Wie gerne wär' ich ein Durchschnittstyp

Freitag, 9. September 2016

Und ich habe mir Sorgen um den Wohnraum gemacht. Das kam daher, weil ich bis neulich noch auf Wohnungssuche war. In Frankfurt. Einer der vielen Städte im Lande, die berühmt und berüchtigt dafür sind, in puncto Miete nichts herzuschenken. Also ich suchte mir - wir suchten uns - eine größere Bleibe. Die Mieten waren teilweise horrend, die angebotenen Wohnungen manchmal in grauenhaftem Zustand. Neubauten kamen aber kaum in Betracht, wer heute sechzig Quadratmeter in einer Neubausiedlung haben will, kann mit einer Warmmiete von 1.100 Euro rechnen. Ich sah mir auch Bilder solcher neuen Wohnungen auf Immobilienseiten an. Schön fand ich sie ja schon. Viele hatten interessante Grundrisse. Aber wer um Himmels Willen kann sich das denn leisten? Vorausgesetzt er verdient so, wie normal arbeitende Menschen heute verdienen? Doch dann kam neulich das »Institut der deutschen Wirtschaft« (IW) mit einer Entwarnung um die Ecke. Es gäbe mehr Fläche für Mieter, behauptete es - und allerlei andere Zahlenspiele mehr, die mir wohl entgangen waren auf meiner Suche.

70 Quadratmeter Wohnfläche, so stellt das IW fest, könnten sich Frankfurter Haushalte leisten. Und jetzt kommt es: Diese 70 Quadratmeter seien quasi ein Viertel des Haushaltseinkommens. Achtung, jetzt kommt es nochmals: Haushaltseinkommen meint hier den Nettolohn und gegebenenfalls Kinder- und Wohngeld. Ich traue es mich gar nicht nochmals anzukündigen, aber es kommt gleich noch was nach: Das IW meint mit Wohnkosten tatsächlich nicht nur die Kaltmiete, sondern addiert dazu sämtliche Nebenkosten. Und diese 70 Quadratmeter seien sogar ein Anstieg im Vergleich zu vor sechs Jahren. Im bundesweiten Schnitt haben die Leute sogar 96 Quadratmeter für ein Viertel ihres Einkommens zur Verfügung. Gejammert wird aber trotzdem auch außerhalb Frankfurts. Auch wenn das IW eingestehen muss, dass der Mietmarkt durchwachsen sei.

Das sind aber doch wirklich mal Kennzahlen, die sich sehen lassen können. Hendricks fabulierte kürzlich von Mini-Wohnungen. Was im Zeitalter von Mini-Jobs ja nur als folgerichtig anzusehen wäre. 30 Quadratmeter empfahl sie überheblich aus ihrem 100 Quadratmeter großen Umweltministerinnenbüro heraus. Und nun hat ein deutscher Haushalt (was ja offen lässt, um wieviele Personen es sich handelt, vielleicht sogar nur um einen Single) tatsächlich mehr als doppelt so viel Platz und immer noch drei Viertel seines Einkommens übrig. Wieso aber bringe ich diese Zahlen mit meinen empirischen Erhebungen im Zuge meiner Wohnungssuche nicht in Einklang? Nach 70 Quadratmeter haben wir zum Beispiel gar nicht erst gesucht, weil wir uns die nicht leisten konnten, da wären wir schnell bei einem Drittel oder bei zwei Fünfteln unseres Einkommens gelandet.

In Frankfurt wohnen viele sehr gut verdienende Menschen oft auch nur zur Miete. Weil sie beruflich flexibel sein müssen, zum Beispiel. Also weil morgen ihr Dienstherr auf sie zukommen und erklären könnte, dass man sich entschieden hätte, den Herrn oder die Frau Angestellte jetzt mal für einige Jahre nach Hamburg zu versetzen. Andere haben hier eine Wohnung, um unter der Woche nicht pendeln zu müssen. Wenn man diese Leute alle mit in die Rechnung aufnimmt, kommt natürlich ein völlig verzerrtes Bild heraus. Wenn sich einer für ein Achtel seiner Einkünfte 90 Quadratmeter leistet, während ein anderer für die Hälfte seines verfügbaren Geldes 50 Quadratmeter anmietet, dann kommen wir im Schnitt schon dorthin, wo der IW seine Rechnungen abschloss.

Nachdem ich im Schnitt 83.000 Euro auf der hohen Kante habe, 41.000 Euro durchschnittliches Jahreseinkommen kriege, lebe ich jetzt auch noch auf durchschnittlich 70 Quadratmetern und zahle dafür nur durchschnittlich ein Viertel eben dieses durchschnittlichen Jahreseinkommens. Und morgen stelle ich mich rüber zur Warte, kaufe mir ein Bier und erzähle den Leuten, wie gut es uns in Deutschland geht. Keine Sorgen, abgesichert und mit viel Platz. Ach, wie gerne hätte ich doch ein durchschnittliches Leben. Als Durchschnittstyp hätte man es in Deutschland offenbar richtig gut.

6 Kommentare:

Anonym 9. September 2016 um 21:21  

Mit Zahlen lässt sich die Wahrheit eben am Besten zur Lüge gebrauchen. Wenn ich einen Fuß ins kochende Wasser stelle und einen ins Eiswasser, dann stehen meine Füße in durchschnittlich angenehm temperiertem Wasser. Im täglichen Leben spielt der Durchschnittsverdienst eben nie eine Rolle, und es dürften noch nicht einmal besonders viele sein, die dieses Einkommen zufällig haben. Vielmehr gibt es viele Zig-Millionen, die brutal deutlich drunter liegen und einige Hunderttausend, die das Zehn- bis Hundertfache haben, und einige Wenige, die das Vieltausendfache haben. Der Gipfel des Wahnsinns ist dann nur noch, dass sich die materiellen Looser auch noch dafür schämen, und die Höhe ihres Elendszuschusses geheim halten oder gar lügen. Gerade die Lügen werden gerne von Rechts aufgegriffen: "Ich kenne Einen, der nicht arbeitet, aber 2000€ netto hat!"
Anständig wohnen oder anständig essen wäre ja noch immerhin eine Alternative. Das ist leider für Millionen Menschen Wunschdenken, denn Beides ist für sie nicht zu haben, am Wenigstens das Wohnen.
Es ist zwar eine müßige Frage, aber ich stelle sie trotzdem: "Sollte man solche Zahlenspielchen nicht mit einer Gefängnisstrafe wegen Unmenschlichkeit belegen?"

Anonym 10. September 2016 um 16:56  

Es wird Zeit, dass Du der Preisträger wirst. Gründe gibt es genug, an erster Stelle Deine Diskussionsunfähigkeit selbst beim Spiegelfechter:

http://www.goldenesbrett.net/2016/category/nominierungen/

Anonym 11. September 2016 um 10:15  

wer unter Durchschnitt ist, wär liebend gern ein Durchschnittstyp

Anonym 13. September 2016 um 10:32  

lol? also brutto verdient dort der durchschnitt jenseits der 80.000€ im jahr? wtf?

Anonym 15. September 2016 um 14:35  

Werde am Samstag in Frankfurt auf der Demo dabei sein und etwas an dir schnüffeln :)

Michel 29. September 2016 um 11:42  

Steigende Mieten sind nicht nur ein Geldproblem sondern verursachen noch anderen Unsinn:

Je höher die Mieten v.a. in Großstädten, desto mehr ziehen aufs Land und Pendeln täglich oder wöchentlich.
Zeit für An- und Abreise zur Arbeit ist aber verlorene, weil unproduktive Zeit. D.h. je höher die Mieten, desto unproduktiver die Gesellschaft insgesamt.
Höheres Verkehrsaufkommen in Bussen, Bahnen und durch Pkw und durch Fahrräder. Dadurch steigt auch die Unfallhäufigkeit und -wahrscheinlichkeit. Und die Umweltbelastung.
Je höher die Mieten, desto weniger Investitionen in sinnvollere Güter, wie Kunst, Bildung, Erholung usw.

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