Überwachung (fast) verboten

Dienstag, 19. Juli 2011

Überwachende und damit überwachte Gesellschaften sind Gesellschaften, die einen akuten Hang zur Doppelmoral bergen. Natürlich ist es untragbar, wenn ein wöchentlich erscheinende Boulevardjournaille Telefonate prominenter Gestalten abhören läßt, um so zu einer lukrativen Schlagzeile zu gelangen. Natürlich gehören solche Methoden verurteilt und deren Initiatoren gleich mit. Natürlich kann man die Entscheidung, ein solches Medium von jetzt auf gleich einzustellen, auch begrüßen. Aber gleichwohl natürlich regt sich dieselbe Gesellschaft nicht auf, wenn die Regierung tut, was die Journaille tat, mit dem Unterschied, nicht nur Prominente belauscht, sondern alle bespitzelt, gefilmt und observiert zu haben - und das nach der Maßgabe, wonach alle gleich seien; bis auf eine kleine Bonzokratie aus Politik und Wirtschaft, die immer noch ein wenig gleicher ist.

Das zeitgenössische Vereinte Königreich wurde vom traurigen Geist des New Labour (jenem Geist, der macht, dass man konservativer als die Konservativen sein wollte und auch war und ist), zu einem gut bewachten Königreich umgebaut, zu einem Vereinten Königreich der Observierten. Nirgends sonst in Europa sind so viele Kameras auf öffentlichen Raum ausgerichtet wie in Britannia. Heribert Prantl berichtet hierzu in seinem Buch "Der Terrorist als Gesetzgeber", dass in Großbritannien neben dem allsehenden Auge auch die sonore Stimme des Großen Bruders erschallt, die beispielsweise das Wegwerfen von Bonbonpapier in bereitgestellte Abfalleimer propagiert - bei Zuwiderhandlung existiert somit freilich ausreichend Beweismaterial in Form digitaler Filmchen. Orwellsches Denken, verarbeitet zur Wirklichkeit! Ein blitzeblankes Britannien mit mahnendem Stimmengewirr, man möge Sauberheit walten lassen - und dies alles auf Grundlage einer Gesetzgebung, die eigentlich dazu dienen sollte, dem Terrorismus Einhalt zu gebieten. Der Ordnungsfanatiker könnte nun feierlich verlautbaren, wie gut es doch sei, dass es Terroristen gibt, denn sie sind die Grundlage sauberer Bahnsteige, sauberer Plätze.

Die News of the World mag sich da gedacht haben, dass es dem Zeitgeist entspricht, einfach mal zu lauschen. Die Privatsphäre ist ja seit der Regierung Blair nicht mehr very british. Sicherheit zu Lasten der Freiheit: das wurde fortan zur feinen englischen Art. Für eine freiheitliche Ordnung zog man, an der Seite der ehemaligen Kolonie aus Übersee, in den Krieg - eine freiheitliche Ordnung, die im Inlande immer mehr zur Farce wurde, zum Insiderwitz in britischen Eliten. Was müssen die gelacht haben, konnte man dem britischen Tölpel doch seelenruhig erzählen, seine Söhne würden auf der gegenüberliegenden Seite des Globus' für Freiheit und Demokratie bluten, merkt dabei aber nicht, dass es diese Freiheit und diese Demokratie zuhause schon gar nicht mehr gibt. Abgeschafft zur Sicherheit aller - abgeschafft für saubere Bahnsteige und Marktplätze!

Und dennoch tapste die News of the World in eine Sackgasse. Obwohl Privatsphäre nicht mehr zeitgemäß war und noch nicht ist, stolpert sie darüber, prominenten Zeitgenossen telefonisch die Privatsphäre gestohlen zu haben. Denn eines hat man vergessen, im Eifer des Gelausches: eine Gesellschaft die juristisch abgesegnet horcht und beäugt, die erklärt das Horchen und Beäugen nicht zum Allgemeingut. Diese Methode ist einzig der Regierung vorbehalten. News of the World war anmaßend genug, geglaubt zu haben, der Markt der Observation sei einer, wie es der freie Markt vorhersieht. Einer, der viele Anbieter kennt und in dem jeder Kunde sein darf. Wahr ist allerdings, dass Überwachung immer Monopol ist, staatliches Monopol nämlich. Und Kunde ist nicht jeder, sondern nur jene, die so nichtig und alltäglich sind, dass sie sich gegen solche Praktiken nicht wehren können. Prominente, wie bei News of the World, sind keine Kunden - die nennt man Opfer.

Da liegt nicht die Privatsphäre als solche auf dem Tisch, wenn nun über die Praktiken der News of the World befunden wird. Die ist nicht das Problem, das heißt: die ist nicht der Gegenstand der Diskussion. Es geht darum, dass man einem bestimmten Personenkreis zu nahe kam - und es geht darum, dass eine zerstörte Privatsphäre Aufgabe des Staates, nicht einer Zeitung ist. Dass man nun so tut, als sei da ein ganz infamer Eingriff getan worden, ist entweder Heuchelei oder Scheingefecht, um das eigene, das staatliche Vorgehen zu übertünchen, das sich gegenüber der Stümperei der News of the World hochgradig professionell ausnimmt.

Irrtümlicherweise ist Privatheit in einer Gesellschaft, die selbige aufgegeben hat, ein wertvolles öffentliches Gut. Nämlich immer dann, wenn sich jemand an ihr vergeht, der nicht vom Wähler beglaubigt ist. Dann müssen die beglaubigten Ins-Private-Schnüffler, die Großen Brüder und Sicherheitsfetischisten laut und deutlich Skandal! plärren, damit sie aussehen wie vernünftige Zerstörer der Privatheit - damit sie sich gegenüber den privaten Schnüffelnasen, die ja gänzlich unvernünftig sind, abgrenzen - damit man ihnen abnimmt, sie nähmen es sehr genau und sehr sensibel mit dem Eingreifen ins Privatleben der Bürger. So genau und so sensibel, dass sie es für kriminell halten, wenn jemand anderes als sie Telefone abhört. In einer Gesellschaft, die überwacht wird, ruft man wahrscheinlich besonders ungestüm, dass Mitlauschen eine Sünde sei. Damit halten die Überwacher ihr kriminelles Handeln moralisch rein - damit grenzen sie sich von den Kriminellen ab, die privatwirtschaftlich in der gleichen Branche tätig sind - damit versuchen sie sich zu entkriminalisieren.


1 Kommentare:

Anonym 19. Juli 2011 um 20:08  

eine schöne analyse die einen verbittern lassen könnte, würde man am ende des artikels nicht mit brüsten belohnt.

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