Polnische Verhältnisse

Mittwoch, 6. Juli 2011

Vor einfallenden Horden aus Polen hat man sich gefürchtet. Wie einst die Tartaren würden sie ins Reich einfallen und dem braven deutschen Blaumann jene Arbeit wegnehmen, von der niemand leben kann. Nun sind die Schlagbäume für polnische Leiharbeiter seit einer Weile abgesägt, gekommen sind die Horden allerdings noch nicht. Sie winken ab, für ein Butterbrot könnten sie auch zuhause malochen - und dort schmeckt die Butter sogar noch besser, wissen sie.

Das stinkt natürlich denen, die da so ausufernd warnten. Den Glatzköpfen und den Neonazis, der NPD und den Reaktionären innerhalb der Union. Da bleibt das Feindbild einfach daheim und macht jedes Schreckensgespenst zunichte. Gottlob hat man noch die Türken! Dann sind es eben die, die uns unsere Arbeit wegnehmen (In Dönerbuden arbeiten kaum Bayern oder Sachsen!) und unsere Frauen ehelichen (Obwohl es dauernd heißt, die Türken blieben nur unter sich!). Andererseits können die Falken aus Union und FDP sich mit dem Argument trösten, dass die Anpassung Osteuropas endgültig abgeschlossen ist. Europa erreicht ein Level! Noch nicht in jedem Sektor, in jeder Nische: aber deutsches Prekariat und polnische Facharbeiter sind schon mal zueinander emanzipiert. Das ist doch ein hoffnungsfroher Anfang...

So kommen nicht Polen nach Deutschland, aber wenn es so weitergeht, dann gehen Deutsche nach Polen. Ob sich da jeder Pole freuen wird? Diese Ausländer, diese deutschen Ausländer, die nehmen nur den Polen die Arbeit weg und treiben es mit den feschen Polinnen. Ob das polnische Stammtische in ihre Leitmedien hineinrufen dürfen, ohne sich Ärger aus Berlin anzulachen? Vielleicht schreibt ja bald ein Sarrazinski, dass diese deutschen Minderleister, die selten Polnisch sprechen und unter sich bleiben (Obwohl sie doch angeblich die feschen Polinnen begatten!), die Abschaffung Polens betreiben - Applaus von den Feuilletonowskis garantiert! Die deutsche Kanzlerin - Gott oder wer auch immer bewahre, dass die dann noch im Amt ist - muß dann in Polen um Toleranz gegenüber ihren Landsleuten bitten - und die polnische Presse tobt danach wild, weil sie kein Wort zur Integration der Deutschen in die polnische Leitkultur fallen ließ.

Natürlich kommt es so nicht! Das kann man mit Deutschen nicht machen! Eher würden deutsche Reaktionäre, allen voran der Bund der Vertriebenen, der heute mehr ein Bund der Vertreibenden sein möchte, um das Hilfsvolksdasein der Polen schwadronieren. Polen sei schließlich immer schon in Preußen aufgegangen. Warum nicht jetzt in diesem Preußen, das sich Bundesrepublik nennt? Generell beweist der Furor, der einige Seelen vor der Öffnung der Ostgrenzen ergriff, wie sehr man noch davon überzeugt ist, der Nabel der Welt zu sein, das Einfalltor zu grenzenlosem Wohlstand. Dass es in dieser deutschen Gesellschaft mittlerweile Armseligkeit gibt, wie man sie auch in Osteuropa finden kann, wurde bei der Debatte einfach ausgeblendet. Es leben in Deutschland Menschen in solch trister Kargheit, und dass, obwohl sie arbeiten, dass selbst Polen davor zurückscheuen. Die deutsche Arroganz, mit der die Angst geschürt wurde, hat nicht wahrhaben wollen, dass polnische Verhältnisse auch in Deutschland herrschen, wenn man nur tief genug im Morast des Niedriglohnsektors stochert. Und am Ende wandern gar Deutsche nach Polen ab und es folgt nicht Demut, sondern der Ausbau ebenjener Arroganz, nämlich die selbstgefällige Einsicht, dass sich Polen glücklich wähnen sollte, ob des deutschen Know-Hows und deutscher Tugenden, die da für wenig Geld gen Warschau wandern.



13 Kommentare:

Anonym 6. Juli 2011 um 08:00  

"Polen sei schließlich immer schon in Preußen aufgegangen. Warum nicht jetzt in diesem Preußen, das sich Bundesrepublik nennt?"

Leute: Polen IST Deutschland. Auch wenn der öffentlichrechtliche MDR - "Mittel"deutscher Rundfung erklärt, das Mitteldeutsche im Namen habe traditionelle Wurzeln, so höre ich Politiker und Journalisten in Talkshows und bei Statements auf diesem Sender immer wieder öffentlich von "Mitteldeutschland" reden. Und niemand fällt diesen Revanchisten ins Wort.

Kann mir vielleicht hier jemand erklären, wo dann Ostdeutschland bzw. der östliche, an Mitteldeutschland grenzende Teil der Republik liegt? ;-)

Hartmut 6. Juli 2011 um 09:00  

"Die Geschichte der Armut ist die Geschichte der Erniedrigung", so ein Zitat aus dem Buch: Geschichte der Armut von Bronislaw Geremek !

Genau dieser Ausspruch kennzeichnet die Absicht unserer sog."Eliten", nicht nur die Armen auszugrenzen sondern, und das besonders, sie zu erniedrigen.

Wer mit offenen Sinnen, besonders offenem Herzen, die täglich wachsende, nicht nur äußere Armut, wahrnimmt und sie dennoch leugnet oder gar, wie immer häufiger der Fall, politsch mißbraucht, ist ein "Unmensch" ohne Gewissen.

Schon 1993 hat Ulrich Schneider mit seinem damaligen Buch: "Solidarpakt gegen die Schwachen"
einen zu diesem Thema wichtigen Beitrag geleistet!

Ich wünsche mir einen Politiker,egal, ob kommunal-, landes,- oder bundes- Ebene, der das Wort sozial überhaupt noch mal in den Mund nimmt ! (Im Interesse der sozial Schwächsten)

MfG
Hartmut

Anonym 6. Juli 2011 um 12:37  

"Obwohl es dauernd heißt, die Türken blieben nur unter sich"

Das stimmt ja auch weiterhin: Es werden viel weniger Türkinnen aus ihren Kreisen herausgelassen, um über einen deutschen Mann in die deutsche Gesellschaft zu finden, als dass Türken deutsche Frauen in ihre patriarchalischen Kreise hinein-assimilieren.
Die Heiratsstatistik spricht da mit glasklarer Stimme, Faschismusvorwurf hin oder her.

Anonym 6. Juli 2011 um 15:14  

Hineinassimilieren:-) Herrje, ich fand ja schon immer dass "Star Trek" einen besonderen politischen Hintergrund besitzt, man siehe nur die Darstellung der Klingonen und deren Eintritt in die Föderation zur Zeit der Beendigung des kalten KRieges. Aber ich habe die Bork noch nicht unbedingt für Türken gehalten *gg*

Ich bin Türke. Du wirst assimiliert. #
Die beste Satire schreibt das Leben selbst.

Bonsta 6. Juli 2011 um 15:19  

Das ist ein bekanntes Phänomen: Je prekärer die Lebensverhältnisse, umso irrantionaler die Politik und die Menschen.

Man nimmt nicht zur Kenntnis, dass Deutschland schon lange nicht mehr das "Schlaraffenland" vergangener Jahre ist, man schimpft weiterhin auf die faulen Harzer, die in der sozialen Hängematte liegen, ohne wahrzunehmen, dass diese Hängematte zu einer Diskiminierungsmaschinerie geworden ist. Man glaubt auch dass WIR den Griechen keinen Euro geben sollten. Wenn man dann fragt, wieviel Geld ER denn auf dem Konto hat, von dem ER DENEN nichts geben will, erntet man Schweigen. Wenn man dem Ereiferer dann noch den Tipp gibt, sich mal die Vermögensverteilung in Deutschland, Europa und dem Rest der Welt anzuschauen, dann wird eigentlich offensichtlich, WER hier WEM das Geld spendet.

Da fallen plötzlich alle Weltbilder in sich zusammen, aber da Borniertheit keine Krankheit und deshalb nicht heilbar, werden Fakten eben einfach ignoriert...

Anonym 6. Juli 2011 um 18:24  

Assi miliert einen Fisch vor'm braten!

Anonym 6. Juli 2011 um 21:25  

Ich bin mir gar nicht so sicher, dass die Warnungen vor der "polnischen Flut" wirklich ernst gemeint waren... Ich halte es durchaus für möglich, dass diese "Warnung" viel mehr eine (weitere) Drohkulisse für das deutsche Prekariat aufgebaut werden sollte.

Drohung verpackt als Warnung kanalisiert die mglw. entstehende Wut auf den Wettbewerber statt auf denjenigen, der von der (ohnehin) bestehenden prekären Situation des Sklaven profitiert - den Sklaventreiber.


Gruß
Omnibus56

Anonym 7. Juli 2011 um 02:29  

Wer will sich schon in Unterschichten-Deutschland "freiwillig" ausbeuten lassen?
Jedenfalls nicht der Pole.
So frei ist der.
Und recht hat er!

Ein-Euro-Jobs und Ein-Euro-Shops.
Es wächst zusammen, was zusammengehört.
Billig, billiger, Deutschland.

Ungarische Zustände
http://www.pesterlloyd.net/2011_25/25chinaungarn/25chinaungarn.html

Manul 7. Juli 2011 um 13:07  

Roberto, dass du dich mal nicht täuschst. Die Polen sind genauso fremdenfeindlich wie die Deutschen, wenn nicht sogar noch mehr. Viele Zeitungen verbreiten daher heute schon antideutsche und antirussische Hetze und man bedient sich allerlei geschichtlicher Ressentiments, die es heute noch in der breiten Bevölkerung gibt. Wenn man dann in die Kommentarspalten wechselt, dann ist es manchmal ganauso wie bei welt.de, bloß auf polnisch und es geht um etwas andere Gesellschaftsgruppen, aber der Ton ist der selbe.

Ein kleines Beispiel der polnischen 'Weltoffenheit': Ein deutscher Verein, der von Nachkommen der schlesischen Deutschen gegründet wurde, kam auf die Idee die polnischen Ortsschilder in Schlesien um deutsche zu ergänzen, die ja schliesslich auch historisch sind. Ein polnischer Verein unterstützte die Aktion und die Ortsschilder wurden auch angebracht. Es hat jedoch nicht lange gedauert, bis einige verschwanden oder unkenntlich gemacht wurden, da man deutschsprachige Ortsschilder einfach nicht dulden könne.

Die Deutschen würden also in Polen genau das selbe fremdenfeindliche Klima erleben, wie zu Hause, nur diesmal wären sie diejenigen, die das Ziel dieser Attacken wären. Ich bin allerdings sicher, dass die Springerzeitungen bestimmt jeden Tag Jammerartikel schreiben würden, dass man deutsche Herrenmenschen ja nicht wie Abschaum behandeln darf. Das Ganze wäre dann mit den üblichen Hetzartikeln gegen Araber und Türken garniert, denn was man woanders nicht duldet, ist in Deutschland schliesslich normal und erlaubt.

FollowTheWhiteRabbit 7. Juli 2011 um 15:36  

Wow, dann sollten Deutsche Grenzstädte auch Polnische Namen bekommen oder nicht?

Was für ne Hirnerweichende Logik bringst du da eigentlich hervor? Es ist doch klar das die Polen was dagegen haben das Deutsche ihnen wiedermal vorhalten wollen das ein Teil ihres Landes ihnen eine Zeit lang garnicht gehört hat.

Aldo 7. Juli 2011 um 16:02  

Dazu passt auch der zehnseitige UN-Bericht über die soziale Lage in Deutschland. Einer der brisantesten Vorwürfe ist, dass inzwischen jedes vierte Kind ohne Frühstück in die Schule geht. Und das in einem der reichsten Länder weltweit!
Zum Vergleich: Ich habe längere Zeit in Buenos Aires, Argentinien gelebt, einem Schwellenland mit
einem viel geringeren Bruttosozialprodukt als Deutschland. Aus Gesprächen mit alleinerziehenden
Müttern aus der argentinischen Unterschicht mit MigrantInnen aus Bolivien, Paraguay, Peru habe ich erfahren, wie wichtig diese kompensatorische Schulmalzeit für los de abajo, die von unten sind.

Manul 7. Juli 2011 um 19:02  

@Followthewhiterabbit:

Schlesien ist ein ganz ganz besonderer Teil Polens und daher sollte gerade dort das Nationalgedönse von welcher Seite auch immer keine besondere Rolle spielen. Schlesier sind nämlich weder Deutsche noch Polen und Schlesien hatte in der jüngeren Geschichte tatsächlich einen größeren Bezug zu den Preussen, als zu den Polen gehabt.

Hier ist dazu eine schöne Karte Polens aus dem 15. Jahrhundert und über den Pfeil rechts oben kann man bis in die Neuzeit durchklicken:

http://polmap.republika.pl/m-h06a.htm

Polen sind meine Landsleute und ich kritisiere sie zu Recht, wie ich finde. Das, was ich an Deutschland so sehr hasse, finde ich nämlich dort genauso wieder, manchmal sogar noch schriller und direkter, als hier. Das Schlimme ist, hier wie dort findet man es normal und interessiert sich mehr für historische Grenzen, als für Herausforderungen der heutigen Zeit.

Anonym 9. Juli 2011 um 10:12  

@Manul hat gesagt...
Du hast viel gesprochen und doch nichts gesagt.
Wieso ist die historische Grenzfrage für Dich so schlimm geworden? Ohne Geschichte gibt es keine Gegenwart. Wie willst Du dich denn den Herausforderungen der heutigen Zeit stellen? Welche sind es für dich überhaupt? Nenne ein paae davon, bitte! Allgemeines Reden brint nicht.

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