Steinbach und wie sie die Welt sah

Mittwoch, 13. Mai 2015

Im »Spiegel 19/2015« gibt es ein Interview mit Erika Steinbach. Kaum jemand regt sich darüber auf. Darin vertritt sie die Ansicht, dass der 8. Mai 1945 nicht nur ein Tag der Befreiung war. Wie sie darin argumentiert, macht deutlich, welcher Ewiggestrigen man politische Verantwortung übertragen hat und wie leichtfertig man so jemanden in einer solchen Stellung akzeptierte.

Vieles des Gesagten ist haarsträubend. Steinbach verglich den Terror- und Mordapparat der Nazis mit den Strukturen, die nach der Wachablösung entstanden. Sowjets, Amerikaner und Franzosen hätten nämlich auch Verbrechen begangen und Deutsche eingesperrt. Die Sowjets haben ja auch umgebracht und Kriegsgefangene verschleppt. Zugegeben, das war auch harter Tobak. Aber kann man die Vorgehensweise der Alliierten überhaupt mit dem Treiben der Faschisten gleichsetzen? Klar, die Amerikaner haben Verdächtige interniert. Aber sie haben sie niemals durch Arbeit vernichtet oder als Forschungsmaterial verwendet. Steinbach übersieht das elegant und behauptet, dass Befreiung bedeuten würde, endlich frei zu sein. Wenn man aber von einer Diktatur direkt in Gefangenschaft lande, dann sei das keine Befreiung. Denn dem Menschen sei völlig egal, von wem er unterdrückt würde. Aber auch das ist blanke Augenwischerei. Denn es macht sehr wohl einen Unterschied, ob ich ins Gas geschickt werde oder nur in eine Zelle.

Dass es nach dem Krieg sicherlich auch im Westen Momente gegeben hat, in denen Kriegsverbrechen geschahen, darf man nicht leugnen. So geht es zu in Kriegs- und Krisengebieten. Man kriegt das nie unter Kontrolle. Deshalb ist Krieg ja so unmenschlich. Er macht alle zu Wesen, denen die Menschlichkeit abhanden kommt. Nur sind diese Eskapaden manchmal Produkt der Szenerie. Die Nazis waren aber nicht Opfer von Kriegseindrücken, sondern haben diese Szenerie selbst aufgezogen. Wenn ich als GI einen Wehrmachtssoldaten in Rage erschoss, dann war das Angst und vielleicht auch Rache - wenn Menschen dauerhaft im Blut waten, kommen solche Reaktionen zustande. Aber Menschen auf einem Fließband zur Vernichtung zu bringen, das ist schon eine ganz andere Liga und überhaupt nicht vergleichbar. Das ist nicht mal ein Vergleich zwischen Äpfel und Birnen, sondern eher so einer zwischen Odenwälder Äpfel und Mondkratern auf dem Marsmond Deimos.

Am Ende des Lehrstücks sagt Steinbach dann, dass solange es noch Überlebende des Holocausts gibt, es schwerfallen wird, eine allgemeingültige Definition der damaligen Ereignisse zu erwirken. Direkter gesagt klingt das so: Diese Holocaust-Überlebenden machen ihrer Definition von den Befreiern, die nicht befreiten, einen dicken Strich durch die Rechnung. Sie könnten nämlich widersprechen. Und tun dies im Regelfall auch. Die Überlebenden mögen nicht immer einverstanden gewesen sein mit dem, was die Befreier getan haben. Aber sie fühlten sich trotzdem befreit und in Sicherheit. Bei aller Kritik an den Alliierten und ihrer (späteren) Politik muss man das anerkennen. Sie waren sicherlich auch überfordert mit den Massen ausgemergelter Gestalten, die ihnen begegneten und wussten nicht immer, wie sie reagieren sollten. In »Band of Brothers«, eigentlich eine Verherrlichung der Kameradschaft unter Soldaten, gibt es eine treffliche Szene, in der die US-amerikanischen Befreier die Gefangenen zurück in ein Lager drängen und die Tore schließen. Die ausgehungerten Gestalten erspähten Lebensmittel und hätten sie sich auf sie gestürzt und in sich hineingestopft. Aber ihre Körper wären kollabiert so unterernährt wie sie waren. Die Aktion wirkte unglücklich und die Gefangenen mögen kurzzeitig gedacht haben, dass da die Nachfolger der Nazis wüten. Aber exakt so war es dann eben nicht.

Steinbach vermengt einfach Ereignisse und Motive. Und sie hadert, weil die Überlebenden die Objektivität vermissen lassen und ihre steilen Thesen nicht so stehen lassen. Dieses Interview wurde veröffentlicht, aber kaum jemand nahm davon Notiz. Das ist einerseits gut, denn das zeigt, wie unbedeutend diese Frau mittlerweile geworden ist. Dass man jemanden mit solchen Ansichten den Polen vor die Nase setzte, ausgerechnet jenem Volk, das so fürchterlich gelitten hat unter der Herrschaft der Nationalsozialisten, zeigt aber nur, mit welchem Taktgefühl die deutsche Politik in Europas Porzellanladen stolziert.

7 Kommentare:

ulli 13. Mai 2015 um 11:47  

Auch wenn man sonst von ihm halten kann, was man will, fand ich Bundespräsident Herzogs Ausspruch von 1995 dazu angemessen: "Menschliches Leid kann nicht saldiert werden, es muss überwunden werden. Diese Mahnung richte ich auch an die historischen Laien, die sich noch heute um die Zahl der Opfer streiten... Diese Sprache führt nicht einen Schritt weiter."

Nun fällt es schwer, in dieser Haltung konsistent zu bleiben, wenn Andere mit Vergleichen daherkommen.
Nicht von der Hand zu weisen ist z.B.:
Offizielles, dokumentiertes Ziel der Briten war es, in Deutschland 8 Millionen Häuser und 60 Millionen Wohnungen zu zerstören, dabei wurden 900.000 Tote und eine Million Schwerverletzte einkalkultiert.
(Quelle: www.zeit.de/2005/14/A-Ruhrkessel/seite-2 )

Ich kann es beim besten Willen den Menschen nicht verdenken, dass sie die Leute, die eben noch mit dieser Direktive antraten, nicht kurz darauf als Befreier ansehen konnten.

Anonym 13. Mai 2015 um 17:04  

Ganz ehrlich, es sind viel zu viele nie zur Verantwortung gezogen worden. Wie man an den Aussagen von Steinbach und Co. erkennen kann. Aber was will man erwarten, wenn die wenigen die Angeklagt wurden, sich allesamt haben für "Nichtschuldig" erklärt? Und der Oberbefehlshaber, Adolf Hitler durch Selbsttötung sich der Verantwortung feige entzogen hat. Im Gegenteil eine Mehrheit hat noch in den 60ziger Jahren für die Freilassung von Hess in Spandau demonstriert. Wer weiß denn noch wie viele sog. Kommunisten in der neuen Bundesrepublik noch verfolgt und bestraft wurden? Deutschland wird den Juden den Holocaust nie verzeihen. Denn Deutschland war ja "Opfer" wie mich das anwidert.

Anonym 13. Mai 2015 um 17:35  

Ich glaube die Masche von Erika Steinbach probiere ich mal vor Gericht aus.
Ich gehe mal rüber zu meinem Nachbar, mache es mit in seinem Wohnzimmer gemütlich, und hau im eine rein. Wenn er sich dann wehrt und ich später vor Gericht lande werde ich zum Richter sagen: „Wäwäwäwäwäää! Aber er hat mir auch ganz doll weh getan.“
Ob ich wohl damit durchkomme?

Anonym 13. Mai 2015 um 17:39  

Na ja... für überzeugte Nazis war das auch kein Tag der Befreiung.

Anonym 13. Mai 2015 um 23:07  

Frau Steinbach bringt Ursachen und Wirkung durcheinander, und das soll auch so sein. Für die Restaurierung bzw. Verschärfung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse ist dies absolut notwendig und streut Sand in die Augen derer, die nach Erklärungen suchen. Georgi Dimitroffs Charakterisierung der faschistischen Herrschaft konstatiert, daß der Faschismus an der Macht die offene, terroristische Form der Herrschaft der reaktionärsten und am meisten imperialistischen Elemente des Kapitals ist. Ein Blick nach Chile 1973 oder aktuell in die Ukraine deckt diese Blutspur auf. "Wer vom Kapitalismus nicht reden will, der sollte vom Faschismus schweigen." (Max Horkheimer)

Anonym 15. Mai 2015 um 08:16  

Die Deutschen wurden, bis auf wenige Widerständler- nicht befreit, sondern über Nacht formal zwangsdemokratisiert.

Repräsentativ für das Herrenmenschentum und die tiefe Überzeugung von der überlegenen Rasse nebst Führerkult sind die Filmdokumente von Parteitagen, Volksversammlungen und Militärparaden, auf denen beim "Heil-Hitler" nicht ein gestreckter Arm unten blieb. Dazu die Durchalteparolen, das Geschwätz vom Endsieg, der Wunderwaffe, die Todesurteile gegen Deserteuere etc. und die letzten Aufgebote alter Männer und Kinder bis in die letzten Kriegstage hinein.

Zentral ist für mich aber, was das "Nie wieder" betrifft, die ideologische, ökonomische und personale Kontinuität nach 1945, wie sie Ralf Giordano in seinem Buch "Die zweite Schuld" beschrieben hat. Anstelle eines radikelen Bruchs mit den Tätern und der Naziideologie gab es neben dem Schweigen über die Taten eine Versöhnung mit ihnen und ihre zügige Integration in alte Funktionen.

Wenn heute junge Neonazis Flüchtlingsheime anstecken, weil sie glauben, auch im Namen der politischen Elite zu handeln, so können sie genauso heute damit rechnen, mit niedrigen, resozialisierenden Bewährungsstrafen für etwas davon zu kommen, wofür ihre Großväter lediglich ein Verwarnungsgeld zahlen mußten.

Es ist ein Wesensmerkmal von Geschichtsrevisionisten, diese Kontinuität zu verschweigen, bzw. sie zu diskutieren und stattdessen -wie auch Freund Weizsäcker- von Befreiung zu schwadronieren, nach der sich die Deutsche Anfang 1945 angeblich gesehnt haben. Noch nach Stalingrad wollten sie den totalen Krieg, noch totaler, als total.

Fakt ist: Befreit wurden nur die noch lebenden Insassen der KZs und der Gestapo-Gefängnisse und Folterkeller.

Kannst jetzt wieder löschen. (siehe flatter heute - Kommentar 43!)

Anonym 16. Mai 2015 um 01:38  

Rassismus gibt es leider immer noch auf der ganzen Welt. Unsere schreckliche Vergangenheit war und ist für uns und andere immer noch nicht Mahnung genug. Das zeigen die Scheindebatten über ein NPD-Vebot, die Rassenunruhen in den USA, oder die Stigmatisierung der Muslime.

Wir führen seit Jahren wieder Kriege, Menschen verschwinden in Foltercamps, oder werden mit Drohnen auf offener Strasse ermordet.

Und niemand beklagt die Millionen Toten, die auch wir Deutschen auf dem Gewissen haben.

Selbst Israel schreckt vor Völkermord nicht zurück.

Solange wir Menschen Konflikte immer noch kriegerisch zu lösen versuchen, wird der Holocaust im 3.Reich nicht der letzte gewesen sein.

Und das verdeutlichen nicht nur die Aussagen einer Erika Steinbach.

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