikpunkten, was die vergangene und derzeitige Politik und Ökonomik ((Un)Sinn anyone?) betrifft! Und das erkenn ich selbst (oder wegen?) großer Distanz, aber dennoch viel Beschäftigung mit dem Thema. Wieso hauen wir diesen Pseudoreligiösen nicht mal ihre "Wahrheiten" um die Ohren?

Tun wir's doch!

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