Wie ich begann zu glauben, dass Peter Lustig recht hatte

Freitag, 8. Mai 2015

Mein Flachbildschirm steht in der Ecke. Unangeschlossen. Er sieht gut aus. Keine schlechte Marke. Aber seit vielen Wochen steht er nur herum. Kann mich nur schwer überwinden, den Kasten ans Netz zu nehmen. Das ist ein Gewinn an Lebensqualität.

Ich schaue seit Wochen kein TV mehr. Was ich gucke ist Netflix oder mal was aus der Mediathek. Wenn überhaupt. Den Rest der Zeit höre ich Musik. Radio eher selten. Nur im Auto. Und was soll ich sagen - von Hypes und Überdrehungen kriege ich nichts mehr mit. Ich habe keinen blassen Schimmer, »was Deutschland bewegt«. Aber ich bewege mich trotzdem noch. Mehr als vorher sogar. Ich weiß natürlich, dass die TV-Wirklichkeit weiterläuft und neue Sendungen vereinnahmen Menschen und sie reden darüber und schwatzen sich irre an dem, was sie am Vorabend gesehen haben. Ich zucke nur noch mit den Achseln, kratze mich am Kopf und finde, dass es sich so viel besser lebt ohne Fernsehen und all die ranzigen Gesichter, die einen aus der Glotze heraus anstarren. Man wird auf gewisse Weise autarker. Muss sich keine Agenden mehr diktieren lassen. Widmet sein Interesse den Dingen, die man möchte.

Als zum Beispiel dieses Flugzeugs von Germanwings zerschellte, da habe ich das auch ohne den Kasten realisiert. Manche berichteten, dass ihnen die Berichterstattung im Fernsehen gehörig an den Zeiger ging. Es muss echt schlimm gewesen sein, wie man die Leichenbittermienen zum Gegenstand des abendlichen Berieselungsrituals rekrutierte. Aber ich war fein raus. Ich süffelte Wein und las ein Buch oder guckte mir »Better Call Saul« an. Die Serie erreicht nicht die Qualität von »Breaking Bad« - aber das ist eine andere Sache. Das ist keine Weltvergessenheit meinerseits. Ich habe doch im Radio davon gehört und im Internet zwei, drei oder auch vier Berichte gelesen. Reicht das nicht? Ich hatte keinen Anreiz, mit dem Unglück auch noch meinen Tag zu beenden und die hundertste Experteneinschätzung zu ertragen. Ohne TV ist man auch informiert. Vielleicht nicht weniger. Vielleicht nicht schlechter. Unter Umständen sogar besser.

Peter Lustig hatte recht: Abschalten. Ich habe es als Hosenscheißer nie getan. Mich nervte der Zausel mit seinem Ratschlag, den er stets am Ende seiner Sendung anbrachte. Ich wollte doch fernsehen und mir nicht von einem alten Mann vorschreiben lassen, dass es da draußen auch noch eine Welt gab. Die TV-Welt war auch schön. Man konnte überall hin und musste nicht viel dafür tun. Himmel, ich war ein Kind der Achtziger. Wir verbrachten alle ordentlich Zeit vor der Flimmerkiste. Man parkte uns. Und keiner fand, dass das das Kindeswohl gefährde. Nur die Freaks meinten das seinerzeit. Wahrscheinlich hatten sie recht. Wie Peter Lustig. Aber wenn einer in Latzhosen daherkommt, dann ist es schwer Respekt zu zollen oder Vorschläge als richtig anzuerkennen. Man zeigte solchen den Vogel und zappte rüber ins ORF. Damals hatten wir das noch und da liefen feine Sachen. Die österreichischen Kinder hockten wahrscheinlich noch länger vor dem Kasten. Sie waren Glückspilze so ganz ohne Peter Lustig.

Später wurde ich natürlich selektiver. Ich guckte nicht jede Scheiße. Aber da Fernsehen immer auch bedeutet, die 24 Stunden des Tages mit Content zu füllen, kommt es zwangsläufig zu ordentlichen Schissen. Man entkommt auch als selektiver Charakter nicht. Und dann kommt ja noch der Umstand dazu, dass Fernsehen heute mehr denn je das Wesen von Paranoia und Hype angenommen hat. Wenn man Konsument ist, glaubt man eben irgendwann wirklich, dass der Absturz eines Flugzeuges ein Meilenstein in der jüngeren Geschichte ist und nicht eben nur ein Unfall, wie es ihn geben kann und auf die eine oder andere Weise immer mal gegeben hat.

Ich möchte wirklich empfehlen, das Ding abzustöpseln und in die Ecke zu stellen. Nicht als Lebensmodell. Irgendwann gucke ich auch mal wieder. Wenn ich das nach dieser Katharsis noch kann. Aber ich genieße die Ruhe und höre Depeche Mode, mag den Sound der Ruhe und lausche Simon & Garfunkel. Und diese Empfehlung hat was von passivem Widerstand, wenn man das so sehen mag: Weggucken, weghören, sich ausgewählte Medienangebote sichern und nicht das, was man einem vorsetzt. Es tut wirklich gut. Glaubt das. Man verpasst nichts. Gar nichts. Es gibt ein Leben nach dem Tod, den wir Fernsehen nennen. Abschalten!

11 Kommentare:

epikur 8. Mai 2015 um 08:50  

Bei mir ging es schleichend, also ohne direkt bewusste Entscheidung, weil ich mich über den Müll im TV nur noch geärgert habe. Wenn, dann ist das gezielte Schauen (via Mediathek, DVD, Netflix etc.) sehr viel anregender.

Wir haben ja eine Medien-Kategorie nach dem Appell von Peter Lustig benannt: Nicht vergessen...abschalten!. Undenkbar, dass heute ein Moderator das seinen Zuschauern rät. Selbst wenn sie Kinder sein sollten.

Anonym 8. Mai 2015 um 09:18  

"[...]Es gibt ein Leben nach dem Tod, den wir Fernsehen nennen. Abschalten![...]"

Lieber Roberto J. de Lapuente,

seh ich ganz genauso, aber ich ergänze noch, dass auch das Internet manchmal gewaltig nervt.

Wie ich drauf komme?

Ich bin ebenso ein Kind der 80er und, wie ich hier bereits erwähnte, leite einen kleinen Campingplatz alleine.

Ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern als die Camper mit Fahrrad, Zelt oder Wohnwagen - ohne jeglichen Komfort - anreisten.

Heute ist es jedoch so, dass man - sogar im Campingurlaub - sein Internet nicht missen möchte, und da kommt es jedes Jahr zum nervigen Anfragen, dass wir uns W-Lan besorgen sollen denn als Camper will man ja auch "informiert" sein.

Tja, so ändern sich die Zeiten, und ich warte mal gespannt auf einen Beitrag von dir über alte Zeiten als - wir beide evtl. und andere hier - ohne Netz ausgekommen sind.

Übrigens, ich genieße manchmal die internetfreie Zeit, wie damals in den 80ern.

Bin halt aus der Generation, die eben auch, im Gegensatz zu der heutigen Jugend, ohne internetfähige Geräte in jeder Lage auskommt.....

...die Frage ist übrigens auch die:

Stimmt es evtl. doch, dass das Internet verdummt?

Wenn ich sehe, dass man heute keine Landkarten sondern Navy hat, was oft auch nicht richtig eingestellt hat - und dies sogar als radfahrender Camper - kann diese These evtl. sogar stimmen....

...in meiner Jugend campten wir noch ohne Navy bzw. Internet und hatten doch immer den richtigen Weg gefunden - mit eigener Hirnleistung und nicht mit der anderer, die einem den Weg wiesen....

Gruß
Bernie

Anonym 8. Mai 2015 um 11:47  

Ich habe seit 2006 keinen Fernseher mehr, und wann immer ich irgendwo mal einen laufen sehe, stelle ich fest, dass nichts Neues kommt.

Ärgerlich leider, dass die griechische Linke nun auch nach genetischen Gesichtspunkten Posten vergibt:
www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-syriza-regierung-fuehrt-vetternwirtschaft-fort-a-1032576.html

Anonym 8. Mai 2015 um 16:05  

Ich sehe gerne fern: vom Gipfel oder einer Klippe. Bereits vor ungefähr 25 Jahren riet ich meinen vielen Bekannten, das Fernsehgerät auf die Straße zur Entsorgung zu stellen. Das käme einer echten Umwälzung gleich. Zudem stellte ich mir vor, wie die Heinis im Studio und anderswo, lediglich Sachen für ein großes imaginäres Publikum produzieren – was für eine abstruse Verrichtung.

Anonym 8. Mai 2015 um 16:54  

Oh, ich bin nicht allein. Ich mache es genau so. Seit langem ist der Fernseher meist aus, ich schaue mir nur noch hin und wieder Filme über einen Streaming-Dienst an, allerdings nicht Netflix, da mir das Angebot dort zu Serienlastig ist. Ansonsten mal "Die Anstalt" oder so aus der Mediathek. Das sonstige Programm ist einfach totaler Schrott, und die ÖR stehen in Sachen Trash-Faktor den privaten Sendern in nichts mehr nach. Was interessieren mich Kochshows (während in immer mehr Haushalten immer weniger tatsächlich gekocht wird), wieso sollte ich mir diese Ratespielchen mit oder ohne Promis anschauen? Das allwöchtliche, erbärmliche Talk-Geschnatter langweilt genau so, den Nachrichten traue ich nicht mehr so recht.

Statt dessen höre auch ich viel Musik, ich lese oder mache sonstwas. Aber TV? Nein danke.

Anonym 8. Mai 2015 um 21:32  

Welcher Linke schaut denn noch TV, frage ich mich?
Ich seit letztem Jahrhundert nicht mehr.
Ich weiß gar nicht, was ich davon halten soll, dass du dich dem bis vor ein paar Wochen noch regelmäßig ausgesetzt hast...

Anonym 9. Mai 2015 um 16:13  

Sehr schöner Artikel! Wenn das Ziel ein ausgeglicherneres Leben ist passt das. Ist auch eine der wenigen Möglichkeiten sich auf sich selbst zu konzentrieren und das Leben mit weniger Stress zu erleben. Hab mal komplett 3 Monate ohne Fernsehen und Zeitung gelebt, Tolle Sache und nichts für mich wichtiges verpasst.

Braman 9. Mai 2015 um 16:14  

Hallo Roberto,
willkommen im Klub!
Seit vier Jahren halte ich mich von dem Mist fern nachdem ich mich für ca. zwei Jahre hab berieseln lassen.
Dann, an einem Abend, fragte ich mich: Warum sehe ich mir das an? Ich konnte mir keine plausible Antwort geben.
Das wars denn. Und mir fehlt nichts, im Gegenteil, ich hab wieder Zeit was Sinnvolles zu tun anstatt mich, ohne der Möglichkeit der Reflektion, indoktrinieren zu lassen.

MfG: M.B.



Wolfgang Oesters 10. Mai 2015 um 07:02  

Was in dem Artikel oben steht, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen; - und, - es ist gut, vom TV auch später immer wieder nur sparsamen Gebrauch zu machen. - Nahsehen, der Nachbarin oder dem Nachbarn direkt in die Augen z. B., das ist eine gute Alternative, die man nicht verlernen sollte (das Augenzwinkern dabei aber nicht vergessen!).

stefanbecker 12. Mai 2015 um 19:47  

Ich für meinen Teil habe seit etwa 2001
das fern Sehen auf ein klitzekleines Minimum reduziert. Da ich in Münster Zuhause bin, schaue ich mir noch maximal den Münstertatort und Wilsberg an.
Mit der gewonnenen Zeit durch die veränderten Sehgewohnheiten, lese ich stattdessen Blogs wie z.B. Deinen, den Nachdenkseiten etc., bin einer Gewerkschaft und der Partei die Linke beigetreten. Nach dem Motto : Arsch huh, Zäng ussenander

Anonym 12. Mai 2015 um 23:19  

Sehr schön. Ich gugg such schon seit 5 Jahren kein TV mehr.
Hab auch kein WLAN in meiner Bude. Nur Internet am Telefon um up to date zu bleiben.
Ich lese viel und höre Musik. Bin auch viel draussen. Ich lebe immer noch haha
kann ich nur empfehlen ;)

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