Bourani, du kunst mich mal ...

Samstag, 29. November 2014

Ich habe letztens den Bourani bei Gauck gesehen. Merkel war auch da. Da habe ich spontan für mich beschlossen, jedem den Status eines Künstlers abzusprechen, der mit dieser politischen Macht und Großspurigkeit auf Tuchfühlung geht. Das nenne man ruhig arrogant. Ich aber nenne es konsequent. Für mich ist das eine Frage gesunden Selbstwertgefühls.

Nein, nicht dass ich Bouranis ambitionierte Scheiße vorher auf irgendeine Weise für mich als künstlerisch wertvoll angesehen hätte. Einen solchen Anspruch hatte er bestenfalls »nur in seinem Kopf«. Aber ich war bereit, ihn als Künstler anzuerkennen, der zwar für mich leider keine Botschaft hatte, aber grundsätzlich natürlich Kunst betrieb. Der Mann war übrigens zur WM-Gedenkstunde nicht erstmals in Bellevue. Er steht mit diesem nekrophilen und überforderten Präsidenten, der sich gerne schöne Sätze drechseln hört, nahezu auf Du und Du. Zuletzt sang er ihm jenes Lied, das sie zur WM-Hymne gemacht hatten. Händeschütteln. Staatstragende Respektsbekundungen. Die Raute lächelte hinüber. Die deutsche Familie unter sich. Mitsamt den lieben kleinen Kickern, denen man ein Lorbeerblatt schenkte.

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Wessi, mit dir geht es zu Ende!

Freitag, 28. November 2014

Tja, mein lieber Westdeutscher. Deine Überlegenheit beruht auf einem Interpretationsfehler. Nicht der Stärkste überlebt. Das hat Darwin ganz anders gemeint. »Survival of the fittest« nannte er sein Prinzip. »To fit in« heißt aber »sich anpassen«, »einfügen« und »sich einpassen«. Mit Stärke im eigentlichen Sinne hat das nichts zu tun. Und daher ist es so, dass du in der Struktur dieses Staates ganz klar ein Evolutionsverlierer sein wirst.

Da helfen dir deine Besserwessi-Klauen nichts; deine Reißzähne sehen nett aus, mehr aber auch nicht. Du magst stark sein, aber darauf kommt es nicht an. Dinosaurier waren Kraftpakete, aber was helfen gigantische Körperbauten, wenn die allgemeine Situation vorgibt, sich durch den engen Treppenabgang in den Keller zu schieben, um sich noch rechtzeitig vor dem Meteoriteneinschlag in Sicherheit zu begeben? Der T-Rex hatte durchaus Kraft, aber mit seinem Ärmchen konnte er keine Butterbrezel schmieren. Der Neandertaler war der kräftigere Hominide. Beim Armdrücken mit einem modernen Menschen hätte er dem den Arm gebrochen. Und was außer einen Armwrestling-Pokal hat es ihm eingebracht? Ein bisschen so bist du nun auch, lieber Wessi. Stark, potent, hast immer noch die Deutungshoheit und bist trotzdem im Nachteil. Tut mir leid, so läuft das halt mal hier unten. Gräme dich nicht. Mal gewinnt man, mal verliert man.

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Die Grünen sind weiter dick im Geschäft

Donnerstag, 27. November 2014

Der Parteitag der Grünen hat mal wieder bewiesen, dass diese Partei keine klare Linie hat. Sie laviert und ist tendenziell eher für das, was die Wirtschaft von ihr fordert. Überlebt haben sich die Grünen deshalb aber noch lange nicht. Ganz im Gegenteil.

Unlängst sagte mir ein Bekannter, die Grünen hätten abgewirtschaftet. Sie hätten keine Vorstellungen mehr, leisteten keiner Utopie mehr Vorschub und eine klare Linie sei nicht mehr zu erkennen. Heute macht sie auf links, morgen ist sie reaktionär. Mal bejahen sie Waffenlieferungen und dann feiern sie sich wieder als »wehrhafte Pazifisten«. Diese Vorwürfe sind nicht neu. Das wirft man dieser Partei seit fast zwei Jahrzehnten vor. Dass sich die Grünen aber deswegen überlebt hätten, halte ich für ein Gerücht. Sie sind das Erzeugnis einer postdemokratischen Epoche, in der es nicht mehr um die Umsetzung von Zukunftsträumen und Hoffnungen geht, sondern um das Ritual des »So-tun-als-ob«. Und das haben diese Grünen mittlerweile so kultiviert, dass für sie die Zeit nicht abgelaufen ist, sondern eher erst anbricht.

Die Vollbeschäftigung mit der Vollbeschäftigung

Mittwoch, 26. November 2014

Für den Brockhaus liegt »Vollbeschäftigung« vor, »wenn alle für eine Beschäftigung geeigneten Personen ohne längere Wartezeit einen Arbeitsplatz zum bestehenden Lohnniveau finden können«. Der Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit sagte letzte Woche in einem Interview, dass sich Deutschland »langfristig der Vollbeschäftigung« nähere. Das was er meint, hat mit dieser klassischen Vollbeschäftigung per definitionem nichts zu tun.

Schon eine kuriose Vollbeschäftigung, der wir uns da nähern. 7,9 Millionen von 42,7 Millionen Erwerbspersonen arbeiten im Niedriglohnsektor. Mehr als 1,3 Millionen dieses Prekariats füllt weiterhin Antragsformulare des Jobcenter aus, um mit ergänzendem Arbeitslosengeld aufstocken zu können. Tendenz steigend. Sozialisierte Personalkosten liegen voll im Trend. Trotzdem findet dieser Personenkreis in der Arbeitslosenstatistik nicht statt. Weder die Aufstocker, noch die anderen Beschäftigten, die entweder nicht aufstocken wollen oder keinen Anspruch darauf haben, aber deshalb noch lange nicht im Wohlstand baden.

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... wenn man trotzdem lacht

Dienstag, 25. November 2014

»Auf seine rhetorische Lieblingslegosteine ›Freiheit‹ und ›Verantwortung‹ verzichtete Gauck selbstverständlich zwar nicht, aber bei diesem Auftritt [Anm.: vor der Führungsakademie der Bundeswehr 2012] führte er so pathetisch wie brutal aus, was genau er damit meint. Die höchste Stufe seiner Freiheit-und-Verantwortungs-Existenz erreicht der Mensch laut Gauck, wenn er ›das Äußerste, was ein Mensch geben kann‹, dann auch hergibt: ›das Leben, das eigene Leben‹.
Ob die anwesenden Soldaten Gaucks Begeisterung für den ihnen zackzack zugedachten Heldentod teilten, ist nicht überliefert. Der Bundespräsident zeigte sich geradezu verknallt in ›deutsche Gefallene‹, die ›für unsere glücksüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen‹ seien. Tote stehen Gauck offenbar weit näher als Lebende, die er für krank erklärt, für suchtkrank nach Glück.
Gauck ließ keinen Zweifel daran, dass er sich auf Soldatenbegräbnisse freut, und keiner seiner Gastgeber war unhöflich genug, daraufhin von der Dienstwaffe Gebrauch zu machen. Der nekrophile Pastor macht nun mal so gern staatsmännische Figur beim Sprechen, und Soldaten lassen sich eben nicht nur mit Sold bestechen, sondern auch mit der Lüge von ihrem ehrenvollen Tod.«

Morgen früh, wenn Gott will ...

Montag, 24. November 2014

oder Für jeden Medienkonsumenten gibt es ein Propagandaangebot.

Dieser Putin wollte lieber schlafen, als beim G-20-Gipfel Leviten gelesen zu bekommen. Das berichteten vor einer Woche einige Zeitungen und geizten dabei nicht mit Hohn. Sie deklarierten es als Beweis dafür, dass dieser Mann ein gefährlicher Hegemon mit Expansionsdrang ist. Denn wer aus dem Bett heraus Politik macht, muss ja eine gänzlich verlotterte Existenz sein.

»Putin möchte lieber schlafen als weiterreden«, schrieb die »Frankfurter Allgemeine«. Bei den »Tagesthemen« sagten sie, er wollte ins Bett. Schon vor Wochen berichtete »Bild« und »Welt«, »der Macho schläft bis 11 Uhr« und »der Zar schläft gern lang und frühstückt spät«. Dieses Spiel mit dem Verschlafenheit ist natürlich klassische Propaganda. Mit ihr versucht man die Bevölkerungsteile in Deutschland zu kriegen, die das »erst die Arbeit, dann das Zubettgehen« als Credo führen. Wenn einer Müdigkeit vorschützt, dann ist das für die Tugendhaften dieser Erde ein Anzeichen von unseriöser Lebensführung. Das diskreditiert beim Spießer mehr, als etwaige Straflager in Sibirien oder strukturelle Homophobie. Mein Gott, sagt er bei solcherlei Vorwürfen, das sind Dinge, die können doch mal vorkommen. Keiner ist perfekt. So war es doch immer. Aber dass er sich ins Bett flüchtet, das geht einfach zu weit. Das beweist nur, was für ein schlechter Mensch er ist. Straflager sind hinnehmbar, Nachtlager nicht.

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Postkarten aus Arkadien

Samstag, 22. November 2014

Und dann war wieder eine im Briefkasten. Eine Postkarte meiner Tante. Aus ihrem Feriendomizil in Ungarn. »Leute nett. Wetter schön. Essen gut. Bis bald, eure Tante«, stand auf der Rückseite einer Naturaufnahme des Balaton. Wir lachten. So klangen alle ihre Karten. Aus Barcelona schrieb sie uns ein halbes Jahr zuvor: »Leute nett. Wetter schön. Essen gut. Bis bald, eure Tante.« Und als sie im Schwarzwald war, lautete ihr Text ... ihr könnt es euch ja denken.

Diese Postkarten, die unsere allgemeine Stimmung hoben, weil sie uns kündeten, was wir erwarteten, dieses wiederholte Abspulen fester Kurzsätze, die Gewissheit, dass man adäquat einen Überblick über die Lage bekam, wie man sie ohnehin vorzufinden glaubte, all das war ein Mosaiksteinchen unserer Kindheit. Eine lustige Konstante, die mir als blöde Erinnerung bleibt. Diese Postkarten hatten Kultcharakter. Sie machten Spaß, weil sie eben gar nicht spaßig gemeint waren. Wir lachten, weil es ihr voller Ernst war. Das erzeugte Laune. Keiner fragte vorher was sie wohl geschrieben haben könnte; wir wussten es ja eh. Aber wir lasen trotzdem voller Spannung. Wollten die Erwartung bestätigt haben. Und nebenbei kam so die weite Welt zu uns. Eine Welt, die ja überall gleich zu sein schien. So erfuhr ich als Kind recht schnell, dass es überall Leute, Sonne und Nahrungsmittel gibt. Die Welt war letztlich auf diese drei Dinge reduzierbar. Man hatte einen netten Überblick.

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Katzen und Hunde und Resignation

Freitag, 21. November 2014

Anni hat mir einen entsetzlichen Schreck verpasst. Anni ist eigentlich eine ziemlich ruhige Kollegin. Die gute Seele, die immer ein offenes Ohr hat. Zurückhaltend, aber nicht schüchtern. Sie ist sanft. Hört zu. Ich habe nie erlebt, dass sie unter die Gürtellinie geht. Ich mag sie. Wenn alle so wie Anni wären, dachte ich mir, dann wäre die Welt einen Schritt weiter. Aber letzte Woche hat sie mir dann wirklich zugesetzt.

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Die Freizügigkeit und die neoliberale Soziologie

Donnerstag, 20. November 2014

Der »Sozialtourismus« hat sich nicht bewahrheitet. Trotzdem hat diese unbegründete Angst einen juristischen Erfolg davongetragen. Ein Urteil, das die Freizügigkeit nicht eingeschränkte, hätte auch keine Auswanderungswelle bewirkt. Denn Emigration ist keine Kosten-Nutzen-Frage.

Der Europäische Gerichtshof hat geurteilt, dass Deutschland EU-Ausländern keineswegs Hartz IV gewähren muss. Die Freizügigkeit innerhalb Europas ist damit nachhaltig geschädigt, wenn nicht sogar deaktiviert. Denn das Urteil zieht die Gräben einer kontinentalen Zweiklassengesellschaft noch tiefer. Während die starken Industriestaaten die Vorzüge der europäischen Zollunion genießen können und sich die »Wettbewerbsvorteile« der ärmeren EU-Staaten sichern, werden die Menschen ohne Mittel aus schwächeren Ländern des Kontinents faktisch festgesetzt. Jetzt wäre der richtige Augenblick, über eine europäische »Sozialunion« zu verhandeln. Sie muss auf die Agenda. Denn ein Europa, das die Freizügigkeit als bloße Theorie führt, ist nur ein weiteres gebrochenes Versprechen, dass das europäische Projekt zu Grabe weist. 

... dann fahre darein mit gepanzerter Faust

Mittwoch, 19. November 2014

oder Die deutsche Weltpolitik, die stets etwas Gutes will und stets das Böse schafft.

Der mit dem »Platz an der Sonne«, den die Deutschen sich sichern müssten, das war der von Bülow. Der vierte Reichskanzler. Seiner berühmten Äußerung schob er allerdings vor, dass man »niemand in den Schatten stellen« wolle. Handel wolle man treiben, keine Händel beginnen. Wirtschaftsimperialismus eben. Und der braucht den Frieden und nicht den Krieg. Aber eines war klar, »sollte es irgendeiner unternehmen«, die Deutschen an ihrem »guten Recht zu kränken oder schädigen [...], dann fahre darein mit gepanzerter Faust.«

Alles wurde im wilhelminischen Zeitalter zur Weltsache. Weltpolitik trieb man jetzt. Denn man wollte Weltgeltung. Eine Weltmacht werden. Ein Weltreich. Verantwortung in der Welt sozusagen. Darunter ging nichts mehr. Man sagte, dass man die Lebensart der Völker in potenziellen Kolonien und in denen, die man schon hatte, gar nicht besonders antasten wolle. Es ging ja um Rohstoffe, um das Geschäft. Aber »das Evangelium [...] im Auslande zu künden, zu predigen jedem, der es hören will, und auch denen, die es nicht hören wollen«, war doch wohl das Mindeste. Mit Evangelium war nicht unbedingt die Bibel alleine gemeint. Eher den Kanon, den man damit verband, all die calvinistischen Tugenden, die man der Welt zu bringen trachtete. Sie waren viel eher der Exportschlager. Vortrefflichkeiten wie Sparsamkeit, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit, Ordnung und Sauberkeit. Wir kennen diesen Katalog noch immer. Man spricht ja wieder Deutsch in Europa.

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Auf den ersten Blick

Dienstag, 18. November 2014

Heute: Der diktatorische Fiesling, Claus Weselsky

Quelle: manager-magazin.de
Der GDL-Vorsitzende war mit Sicherheit trotzdem nicht der meist gehasste Mann im Land. Der Zuspruch vieler Menschen war enorm. In den sozialen Netzwerken konnte die Gewerkschaft Lob ernten. Viele zeigten sich solidarisch und nannten Weselsky einen aufrechten Gewerkschafter, einen fähigen Funktionär. Aber es sollte für eine einflussreiche Interessensgruppe und ihre Lohnschreiber und -berichterstatter so aussehen, als würde der Mann gehasst, wie keiner sonst. Neben veröffentlichen Telefonnummern und Bildern seines Hauses, musste man den Chef der GDL daher so in Szene rücken, dass er wie ein überheblicher, snobistischer Fiesling wirkte. Wie einer, der barfuß über Leichen steigt und es einen Verdauungsspaziergang nennt. Und aus diesem Grund lachen er und seine Mitstreiter fies im Gerichtssaal, weil sie »durchgekommen« sind. »Deutschland darf Einheit feiern - Weselsky gestattet es«, steht drüber.

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Strippenzieher des sauberen Lebensgefühls

Montag, 17. November 2014

»Dass Gott eben Gott ist, des bin ich Ursache«, schrieb Meister Eckhart schon im Mittelalter. »Wäre ich nicht, so wäre Gott nicht Gott.« Der Ursprung dessen, der über uns steht, ist immer der, der darunter ist und vor allem: seinen Status als »der, der darunter ist« akzeptiert. Manchmal habe ich mich schon ertappt, wie ich das Zitat auf all die Niedriglöhner beziehe, ohne die die »Leistungsträger« und »Eliten« nicht so wären, wie sie gerne wären. »Dass die Leistungsträger eben Leistungsträger sind, des sind die Niedriglöhner Ursache; wären sie nicht, so wären diese Eliten nicht Eliten.«

Nun ist natürlich »Leistungsträger« und »Eliten« recht hoch gegriffen. Es handelt sich ja auch meist nur um Leute aus der besser betuchten Mittelschicht, die vom Heer des Prekariats zehren. Auch sie treffen in ihrem täglichen Leben auf Menschen, die für niedrigen Lohn, mit wenigen Arbeitnehmerrechten oder in Scheinselbständigkeiten arbeiten. Der ganze Apparat würde zusammenbrechen, wenn es diese Armee an billiger Arbeitskraft nicht gäbe. Und damit soll nicht gesagt sein, es wäre vernünftig gewesen, dass seinerzeit ein Niedriglohnsektor geschaffen wurde. Damit soll ausgedrückt werden, dass die Ursache für diesen mittelschichtigen Wohlstand - nach Art von »Geiz ist geil« und  »Unterm Strich, zähl ich« - diejenigen sind, die an diesem Wohlstand nur in Form von Gesinde teilnehmen dürfen.

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Ein anderes Wort für Sabotage

Freitag, 14. November 2014

Fast täglich erfährt man, wie Menschen unter diesem Regulierungsterror, der sich Zeitmanagement nennt, leiden. Ich schrieb kürzlich darüber und nannte es »den Plan«. Im Kleinen, wie im Großen spielt er sich ab. Viele überspielen das. Merken es selber kaum. Sie schauen nur immer auf die Uhr. Gehen im Geiste schon den nächsten Termin durch und gelten alles in allem trotzdem als ausgeglichene Menschen. »Agenda-Menschen« nannte Friedhelm Hengsbach diese Leute mal. Sie leiden mal bewusst, mal unbewusst im täglichen Dickicht der Ereignisabfolge ebenso, wie in der gesamten Lebensverplanung. Kinder leiden unter dieser Planungswütigkeit besonders. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der AOK ist nur ein weiteres Indiz dafür.

Schon der Tagesablauf von Kindern soll heute im optimalen Falle Struktur haben. Weil alles getaktet sein soll, schicken viele Eltern ihre Kinder schon vorzeitig in die Schule, wehren sich gegen die Zurückstellung und ordnen ihre Kinder schon frühzeitig dem Ernst des Lebens unter. Sie haben sich eben ihre Vorstellungen gemacht und wollen jetzt nicht aus dem Plan geraten. Frühe Einschulungen, so sagt die oben genannte Studie aber, führen häufiger zur Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung). Nicht etwa, weil diese jungen Schüler wirklich eine »psychische Störung« mit diesem Namen hätten, sondern lediglich, weil sie noch zu verspielt sind, noch nicht schulreif. Eltern wie Schulen gehen auf den Spieltrieb nicht ein. Der Zeitplan ist straff, für Spielereien bleiben da keine Zeitressourcen. Konventionen verlangten zudem funktionierende Kinder. Für Kindereien sichert auch die Politik keine Räume. Kindliches Spiel ist schließlich Sabotage am Mehrwert, an der Wertschöpfung, an der Ökonomie. Also wirft man den Spielkindern Ritalin in den Schlund, damit es ohne Störungen planvoll weitergehen kann.

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Die Integration hat ihren Preis

Donnerstag, 13. November 2014

Die Debatten zur Integration bauen meist nur auf Vorurteilen. Man stellt sich Ausländer auf ganz bestimmte Weise vor und wälzt zum Beispiel die allgemeine Bildungsverdrossenheit auf sie als Gruppe ab. Wer solche Ressentiments verfestigt, erhält dann auch noch einen Integrationspreis.

Es lief mal wieder das Radio. Eine begeisterte Stimme erzählte mir, dass der diesjährige hessische Integrationspreis an einen Verein gehe, der junge Migranten mit einem hohen Bildungsabschluss in Schulen schicke, um Kinder mit Migrationshintergrund zum Lernen zu motivieren. Auf diese Weise würden die Migrantenkinder erfahren, dass sich Bildung lohne. Die Paten hätten schon manchen schweren Fall auf Kurs gebracht. Als positives Beispiel dafür, wie es in Deutschland als Ausländerkind laufen kann, wären sie glaubhaft und entwickelten schnell einen Draht zu den Kindern. 

Aus fremder Feder

Mittwoch, 12. November 2014

»Sobald du geboren bist, machen Sie dich klein.
Sie lassen dir statt dessen keine Zeit,
bis der Schmerz so groß ist, dass du gar nichts mehr fühlst.
Ein Held der Arbeit – das sollte man sein.
Held der Arbeit soll man sein.
Sie verletzen dich zu Hause, in der Schule wirst du geschlagen.
Wenn du klug bist, hassen Sie dich, bist du ein Narr, wirst du verachtet.
So lange, bis du so verdammt verrückt bist, dass du ihren Regeln
sowieso nicht mehr folgen kannst.
Ein Held der Arbeit – das sollte man sein.
Held der Arbeit soll man sein.
Nachdem sie dich 20 seltsame Jahre gequält und verängstigt haben,
erwarten sie, dass du Karriere machst.
Aber du kannst nicht wirklich funktionieren, bist so voller Angst.
Ein Held der Arbeit - das sollte man sein.
Held der Arbeit soll man sein.
Bleibt nur auf Droge mit Religion, Sex und Fernsehen.
Ihr glaubt, ihr seid so klug, passt in keine Klasse und seid frei,
aber soweit ich sehen kann, seid ihr immer noch verdammte Bauern.
Ein Held der Arbeit – das sollte man sein.
Held der Arbeit soll man sein. 
Es gibt Platz da oben, das sagen sie immer noch.
Aber zuerst einmal musst du lernen, wie man beim Töten lächelt,
wenn du sein willst wie die Herrschaften dort auf dem Hügel.
Ein Held der Arbeit – das sollte man sein.
Held der Arbeit soll man sein.
Also, wenn du ein Held sein willst – folge einfach mir.
Folge einfach mir.«

- John Lennon, »Working Class Hero«, deutsche Übersetzung -

Nicht der Streikende ist erpresserisch, sondern die Situation, in der er streikt

Dienstag, 11. November 2014

Als Anfang Oktober die Lokführer nachts streikten, da hieß es, dass die morgendlichen Nachwehen dieses Streiks all die braven Bürger treffe, die zur Arbeit wollten. Man sollte solche Mätzchen also nicht machen. Mitte Oktober streikten sie dann zwei Tage und alle riefen: »Muss das jetzt sein, wo doch der Urlaub beginnt? Die Leute haben sich doch so gefreut!« Danach kam es bekanntermaßen zu weiteren vier Tagen im Ausstand - die »wegen guter Führung« nach zwei Tagen endeten - und der Bahn-Vorstand gab sich empört, weil sich die Menschen so gefreut hätten, am Jahrestag des Mauerfalls zu feiern. Diese letzte Aussage gefiel mir besonders, denn sie war eine Erklärungsnot, die die Wortlosigkeit überwunden hatte und in voller Blüte des Schwachsinns über uns kam. Sie liest sich so hilflos, dass ich fast Mitleid mit dieser rhetorischen Null aus der Vorstandsetage bekommen habe.

Ab nächster Woche wäre es übrigens auch etwas ungünstig für einen Streik, denn die Leute wollen in die Großstädte pilgern. Sie freuen sich doch schon so un geheuer auf die Weihnachseinkäufe und die Sonderangebote, die man jetzt schon vorbereitet, indem man die Preise, die man senken will, zunächst mal erhöht. Und in drei Wochen ist es noch schlechter, denn da eröffnen die ersten Weihnachtsmärkte, auf die sich alle Glühweintrinker und Menschen so sehnsüchtig freuen. Es gibt immer noch einen Grund zur allgemeinen Freude, den man sich durch etwaige Spaßbremsen nicht vermiesen lassen will. Irgendwas fällt denen immer ein. Und wenn es der Kanzlerinnengeburtstag ist, auf den sich alle so mächtig freuten und den sie nun nicht standesgemäß in einem Waggon mit Blümchen in der Hand Richtung Berlin begehen können.

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Als die Mauer fiel und die Geschichte endete

Montag, 10. November 2014

Ein Vierteljahrhundert ist der Fall der Mauer nun her. Grund genug für viele Medien, eine Rückschau zu halten. Das Jubiläum war aber nicht mehr als eine Aneinanderreihung von Attitüden und Klischees, Ossi-Bashing und Wessi-Kür, von fukuyamascher Ende-der-Geschichte-Arroganz und eschatologischer Anbruch-einer-neuen-Welt-Rhetorik.

Die Gänsehaut war eine häufig benutzte Redensart dieser Tage. Viele hatten nämlich vor 25 Jahren eine. Natürlich, man konnte nur schwer kalt bleiben, als man die Bilder der Menschen sah, die aus ihrem Land strömten. Man freute sich für sie. Ganz sicher war das ein historischer Moment. Gänsehaut inklusive. Eine Rückschau aber fast nur mit Gänsehäuten zu gestalten, jeden befragten Zeitgenossen auf den damaligen Zustand seiner Epidermis zu reduzieren, ist dann doch etwas wenig. Aber der Mauerfall scheint im Rückblick keine historische Größe mehr zu sein, sondern ein emotionaler Zustand. »Wo waren Sie, als die Mauer fiel«, war die zu klärende Frage schlechthin. Gerade so, als könnte man aus dem individuellen Standort von befragten Nostalgikern irgendetwas Gehaltvolles ableiten. Die Emotion war der Hauptgegenstand des medialen Jubelfestes.

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Biermann und das Lachen

Samstag, 8. November 2014

Richy und ich lauschten einem Radiobericht zu Biermanns Auftritt im Bundestag. 
   »Der Biermann, ganz der alte Pathetiker und Dramaturg, wie man ihn kennt. Mir kommt gleich der Kaffee aus der Nase«, sagte ich meinem Kollegen.
   Er lachte herzlich mit und fragte mich: »War der nicht mal selbst Sozialist?«
   Ich nickte und Richy sagte: »So ein Heuchler. Wendegewinner, was?«
   In letzter Zeit reden wir in diesem Land ja viel von Konvertiten, die angeblich die schlimmsten Hardliner seien. Zum Islam Konvertierte ebenso wie zur Nichtraucherei Gekommene. Und der Renegat, den die SED damals nicht aufnehmen wollte, obwohl er scharf auf eine Mitgliedschaft war, ist da auch nicht besser. Der Seitenwechsel gebiert immer Scheuklappen.
   »Der ist ja wie meine Alte«, sagte Richy nach einer Weile, »seitdem sie nicht mehr qualmt, hält sie alle Raucher für Verbrecher.«
   Wir lachten wieder.

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... auf ins letzte Gefecht?

Freitag, 7. November 2014

oder Es soll dem letzten Rest klassenkämpferischer Identität an den Kragen gehen.

Beim Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer geht es mittlerweile um mehr, als nur um höhere Löhne und die Festigung der eigenen Gewerkschaft. Das Schicksal des gewerkschaftlichen Grundgedankens hängt mittlerweile an diesem Streik. Es geht um nicht weniger als um die Vorstellung davon, wie sich Lohnabhängige organisieren und gegen schlechte Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen dürfen und wie nicht. Es sind aktuell ja bezeichnenderweise auch nicht die Lohnforderungen, die man der GDL vorwirft, sondern der Umstand, dass sie sich das Recht herausnimmt, selbstbestimmt für ihre Auffassung aufzutreten.

Wenn man den Stimmen aus der Wirtschaft und der Politik so lauscht, dann könnte man glauben, dass man jetzt endgültig bereit ist, dieses »letzte Gefecht« mit einer aufmüpfigen Gewerkschaft anzugehen. Natürlich soll es Gewerkschaften auch weiterhin geben, sagen uns die Streikgegner. Aber sie meinen damit natürlich: »Streikrecht ja, aber unter unseren Prämissen, die das Streikrecht ad absurdum führen.« Gewerkschaften sollen handzahm und harmlos sein. Ergeben und widerstandslos. Keine Opposition, eher schon ein Partner der Regierung, der Konzerne und des herrschenden Austeritätssystems. Es klingt ein wenig so, als flüsterten die Gewerkschaftszersetzer der Deutschen Bahn jetzt ein, dieses »letzte Gefecht« für sie alle auszutragen. Wenn sich die Bahn stur zeige, jeden Streik ignoriere, auf Frau Nahles baue und munter die Lokführer kriminalisiere, dann breche man der »Tyrannei von Arbeitnehmervertretungen« hoffentlich endgültig das Genick.

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