Sit venia verbo

Montag, 31. Oktober 2011

"Die Praktik Halloweens passt perfekt in unsere Zeit, in unsere Gesellschaft, ins Gruselszenario des Zeitgeistes. Während wir den Kindern einmal im Jahr einen solchen zügellosen Freiraum lassen, scheint in der Welt der Erwachsenen der Halloween-Geist vollends losgebrochen zu sein. Es ist eben keinesfalls nur der kindliche Egoismus, der mehr Freude an Halloween als am Martinstag entstehen lässt, sondern auch die Tatsache, dass ersteres Fest einfach besser ins Hier und Jetzt passt. Süßes oder Saures! könnte nämlich auch Lohnkürzung oder Arbeitsplatzabbau! heißen; oder Integration oder Ausweisung!; oder in ganz verächtlicher Form: Arbeit oder Hunger!; und in weltpolitische Formel gegossen: Erdöl oder Krieg!
[...]
Das Verschwinden des Martinstages zugunsten von Halloween ist sicherlich keine isolierte Erscheinung, sondern geht Hand in Hand mit der geistig-moralischen Umstrukturierung unserer Tage, in denen Nehmen seliger denn Geben ist, in denen die Egomanie zur seligmachenden Grundeinstellung einer Gesellschaft gedeutet wird. Wir zeigen unseren Kindern sowieso schon viel zu häufig, dass nur das Materielle von Bedeutung ist, man sich vor allem am Haben zu orientieren habe. Der Sozialarbeiter ist nicht, der Rechtsanwalt alles - solche Einteilungen lehren wir schon unsere Kinder. Und an Halloween zeigen wir ihnen, wie man es zu was bringt in dieser Welt, während es der Heilige Martin, dieser armselige Trottel, zu nichts gebracht hat, weil er aus seinem Mantel nicht zwei oder drei machen konnte, sondern diesen auch noch halbierte, weil er Umsatzeinbrüche an wärmendem Gewebe verzeichnen musste."
- Roberto J. De Lapuente, "Unzugehörig: Skizzen, Polemiken & Grotesken" -

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... wo kein Fett, da ist auch kein Hirn...

Freitag, 28. Oktober 2011

Die taz hat ein neues Lieblingsthema und zeigt damit wieder mal, welche Klientel sie bedient: die einstmals kritische, in die unkritische Bequemlichkeit abgewanderte Mittelschicht; Grüne, deren einziger Grünstich vom verschimmelten kritischen Verstand her rührt. Die Tageszeitung der grau gewordenen Grünen, übt sich in Reflexionen über Fett und regt eine Fettsteuer an, wie es sie in Dänemark zu geben scheint.

Martin Reichert, der für den Artikel verantwortlich ist, verliert kein Wort darüber, dass Arme nur deshalb fettiger fressen - Reicherts Orginalton! -, weil Armut sich nicht leisten kann, wählerisch zwischen biologischem Anbau und Naturreinheit zu sein. Es ist mehr als snobistisch, so zu tun, als habe die Unterschicht die Wahl, gesünder zu essen und zu leben, wenn ein Kilo Bio-Möhren knapp drei Euro kostet, die Pizza aus dem Tiefkühler aber nur 79 Cent.
Seine Seitenhiebe auf Suff und Nikotin, die er sich natürlich nicht aufsparen will, unterstreichen das Sendungsbewusstsein. Gesoffen und geraucht wird nicht nur ganz unten, wie das der Verfasser des bürgerlichen Erbauungs-Artikels vermitteln möchte. Zigaretten- und Alkoholkonsum findet in allen gesellschaftlichen Schichten statt.

Es ist wahrlich kaum übersehbar, dass die taz einen Heidenspaß an der Fettsteuer hat, über die sie nun schon mehrfach berichtete. Sie hat als tägliches Medium ein Faible für die neugrüne, semi-esoterische Ansicht, man müsse die Menschen zu ihrem Glück, zu Gesundheit und Verstand zwingen; alles was Menschen schadet oder auch nur schaden könnte, einfach unerschwinglich machen, dann wird der so unmündig gemachte Mensch glücklicher - künstliches Fernhalten, Bevormunden für eine bessere Welt! Obendrauf praktiziert man dann auch noch Gesinnungsterror, damit das schlechte Gewissen den klammen Geldbeutel unterstützt. Wahl- und Entscheidungsfreiheit ist nach dieser Ansicht nur richtig, wenn sie political correct ist, wenn sie in den schönen, den romantischen Traum dieser diktatorisch veranlagten Gut- wie Blödmenschen passt. Jenem Traum, die Welt zu einem Hort von elitär verordneter Gesundheit und Ausgewogenheit, von fiskalpolitisch erzwungenem Eiapopeia und (cholesterinfreien) Eierkuchen zu machen - wenn nötig zu Lasten derer, die finanziell nicht mithalten können.

Das Fett zu verteuern, weil es bei übermäßigem Konsum ungesund ist: das ist der ausgefeilte Plan von Asketen. Fett ist jedoch Geschmacksträger - damit setzt sich Reichert gar nicht auseinander. Er analysiert Fett nur von Standpunkt der Gesinnung aus - lebensmitteltechnisch ist es ihm unspannend. Es ehrt ja jeden, der absolut fettfrei kochen und speisen möchte. Aber als Anti-Fett-Delegierter sollte man schon noch wahrnehmen, dass Geschmack anerzogen und sozial vererbt ist, dass Fettfreiheit nicht jeden Geschmack befriedigen kann. Und dass daher diese Form steuerpolitisch forcierter Gesinnungspädagogik komplett an der Lebenswirklichkeit vorbeischrammt.

Gegen zu viel Fett gäbe es andere Maßnahmen. Wenn es wirklich ernst gemeint ist, könnte man dagegen politisch vorgehen. Nicht steuerpolitisch wohlgemerkt! Aufklärung und Prävention! Fangen wir an den Einheitsbrei des Fernsehens zu unterbinden: weniger Köche im TV, die dauernd nur vom Fressen sprechen, als gäbe es kein Morgen mehr. Dann verbiete man Fast-Food-Kampagnen, die Kinder zu lebenslangen Kunden werden lassen. Und man lehre den Kindern das Kochen auf ihrem Bildungsweg. Nicht nur als Alibi-Aktion, schnell mal ein oder zwei Schuljahre Schulküchen verdrecken, sondern als richtiges Schulfach bis zum Schulaustritt. Kochen wäre somit auch charakterliche Schulung - Respekt vor dem Produkt: das wäre oberste Priorität!

Der Philosoph Ludwig Feuerbach prägte die Losung, "Das Sein ist eins mit dem Essen. Man ist, was man isst". Die Klientel, für die die taz schreibt, sie kann sich elitäres Speisen leisten - und das ist sie damit auch: elitär. Die taz ist das Blatt der neuen, zu Wohlstand gekommenen Elite, die ihre menschenfreundliche Gesinnung gerne auch mit steuerlichen Mitteln gegenüber dem ärmeren Teil der Menschheit geltend machen will. Abermals soll Feuerbach zu Wort kommen, denn trefflicher (und zynischer) kann man der taz elitäres Faible für steuerlich verteuerte Lebensmittel nicht beschließen: "Wo kein Fett, ist kein Fleisch; aber wo kein Fett, da ist auch kein Hirn, kein Geist."



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Legitimitätsfragen!

Donnerstag, 27. Oktober 2011

Die Frage musste ja aufgeworfen werden: Wie kommen diese Typen eigentlich dazu, für 99 Prozent sprechen zu wollen? Die Antwort musste ja gegeben werden: Das haben schon mal welche in Deutschland gemacht, nämlich "eine kleine Gruppe von Nazi-Ideologen"! Da leben wir in einem Land, in dem man neuerdings ungeniert genetische Taschenspielertricks als Wissenschaft verkaufen darf, in dem man als Ausländer beäugt wird wie ein Stachel im Volkskörper, in dem Leitkultur deutscher Provenienz wieder diskutabel ist - aber nazistisch sind nicht diese Auswüchse und ihre Ideologen, nazistisch sind die, die gegen den Kapitalismus demonstrieren.

Das publizistische Hallali gegen die Protestkultur scheint eröffnet. Das "gesunde Volksempfinden" von Wir sind 99 Prozent! ist irgendwie nationalsozialistisch oder ähnelt der Leitlinien der SED - wie man diffamiert, kann man sich als williger Kunde der Diffamierungskampagne also aussuchen. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei, um sich der "gutgemeinten Umarmung" zu entziehen. Wer hat der Bewegung eigentlich die Legitimität dafür gegeben, für 99 Prozent zu sprechen? Die Frage ist berechtigt und die Antwort knapp: niemand! Das ist schon wahr. Aber fragen sollte man dann auch, wer beispielsweise der EZB die Legitimität gegeben hat? Wer hat den Volksvertretern eigentlich die Berechtigung gegeben, mit Konzernen zu promenieren, gleichwohl man dem Bürger harten Fußmarsch verordnete? Die Antwort, sie wäre vermutlich dieselbe: niemand! Jedenfalls nicht der Souverän...

Überhaupt eine ganz verquere Sichtweise, die das Qualitätsmedium Stern pflegt. Woher nehmen diese Leute das Recht, für 99 Prozent zu sprechen, fragt es. Diese Leute fragen jedoch gleichfalls, woher das übrige Prozent das Recht nimmt, sich die Welt so zu gestalten, wie sie es für rentabel hält. Das ist nebenher die viel essentiellere Berechtigungsfrage. Woher nehmen diese Leute das Recht, die Welt als ein Gemisch aus Kosten und Nutzen, Aufwand und Brauchbarkeit, Aufwendungen und Verwendbarkeit zu betrachten, in dem die Interessen der Menschen immer mehr zurückgedrängt werden? Woher nehmen sie diese Chuzpe, 99 Prozent ihrer Profitgier untertan zu machen? Legitim durch politische Wahlen!, könnte man antworten. Sicher - jene Wahlen, bei denen keine Optionen, nur There is no alternative! angeboten werden; bei denen die Wahlbeteiligung mehr und mehr strauchelt; bei denen Volksvertreter gewählt werden, die in Aufsichtsräten profitorientierter Unternehmen sitzen. Ist das alles so sehr legitim?

Das ist die große Frage, die die Occupy-Bewegung umtreibt. Der Journalismus dreht nun den Spieß um und richtet dieselbe Frage auf die Parole dieser Bewegung und verunglimpft sie als nazistisch. An der Parole hängt er sich auf. Und die kleine Gruppe von Neoliberalismus-Ideologen, die ihr wildes Treiben für mit dem "gesunden Volksempfinden" kompatibel erachten, die haben keinen Hang zum Totalitarismus - oder wie darf man das verstehen? Die erklären doch auch unentwegt, sie machen Politik und Wirtschaft für die schweigende Mehrheit - popolus lo vult! Die Frage nach Gerechtigkeit, nach Gleichheitsaspekten, die in der Parole von Occupy! hörbar wird, das macht die Frage nach der Legitimität überflüssig - die Nazi-Ideologen, die der Stern bemüht, haben sich nie über solche Ideale den Kopf zerbrochen. Und das übrige Prozent, das sich auf 99 Prozent stützt, es kennt solche Aspekte heute auch nicht. Genau deshalb ist die Frage nach deren Legitimität berechtigt und jene nach der Legitimität der Demonstranten belanglos.



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... auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war.

Mittwoch, 26. Oktober 2011

Dass Soldaten Mörder seien: so weit will die deutsche Gerichtsbarkeit offensichtlich nicht gehen. Aber für fahrlässige Totschläger hält man sie zuweilen schon.

Der Pazifismus lebt noch

Sage nochmal einer, deutsche Soldaten könnten in Afghanistan wüten, ohne zu Rechenschaft gezogen zu werden. Das stimmt so nicht! Im ganz großen Stil können sie das schon, wenn wieder mal ein Kriegsminister oder ein General Kollateralschäden befiehlt, dann wird später kein Richter bemüht - dann wird hernach nur ein Untersuchungsausschuss beauftragt, die Affäre versanden zu lassen. Aber so im Kleinen, da herrschen Argusaugen - da kann man nicht durch die Gegend ballern, wie es einem gerade beliebt. Dann droht in heimischen Gefilden der Richter.

So geschehen kürzlich. Ein Soldat, der einen tödlichen Schuss auf einen Kollegen abfeuerte, wurde der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden. Tötende Soldaten müssen also doch die Gerichtsbarkeit fürchten - Kriegsgegner und Pazifisten ereifern sich ja seit Jahrzehnten, dass der Soldat ein legalisierter Mörder oder Totschläger sei, den man ehrt statt bestraft. Aber so kann man sich täuschen! Der Pazifismus hat auch deutsche Richter erreicht - Zeit wurde es. Schönheitsfehler nur, dass das Opfer kein Afghane war...

Opfer ist, wen wir als Opfer anerkennen

Ein Opfer aus den eigenen Reihen - und plötzlich findet Soldat sich vor Gericht. Das ist natürlich wünschenswert, wenngleich man natürlich auch diejenigen belangen müsste, die jungen, mit Testosteron abgefüllten Männern Waffen in die Hand drücken. Dass dabei nur Unfug rauskommt, darf ja eigentlich nicht wundern. Wie steht es da eigentlich mit der Fürsorgepflicht? Solange wir dem Determinismus abschwören, gilt nach wie vor, dass jeder für seine Handlungen verantwortlich ist. Heißt: jungen Kraftprotzen Gewehre zu geben, sie in Kriegsgebiet zu bringen, wo Leben wenig Bedeutung hat und Blutrausch schnell entstehen kann, ist auch eine Verantwortung, die geprüft und gegebenenfalls bestraft werden sollte.

Und obgleich es richtig ist, dass man den Totschläger seiner Verantwortung überführte, so bleibt doch ein faderfader Beigeschmack. Wenn der Soldat einen Soldaten aus den eigenen Reihen tötet, dann überprüft man plötzlich die olle Aussage des Ignaz Wrobel, ob denn der Soldat vielleicht doch ein Mörder sei. ("Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.") So weit geht man im Regelfall dann nicht - fahrlässige Tötung attestiert man schon. So weit, den zu bestrafen, der so junge Kerle mit Waffen ausstattet, geht man jedoch nicht. Und so weit, den Totschläger von Zivilisten vor Gericht zu bringen, wird man ganz sicher, ganz sicher, ganz sicher - mit Schwur auf unser Grundgesetz, in dem die Gleichheit aller Menschen reklamiert wird! - nicht gehen. Der Soldat von seines Kollegen Hand getötet, er war Mensch - etwas, was wir denen, die da im Namen von Demokratie und Freiheit und Petrodollars zu Kollateralschäden werden, nie gewähren würden.



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De dicto

"Weitere Profiteure sind die Arbeitnehmer, von denen ein großer Teil in den betroffenen Flughafen-Anrainer-Kommunen leben dürfte. Sie dürfen sich über Arbeit freuen und nehmen dafür Lärm in Kauf. [...] Fest steht, dass viele Bürger Fluglärm erdulden, ohne dass ihnen der Ausbau unmittelbaren Nutzen stiftet. Für sie bleibt kein Trost, außer Geld. Sie müssen entschädigt werden."
- Winand von Petersdorff, Frankfurter Allgemeine vom 23. Oktober 2011 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Ein gravierendes Problem im engen Europa ist es, dass immer mehr Menschen der Lärmhölle, bedingt durch Infrastruktur, ausgesetzt werden. Massive Gesundheitsprobleme, verursacht durch dauerhaften Stress, sind dann treue Begleiter durch den krachenden Alltag. Wie sich die europäische moderne Gesellschaft infrastrukturell stellen will, ist nicht nur eine Frage der verfügbaren Energie; man wird die sich verschlechternden Lebensbedingungen von Millionen von Menschen berücksichtigen müssen. Schon zwanzig Millionen Menschen leiden hierzulande am Lärm. Das kann kein Zukunftsmodell sein.

Abgefeimt, wie man das Leiden von Millionen von Menschen doch umdeuten kann. Petersdorff macht sie flugs zu Gewinnern und Profiteuren, die man kulanterweise noch mehr gewinnen, noch mehr profitieren lassen sollte. Trivial, wie er den Lärm banalisiert. Kettensägenlärm würde man tolerieren - warum bloß den Lärm nicht, den Flughäfen verursachen, rätselt er vor sich hin. Dabei könnte der Ausbau von Flughäfen eine Gewinnsituation für alle sein. Man müsste Belästigung und Gewinn nur angemessen verteilen. Das ist publizierter Spott, den Petersdorff da über an Lärm Erkrankte ausschüttet. Als ob man Lärmstress aus der Welt kaufen könnte. So wie man bürokratische Hürden wegschmiert, schmiert man einfach Herz- und Kreislaufleiden weg, die der Lärm fabriziert. Das ist ein Weltbild, in dem der Mensch nicht mehr vorkommt - und falls doch, dann nur als gegen Geld aufwiegbare Kreatur.

Petersdorff läßt keinen Zweifel: es gibt keine Alternative. Über Nachtflugverbot disktutiert man nicht. Über Urlaubsreise- oder Geschäftsreiseverhalten spricht man schon aus Prinzip nicht, denn das hätte eine gesellschaftskritische Note - und das wäre nicht ökonomisch, das wäre nur radikal. Wie wir als Gesellschaft lebenswert bleiben oder wieder werden wollen, wenn wir uns weiterhin mit Gedröhne zupflastern, will Petersdorff gar nicht, nicht mal als rhetorische Frage, auf den Tisch bringen. Er gibt sich ökonomisiert. Probleme kann man mit Geld aufwiegen. Wo Lärm ist, da hilft kein Jammern, keine Gegenwehr, keine neuen Infrastrukturpläne oder Utopie, da muß man die Leidtragenden einfach zu Profiteuren machen, dann arrangieren sie sich auch mit dem Lärm. Petersdorffs Beitrag ist ein schaler Witz - er will unerträgliche Lebensumfelder nicht als solche bezeichnen; meint, mit Zahlungen lassen sie sich erträglich machen. Wer so argumentiert, ist der Ökonomisierung vollends verfallen.



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Der Tag, der unser Leben veränderte

Dienstag, 25. Oktober 2011

Die Welt ist nicht mehr so, wie sie einst war. Heute vor zehn Jahren hat sich unser aller Leben verändert. Das las man bereits vor fünfundvierzig Tagen - dies geschah aber verfrüht. Am 11. September vor zehn Jahren hat sich wenig in unser aller Leben verändert. Für die Familien der Toten schon - für die Skyline New Yorks auch - und auch für die Versicherungen, bei denen Schadensfälle eintrudelten. Aber für den Rest der Menschheit veränderte sich zunächst wenig - manche waren emotional verändert, aber letztlich lief der Rest der Welt wie eh und je geschmiert.

Heute vor zehn Jahren änderte sich etwas. Heute vor zehn Jahren erblickte der USA PATRIOT Act das Licht der Welt - die Mutter aller Anti-Terror-Gesetze, die in der westlichen Welt folgen sollten. Als der Kongress dieses Machwerk verabschiedete, dass uns nach Guantánamo und zu Waterboarding lotsen sollte, war es einer dieser historischen Augenblicke, in dem sich die Welt, wie sie war, aus unserer Realität verabschiedete. Sie war urplötzlich ein Tummelplatz von Terroristen, von sieben Milliarden potenziellen Terroristen. Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich nicht fürchten!, war die neue Losung - und der überwachte Bürger antwortete, dass er nichts zu verbergen habe. Dabei ist es nur gut, nur menschlich, dass es Dinge gibt, die man verbirgt. Persönliche Geheimnisse: plötzlich waren sie das Vorzimmer zum Terrorismus.

Nicht der 11. September war es, der unser aller Leben wandelte - es war jener 25. Oktober vor zehn Jahren. Vor diesem Tag hatte man unveräußerliche Menschenrechte, man war Bürger seines Staates - danach beäugten Staatsrechtler den Bürger mit einem Feindstrafrecht. Missliebige Bürger ernteten vorher vielleicht Zorn, Unflätigkeiten einiger dümmlicher Zeitgenossen - danach konnte es in Gewahrsam enden, auf der pittoresken Insel Kuba gar, fern jeglicher Bürgerrechte, fern jeglicher juristischen Beratung. Staaten der westlichen Welt nahmen sich ein Beispiel daran, fertigten sich ihren PATRIOT Act nach gegebenen Zuständen an. Terrorismusbekämpfungsgesetze, die nicht bindend in Gefangenenlager weisen, aber ein Klima des Misstrauens erzeugt haben, eine Überwachungsindustrie befeuerten und jeden Bürger zum personifizierten Verdachtsfall erklärten.

Dieser 25. Oktober, er war auch das Fanal zur Überwachung Europas. Anti-Terror-Pakete mit tollen Features erblickten bald darauf das Licht der Welt - Sieh her, Amerika, das ist unsere "bedingungslose Solidarität", die wir dir versprachen! Schnüffeleien aller Art wurden betrieben. Nicht gegen Terroristen: gegen G8-Gegner zum Beispiel - und gegen Parksünder oder Hundehalter, die den Kackhaufen ihres Wuschels nicht aufgehoben haben, wie das britische CCTV mittlerweile als scharfes Auge gegen Ordnungswidrigkeiten betrieben wird - oder gegen Leser, die Bücher ausleihen oder kaufen, die auf einem Index stehen. Telefone hört man ab, auf Festplatten greift man zu, über Militär mit polizeilicher Befugnis fabulierte man. Vor zehn Jahren änderte sich unsere Welt schlagartig. Aus Bürger wurden mögliche Verbrecher, das Gemeinwesen wurde zum Objektträger mikroskopischer Expertisen.

Nichts ist mehr, wie es einst war. Auch damit wirbt die Marketingstrategie des 11. September, die Überwachung und auch Kriege legitimieren soll. Diese werbewirksame Strategie des Terrors, die nicht die Welt veränderte, sondern die Gesetzgebung neu markierte. Es war auch nicht der Terrorismus, der unsere Welt veränderte - es waren die Schlüsse, die man aus diesem Anschlag zog, die alles anders machten. Am 11. September fand auch kein Anschlag auf die freie Welt statt - den gab es erst am 25. Oktober. Verübt wurde der vom Kongress, später von anderen nationalen Parlamenten. Nicht mit Flugzeugen verändert man das Gefüge des Zusammenlebens. Man verändert es mit Gesetzen. Keine Bande Terroristen, die mit Teppichmesser die Macht über Flugobjekte erwirken, können die Welt und unser aller Leben verändern - das können nur Parlamentarier, die mit Gesetzesentwürfen unter dem Arm geklemmt, die Unfreiheit, die Kontrolle, die Gesellschaft im offenen Vollzug verabschieden. Der wirkliche Terror gegen die freie Welt wurde ab dem 25. Oktober wirksam - vorher waren es nur Scharmützel an der Freiheit. Unfrei haben uns nicht Terroristen gemacht, diese Macht hätten sie gar nicht - unfrei haben uns die gemacht, die zu unser aller Wohle entscheiden sollten.

Männer und Frauen in Anzug haben unser Leben verändert. Keine Suren rezitierenden Fanatiker! Nicht der 11. September ist Gedenktag einer Gesellschaft, die in präventiver Lauerstellung lebt - der 25. Oktober ist es! Ein Gedenktag an die Zeit, da Diskretion (neumodisch "Datenschutz") noch ein wenig mehr galt. Stets wenn Daten erhoben, wenn Datenschutzrechte enthebelt werden, sollten wir an den 25. Oktober denken. Wenn sie Kontotransaktionen überprüfen wollen, um offiziell Terroristen zu entlarven, inoffiziell aber Hartz IV-Empfänger durchleuchten, dann sollten wir an den 25. Oktober denken. Wenn sie Arbeitsmarktdatenbänke ins Leben rufen und ihnen einen hübschen Frauennamen (Elena) verleihen, um das Volk flächendeckend zu erfassen, dann sollten wir an den 25. Oktober denken. Dann sollten wir an den Tag denken, der unser aller Leben nachhaltig veränderte...



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Wir haben es nie gelernt

Montag, 24. Oktober 2011

Ich entstamme einer vernachlässigten Generation. Einer, die es nie gelernt hat, sich politisch zu artikulieren - einer, der man es nie beigebracht hat, den Mund aufzureißen, zu protestieren, wenn es zu viel wird. Man hat uns vernachlässigt, hat uns gesagt, wir sollen immer schön brav mit sein, nicht gegen - sollen mitschwimmen, mitmachen, mitrudern. Aber bloß nicht zu rücksichtsvoll, vielmehr egoistisch mitmachen, dann klappe es besonders gut im Leben.

Ich, als Teil meiner Generation, kenne das kaum, dass Menschen protestieren. In den Achtzigerjahren war ich noch zu klein. Als Junge sah ich Menschenketten, aber keinen Sinn darin. Der Aufbruch der DDR-Bürger war Folklore für mich; weinende Menschen, weich gewordene Grenzer, ein adipöser Kanzlerkönig, der sich als Erlöser bejubeln ließ - für mich damals nicht zu verstehen. Der Junge, der das sah, er fand es schön, kitschig und sicherlich herrlich romantisch.
In den Neunzigern gab es keine nennenswerten Protestbewegungen. Der yuppie-Flair, der im Jahrzehnt zuvor nur das Benehmen einiger überheblicher Arschlöcher war, wurde nun zum Allgemeingut. Und das sah keinen Protest vor. Man war ja noch im Aufbruch, die Geschichte war beendet, das Schattenreich zu Boden gerungen. Menschenmassen kamen nur zusammen, wenn englische Prinzessinnen starben oder Geistesschwache aus mit Kameras und Mikrofonen bestückten Containern entlassen wurden. In diesen Neunzigern wurde ich sozialisiert - da wurde meine Generation und ich sträflich vernachlässigt.
Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts kam Missstimmung auf. Kleine Proteste. Im Ausland rabiater, hier gewohnt leise. Montagsdemonstrationen, die gegen Hartz IV protestierten. Eine regionale, höchstens eine nationale Erscheinung! Jahrelang habe man gearbeitet und nun Hartz IV, vernahm man von der Straße - diese Proteste waren spezifisch, nicht universell. Es ging nicht um Menschenwürde generell, sondern um die Würde derer, die jahrelang gearbeitet haben. Und dann Stuttgart - der Protest betuchter Schichten, der nichts von Protest gegen den Zeitgeist hatte, nur einem Bahnhof und seinen sich daran mästenden Profiteure geschuldet war.

Erstmals in meinem Leben sehe ich nun eine Bewegung, in der ich mehr wittere als Aktionismus oder ein laues Mütchen, das gekühlt werden muß in einem schattigen Park unter Kastanien. Einen universellen und globalen Protest. Ich mag mich irren, dann verzeihe man mir. Meine Generation hat wenig Ahnung in solchen Dingen, kann demnach durchaus falsch liegen. Doch erstmals scheint es, als formiere sich da etwas Weltbewegendes. Es geht nicht um Ästchen, die man dem System zurechtstutzen möchte, man tätigt sich am Wurzelstock, der schon erbärmlich nach Zersetzung mieft. Eine Internationale der Vernunft und des Anstandes scheint sich nun zu konstituieren - das muß nicht alles von Erfolg beschert sein, aber es ist von Idealen beseelt. Von universellen Idealen und von globalen Visionen.

Meine Generation ist eine Generation von Anti-Bewegungs-Säuglingen. Wir kennen Protest entweder gar nicht oder nur als süffiges Spektakel - noch dazu oft genug waren nur wenig fruchtbare Gründe ausschlaggebend. Vor unserer Zeit, da gab es noch dieses Flair, sich nicht auf der Nase rumtanzen zu lassen. Aber da waren wir noch der fromme Wunsch oder der hoffentlich nie eintretende Alptraum unserer Väter - im Jahrzehnt unserer Werdung dämpfte man die Protestkultur bereits. Der Demonstrant, er wurde ganz einfach der Fraktion zugesellt, die im Namen der Roten Armee Attentate verübte - man war plötzlich Terrorist, wenn man wutentbrannt die Straßen bevölkerte. Noch die Anti-AKW-Bewegung hat das mehr als eine Dekade später verspürt - nur davon wissen wir als Generation nichts. Wir stehen vor einem unentdeckten Land, wenn wir nun sehen, dass die Unzufriedenheit nun eine globale und generalisierte Dimension annimmt.

Vielleicht wankt das, was da seit den Neunzigern verstärkt die Wirklichkeit wird, doch noch einmal - das, was in dem Jahrzehnt geschah, da sich meine Generation sozialisierte. Dabei ist wahr, dass wir uns nie sozialisierten - man asozialisierte uns; man brachte uns bei, dass Egoismus immer, immer, ja immer gesund sei. Was des yuppie-Arschlochs Style war, sollte in diesem Jahrzehnt uns allen ideologisch in den Arsch gestopft werden. Die Kommunikationsrevolution, neue Techniken schienen dem neuen Weltbild recht zu geben. Der zornig "demonstrierende Mensch", dieser homo iratus, er war der vergangene Mensch, die personifizierte Peinlichkeit aus Jahrzehnten, die wir nicht oder nur im Nebel kindlicher Wahrnehmung erlebten. Wir verlachten ihn; wir nannten ihn irgendwo auch Spinner, wir wollten anders sein als diese stets betroffenen, stets anteilnehmenden Gemüter.

Weiterentwickelt hat sich unsere Generation wenig. Einzelne aus ihr schon. Man wurde älter, man las, man überdachte, geriet selbst in Not und Springfluten des Lebens und ruderte sich frei. Manche zogen daraus ihre Lehren. Einige verschärften die Asozialisierung; andere revidierten ihr Weltbild und verstanden plötzlich, im falschen Leben ist nichts richtig. Man musste nichts von Adorno wissen, um das ganz tief in sich zu fühlen. Dann Protestchen hie und da, die aufflammten - wie eben beschrieben. Fremde Erde für unsere Jahrgänge, für uns Kinder der Achtziger und Jugendliche der Neunziger. Und nun dieses Ding, dieses weltumspannende Okkupieren, diese Rückkehr der Utopie - und wir fühlen uns wie Strickpullovierte beim Anti-AKW-Protest.

Für uns ist das irgendwie schwer; ich glaube, meine Generation blickt erst verstohlen um sich, bevor sie sich protestierend dagegenstemmt. Eigentlich müsste sie von der Generation nach uns, die diese zögerliche Protestchen-Kultur des angehenden Jahrtausends in ihrer Sozialisierungsphase erlebte, da wir bereits asozialisiert waren... eigentlich müsste diese jüngere Generation uns an der Hand nehmen, uns leiten. Uns hat man den Geist des Unmuts aus dem Leib gezüchtet; wir sind zu Ja-Sagern erzogen worden. Wir müssen erst lernen, wie das so ist, wenn man gut sichtbar die Schnauze voll hat.



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Haltet mir das Mitleid vom Hals!

Freitag, 21. Oktober 2011

Tritt wieder mal der Fall ein, dass ein schlechter Mensch, der ehemals Diktator oder Terror-Pate war, erschossen wird, ohne einem Gerichtsverfahren, vielleicht sogar einer internationalen Gerichtsbarkeit, überführt worden zu sein, so argumentiert man zuweilen sachlich, warum zweiteres sinnvoller gewesen wäre. Schuld und Sühne, werden bemüht - und der Anspruch der Demokratie, jeden einen fairen Prozess zu ermöglichen. Justitia sei auch gegen Tyrannen blind. Im aktuellen Falle, da man sah, wie Gaddafi zu Tode gebracht wurde, kommt noch etwas hinzu, was sich nicht sachlich begründen läßt.

Man sah den ehemaligen guten Freund des Westens, wie er blutüberströmt, noch lebend gefangen wurde. Man sah, wie er sich wehrte, wie sie ihn trieben, schlugen, die Todesangst las man an seinen Augen ab - man sah, wie sie diesen Menschen geifernd vor Hass in ihrer Macht hatten. Man sah diese Bilder. Man weiß was dieser Mensch getan hat, dass er Menschen über die Klinge springen ließ, seinen Geheimdienst drakonische Strafgerichte über Regimegegner erlaubte - das ganze Programm der Tyrannei, das in der westlichen Welt aber gerne verschwiegen wurde, seitdem Staatsmänner und -frauen zum Händeschütteln und Geschäftemachen über das Mittelmeer flogen. Man sah diese Bilder, die verwackelt einen kurzen Augenblick der Ausgeliefertheit eines Menschen in der Masse irre hassender Menschen zeigen - man sah diese Bilder dann nicht mehr nur, man entfloh der Anonymität des Man. Man wurde zum Menschen. Als Mensch sah man diese Bilder. Als Mensch sah man, was einem Menschen angetan wurde.

Es ist widerlich, was mit diesem ehemaligen Machtmenschen geschah. Es ist so unglaublich dreckig, beschämend, ein Offenbarungseid der menschlichen Rasse - was empfand ich, als ich das erstmals sah? Den Ekel, den ich eigentlich für Gaddafi verspürt hatte, er wich augenblicklich. Ich forschte in mir. Was ist da in mir für ein Gefühl?, fragte ich mich. Warum begreife ich das nicht als gerechte Strafe? Mein Gefühl war Mitleid. Ich wollte nicht, aber ich hatte urplötzlich Mitleid mit diesem Mann, wie er da seinen gnadenlosen Häschern ausgeliefert war, ohne auch nur den Hauch eine Chance zu haben. Gaddafi, den ich sicherlich nie geschätzt hatte, erntete von mir, was er nie zuvor erntete: Mitleid! Ich war ihm in diesem Moment als Mensch zu Mensch nahe; gerne hätte ich dem Mob Einhalt geboten. Einen Tyrannen so verteidigen zu müssen: das ist ein emotionaler Skandal. Ich will kein Mitleid mit Despoten haben müssen!

Es gibt so viele gute Gründe, einen solchen Menschen vor einen Richter zu führen. Viele! Gute Gründe; sachliche Gründe; intellektuelle Gründe. Einer sollte das Heer an Gründen aber bereichern: um unser aller Mitleid nicht einem solchen Menschen zu sichern. Vor den Richter mit solchen! Damit man kein Mitleid haben muß mit einem, der ausgesprochen wenig Mitleid hatte mit seinen Opfern... ich will kein Mitleid mit so einem haben; verurteilte ihn ein Richter zu lebenslanger Haft, ich hätte keines - aber so... man muß sich echt schämen. Nicht weil man Mitleid hat, sondern weil sie machten, dass man es haben muß.



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Ridendo dicere verum

"Man hatte dringend davon abgeraten, den Wald abzuholzen. Das Ministerium bestand darauf aus wirtschaftlichen Gründen. Ein halbes Jahr später begrub eine Geröll-Lawine den darunterliegenden Ort.
Der Minister erschien anlässlich des Treffens der bayrischen Bahnbesitzer und nahm dazu Stellung.
Er würdigte eingangs
führte dann aus
legte Wert auf die Fragestellung

wobei er besonders betonte
warnte ausdrücklich vor
vergass nicht, darauf hinzuweisen

dass er durchaus die Meinung vertrete

was ihn nicht daran hindere

an alle den Appell zu richten
fügte sofort hinzu
verleih seiner Hoffnung Ausdruck
bekräftigte ergänzend

räumte allerdings ein
bezweifelte
erinnerte aber
wobei er jeden Zweifel ausräumte

wies nocheinmal ernst darauf hin

und dann energisch zurück

Von 21 Uhr bis 22 Uhr 30

untermauerte er seine Ausführungen."

- Dieter Hildebrandt -

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Schöne neue Bücherwelten

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Der elektronische Fortschritt ist einnehmend, kann verhexen. Jedoch bleibe ich dabei: die vordringlichste Erfindung waren, sind und bleiben gebundene Papierbögen - auch Buch genannt. Doch ausgerechnet dieses sieht man bei Spiegel Online als lebensgefährlich an. Das alles hat es schon ähnlich gegeben. Man hat Bücher auf Indizes gesetzt oder den Flammen überstellt. Schließlich waren sie gefährlich oder entartet, was nur eine speziell kleinbürgerliche Benennung für gefährlich war. Heute erklärt man Papier für gefährlich, weil es die Fortentwicklung, das Lesen ohne Faserstoffe und Leimung, beeinträchtigt.

Parallelgesellschaft - nicht entweder oder

Das e-Book wird sich durchsetzen, lautete die frohe Kunde, die die Frankfurter Buchmesse und die ihre Messe-Feuilletonisten, diese Messdiener des Literaturkommerzes, proklamieren. Eine Frage der Zeit sei es nur. Denn es sei "eine Frage der verfügbaren Technik und auch der von klein auf erworbenen Gewohnheiten", wie Spiegel-Mann Stöcker weiß. Der stete Fortschrittsglaube, der uns als Gesellschaft seit dem Nachkrieg begleitet, mal optimistischer, mal semi-optimistischer, läßt solche Vermutungen, die sich zur Gewissheit steigern, natürlich erklären. Aber dies scheint zu einfach, ja zu brachial progressiv gedacht - es ist so gedacht, als sei das Buch, dieses griffige Stück Lesbarkeit, das im Bett wie am Klo problemlos gelesen werden kann, das man umklappen, mit Eselsohren markieren, in das man schreiben, notieren kann... es wird also so gedacht, als sei das Buch das Vergangene, das durch das Neue ersetzt werden muß. Dass elektronische wie papierliche Medien in einem Kosmos nebeneinander existieren können und müssen - und vielleicht auch werden -, kommt im Katechismus der Fortschrittsmissionare gar nicht vor.

Die Parallelgesellschaft von Papier und Pixel liegt eigentlich auf der Hand. Beide Spezies' bieten Vorteile, beide haben Nachteile. Wie so oft im Leben. Das gilt für Buch wie e-Book, für Brief wie e-Mail oder e-Brief, für Zeitungen wie Blogs. Der elektronische Auftrieb, den wir irrtümlich als Fortschritt bezeichnen, gleichwohl wir nicht wissen, wohin wir fortschreiten, gleichwohl wir nur die positiven Aspekte in unsere schnelle Wertung einfließen lassen... dieser elektronische Aufwind, er ist nicht der Mörder des antiquierteren Verfahrens. Sollte er jedenfalls nicht sein! Die Vorzüge des Buches klangen ja bereits oben an, als ich vom Klolesen schwärmte. Das Buch erlaubt es, dass selbst aus Mann oder Heine Scheißlektüre wird - das e-Book, dieses starrige Brett, verbietet das. Es genehmigt andere Vorzüge. Schnelles Finden von Passagen, keine Eselsohren, kein mühevolles Abschreiben, dafür copy and paste. Das ist nützlich und hat Berechtigung, aber das Buch es... es bleibt Buch, womit ich meine, fast alles gesagt zu haben. Fast...

Denn ich könnte nun noch einige Romantizismen einstreuen. Vom Lesen kann man als leidenschaftlicher Leser nicht nur rationell schreiben. So soll es sein - die Romantik des Buches bittesehr...

Bücher riechen, atmen, leben auf ihre Weise. Als ich vor Jahren Camus' Die Pest auf einem Flohmarkt erstand und auf der ersten Seite die Widmung einer Enkelin an ihren Großvater fand, eine Widmung vom Januar 1990, da ahnte ich, dass dieses geleimte Papier schon ein emotionales Vorleben gehabt hatte. Umso mehr, da unter der Widmung stand, dass der Opa bereits Ende 1991 verstarb - womit das Büchlein zurück an die Enkelin ging.
Und dann ist da noch die Romantik, die ich als Autor empfinde, wenn ich das Paket noch druckfrischer, warmer Autorenexemplare öffne. Mein Buch in meinen Händen - da hält man ein Stückchen Sichselbst fest. Als mich dereinst derjenige ansprach, der meine Texte gerne "verbucht" sehen wollte: ich kann dieses Gefühl aus Spannung und Glück kaum beschreiben. Wäre diese von mir vorgebrachte Romantik kitschiger, ich würde schreiben: magischer Augenblick! - ich tue es aber nicht. Ich erinnere mich an die ersten Zeilen, die er mir schrieb. Ich strahlte, ich war in diesem Augenblick glücklich. Ein Glück, so weiß ich heute, das ich so nicht mehr erleben werde; zuzusehen, wie aus Nichts etwas entsteht, von dem man träumte: das ist nicht kopierbar. Die Aussicht, ein eigenes Buch schreiben zu dürfen, das dann auch gedruckt wird: ich glaube, solche Freuden werden elektronische Medien einem Autoren nie bescheren. Doch was zählt schon Autorenglück...
Argumente, nehme ich an, auf die es nicht ankommt in einer Welt, die Effizienz liebt, nicht die Romantik; die nicht die Poesie des Gegenstandes wahrnimmt, sondern nur seinen Nutzen.

Die proklamierten Vorteile, sind die größten Nachteile

Die Geschäftsleute, die das elektronische Lesen anfeuern, werben damit, dass das e-Lesen interaktiv sei. Kinder könnten anhand des e-Buchs lesen und handeln - alles gleichzeitig. Auf der Buchseite bewegt sich dann das Häschen, von dem das Kind eben las. Und wer weiß, vielleicht spricht es sogar und nennt den kleinen Leser beim Namen. Nette Features. In einer kritischeren Zeit hätten kritischere Pädagogen aber gewarnt. Reizüberflutung! hätten sie gerufen. So lernt man nicht, sich zu konzentrieren, man lernt nicht, seine Phantasie einzusetzen. Der Lernfaktor, der hier groß beworben wird, er ist nichtig. Es gibt ihn schier nicht! Ich erinnere mich, dass es zu meiner Kindheit ein ähnliches aktives Lesen gab. Mein Bruder hatte einen Buch mit elektronischem Stift. Im Buch standen Fragen wie Welches Tier miaut? und dann waren da Bilder mehrerer Tiere. Führte man den Stift auf die Katze, so piepste er zustimmend und es leuchtete zusätzlich ein wohlwollendes grünes Lämpchen auf. Dasselbe in Rot, wenn man die Stiftspitze auf Schwein, Huhn oder Traktor drückte. Den Stift fand mein Bruder sensationell. Piepsen, Lichter - das gefiel diesem kleinen Menschen ausgesprochen. Das Wesentliche aber, das Lesen und Erfassen, das hat das Kind nicht erreicht. Wesentliches ausklammern, an Randerscheinungen rumwursteln: das ist irgendwie sozialdemokratisch - und bei denen landete er dann auch. Ich hätte es vorher wissen können, denn der Zauberstift flackerte sein schönstes Sozialistenrot, wenn er ihn quer über Nase und Wangen zog.

Die Stärke des neuen Mediums ist die eigentliche Schwäche. Das e-Book kann natürlich ohne Ausstattungen umgesetzt werden. Fraglich ist bloß, ob man trotz der technischen Umsetzbarkeit so asketisch bleiben wird. Was es für die Kindesförderung bedeutete, wenn das Buch verschwände und durch einen Totalitarismus des motion book ersetzt würde, ist nicht schwer zu prognostizieren. Die Konzentrationsfähigkeit ließe nach. Hat sie doch heute schon, weil das Bücherlesen Rarität geworden ist. Das bisschen Lesen, das es heute noch gibt, wird aber dann durch interaktives Erlebnis-Lesen ersetzt. Von der Phantasie, die nie lernen wird, auf ihren Füßen zu stehen, und die uns peu a peu auch als Gesellschaft verloren geht, ganz zu schweigen.

Einsame Geistesleistung, kein Massenspektakel

Lesen wird zum Event, ist kein Ausschnitt aus einem vita contemplativa mehr - man würde gar nicht mehr lesen, man würde das Lesen erleben. Das sagt alles aus: Erlebnisse kann man über sich ergehen lassen - einen geistigen Akt, der das Lesen aber ist, den muß man selbst bestreiten. Es ist sicherlich klischeehaft, nun eine Rede von der geistigen Abstumpfung im Munde zu führen. Aber falsch ist sie deswegen nicht. Das e-Book in einer Welt voller e-Books, es würde geistige Leistungen weiter abtöten. Und es wird ja berichtet - ich weiß nicht, ob ernst oder spaßig -, dass das e-Book sogar spannende Stellen markiert, damit der Leser nicht mal mehr selbst erfassen muß, wann eine Passage es ist und wann weniger. Der Leser braucht gar nicht mehr ins Lesen abtauchen, er kann abtauchen lassen - wenn es denn wirklich stimmt; aber gut erfunden wäre dieses Szenario auf jeden Fall. Neil Postman schreibt über die Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie, dass die Menschen zu Abraham Lincolns Zeiten noch die Konzentration aufbrachten, einer politischen Debatte stundenlang zu folgen. Postman berichtet von Wahlkampfschlachten, die Stunden andauerten, aber die Zuhörer harrten aus und lauschten. Das wäre bereits heute undenkbar - eine rein elektronische Bildungswelt mit allem Schnickschnack, mit Leuchten, Piepsen, Rascheln, mit Pop-Ups und Bannern, mit Geflackere und Gesumme, sie würde der gänzlichen Abstumpfung Vorschub leisten und Generationen heranziehen, die nie gelernt hätten, dass Lesen ein intellektuelles Unterfangen ist. Ein einsamer Akt auch, den der Leser in seinem Kopf zu gestalten hat - kein Massenspektakel mit massigen Features und der interaktiven Verbundenheit mit der vernetzten Welt, wo man zwischen zwei Sätzen ein Guckloch in die Welt hinaus hat.

Und ob jemand, der nie gelernt hat, das Gelesene für sich alleine zu begreifen und auszuwerten, jemals kritisch zu denken vermag, bleibt an dieser Stelle nur ein Gerücht. Dem elektronischen Fortschritt kann man nicht im Wege stehen. Er bietet ja zweifelsohne auch Vorteile. Gerade bei der Recherche, beim Zitieren, wenn man mal schnell eine Passage sucht, die man irgendwann gelesen hat und die man nur noch ungefähr im Kopf hat. Aber die Parallelgesellschaft von Papier und Elektronik, sie muß gewahrt bleiben - und da das Buch auch viele Vorteile aufweist, bin ich mir dessen sicher, dass es genau so kommen wird...



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Halbe Darstellung und falsche Verbündete

Dienstag, 18. Oktober 2011

Ob in der Tagesschau oder bei Springer, im Spiegel oder bei heute: alle erklärten sie, dass es am vergangenen Samstag die Menschen weltweit nur deshalb auf die Straßen gezogen hat, weil eine unbändige Wut auf die Finanzwirtschaft in ihnen gärt. Vulgärer sprachen manche Qualitätsmedien von der Gier der Banken, die die Occupy-Bewegung formierte. Vornehmer ausgedrückt schob man die Rekapitalisierungsabsichten und - vorhaben als Protestmotiv vor. Doch das ist nur ein unzureichendes Erklärungsmuster.

Verknappung der Motive geht am inhaltlichen Kern vorbei

Die Leute okkupierten aus mehreren Gründen öffentliche Plätze. Die letzten Ereignisse rund um das Banksterwesen waren die Tropfen, den den Bottich überlaufen ließen. Aber der war schon reichlich angefüllt. Der Bottich war schon vormals übervoll an Wut über die Fratze, die der Kapitalismus, auch als freier Markt bekannt, zeigte. Es waren ja nicht Banken, die rationalisierten, Personal abbauten, für den Profit jede Verantwortung aufgaben, Standorte wechselten, Subventionen kassierten, ohne der Gesellschaft etwas dafür zurückzugeben, Arbeitsbedingungen sukzessive verschlechterten. Das alles wurde natürlich durch die Spekulativwirtschaft forciert - aber ausführende Organe waren die Konzerne, die zu allem Überfluss auch noch ihren Lobbyisten den Auftrag gaben, in den Hauptstädten für moderate Steuersätze zu sorgen. Das alles, so hat man jahrelang proklamiert, geschähe nur zu unser aller Wohl. Das schaffe nämlich Wachstum und damit einen Aufschwung und somit Arbeitsplätze und Wohlstand. Geführt hat das alles nur zur Entmenschlichung, zu fehlenden Zukunftsperspektiven, hat Arbeitnehmer aus Furcht noch flexibler und mobiler gemacht und Arbeitslose aus Perspektivenmangel illusionslos. Das alles mündete in eine Gesellschaft, die sich rein auf Kosten und Nutzen fokussiert hat. Und es hat eine ganze Branche aus dem Boden gestapft, die den unzufriedenen Menschen Optimismus und positives Denken vermitteln soll - genug fühlen sich durch dieser Optimistenterror verarscht.

Der Kern der Proteste war und wird sein, dass die Menschen eben nicht nur den Banken ans Schlafittchen wollen, sondern diesem Kapitalismus, wie er sich unter neoliberaler Ägide zeigt. Sozialismus ist nicht mal deren Ziel, darf man annehmen - man nenne das Ding wie man will, deretwegen auch Kapitalismus mit menschlichem Antlitz, wenn das überhaupt möglich ist. Sie wollen hauptsächlich nicht mehr die bloße Verfügungsmasse vermeintlich höherer Interessen sein, sondern freie Entfaltungsmöglichkeiten haben, freie Individuen sein, die ein Recht auf eine halbwegs freie Zukunftsgestaltung haben. Die Menschen schwappen nicht nur auf die Straßen, weil Banken asoziale Methoden anwenden, die gegen das Allgemeininteresse stoßen. Das ist ein Motiv - aber nicht das Motiv. Es war das i-Tüpfelchen, das nun endlich zum Protest führte. Es geht um generelle Rehumanisierung der Ökonomie - es geht gegen eine ökonomische Höllenfahrt, bei der menschliche Schicksale fatalistisch mit in den Schlund gerissen werden. Eine Höllenfahrt, die nicht nur Banken und Börsen bereiten, sondern Konzerne und deren Lobbyverbände - es geht gegen deren Menschenbild, nach dem der Mensch nützlicher Erfüllungsgehilfe des Produktionsablaufs zu sein hat, um einen kleinen Happen Würde erhaschen zu dürfen.

Verknappung der Motive erzeugt gefährliche Verbündete

Zudem wurde berichtet und von so genannten Fachleuten unterstrichen, dass nicht nur ordinäre Bürger Unmut entwickelten. Auch die Wirtschaft, die Vertreter großer Unternehmen, hätten mittlerweile einen dicken Hals wegen der Banken, die uns alle - arm wie reich, ganz unten wie ganz oben - ins Unglück katapultieren würden. Selbst Politiker, die jahrelang im Sinne dieser Unternehmen Gesetze verabschiedet haben, die uns als Solidargesellschaft zerstört haben, sprachen mehr oder minder verstohlen den Protestlern ihre Solidarität aus. Mindestens aber erklärten sie, sie könnten den Protest nachvollziehen. Bei einem Protest, der als nur gegen Banken gerichtet dargestellt wird, gesellt sich das Entrepreneuriat doch gerne dazu.

Diese überraschenden Befürworter der Proteste tun nun also so, als sei alles der Finanzwirtschaft in die Schuhe zu schieben, als seien sie jahrelang lediglich Getriebene der Banken gewesen. Es wird reichlich eng im Waschbecken, in dem Hände sich in kühlster Unschuld geschrubbt werden. Es sind gefährliche Befürworter, die Occupy! da erfährt. Wölfe, die flauschigstes Lammfell um ihren Korpus gerafft haben. Sollten sich diese Pharisäer an die Spitze der Bewegung setzen, so kanalisieren sie den Kernantrieb der Bewegung. Das, was die Unzufriedenen zum Protest treibt, es würde unter Leitung empörter Unternehmer nicht angetastet. Bankenkontrolle würden sie sicherlich forcieren - auch ganz zu ihren Gunsten, versteht sich. Aber die eingeforderte Fairness, die Humanisierung, die man der Wirtschaft abnötigen möchte, das alles ist dann kein Thema mehr. Denn mehr als die Banken sind es seit Jahren die Großkonzerne und ihre Subunternehmen und Unternehmenstöchter, die den mobilen, flexiblen, allzeit sklavischen Arbeitsmenschen ohne Zukunftssicherheit züchteten. Sie haben die völlige Anpassung des Menschen an die Wirtschaft propagiert. Das haben auch hohe Bankster - aber die waren es nicht alleine...



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Veteranengeschwätz

Montag, 17. Oktober 2011

Über Wulff kann man ja sagen was man will. Dass er trantütig ist, langweilig, eine Sprachrhythmik besitzt, die in Tierschlaf versetzt - dass er so viel politischen Gehalt hat, wie Mineralwasser Alkohol - dass seine anonkelnde Art tapsig und gekünstelt wirkt. Das alles kann man über Wulff sagen. Aber dann muß man fair sein und nachschieben: Er ist der beste Bundespräsident, den wir, gemessen an den realistischen Chancen, die es damals zur Bundesversammlung gab, haben können. Sein damaliger Kontrahent, er konsolidiert mit seinen Ansichten und Frechheiten, die er so in der Presse verbreitet, mehr und mehr die Präsidentschaft Wulffs. Er gebiert aus dieser blassen Belanglosigkeit, die sich Christian Wulff nennt, einen Glücksfall. Letztlich muß man als Bürger auch noch froh sein, einen wie Wulff als Bundespräsidenten zu haben - besser als der andere, den damals Sozialdemokratie und Grüne ins Rennen schickten, ist er allemal.

Der findet nämlich die Occupy-Proteste "unsäglich albern" - romantische Vorstellung, eine andere Welt zu fordern, meint er ganz Snob. Dann folgt, was immer folgt bei Joachim Gauck: seine geballte Lebenserfahrung, die er als Keule gegen diejenigen benutzt, die in der Bundesrepublik nicht täglich ein Hosianna! frohlocken. In dem Land, in dem er lebte, da waren Banken besetzt und nichts war besser, erzählt er trocken. Er habe ja damals in einer Diktatur gelebt - er habe somit damals jedes Recht zum Protest gehabt. Damals gab es Protestberechtigung - heute aber...

Das ist die zeitgenössische Verklärung, die nun bei Menschen aus dem ehemaligen Warschauer Pakt häufiger aufzutreten scheint. Der ungarische Musiker Leslie Mandoki biederte sich beispielsweise vor einiger Zeit bei der Kanzlerin an, immerhin seien beide doch Menschen, die die Diktatur erlebt haben - manche haben das sicherlich ganz drastisch, aber die Schlussfolgerungen solchen Veteranengeschwafels sind unbegreiflich arrogant. Sie lauten nämlich: Wir haben das Elend und die Ungerechtigkeit gesehen, aber ihr, die ihr hier schon immer im feinen Westen lebt, habt keine Ahnung davon - und daher sind Demonstrationen nicht gerechtfertigt, weil euch geht es noch gut. Seid zufrieden mit dem, was ihr habt. Das sind diktatorische Leviten, die man liest - demokratisch ist das jedenfalls nicht. Hervorgehoben sei noch, dass man einräumt, es ginge uns noch gut - im Westen sollte man nach dieser veteranischen Sichtweise erst protestieren dürfen, wenn es schon zu spät ist.

Gauck sieht es ganz genauso. Demonstrationen waren das Vorrecht von DDR-Bürgern. Aber das natürlich auch nur innerhalb der DDR. Und die gibt es nicht mehr, womit es auch keinen Grund mehr gibt, zu demonstrieren. Er ist arrogant genug um anzunehmen, dass das Paradies Bundesrepublik die Hölle des Ostens getilgt hat. Wer aus dem Paradiese heraus jammert, dem sollte man mal die Hölle vor Augen halten - dem sollte man mal erklären, wie gut es ihm heute noch geht. Gauck klingt wie manches Großmütterchen, das verächtlich die Nase rümpft, wenn es liest, dass im heutigen Deutschland Menschen hungern müssen oder an materiellen Notstand leiden - es hat damals doch auch und viel mehr hungern müssen; damals nach den langen Bombennächten. Was hätten wir denn damals gesagt?, fragt es. Wir haben doch nichts gehabt - überhaupt nichts! Als ob es irgendwie sinnvoll wäre, Hungernde gegeneinander in Stellung zu bringen... als ob es sinnvoll wäre, Unzufriedenheit zu kategorisieren in berechtigt oder unberechtigt.

Solches Veteranengeschwätz ist das Geschäft des Joachim Gauck. Dieses deklariert er allerdings als Freiheitsreden. Denn er war dabei, er ist ausgewiesener Fachmann in Sachen Freiheit. Seine Meinung ist verifiziert - wer anders denkt, wer sein Gerede und das seiner ideologischen Brotgeber als arrogante Beredsamkeit entlarvt, der ist eben "unsäglich albern". Der Mann versteht von Freiheit jedoch nichts, sonst würde er auch anderen Generationen, anderen Zeiten, anderen Orten das Recht zubilligen, frei zu demonstrieren - Geschichte wiederholt sich nicht, Protestgründe somit auch nicht. Würde er in einem kurzen Augenblick plötzlich befreit aufdenken, so müsste er erkennen, dass er derselbe verbohrte Ideologe geworden ist, wie es seine damaligen Gegner in der DDR waren. Denen hat er damals genau diese Halsstarrigkeit zum Vorwurf gemacht. Würde man ihn aber wirklich mal öffentlich als Dampfplauderer entkleiden, er würde vermutlich reagieren, wie es viele Veteranen tun: entrüstet, mit der moralischen Verurteilungskraft gegenüber denen, die damals nicht dabei waren... wie kann man nur an den Worten dieses letzten großen Freiheitsphilosophen zweifeln?

Gauck wäre ein Präsident der Banken geworden, muß man letztlich ganz realistisch annehmen. Man stelle sich nur vor, wie unerträglich es gewesen wäre, hätte er als oberster Mann des Staates Proteste dieser Form als albern verunglimpft. Durch Horst Köhler, den treuherzigen Neoliberalen, hatte das Amt großen Schaden genommen - der Veteran Gauck, der die Bundesrepublik als Hort allen Glückes darstellt, hätte das Amt völlig unmöglich gemacht. Wulff tut nicht viel dafür, um das Amt wieder zu einer moralischeren Institution zu machen. Er hält viel den Mund: das dürfte sein Alleinstellungsmerkmal sein. Es gehört viel dazu, jemanden wie Wulff annehmbar zu machen - Gauck schafft das immer wieder punktgenau. Weil es Gauck als Präsident nicht gibt, wissen wir erst, was wir an Wulff nicht haben...



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De auditu

Deutschland im Herbst. Blätter fallen - und traditionelle Herbstbegriffe. Einer davon lautet Linksterrorismus. Der ist auch jetzt wieder in aller Feder. Das ist seltsam, denn einen Rechtsterrorismus, den gibt es, von dem liest man nicht. Ein solches Wort stapft nicht durch die Gazetten, durch die Nachrichten. Der Terrorismus ist eine linke Angelegenheit. Fahndet man per Suchmaschine im Internet danach, so finden sich 112.000 Einträge linksterroristisch, aber weniger als 26.000 rechtsterroristisch. Es gibt Rechtsextreme, bloß keine Vertreter des Rechtsterrorismus.

Nun hat der Begriff des Terrorismus eine Wandlung durchgemacht. Terror war dazumal eine Herrschaft, die der Staat manchmal gegenüber seine Bürgern walten ließ, damit die furchterfüllt parieren. La Grande Terreur 1793/94, leninistisch-stalinistischer Terror, Nazi-Terror! Heute richtet sich der Terror gegen den Staat, kommt nicht mehr von ihm und seinen Vertretern - jedenfalls nicht offiziell. Demzufolge definieren sie, was Terror ist und was weniger. Terror klingt immer auch nach Strukturen, nach Plänen, nach Aufmarschplänen genauer, nach Kalkül - kurzum, danach, dass es eine organisierte Gewaltbereitschaft ist. Das traut man "den Linken" zu - "den Rechten" aber nicht, gleichwohl viele von ihnen in Parteien organisiert sind, in Burschenschaften und Vereinen. Dennoch verleiht man ihnen nicht die terminologische Organisationsbefungnis. Wenn sie einen tristen Herbsttag mit dem Verprügeln eines Türken oder Afrikaners beschließen, dann haben sie das nicht organisiert und durchdacht, dann haben sie eine Gewalttat begangen, vielleicht sogar eine Affekthandlung.

Deshalb gibt es auch Opfer linken Terrors und Opfer rechtsextremer Gewalt. Wenn Terror nach Organisation klingt, so suggeriert Gewalt Einzelfall oder Verfehlung. Das Opfer linken Terrors ist Opfer einer strukturierten, organisierten Bande - das Opfer rechtsextremer Gewalt ist bedauerlicherweise das Opfer eines chaotischen, ungeordneten Haufens. Der Linksterrorismus ist einer verworrenen Ideologie entsprungen, womit Opfer dieses Terrors auch immer Opfer ideologischen Wahns sind - der Rechtsextremismus ist nur das Resultat einiger vergaloppierter Außenseiter, die mit ihrer Zeit nichts besseres anzufangen wissen, womit das Opfer des Rechtsextremismus auch immer das Opfer der Langeweile dieser Leute ist. Extremisten mit extremer Langeweile. Keine Terroristen, Extremisten eben - ein bisschen extrem in ihrer Weltanschauung, hört man da beschwichtigend heraus. Der Begriff Terrorismus beschwichtigt hingegen gar nichts, er läßt in Feindrecht-Kategorien denken.

Diese Trennung zwischen Linken und Rechten, die Straftaten begehen, kaschiert zudem eine wesentliche Komponente. Linke Straftaten verursachen weitestgehend Sachschaden - rechte Straftaten zeitigen Personenschäden. Kurios folglich, dass linke Straftaten Linksterrorismus sind, rechte Straftaten aber lediglich Rechtsextremismus. Da könnte man psychoanalytisch hinterfragen, ob eine konsumistisch-materiell ausgerichtete Gesellschaft zwangsläufig den Sachschaden für dramatischer erachten muß, als den Schaden an einem Menschen. Vielleicht wäre das ein Erklärungsansatz...




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Deutsche Bahn und die Brandstifter

Samstag, 15. Oktober 2011

Ein Lehrstück mit Lehre.
Keine Burleske von Max Frisch.

Und so nahm er mit Schmitz und Eisenring das Maß der Zündschnur ab. Dass sie Brandstifter waren, diese beiden Kuriositäten, das ahnte Gottlieb Biedermann sehr wohl. Aber er half ihnen bei den Vorbereitungen. Hat die Deutsche Bahn denen, die nun Brandsätze ans Liniennetz montieren gewissermaßen auch. Auf andere Weise wie Biedermann - und nicht nur die Deutsche Bahn, die steht hier nur statthalterisch für Deutsche Bank, EZB, IWF, für Europäische Union, für verdaxte und minder verdaxte Konzerne und für allerhand andere Organisationen... kurz, für ein ganzes Regime aus neoliberalen, streng marktapodiktischen Einrichtungen, die sich zu einem globalen Ökonomie-Totalitarismus verschmolzen haben. Deutsche Bahn ist, wie Biedermann, nur ein Behelf. Biedermann konnte als Ersatzmittel, als geselliges Äquivalent, für die tumbe Masse derer angesehen werden, die zwar hinglotzen, durch ihre dicken Brillengläser, aber dennoch nichts sehen - nichts sehen wollen. Deutsche Bahn steht hier für Rationalisierung, Effizienz, für Straffung, für Gesundschrumpfungen bis zur Krankheit, für Knapsen, Sparen, Zurückhalten, für privatisierte Service-Wüste, für Entmenschlichung, Verroboterung, für Standardisierung und Gleichschaltung... sie steht für ein System, das mit System ausbeutet und die Rendite zur Allmutter erhebt.

Der Vergleich verbietet sich freilich irgendwie. Biedermann gilt als literarische Verkörperung eines biedermeierlichen Kleinbürgertums, das die Zündeleien der nationalsozialistischen Eschatologie nicht sehen wollte und in dieser Erblindung dabei half, Zündschnüre abzustecken. Die Brandstifter, die am Schienennetz fuhrwerken, das sind fürwahr keine Hitleristen - nicht mal Terroristen, nur Straftäter im juristischen Sinne - und auch wenn wir deren Tat nachvollziehen können, so sind sie doch ebenfalls Straftäter im Sinne der Ratio. Der Vergleich verbietet sich abermals, denn der naive Gottlieb, der saß später mit Schmitz und Eisenring zu Tisch, rang ebenda um die Freundschaft und das Wohlwollen der beiden - das wird die Deutsche Bahn kaum tun. Sie säuft nur unter Ihresgleichen, Fraternisierung mit dem Klassenfeind, den man heute so nicht mehr nennt, weil man diesen Sprech außer Mode geraten ließ, kann es nicht geben. Nur dieses eine Bild, dieses vom Biedermann, wie er kniet, die Zündschnur schätzt und misst, die passt wie die Faust aufs Auge und der Brandsatz an die Schiene...

Die Deutsche Bahn, die wahlweise auch als Deutsche Bank, als EZB, EU oder Deutsche Börse AG, als DAX-Unternehmen, als INSM oder ifo, hätte bezeichnet werden können... die Deutsche Bahn also, in dieser Burleske Verkörperung dessen, was das Zusammenleben, das gemeinschaftliche Miteinander zersetzt, hat gezielt vermessen, wollte ganz genau wissen, wieviele Meter und Kilometer eine Zündschnur verträgt. Sie und ihre Spießgesellen haben sich ordentlich vermessen - und man war ordentlich vermessen anzunehmen, es würde immer so weiter gehen, ganz ohne Widerstand. Vielleicht geht es auch immer so weiter, wer weiß - aber ohne Widerstand nicht! Es kommt darauf an, was man mit widerständischen Subjekten tut. Als Terroristen sind die Brandsatzsetzer schon bekannt. Wann nennt man auch die so, die demonstrieren, die Okkupieren gehen, die endlich eine Abkehr von den Maximen neoliberaler Ökonomie fordern?

Das ist keine Verherrlichung der Brandstifter. Sie begehen eine Straftat - und wie wir es für unerträglich empfinden, wenn man politische Motive zur Grundlage staatsanwaltlicher Verfolgung macht, so unerträglich sollte es auch für den kritischen Geist sein, dass wir eine Straftat entschuldigen und straffrei durchwinken wollen, weil sie doch eventuell politisch inspiriert sein könnte. Wird man ihrer habhaft, dann ist im Sinne des Rechtsstaates, den wir andernorts als im Untergang befindlich wähnen, eine Bestrafung vorzunehmen. Aber verstehen kann man dennoch, woher diese Lust am Feuer kommt. Man kann es als Straftat identifizieren und dennoch feststellen, dass man das Motiv nachvollziehen kann. Gute und nachhaltige Polizeiarbeit verläuft genau so. Sie verfolgt die Straftat, will aber auch verstehen, warum es dazu kommen konnte. Und warum in diesem aktuellen Falle? Weil die Biedermänner mit den Schmitzens und Eisenrings Messungen, Kraftmessungen vornahmen - wieviel geht noch, wieviel verträgt das Fußvolk noch? Die Brandstifter wurden zu Brandstiftern, weil die Biedermänner sie inspirierten. Max Frisch hat seiner Burleske einen fehlerhaften Titel verliehen. Er hätte sie Biedermann ist der Brandstifter nennen sollen. Das hätte auch im Bezug zur Deutschen Bahn gegolten.

Wie voll die U-Hosen sind, merkt man deutlich. Sie nennen die Pyromanen Terroristen; sie lassen ihr Schreibpersonal in die Welt setzen, dass die Proteste, die sich nun formieren, merkwürdig seien; sie finden die Diabolisierung der EZB einseitig, weil der Teufel doch im Detail, das heißt: in jeder Bank, an jeder Börse, sitze. Sie erkennen nicht, dass die EZB Sinnbild, Surrogat ist, wie die Deutsche Bahn in dieser Burleske, die wir den Gazetten entnehmen. Das ist jedenfalls die Sprache voller U-Hosen; der Duktus der Furcht, bald schon U-Hosen in U-Haft wechseln zu müssen. Darf man das hoffen?, ganz kantianisch gefragt. Vermutlich kaum; schön und gerecht wäre es aber allemal. Die Brandstifter zu Berlin sind nicht das Problem - die größte Angst hat Bahn und Co. davor, dass die Menschen es verstehen, warum hier gefeuerteufelt wird. Dass sie verstehen, dass nur deshalb gebrandsatzt wird, weil an der Substanz unseres Zusammenlebens gebrandschatzt wird. Der Vergleich mit der RAF verbietet sich - jedoch verbietet er sich nicht gänzlich. Die RAF war gefährlich. Aber viel gefährlich war es doch, dass zu ihrer Anfangszeit ein breiter Konsens in der Bevölkerung darüber herrschte, dass da Menschen etwas tun, dass vielleicht nicht ganz richtig ist, aber eben auch nicht ganz falsch. Man hatte, kurz gesagt, durchaus Verständnis. Und dieses Verständnis, das verursachte bei den Machthabern pochende Kopfschmerzen.

War Frischs Biedermann und die Brandstifter noch ein Stück, das den Untertitel Ein Lehrstück ohne Lehre trug, so ist der zeitgenössische Tatsachenroman Deutsche Bahn und die Brandstifter durchaus ein Lehrstück mit Lehre. Könnte es jedenfalls sein. Es lehrt, dass man die Wirtschaft nicht entleeren kann um Kernaspekte wie Menschlichkeit, soziale und kulturelle Teilhabe, dass man sie nicht um ihrer selbst willen antreiben kann; es lehrt uns, dass eine Ökonomie, die für die Oberen Zehntausend (Sind es noch so viele?) angeworfen wird, den Widerstand zu einer gerechten Sache macht und den gewalttätigen Widerstand, wie jener der Brandsatzsetzer, zu einer Sache, die man verstehen kann; es lehrt, dass der schöne neue Mensch, wie man ihn uns medial aufbereitet, nicht gewillt ist, zum willfährigen Markt-Roboter zu werden, zum Humankapital, das man pressen und schälen kann, wie es den Profithaien gerade genehm wäre.

Spinner, die meinten, sie könnten den Kapitalismus an Gleis vierzehn mitsamt einer Regionalbahn vom Weg abbringen, die gab es immer. Dass man ihnen aber mit Verständnis begegnet, sie nicht a apriori mit Schimpf und Schande verurteilt: das ist die große Furcht - das war sie auch in den banlieus, als Mahgrebiner die französische Gesellschaft entlarvten - oder in London und anderen britischen Städten, als es dort rumste. Dieses Verständnis so weit wie möglich zu verhindern, das wird die wesentliche Aufgabe sein, die sich der amtierende Kapitalismus in den nächsten Monaten auf die Fahnen schreiben wird - inhaltlich kann er nicht mehr punkten; er kann die Empfehlungen und Forderungen seiner Kritiker nur als das größere Übel darstellen, um selbst akzeptabel zu bleiben. Und nur so verhindert er, dass er als eigentlicher Brandstifter enttarnt wird; nur wenn er die Brandsätze für unentschuldbar propagiert, kann er weiter brandschatzen...



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Der wichtigste Mann bei den Christsozialen

Freitag, 14. Oktober 2011

Leute beruhigt euch doch! Der Mann hat letztes Jahr vorgeschlagen, das Tragen von Burkas im Öffentlichen Dienst zu verbieten. Die Heere von Burkaträgerinnen, die öffentlich bedienstet arbeiten, waren natürlich empört. Wie Dienst tun ohne gänzlich verhüllenden Stoff? Aber wem erklärt man das - jeder von uns kennt schließlich Angestellte des ÖD in mondäner Burka! So einen Mann, der aus dem Nichts einen Verbotsvorschlag macht, der ungefähr so sinnig ist, wie das Untersagen von Lagerfeuern auf dem Grund von Baggerseen... so einen Mann kann man nicht mehr ernsthaft in die Verantwortung nehmen. So einer kann auch mal behaupten, es sei "alles rechtsstaatlich korrekt abgelaufen" - das schadet seinem Ansehen nicht. Er hat ja keines mehr - man nimmt ihn doch schon seit Jahren nicht mehr für ganz voll.

Aus dem Bilderbuch

Versammlungen und Demonstrationen hält er für eine höchst subversive Veranstaltung. Das bayerische Versammlungsverbot, das man CSU-intern gerne als Versammlungsgesetz bezeichnete, wuchs auf seinem Mist. Vorratsdatenspeicherung ist sein Steckenpferd - strenge Überwachung seine Leidenschaft. Für ihn scheint die Welt ein Tummelplatz des Bösen zu sein. Daher Verbotszwang, daher Überwachungsfetisch, daher die Freude an der Zerstreuung von Grundrechten. Die Gewalt geht vom Volke aus, liest man im Grundgesetz - dieser Satz macht ihm vermutlich Angst. Ein gewalttätiges Volk? Er setzt alles daran, die Gewalt aus dem Volke zu bekommen.

Er ist einer aus dem Bilderbuch. Einer? Ja, was eigentlich? Ein Konservativer? Schon irgendwie. Aber auch wieder nicht. Er will ja nichts bewahren oder erhalten, wie es konservativ suggeriert. Im Gegenteil! Ein bornierter, dümmlich tapsender Hinterwäldler aus dem Bilderbuch? Schon eher. Wobei der Hinterwäldler direkt aus München stammt. Die urwüchsigen Landschaften, sie liegen im schwarzen Bayern nicht unbedingt im Bayernwald oder im Allgäu. Ein Karrierist ohne Geist, ein Opportunist ohne Schamgefühl - wie aus dem Bilderbuch. Einer aus der CSU, so ein typischer, uriger, Verbot! und Polizei! rufender Geck - wie aus dem Bilderbuch. Wie kann so einer auf dem Kanapee eines Ministers vor sich hindösen, fragt man sich ganz skeptisch. Aber gemach, auch so einer hat eine Funktion - vielleicht die wichtigste Funktion in einer Partei, in der es von seltsamen, intellektuell wenig schillernden Mannsbuidern und Weiberleit nur so wimmelt.

So dümmlich, dass selbst der Innenminister gut aussieht

Dieser schwarz-bayerischen Erscheinung gelingt es sogar noch, dass der amtierende Bundesminister des Unteren, des Hinteren, vornehmlich bezeichnet als: des Inneren, wie eine Ausgeburt der Vernunft glänzt. Dazu gehört was! Dazu muß man noch tiefer angesiedelt sein, als der ministeriale Tiefbauunternehmer aus Berlin, der in seiner kurzen Amts- und langen Abgeordnetenzeit durch wenig Intelligentes und viel Hirnrissiges, durch wenig Menschliches und viel Bösartiges auf sich aufmerksam machte. Das will was heißen! Das heißt für den Landesinnenminister aber auch irgendwie: der kann nichts dafür! Der ist eben so! Schuld sind die, die einen solchen Clown in Ämter hieven, die ihm gesellschaftliche Verantwortung übertragen.

Über den Innenminister des Bundes, diesem personifizierten Defizit der Demokratie, das da seit einigen Monaten sein Unwesen treibt, hat noch nie jemand etwas Gutes gesagt. Sein Parteikollege, dem er jetzt Einhalt geboten hat, hat geschafft, was unmöglich schien. Plötzlich erscheint der Bundesminister annehmbarer, sogar ein bisschen vernünftig. Nur ein bisschen! Vielleicht auch ein Grund, warum man den bayerischen Trachtiban, der meinte, der Trojaner liege im rechtsstaatlich korrekten Rahmen, so gnadenlos förderte. Neben so einen sieht jeder gleich viel besser aus. Es gibt ja Leute, neben die kann man sich stellen und man wird gleich attraktiver. Eine Masche mannstoller Weiber, sagt der Volksmund: sie geht mit der hässlichen, schlecht angezogenen Freundin auf die Jagd nach Lust und Portemonnaie - neben der sieht sie immer gleich viel besser aus und setzt den Kerlen einen visuellen Maßstab vor Augen, der eilig überzeugt. So ähnlich mag das in der CSU aussehen. Der eine Einfaltspinsel, der alle anderen Pinsel wie Füllfederhalter aussehen läßt - das dürfte die einzige Aufgabe dieses Mannes gewesen sein, der bayerischer Innenminister war und daran festhalten wird. Eine wichtige Funktion - ohne ihn wären sie alle wie er. Er macht die gescheiter ausschauen, die ohne ihn gleich auf der ersten Blick wie Trottel aussähen. Er ist der Enttrottelerer...



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Mein letzter Wille

Donnerstag, 13. Oktober 2011

Auf meinem Rechner findet sich keine Kinderpornographie. Auch keine Baupläne für Bomben, Sprengsätze oder Do-it-yourself-Minen. Mordpläne, nicht mal Mordabsichtserklärungen, finden sich gleichfalls nicht auf meiner Festplatte. Eine Datei, in der das Versteck zurückgehaltener Steuerzahlungen notiert wäre, wohnt auch nicht auf meinem PC. Ich bin, um es kürzer zu sagen, nicht bestrafungsrelevant. Das kann sich allerdings ändern. Nicht weil ich etwas täte, was mich einer Bestrafung näherbringen würde - das erledigen heute andere für einen. In der Dienstleistungsgesellschaft wird einem alles abgenommen: sogar die Straftat oder die strafrelevante Aktion.

Das heißt also, schon morgen könnten sie an meiner Türe klingeln, meinen Rechner per Verfügung mitnehmen und einige Stunden später erneut aufkreuzen, um mir schmucke Schellen unterhalb der Handwurzel anzulegen. Man könnte etwas gefunden haben, was ich nie zuvor gesehen, geschweige auf meine Festplatte gespeichert habe. Man mag sich gar nicht ausmalen, was das bedeutete. Plötzlich sind da Bauanleitungen zu finden oder nackte Pfadfinder - da ginge ein Leben zu Bruch; das ist nicht mehr zu kitten, selbst wenn die Unschuld hernach doch noch bewiesen würde. Semper aliquid haeret!

Daher ist es an der Zeit, dass Menschen virtueller Lebenswelten, Leute wie ich es bin, wie der kecke Journalist Berger, der dem deutschen Feuilleton verlorengegangene Erdmann, der Anstossgeber Baum... dass solche Leute ihren letzten virtuellen Willen formulieren. Bevor es zu spät ist! Bevor der Rechner, bevor man selbst abgeholt wird! Was soll mit dem Werk geschehen, wenn man "unpässlich" ist? Übernimmt, bewacht, sichert es jemand? Bereinigt einer die Schmähungen, die dann aufgescheuchte Trolle in den Kommentarabschnitt schmieren?

Übertrieben scheint das alles nicht. Man erklärt nun, dass mit dem Trojaner alles "rechtsstaatlich korrekt abgelaufen" sei - das tut man, obgleich man weiß, von den Experten des CCC analysiert bekam, dass das Ding eklatante Mängel hat. Mit dem Trojaner kann man, wie oben schon angerissen, dem PC-Besitzer Dateien unterschieben. Wie er beweisen soll, dass er nichts damit zu tun hat, obwohl doch nur er Zugriff auf seinen Kasten hat, das dürfte ein endloses, unübersichtliches Unterfangen im Zuschnitte Kafkas sein. Und das hält man für "rechtsstaatlich korrekt abgelaufen". Ist es da paranoid, wenn man sein bloggistisches Testament aufsetzt? Panikmache? Delirium? Oder nicht doch eher Vernunft? Voraussicht? Zukunftsplan? Eventuell ist es ja auch so, dass Paranoia im Überwachungsstaat gebotene Vernunft ist - vielleicht muß der Verstandesmensch delirieren, um sich selbst zu schützen. In einer Überwachungsgesellschaft ist der Paranoide kein Verrückter: er ist die ganz spezielle Spielart des Rationalisten in jener Lebenswelt.

Zunächst beginnt man wohl mit einer Stellungnahme. Wobei ich das oben bereits getan habe. Nochmal: mein Rechner ist sauber. Das ist überhaupt auch so etwas, dass man sich plötzlich genötigt fühlt, sich zu rechtfertigen. Wirkt auch so ein bisschen besessen. Aber die Hüllen der Intimität, der Privatsphäre fallen zu lassen, um seine Unschuld schon vorab zu beweisen, somit die Unschuldsvermutung umzukehren: das ist eine Verhaltensweise, die der Rationalist normalerweise ablehnt, die man ihm aber aufzwängt, wenn er sich in einem Klima aus Beobachtung und Observierung bewegt. Und nach der Stellungnahme, kommt man dann gleich zum letzten Willen? Kann ich dem Berger ad sinistram aufhalsen? Dem Erdmann nicht, der hat keine Zeit, den nehmen sie auch mit, jetzt da er zur Besetzung, zum occupy aufruft - dem schieben sie, alles freilich "rechtsstaatlich korrekt", bestimmt was in die Schuhe. Und der Baum? Möchte der meine Texte kopieren und speichern, damit sie einer Nachwelt, die sie nicht mehr lesen mag, erhalten bleiben? Und wer soll die Imagekampagne leiten, die mein Andenken bewahren soll?
Sicherlich, alles Panik. Was wollten die auch von mir kleinen Fisch? Aber genau darauf zielt deren Technik doch ab.

Morgen schon werden sie uns mitteilen, dass der Trojaner auch schon Erfolge zeitigte. Ein linker Spinner, der Bombenpläne auf seinem Rechner hatte, konnte dingfest gemacht werden - vielleicht bringt man ihn mit den vereitelten Anschlägen auf das Berliner Bahnnetz in Verbindung. Und dann? Wird der Trojaner dann, wenn schon nicht geliebt, so doch wenigstens geschätzt? Er scheint doch dann ein hilfreiches Werkzeug zu sein. Der linke Spinner aber, den gibt es entweder gar nicht oder, was mehr zu befürchten ist, ihm hat man Pläne auf die Festplatte gespielt. Künftighin wird man nicht mehr zwischen wirklichen Übeltätern und trojanisch geformten Tätern unterscheiden können. Auch so eine Auswirkung dieser Technik. Man wird sich ganz automatisch auf die Seite derer schlagen müssen, die da vor einen Richter gebracht werden. Schlussendlich waren die nackten Kinderleiber wirklich von ihm selbst erstellt, gezogen oder was auch immer - aber Troja sei dank, schlägt sich der Rationalist dann auf die Seite des Verbrechens, weil er ja annehmen muß, dass jedem etwas untergejubelt wird. Im Überwachungsstaat schwindet das Rechtsbewusstsein, es wird durch Skepsis ersetzt, die man den Behörden in jedem Falle entgegenbringt, sogar, wenn sie gegen das wirkliche Verbrechen vorgehen. Aber das ist alles "rechtsstaatlich korrekt"...



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Sit venia verbo

Mittwoch, 12. Oktober 2011

"Es mag manchem von uns [Anm.: Autoren und Schriftsteller] trösten, daß er möglicherweise Ewigkeitswerte schafft, dieser Trost sei ihm unbenommen, wenn er uns nicht hindert, uns hier und heute, gestützt auf diesem Gesamtverband, Gedanken darüber zu machen und einmal öffentlich darzulegen, wie wir unser Geld eigentlich verdienen. Vornehmerweise nennt man das Geld, das wir bekommen, Honorar. Das klingt, als wären wir sehr feine Leute. Ich fürchte, wir sind sehr feine Idioten. Wir lassen uns dirigieren, kujonieren, Prozente und Honorare diktieren, ohne je ernsthaft darüber nachzudenken, wer sie festgelegt hat und wie sie sich errechnen. Der geistige und politische Kredit, den wir der Bundesrepublik einbringen, ist ohnehin honorarfrei: wir verlangen nichts dafür. Es geht auch nicht um unsere gesellschaftliche Ehre, die verschaffen wir uns selbst. Es geht um unsere gesellschafts- und finanzpolitische Stellung."
- Heinrich Böll, "Ende der Bescheidenheit" -

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Erst löschen, dann Pläne zeichnen

Dienstag, 11. Oktober 2011

Der vielleicht perfideste Trick neoliberaler Wadenbeißer ist es, die Kritik an ihrer Ideologie, die sie für keine Ideologie ausgeben, mit der Alternativlosigkeit abzuwiegeln. Indirekt geben sie dem Kritiker recht, geben aber sofort zu bedenken, dass es wahrscheinlich immer noch "die beste aller möglichen Welten" ist, in der wir leben. Wer keine Vision davon hat, was nach dem Neoliberalismus kommt, so erklären sie inquisitorisch, der soll auch nicht kritisieren.

Probleme lösen, die geschaffen wurden, um nur im neoliberalen Rahmen lösbar zu sein!

Solange man kein Patentrezept, kein "anderes Modell, in einem fertigen Ersatzteil-Set, das Versprechen einer ganz neuen, sauberen, garantiert schlüsselfertigen Gesellschaft" (Viviane Forrester) besitzt, soll man an der Problemlösung mitarbeiten, die sich innerhalb des Neoliberalismus befinden - sie sagen es natürlich nicht so, weil sie das N-Wort nicht verwenden. Sie sprechen auch nicht von System oder Ideologie; sie bauen auf der Prämisse, die doch jeden vernünftigen Menschen einsichtig sein sollte, nämlich dass Profit zu unser aller Wohlstand gemacht werden muß - viel Profit, sehr viel Profit, noch mehr Profit. Die unerwähnte Prämisse, die sie, falls sie sie überhaupt beim Namen nennen, auf Realpolitik oder Sachzwang taufen, sie wird Kritikern als Naturgesetzlichkeit untergejubelt. Sie raten daher, produktiv innerhalb der Grenzen zu kritisieren; realistisch sein, nicht utopisch: Probleme lösen in der Gesellschaft wie sie ist - nicht daran denken, wie sie sein könnte. Dabei löst man Probleme alleine, die vom Neoliberalismus geschaffen wurden, um in seinem Rahmen, mit seinen Instrumenten gelöst zu werden. Probleme, die den "ihnen zugedachten Lösungen entsprechen" (Forrester) sollen.

Das Gerüst, in dem die spekulative und auf Profit reduzierte Ökonomie abläuft, ist sakrosankt. Wer am Gerüst wackelt, gilt als radikal - was zutreffend ist, stammt das Radikale doch etymologisch von radix, von Wurzel oder Ursprung. Radikale Fragen ziemen sich jedoch nicht. Antworten können nur Fragen aufwerfen, die nicht radikal an den Grundpfeilern rüttelten. Wie können wir die Spekulativ-Wirtschaft mäßigen?, hat als Frage eine Antwort verdient. Ist es nicht pervers, die reale Wirtschaft, die real geleistete Arbeit von Menschen an spekulative, ja virtuelle Zahlen zu knüpfen?, darf nicht beantwortet werden. Wie bekommen wir die Arbeitslosenstatistik in den Griff?, ist eine gewollte Frage. Wie wird sie berechnet und zu welchem Zweck belügen wir uns mit ihr selbst?, ist ein Frevel. Wie kann man erwerbslos gewordenen Personen durch workfare tägliche Strukturen und Ordnung vermitteln?, verdient anerkennendes Nicken. Ist workfare nicht ein nettes Modewort für Zwangsarbeit? Kann man es als tägliche Struktur bezeichnen, wenn man für eine Mehraufwandsentschädigung mehr Arbeit tun muß, als andere, die für weniger Arbeit einen wirklichen Lohn erzielen?, dürfen als Fragen nicht mal gedacht werden.

Brennt ein Haus, so zeichnet man nicht schon die Pläne für ein neues Haus: man löscht!

Manchmal haben auch die Vertreter des Neoliberalismus einen gnädigen Moment. Dann erlauben sie solcherlei Fragen, auch wenn sie sie nicht für richtige Fragen erachten. Sie zeigen sich nicht so großmütig, weil sie den Meinungspluralismus lieben. Sie sind es, weil sie den Fragensteller lächerlich machen wollen. Keine Spekulativ-Wirtschaft mehr, fragen sie erstaunt, wie genau soll das aussehen? Kann man das konkreter erklären? Selbst wenn man Pläne vorlegen kann: sie sind nicht, sie sind nie zufrieden. Unausgereift sei das, sagen sie dann; man habe dies, das und jenes nicht bedacht. Alles sei wesentlich komplizierter, nicht einfach mit schwammiger Planwirtschaft zu regulieren oder neu zu strukturieren - nette Träumerei ohne Gehalt. Sie möchten den Entwurf einer "schlüsselfertigen Gesellschaft" auf den Tisch bekommen, von dem sie wissen, dass es ihn nicht gibt. Jede erdachte Alternative ist keine, weil es zur herrschenden Ökonomie keine Alternative geben darf.

Das ist Trickserei, um die unhaltbaren Zustände, in der sich die institutionalisierte Ökonomie befindet, als alternativlos zu bewahren. Sie mag schlecht sein - aber was Besseres haben wir nicht! Dabei ist anhaltende Kritik nicht Mäkelei. Sie ist mehr. "Wenn ein Brand schwelt oder ausbricht, denkt man dann schon über die Reparaturen nach, zeichnet die Pläne eines neuen Hauses, bevor man das Feuer löscht?" (Forrester). Am Reißbrett entworfene Pläne für eine Gesellschaft, die das große Glück versprechen soll, haben schon öfter in Katastrophen gemündet. Was die neoliberalen Vertreter wollen, wenn sie unangebrachte Fragen zulassen ist einfach erläutert: Sie erhoffen sich, dass Luftschlösser gemalt werden, dass man undemokratische Gesellschaftsentwürfe auf den Tisch legt und Fresst oder sterbt! schreit - Entwürfe, die man verordnet, nicht erarbeitet. Nichts diskreditiert einen mehr, als man selbst. Eine neue Gesellschaft, die sich einer neuen Ökonomie bedient, "muß demokratisch vorgeschlagen werden... es handelt sich um eine langsame, keinesfalls kurzfristige Arbeit" (Forrester). Die Ideale der amtierenden Ökonomie, wie sie vom IWF vertreten werden, als fehlgeleitet und schädlich zu entlarven, Kritik daran zu üben: Ist das nicht auch eine Form von konstruktiver Kritik? Die Ideale abzulehnen, andere Ideale zu favorisieren: Ist das nicht konkret?

Die Alternative existiert: das Nicht-Hinnehmbare ablehnen!

Kritik aufzuwerfen, das für die Speerspitzen des Systems Undenkbare fordern, träumen, für machbar halten: Ist das keine Alternative? Zu sagen, dass es so, wie es ist, nicht mehr hinnehmbar ist - das ist doch wahrlich eine Alternative. Verweigerung, die Welt so zu akzeptieren, wie wir sie heute kennen - Ablehnung jenen Prämissen zu schenken, mit denen sie uns impfen: das ist die Abkehr vom Nicht-Hinnehmbaren. "... sich umzusehen und begreifen, wo wir stehen, wohin wir geführt werden könnten, im welchem Maße und wie schnell die Aufweichung aller Gesetze und die offiziell bewilligten Verirrungen heute den Sieg davontragen" (Forrester), das ist der alternative Weg.

Die Negation dessen, was wir täglich erleben, ist der wesentliche Ansatz. Den Mund zu halten, weil wir diese Ökonomie für den Sieger der Geschichte halten, für ewig und nicht abwendbar, vielleicht sogar für richtig, obwohl immer mehr Menschen darunter leiden, würde bedeuten, mit dem Nicht-Hinnehmbaren zu verhandeln. Zu schweigen, weil unser gesellschaftliches Luftschloss, der Plan einer zukünftigen besseren Welt, den wir als Alternative in die Waagschale werfen könnten, unausgereift scheint, um sie den Aposteln des Systems schon vorzuzeigen: auch das ist Verhandlung mit dem, das wir nicht hinnehmen sollten. Die neoliberalen Missionare, die jovial fragen Wie dann?, sie ringen um Zeit, wenn sie so fragen. Sie fordern die ausführlichsten Antworten, damit sich der große Reibach, für den sie arbeiten, verstetigt.



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