Gute Idee im schlechten Umfeld
Donnerstag, 28. Mai 2015
Nach dem Volksentscheid und seinen Folgen für die homosexuelle Ehe in Irland, sehen einige jetzt wieder mal die Zeit gekommen, auch in Deutschland mehr Volksentscheide zu initiieren. An sich eine gute basisdemokratische Sache. Nur die Rahmenbedingungen machen skeptisch.
Natürlich hat man als Linker ein Faible für starke Elemente der Mitsprache in allen möglichen Bereichen. Wenn links sein überhaupt etwas bedeutet, dann dass man vehement dafür ist, dass sich Menschen selbst verwalten, organisieren und dementsprechend partizipieren müssen an notwendigen Entscheidungsfindungsprozessen. Referenden sind besonders unter Linken klassische Mittel, für die man grundsätzlich eintreten sollte. Ich finde die Argumente dafür auch völlig nachvollziehbar. Aber die ganze Sache bereitet mir Bauchschmerzen. Denn aus irgendeinem Grund gehen wir von einem optimalen Zustand aus, der da lautet: Belesener und klug abwägender Bürger trifft seine Entscheidung. Und exakt an dieser Stelle kommt die hübsche Theorie ins Trudeln.
9 Kommentare:
Die Voraussetzungen für Volksentscheide sind ja ziemlich hoch. In Berlin beginnt gerade wieder ein Verfahren für ein soziales Mietrecht. In einem ersten Anlauf müssen 20 000 Unterschriften gesammelt werden, was kein so großes Problem ist. Auf einer zweiten Stufe müssen es dann sehr viel mehr sein, ich glaube 170 000. Wenn die zusammenkommen, gibt es bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl einen Volksentscheid: Dann braucht es nicht nur die Mehrheit der Stimmen, sondern auch eine Mindestanzahl, ich glaube so um die 400 000. Das ist eine ganze Menge und irgendwelche Rechten könnten keineswegs einfach so ihre Ideen durchsetzen: Die würden diese Quoten überhaupt nicht erreichen.
Bei der Volksabstimmung über eine Bebauung des Flugfeldes in Tempelhof im letzten Jahr stimmte eine Mehrheit trotz einer Riesenmedienkamapagne gegen eine Bebauung: Es war einfach zu durchsichtig, dass keine einzige Sozialwohnung, sondern ausschließlich teure Luxuswohnungen geplant waren. Es gab aber auch mal eine Volksabstimmung über den Aufbau von Berliner Stadtwerken: Damals positionierte die SPD sich nicht klar dagegen, sondern brachte einen ähnlichen Antrag ein, der jedoch allerlei Hintertürchen enthielt. Der Deutsche will es ja nicht radikal und stimmte also für den SPD-Antrag: Die Stadtwerke sind längst beerdigt und perdú. Es kann also so oder so ausgehen. Aber dennoch sehe ich keine Alternative zu Volksentscheiden.
Echt guter und richtiger Artikel.
Er widerspiegelt, was in vielen Volksentscheidungen in Italiaen der letzten drei Jahrzehnten passiert ist.
Darf ich ihn auf Italienisch übersetzen und auf meinem Blog veröffentlichen?
Mit freundlichen Grüßen,
Mauro Venier.
Ein positives Beispiel wäre auch die Abwahl der Münchner Olympiabewerbung trotz enormer medialer Kampagnen.
Und wenn ich mir Zeitungen aus den letzten Jahrzehnten ansehe und mit heutigem Pluralismus (auch innerhalb der Blätter, vielleicht abgesehen von BILD) vergleiche und mir dazu vorstelle, dass dies neben 3 Fernsehprogrammen die einzigen Informationsquellen waren und das alles noch die letzte Generation, unsere Eltern, betraf, zeigt sich da schon ein erstaunlicher Wandel, den man sich vor 20 Jahren noch nicht hätte vorstellen können - der aber selbstverständlich noch sehr viel weiter gehen muss. Die Entwicklung geht jedenfalls zum Besseren.
Lieber Mauro,
natürlich darfst Du. Kannst mir dann ja mal den Link zukommen lassen. Habe mich noch nie richtig italienisch sprechen hören ;)
Pauschal dagegen zu sein unter heutigen Bedingungen, obwohl auch unter jetzigen Umständen eben nicht nur schlechte, sondern auch gute Volksentscheide herauskommen, wird der Sache nicht gerecht, Roberto. Man muss abwägen. Pauschalisieren schadet eben nicht nur den schlechten, sondern auch den guten Ergebnissen. Aber das reine Dagegensein lässt sich leider einfacher daherschreiben.
Ich schließe mich Anonym 28.5. 18:21Uhr an. Pauschal gegen Volksentscheide zu argumentieren ist zu einfach. Natürlich kommt bei Volksentscheiden auch Mist raus. Aber man muss ja auch genau hinsehen, warum wobei Mist rauskommt und unter welchen Umständen eben kein Mist rauskommt.
Wenn die Medien mal wieder gegen irgendeine Religionsgruppe oder eine andere Gruppe hetzten, dann wird sich genau das auch in einem entsprechenden Volksentscheid ausdrücken.
Bei Volksentscheiden ist aber zu unterscheiden:
a) Volksentscheid als gesetzgeberische Initiative
b) Volksentscheid als Veto.
Bei a), dem Volksentscheid als gesetzgeberische Initiative, sehe ich viele Probleme, weil sich das Volk nunmal von den Medien und bei bestimmten Ereignissen in bestimmte Richtungen hetzten lässt. Genau das ist ja auch in der Schweiz bei der Ablehnung des Baus von islamischen Gotteshäusern passiert.
Bei b), dem Volksentscheid als Veto, hat das Volk die Möglichkeit, bestimmte Gesetze zu blockieren oder auch das Parlament zu zwingen, sich mit bestimmten Ereignissen oder Gesetzen zu befassen. Hier gibt es nicht viel Möglichkeiten, großen Mist zu bauen, aber hier kann das Volk der Politik sehr direkt auf die Finger hauen. Natürlich ist die Politik dann auch dazu verpflichtet, ihre Absichten medial sehr deutlich zu vertreten, denn sonst haut das Volk mit Volksentscheid-Veto zu.
Zuletzt:
Demokratie ist die einzige Regierungsform, die das Volk - und zwar jede Generation erneut - erlernen muss. In einer Tyrannei kriegt man gesagt, was man tun und denken und sagen muss. Im Sinne des Erlernens von Demokratie wären Veto-Volksentscheide ausgesprochen sinnvoll.
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Bitte postet unter einem erfundenen Fantasie-Namen, sonst kann man sich schlecht auf individuelle Beiträge beziehen. Also "Name/URL" anklicken und Fantasienamen eingeben, eine URL muss nicht angegeben werden.
@ Ulli
Die Rechten würden solche Quoten locker erreichen, denn es gibt erstaunlich viele Menschen, die rechtes Gedankengut absichtlich oder unabsichtlich, teilweise oder gänzlich unterstützen. Hier ist ein interessanter Artikel dazu.
http://www.nachdenkseiten.de/?p=26237
[...]
as Wort „Rechtsruck“ haben nach der letzten Europawahl im vergangenen Jahr ja verschiedene Medien benutzt. Da bezog es sich auf das erfolgreiche Abschneiden von als „rechts“ oder „rechtspopulistisch“ eingeordneten Parteien, die 2014 in diversen europäischen Staaten in Parlamente einzogen.
[...]
Um bei Deutschland zu bleiben: Hier verweisen schon seit Jahren von einer Leipziger Forschungsgruppe um Oliver Decker und Elmar Brähler vorgenommene Untersuchungen zum Rechtsextremismus auf höchst bedenkliche Gegebenheiten. 2014 zeigte sich beispielsweise, dass 5,6 Prozent der Deutschen ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben“ – das sind mehr als 3,56 Millionen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger! Für mehr als drei Viertel, konkret für 76 Prozent von uns, sind dabei zumindest einzelne fremdenfeindliche Einstellungen typisch.[...]
Ich bin nicht gegen Volksentscheide, ich würde diese aber lieber erstmal auf Veto-Rechte beschränken, bzw. das Recht, das Parlament zu zwingen, sich mit einer bestimmten Angelegenheit zu beschäftigen.
@ Roberto
Danke für die Gehnemigung!
Ich werde nun Dein Text übersetzen und veröffentlichen.
Mein Blog ist http://pensieri-eretici.blogspot.com
Sobald die Übersetzung fertig ist, schreibe ich hier auch die direkte Verlinkung.
Gruß,
Mauro.
Endlich die direkte Verbindung :)
http://pensieri-eretici.blogspot.de/2015/06/una-buona-idea-nellambiente-sbagliato.html
Gruß,
Mauro.
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