Von Entwicklungsländern in die Pfanne gehauen

Montag, 11. Juli 2011

Klaus Ernst findet den UN-Bericht, der Deutschland arge soziale Schieflage attestiert, beschämend. Beschämend ist allerdings ebenfalls, wie sich manches deutsche Blatt dazu äußert und versucht, den sozialen Standort Deutschland aufzupolieren.

Geschenkt, dass der Stern den Experten des UN-Ausschusses, die aus Entwicklungsländern stammen, unterstellt, sie hätten diebische Freude daran, die Industrienationen in die Pfanne zu hauen. Denn erfahrungsgemäß genießen Experten in deutschen Leitmedien nur dann ordentliche Reputation, wenn sie aus dem rechtslastigen oder konservativen Lager stammen. Erschreckender ist da schon eher, mit welchen Ausreden der UN-Bericht abgebügelt wird. Dieser sei veraltet, aus der Mottenkiste gar, weil er bestimmte Entwicklungen der letzten Jahre nicht berücksichtigt hat. Und man fragt sich unwillkürlich: Was hat sich für Hilfebedürftige denn in der letzten Zeit so dramatisch verändert?

Die Antwort ist denkbar einfach: Bildungspaket und Hartz IV-Erhöhung! Das sind ganz ernsthaft die beiden Indikatoren, die den UN-Bericht und die Schelte am deutschen Sozialwesen enthebeln sollen? Eine finanzielle "Besserstellung" um fünf Euro und ein Konzept, dass Kinder von Leistungsberechtigten, vor Schulen und Vereinen bloßstellt und sie vor der Gesellschaft brandmarkt? Eine lachhafte Anpassung der Bezüge wider aller Einwände diverser Sozialverbände und ein diskriminierender Ansatz zur kindlichen Teilhabe? Beides hat nichts verbessert, eher verschlechtert. Die Regelsätze gelten nun als durchgerechnet und dürften zunächst unantastbar sein - und Kinder, die den Segnungen des Bildungspaketes ausgeliefert sind, haben gleichen einem Rind, einen gut sichtbaren Stempel in Stirn gebrannt.

Es ist unglaublich, mit welchem Schmu der Stern versucht, den UN-Bericht zu entkräften. Im Grunde hätte er auch schreiben können, dass die Ungerechtigkeiten im hiesigen Sozialwesen wesentlich weniger drastisch sind, als der Bericht es darlegt, weil alle Mitarbeiter des Stern regelmäßig fünfzig Cent in die Hüte diverser Bettler wirft, die vor dem Verlagshaus Gruner & Jahr hocken und um milde Gaben bitten. Überhaupt: Gruner & Jahr! Ein Unternehmen der Bertelsmann Media Group! Zufall, dass Bertelsmann eine mal stille, mal etwas lautere mitwirkende Kraft bei der Umgestaltung des Sozialwesens war?

Ärmeren Menschen - der Stern schreibt "sozial Schwache" - gehe es im internationalen Vergleich hierzulande relativ gut. Das kann, rein die finanziellen Aspekte abwägend, sogar stimmen. Unerwähnt bleibt dabei aber, dass a) die finanzielle Höhe einer Sozialleistung nichts über die Lebensqualität aussagt und b) diese finanzielle Höhe nur ein Aspekt der Lebensqualität ist. Anders gesagt, mit der Hälfte des hiesigen Regelsatzes mag man in Süditalien einigermaßen leben können. Und die staatliche Zuwendung alleine ist nicht das, was Lebensqualität ausmacht. Bekämen Erwerbslose hierzulande fünfhundert Euro als Regelsatz überwiesen, lebten aber weiterhin in diesem Klima sozialer Ausgrenzung, angestachelt durch Politik, Wirtschaft und deren Steigbügelhalter aus der Presse, so wäre vielleicht das Bankkonto genesen, nicht aber die seelischen Narben des Betroffenen. Seine Befindlichkeit im Angesicht der Gesellschaft wäre dieselbe. Man kann so gesehen auch in Süditalien bei niedrigeren Bezügen arbeitslos sein, dennoch "glücklicher" leben. Das soziale Klima dort, stark durch Familie, Nachbarn und Freunde und durch die "anarchistische" Bereitschaft, elitäre Maximen nicht unbedingt nachzubeten, bewirkt, dass sich der Betroffene nicht wie der letzte Dreck fühlen muß. Nochmal anders gesagt, in Deutschland scheint nur die finanzielle Komponente über soziale Gerechtigkeit befinden zu dürfen, während das Zwischenmenschliche keinerlei Maßstab zu sein scheint.

Zeitmangel war es, der Deutschland so schlecht abschneiden ließ. Man traut sich wirklich, den Experten anzuraten, mit etwas mehr Zeit Deutschland zu studieren, dann würden sie erkennen, es ist wirklich alles Gold was glänzt. Wenn sie mit viel Zeit nach Deutschland blickten, vielleicht würden sie dann auch erkennen, dass das deutsche Sozialwesen ein Produkt großer Interessensdynastien ist, allen voran der Bertelsmänner und -frauen, die den Stern für sie marschieren lassen.



17 Kommentare:

Anonym 11. Juli 2011 um 07:45  

Beschämend ist allerdings ebenfalls, wie sich manches deutsche Blatt dazu äußert und versucht, den sozialen Standort Deutschland aufzupolieren.


Dazu möchte ich nur noch sagen: Pfui!

Björn 11. Juli 2011 um 08:36  

Word!

Anonym 11. Juli 2011 um 09:15  

Solange wir HartzIV-Opfer uns schämen, so lange werden wir sozial geächtet, zumal dies politisch gewollt ist.
Seit ich sehr offensiv mit meiner Lage umgehe, schämen sich die menschen denen ich das sage. In dem Moment sind sie gezwungen, sich damit auseinander zu setzen.
Ich kann nur allen Mitbetroffenen raten, es den Menschen zu sagen, denn nur so, gewinnen wir mehr Verständnis für unsere Situation. Übrigens, ich meine nicht jammern, sondern die klare Darstellung der Fakten.

Lutz Hausstein 11. Juli 2011 um 09:47  

"Dieser sei veraltet, aus der Mottenkiste gar, weil er bestimmte Entwicklungen der letzten Jahre nicht berücksichtigt hat. Und man fragt sich unwillkürlich: Was hat sich für Hilfebedürftige denn in der letzten Zeit so dramatisch verändert?

Die Antwort ist denkbar einfach: Bildungspaket und Hartz IV-Erhöhung! Das sind ganz ernsthaft die beiden Indikatoren, die den UN-Bericht und die Schelte am deutschen Sozialwesen enthebeln sollen?"

Veraltet? Soso.

Die auf Seite 45 des Parallelberichts empfohlene Analyse zur Höhe der Regelsätze stammt aus dem Jahr 2010. Die dabei festgestellte Bedarfsunterdeckung um rund 325 Euro wurde nun durch die Neu"berechnung" 2011 von einer Bedarfsunterdeckung von rund 333 Euro abgelöst.

Diese von den Medien widerspruchslos verbreiteten "Erklärungen" der Regierung sind an Stupidität nicht zu übertreffen.

Hartmut 11. Juli 2011 um 10:39  

Danke Roberto für diesen Artikel.

So wie die "Geld-Eliten" sich immer im Recht fühlen, bzw. dieser Schicht jegliches "Unrechsbewußtsein" fehlt, so ist diesen "Herrschenden" (Machtmenschen) jegliche Art von Schamgefühl und Gewissen abhanden gekommen. -
Hieraus resultiert wohl auch deren "Unfehlbarkeitsbewußtsein".

Die neuere Geschichte zeigt uns, daß nicht nur in totalitären Staaten Kritiker verachtet und verfolgt werden. Nur hier, wo die Kritik von der UN kommt, wird mit primitiven medialen Methoden abgewehrt und geleugnet.

MfG
Hartmut

Anonym 11. Juli 2011 um 11:23  

„nichts ist faul im Staate Dänemark“
warum?
„weil nicht sein kann, was nicht sein darf“

Anonym 11. Juli 2011 um 12:53  

Zitat: Die Regelsätze gelten nun als durchgerechnet und dürften zunächst unantastbar sein Zitat Ende.

Falsch, nicht nur ich habe schon eine Klage gegen den derzeitigen Regelsatz vor dem SG laufen.

klaus Baum 11. Juli 2011 um 16:44  

Gut, dass Du Dich dieses Themas annimmst. Sehr zutreffend ist dieser Satz:
>>vielleicht würden sie dann auch erkennen, dass das deutsche Sozialwesen ein Produkt großer Interessensdynastien ist<<.

Es sind doch immer wieder Menschen die anderen Menschen Leid zufügen. Vom Schicksal halte ich immer weniger.

Klaus Baum 11. Juli 2011 um 16:48  

Was die Höhe der Regelsätze anbelangt: Kürzlich, wirklich sehr kürzlich wurde die Pfändungsfreigrenze von unter 1000.-- euro auf über 1000.-- euro erhöht. Diese Pfändungsfreigrenze gilt als Indiz für das, was ein einzelner Mensch im Monat wirklich zum Leben braucht.

Stephan 11. Juli 2011 um 17:18  

empört euch
wehrt euch

exponiert euch

Hartz4 ist eine Schande für unser Land
Bildungsgutscheine sind eine Schande für unser Land
Armut ist eine Schande für unser Land
die Elite ist eine Schnade für unser Land
die Politik ist eine Schande für unser Land
Schande über unser Land...
Deutschland geht den Bach runter, wenn wir uns nicht wehren!

Anonym 11. Juli 2011 um 19:00  

Wo Geld regiert, hört Menschlich-Zwischenmenschliches auf.
Der Würde Ende.
Anfang der Gewalt.

Anonym 12. Juli 2011 um 06:33  

Die Gouvernante der Arbeitslosen

Es wäre ja zu ertragen, dieses Peter-Hahne-hafte Automatik-Grinsen - wenn sich dahinter eine annehmbare Politik versteckte. Aber Ursula von der Leyens Fassade ist längst eines Potemkinschen Dorfes würdig: wenig dahinter, wie sich beim Bildungspaket jetzt zeigt.

http://hebel.frblog.de/die-gouvernante-der-arbeitslosen/#more-487

Hartmut 12. Juli 2011 um 08:30  

@ Klaus Baum 16:44

Es sind doch immer wieder Menschen, die anderen Menschen Leid zufügen. Vom Schicksal halte ich immer weniger. -
Das ist eine sehr weisheitsvolle Erkenntnis, von der ich fest überzeugt bin.

Durch meine, unter anderem, jahrzehntelange Beschäftigung mit der Psychiatrie, besonders mit der Entstehungsgeschichte psychiatrischer Erkrankungen kann ich die o.g. Erkenntnis ganz unterstreichen.
Homo homini lupus est, (Der Mensch ist des Menschen (einziger) Feind)
bringt es auf den Punkt.

Mit dem hier Genannten überschreite ich zwar das Thema bei weitem, trotzdem möchte ich hierzu ein sehr interessantes Buch nennen:
Die interpersonale Theorie der Psychiatrie, 1953, von Harry Stack Sullivan

MfG
Hartmut

Juliane 12. Juli 2011 um 08:34  

Vielen Dank für diesen Beitrag!
Ich kenne persönlich niemanden, der das anders sehen würde.
Schaut Euch mal die Schilder, die ich am 09.07.2011 in Stuttgart fotografiert habe, an.
www.ebenerdig.npage.de

Dranbleibige Grüße aus BaWü

Anonym 12. Juli 2011 um 13:59  

zu Post von Anonym 11. Juli 2011 12:53

" Anonym hat gesagt...
...
Falsch, nicht nur ich habe schon eine Klage gegen den derzeitigen Regelsatz vor dem SG laufen.
..."


Hallo Anonym
da ich auch Widerspruch/Klage gegen ALG-II-Bescheide in Erwaegung ziehe, kannst du mal den/die Blogbetreiber/in kontaktieren und deine emailadr da abgegeben, bzw. weiterleiten lassen.
- hatte ihn/sie gestern kontaktiert -

Brauche zum Widerspruech mehr Info, fand aber im Netz bisland nix brauchbares !

ronald

Anonym 12. Juli 2011 um 14:41  

Wieder einmal vielen Dank, so ist es. Arm, erbärmlich, nicht einmal mehr mittelmäßig.

Juliane 12. Juli 2011 08:34

Vielen Dank für diesen Beitrag!
Ich kenne persönlich niemanden, der das anders sehen würde.


Geht mir gleich. Weiß auch nicht, wo die immer alle herkommen ;-) (sollen).

Hartmut 12. Juli 2011 08:30
Durch meine, unter anderem, jahrzehntelange Beschäftigung mit der Psychiatrie, besonders mit der Entstehungsgeschichte psychiatrischer Erkrankungen kann ich die o.g. Erkenntnis ganz unterstreichen.
Homo homini lupus est, (Der Mensch ist des Menschen (einziger) Feind)
bringt es auf den Punkt.

Mit dem hier Genannten überschreite ich zwar das Thema bei weitem ...

Nicht wirklich ;-) Denn wenn man versucht, den Ursachen ganz tief auf den Grund zu gehen, landet man unwillkürlich ebenda ... (also möglicherweise sogar auf die ein oder andere Weise ;-)).

Gruss
rosi

Aldo 12. Juli 2011 um 15:11  

Die meisten Medien verfahren nach dem Motto: Du sollst nicht merken, um die Masse ruhig zu halten. Hätten diese Erfüllungsgehilfen der Herrschenden nur ein bißchen recherchiert, so hätten sie herausgefunden, dass es einen UN-Sozialpakt gibt, der meines Wissens auch von der damaligen BRD unterschrieben wurde. Darin steht jedem Menschen das Recht auf angemessenen Lohn und Lebensunterhalt zu.

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP