Unsere neue Weihnachtsgeschichte

Freitag, 23. Dezember 2016

Weihnachten ist traditionell die Zeit der Narrative. Eines von ihnen lautet, dass wir ein Fest der Liebe feiern würden. Gemeint war damit aber lediglich, dass wir Weihnachten als Ende einer Adventszeit zelebrieren sollten, in der wir unser Geld verstärkt in die Geschäfte getragen haben. Oder aber jenes Märchen, dass Weihnachten eine friedvolle Zeit sei. Dabei stoppt der Feldzug gegen Arme nie. Auch nicht an Weihnachten. Es gibt auch eine Erzählung, die zu jener Jahreszeit kursiert, wonach die Menschen besonders zueinanderstehen würden. Aber offen gesagt, es ging nie um alle Menschen. Eine gewisse Reputation musste man da schon mitbringen. Nun kriegen wir also ein weiteres Narrativ für die Weihnachtszeit. Und dann gleich so ein eiskalt Zeitgemäßes.

Fast überall konnte man es so kurz vor dem Fest in sich verinnerlichen. Der eine Sender baute dafür extra nochmal seinen heißen Stuhl auf, der andere diskutierte wie irr um jene Nacht, die so bedeutsam war für das Jahr 2016, wie einst der Stern, dem die Könige aus dem Morgenland folgten. Aus jenem Morgenland kamen dann auch die Grapscher und Fummler, die Antänzler und Diebe, die in Köln und anderswo nicht nur eben grapschten, fummelten, antanzten und stahlen, sondern gleich noch so die gesamte Asyl- und Flüchtlingspolitik veränderten und jene politische Partei uralter Konzepte und Männer massiv stärkte. Vieles von dem, was damals geschildert wurde, dass »zehntausend nackte Neger« (Postillon) durch die Straßen tanzten, hat sich so nicht bestätigt. Aber dass es wie im Bürgerkrieg war, wie einer der Fernsehsender in einem Trailer behauptete, kann man ausschließen. Und man muss es sogar, will man den Syrern und ihrem Elend, auch nur noch einen Funken Respekt entgegenbringen. Der Vergleich verharmlost.

Natürlich ist was passiert damals. Eine Erfindung war es nicht. Aber recht schnell war wohl klar, dass sich das Ereignis politisch ausbeuten lässt und so haben sich Medien, Politik und die Rezipienten beziehungsweise die Betroffenen der Silvesternacht, gegenseitig hochgeschaukelt. Die Geschehnisse wurden dann in eine nationale Transzendenz erhoben, zum Augenblick der Besinnung erkoren, einem zeitlichen Ort, wo den Bürgern endlich klar wurde, dass es so nicht weitergehen könne. Was ja stimmte, denn einfach unkontrollierte Grenzöffnungen zu delegieren und zu behaupten, man schaffe das aber schon, das ist nicht Politik und nicht Konzept. Es war das Mitleidskalkül einer Machtpolitikerin, die ihre inhaltliche Ohnmacht und ihre Ignoranz gegenüber der vorherigen Entwicklung in dieser Frage, mit dieser Aktion zu kaschieren trachtete.

Wie gesagt, natürlich musste was geschehen, gut durchdacht aber, gut organisiert, ordentlich finanziert und eben in europäischer Zusammenarbeit. Die Silvesternacht und die Affekte, die sie gebar, haben aber einfach alles weggewischt und jede vernünftige Neuausrichtung der Fluchtproblematik erstickt. Und die Kanzlerin, eben noch auf Selfies mit Syrern die Initiatorin des Willkommens, schwenkte brutalstmöglich um. Den offenen Armen folgt jetzt die Bereitschaft, die eben noch Geherzten zurück in Kriegsgebiete zu schicken.

Ein Narrativ servierte man uns ja schon immer zum Fest der Liebe. Auch das gründete auf einer Erzählung, die sich sicher so nicht zugetragen hat. Da waren sicher keine Könige im Stall gestanden. Und Gold als Gabe für einen Knaben aus der unteren Mittelschicht, das dürfte wohl auch ein Märchen sein. Aber Grundlage war eben auch eine Fluchtgeschichte. Modifizierte Fluchtgeschichten waren also immer so eine Basis des Advents. Jetzt installieren wir eine neue. Die alte ist ohnehin vergessen, viele Menschen verbinden nichts mehr mit Bethlehem, kennen kein Gran der Weihnachtsgeschichte. Da kommt eine neue Variante natürlich gerade recht. Ein bisschen aufgehübscht und auf Zeitgeist getrimmt, dann kann man sie wieder und wieder erzählen und sie zu einem nationalen Entdeckungsmoment präparieren.

Würde heute eine syrische Familie ein Kind zwischen Tür und Angel bekommen, man würde sie verjagen und ihnen unterstellen, ein Verbrechen geplant zu haben. Der verantwortungslose Umgang mit den realen Geschehnissen am letzten Dezembertag des letzten Jahres, der hat die Vorurteile verstärkt. Am Ende buhen Studiozuschauer eine Muslimin aus und nehmen den auf dem heißen Stuhl lungernden Thilo Sarrazin in Schutz. Und dann gehen diese Leute heim und stellen eine Krippe auf, das holzgeschnitzte Abbild einer Flüchtlingsfamilie, die Rast in einem Stall machte.

In diesem Sinne, geneigte Leser, wünsche ich euch ruhige Feiertage, genießt es, wenn der Trubel da draußen für einige Tage einfriert. Und wenn ihr in 2017 gelandet seid, werdet ihr feststellen, wie friedlich Silvester war und wie sehr sich die Regierung für diesen Frieden loben lassen wird. Denn sie hat gehandelt, sie hat es geschafft. Auch das gehört zum Narrativ - als Nachgang sozusagen. Das nächste kommt dann gleich danach. Die ungeliebte Kanzlerin, sie möchte ihre Wiederwahl schaffen. Dazu braucht es die ganze Schönheit ihrer Politik, das heißt: Geschönte Berichte, frisierte Zahlen und weggelassene Hiobsbotschaften. Deutschland steht gut da. Das ist ein Satz, den sie gerne sagt. Bis zum September 2017 wird das das Narrativ des Jahres bleiben. Wir sehen uns. Bei den #neulandrebellen.

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Paketzusteller als modernes Gesinde

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Zu Tausenden beschweren sich die Menschen über Paketzusteller, allen voran kurz vor Weihnachten. Die Verbraucherzentrale stimmt in den Kanon ein und dokumentiert die vermeintliche Schlamperei. Ton und Maß der Kritik an den Beschäftigten gleicht dabei dem Gejammer wilhelminischer Herrschaften über ihr unzuverlässiges Gesinde.

Natürlich habe ich auch schon mal so ein Kärtchen im Briefkasten vorgefunden. Darauf zu lesen stand, dass ich zu Hause nicht anzutreffen war, ich solle mein Paket deswegen am nächsten Werktag in der Filiale abholen. Komisch an der Sache war nur, dass ich den ganzen Tag daheim war, ein Klingelzeichen und ich hätte die Haustüre geöffnet. Hätte ich gewusst, dass es da ein Beschwerdeportal namens »Paket-Ärger« von der Verbraucherzentrale gibt, ich hätte dort schon gelegentlich was melden können. Aber manchmal ist es gut, wenn man solche Einrichtungen nicht kennt. Sonst notiert man dort als Kurzschlussreaktion, was einem später wahrscheinlich leidtut. Denn seien wir doch mal ehrlich: Die Meldung dort dient der Anschwärzerei; da werden die Lieferanten in die Pfanne gehauen. Dabei trifft sie doch nicht die Schuld. Selbst dann nicht, wenn sie es sich im Arbeitsalltag mit Aktionen wie der eben mal eingeworfenen Abholungsbenachrichtigung ein bisschen einfacher machen.

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Aus fremder Feder

Mittwoch, 21. Dezember 2016

»Das deutsche Volk ist aus den verschiedensten Bestandteilen zusammengewachsen, im vollen Lichte der Geschichte. Die vier Hauptbestandteile des deutschen Volkes sind: die Überreste der vorindoeuropäischen Urbevölkerung, die Kelten, die Germanen und die Slawen. Dazu kommen als Nebenbestandteile die Römer, die Skandinavier, die Litauer und, seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, die bis dahin praktisch abgeschlossen lebenden Juden. [...]
[...]
Während der Römerzeit sind in West- und Süddeutschland Syrer und Spanier, Afrikaner und Illyrer angesiedelt worden. Sie machten die Urbestandteile der deutschen Städtebevölkerung aus.
[...]
Kein großes europäisches Volk ist aus so vielen Bestandteilen zusammengesetzt wie das deutsche.«
- Veit Valentin, »Geschichte der Deutschen« -

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Über das gestrige Versagen der Medien

Dienstag, 20. Dezember 2016

Kaum dass dieser Lastwagen in den Weihnachtsmarkt rauschte, mutmaßte man, es handle sich vielleicht um einen terroristischen Anschlag. Man wusste jedoch nichts Genaues. Aber die journalistische Ermittlung lief schon auf Hochtouren.

Das Erste zum Beispiel präsentierte Ingo Zamperoni, der etwas gedankenverloren in die Kamera blickte und festhielt, dass es sich zwar vielleicht um einen terroristischen Akt handeln könnte, man aber nicht wisse, ob es denn wirklich so sei. Danach kündigte er einen Rückblick mit sämtlichen terroristischen Attacken an, die dieses Jahr in Deutschland stattfanden. Obgleich man also nicht wusste, mit was man es da zu tun hatte, hatte man das Ereignis in Berlin schon gleich unter dem Label des islamistischen Terrorismus verbucht und die Leitlinie festgesetzt.

Kann ja tatsächlich sein, dass es ein Anschlag war. Vorsatz dürfte auf alle Fälle dahinterstecken. Hat aber der Journalismus denn keinerlei Verantwortung mehr, das Ereignis so lange ergebnisoffen zu begleiten, bis man konkrete Angaben machen kann?

Den Übergang der Publikative in die Spekulative haben wir schon mehrfach erlebt in den letzten Jahren. Der Medienmainstream hat zuletzt auch über den Begriff des Postfaktischen berichtet und meinte damit bestimmte politische Bewegungen und Beweggründe. Doch das Problem liegt tiefer. Es ist tatsächlich ganz wesentlich zur journalistischen Praxis hierzulande geworden, erst gar nicht mehr auf Fakten zu warten, über sie hinweg zu gehen und zu berichten. Es ist allerdings nicht post-, es ist präfaktisch. Was qualitativ betrachtet aber nur wenig Unterschiede macht.

Während allerdings das Postfaktische als Fake justiziabel gemacht werden soll, bleibt das Präfaktische des Mainstream unangetastet und ohne rechtliche Konsequenzen. Und das ist eine Bürde.

Denn es ist mitnichten so, dass da einfach nur Journalisten übermotiviert über ihren Ethos hinweggehen oder Spekulation bewusst in Kauf nehmen, um so Quote zu machen. Der Mainstream prägt den Alltag im Lande. Und er prägt auch die Polizeiarbeit vor. Wenn nicht ergebnisoffen berichtet wird, wenn man als Journalist nicht immer wieder betont, dass man momentan noch nichts berichten könne, außer vielleicht den Hergang und über einige Fakten am Rande, dann beeinflusst er gezielt die Ergebnisoffenheit der Ermittler. Denn auch die lesen Zeitung oder gucken TV.

Ein solcher Journalismus behindert die Ermittlungsarbeit nachhaltig. Aber er bleibt trotzdem unbelangt, kann immer wieder so weitermachen und versteckt von ihm verbreitete Irrtümer ganz tief im Archiv, sodass man sie kaum mehr findet. Am Ende weiß man als Rezipient nicht mal mehr, ob die letztliche Deutung eines Ereignisses ein Produkt sachlichen Zusammentragens von Fakten und Ermittlungsansätzen ist oder einfach nur die sich verselbständigte Spekulation aus dem Äther.

Natürlich gibt es im ersten Nachgang dann immer Rubriken, in denen aufgelistet wird, was Fakt und was Gerücht ist. Aber zu diesem Zeitpunkt haben sich die ersten spekulativen Ansätze und die Querverbindungen wie jene, dass man eben mal andere Anschlagsszenarien per Einspieler in Erinnerung ruft, schon völlig in den Köpfen verfestigt. Journalistische Gründlichkeit muss von Anfang an einsetzen, nicht irgendwann mittendrin. Dann ist es für sie zu spät.

Die Presse ist in der tiefsten Glaubwürdigkeitskrise aller Zeiten in Deutschland. Die Menschen zweifeln an ihrer Neutralität und an ihren Methoden. Die, die laut über die so genannte Lügenpresse wettern, werden jetzt kaum Kritik äußern, wenn man Ereignisse wie jene in Berlin einem Moslem in die Schuhe schiebt, auch ohne Belege dafür zu haben. Aber es ist genau diese unverantworliche Arbeitsauffassung des Mainstreamjournalismus, der seine eigene Krise vertieft.

Anschläge wie der in Berlin dokumentieren nicht nur den ganzen Wahnsinn des Zeitgeistes und der Weltordnung, sie belegen auch immer aufs Neue das Versagen unserer Medienanstalten.

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Optionahles fürs Wahljahr

Montag, 19. Dezember 2016

Fast hätte meine Heimatstadt in der bayerischen Provinz, das zwischen München und Nürnberg eingeklemmte Ingolstadt, ein neues CSU-Mitglied bekommen: Andrea Nahles. Jedenfalls wurde berichtet, dass Horst Seehofer ihr eine solche Mitgliedschaft angeboten hätte, weil er die Frau als Ministerin wirklich gut finde. Frau Nahles lehnte jedoch ab. Sie bliebe dann lieber doch in der Eifel und mache auf Sozialdemokratin. Im nächsten September wird bekanntlich gewählt. Theoretisch sind Wahlen ja ein Abwägen von Optionen. Die kleine Geschichte von Nahles und ihrem Horst macht überdeutlich: Mit der Auswahl ist Essig wie nie. Die Sozialdemokratie ist viel zu gut in der Union aufgegangen, als dass da noch Raum für Optionales wäre. Sie ist bestenfalls auf Optio-Nahles eingestellt. Und das ist das Gegenteil davon.

Es gab mal Zeiten in diesem Lande, da hätte es für einen Sozialdemokraten als eine Beleidigung gegolten, wenn der Vorsitzende der bayerischen Christsozialen mit Lob um die Ecke gekommen wäre. Wahrscheinlich hätte man sich das verbeten. Man mochte nicht von jedem gelobt werden. Eben auch deshalb nicht, weil die Grundlage eines solchen Lobes eher das Gegenteil dessen war, was das sozialdemokratische Milieu von einem erwartete. Jetzt wird man aber vom eigentlich politischen Gegner gelobt und lächelt auch noch ganz saturiert. Als habe man alles richtig gemacht.

Am Beispiel von Frau Nahles erkennt man gut, dass sie das aus konservativer Sicht auch getan hat: Also alles richtig gemacht. Sie hat - als kleine Auswahl ihres Schaffens - Sonderregelungen beim Mindestlohn zugelassen, Langzeitarbeitslose weiter in die Sanktionsspirale geschubst und die Freizügigkeit innerhalb der EU aufgrund des Ausschlusses von EU-Ausländern aus Hartz IV begünstigt. Dass ich zum Beispiel hier in Frankfurt viele verwahrloste Polen auf der Straße (und bei meinen Diensten im Krankenhaus) vor Augen bekomme, hat auch mit letzterem Punkt zu tun. Diese Leute kommen in guter Hoffnung nach Deutschland und enden dann, abgeschnitten von jeglicher staatlicher Hilfe, in der Obdachlosigkeit. Das kann man wahrlich nur lobenswert finden, wenn man bayerischer Ministerpräsident ist und auch ansonsten nichts gegen rassistische Strukturen hat.

Man hat den Eindruck, die Anpassungsmechanismen greifen immer besser. War Große Koalition bis vor einigen Jahren noch Notlösung und letzter Strohhalm, so ist es mittlerweile ja schon so weit, dass der Rechtsausleger der Union der Sozialdemokratin im Arbeitsministerium einen Karrieresprung wünscht. Welche Wahl hat man denn bittesehr, wenn man zwischen zwei Volksparteien abstimmen muss, die wie eine auftritt und in der man jetzt schon Parteimitgliedschaften verschenkt?

Richtig ist, dass man für den Aufstieg des Phänomens AfD mehrere Aspekte aufzählen muss. Sicherlich auch die Politik der Kanzlerin ganz grundsätzlich. Aber der ausschlaggebende Punkt ist und bleibt die SPD. Sie hätte eine Alternative für Deutschland sein müssen. Eine Alternative gegen neoliberale Politik und Rechtsruck. Eine Alternative zu diesem europäischen Zersplitterungskurs. Aber all das war sie nicht. Ganz im Gegenteil. Sie wird gelobt für ihre Angepasstheit und für ihr verantwortliches Personal wird sogar auf Seiten der politischen Kontrahenten geschwärmt. Da ist es doch am Ende wirklich nicht mehr verwunderlich, warum die Menschen an den Urnen abwandern und Protestparteien befeuern.

Und das sagen ja viele Wähler der Rechtspartei, die man fragt: Sie seien keine AfD-Sympathisanten, aber wollten protestieren. Natürlich ist das irrational. Aber menschlich schon irgendwie nachvollziehbar. In einer Republik, in der der Chef der rechten CSU die Ministerin aus der SPD über den Klee lobt und ihre Arbeit für vorbildlich hinstellt, da gehen die Dinge wohl zwangsläufig ihren traurigen Weg. Hätten wir mehr Optionen, mehr Optionales im Repertoire, wetten die AfD wäre eine Nischenexistenz! Aber Optionales ist eben nicht Optionahles, also der Wille der Nahles zur Angepasstheit, als Symptom ihrer gesamten Partei. Und deswegen ist es, wie es ist.

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In eigener Sache

Samstag, 17. Dezember 2016

neulandrebellen - Neu gegründet, aber seit Jahren gut.

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Wir warten

Freitag, 16. Dezember 2016

Le Pen wird es vermutlich nicht werden. Hofer wurde es jedenfalls sicher nicht. Merkel stemmt sich gegen die AfD. Der ganz große Wurf des Rechtsruckes in Europa, er wird immer wieder abgewehrt. Diese Erkenntnis fühlt sich an, als ob man sich eine Beruhigungspille einwirft: Puh, gerade nochmal gut gegangen. Bis demnächst dann wieder. Wie lange soll das eigentlich noch so weitergehen? Hangeln wir uns jetzt echt von Wahl zu Wahl, von Richtungswahl, wie man das dann meilensteinmäßig nennt, zur nächsten Richtungswahl und bibbern darum, dass wir auch danach noch durchatmen können, nur um dann in der Legislaturperiode faul verschnaufen zu können? Können wir nur noch zuwarten? Solange sich nichts ändert, werden wir wohl das Gefühl nicht mehr los, dass wir zum letzten Mal durchgeatmet haben könnten.

Was geschieht nachdem die Bundeskanzlerin nächstes Jahr genau das weiterhin ist? Ich kann es schon mal prophezeien: Überall Durchatmung. Weil die Rechten nur eine Randnotiz im Bundestag bleiben werden. Dasselbe Muster werden die Kommentatoren schon einige Monate zuvor in Frankreich angewandt haben. Zum Glück nicht die Le Pen, werden sie erlöst ausrufen. Man wird sich publizistisch den Schweiß von der Stirn wischen und sich des Glücksmoments erfreuen. Wieder eine Schlacht geschlagen, wieder das Abendland von den Rettern des Abendlandes gerettet und deren Zugriff abgeschmettert. Danach passiert genau eines: Nichts. Oder sagen wir es so, dass es auch Sinn gibt: Es passiert so einiges, die Gesellschaft bewegt sich ja durchgehend. Nur bei der ökonomischen Grundausrichtung: Da passiert nichts Neues. Kurs halten. Weiter so. Vielleicht doch noch Pfründesicherung hier, Privatisierungsvorhaben dort. Verschlanken außerdem. Der Staat ist in den Köpfen der Wirtschaftspolitiker noch immer auf Diät.

Wie schlecht es um die Abwehr gegen die Rechtsausleger steht, ist mir erst neulich aufgefallen, als ich über ein Interview mit der Schauspielerin Marion Cotillard las. Eigentlich ist die Frau ganz tough, hat ein Händchen für kritische Rollen und steht für ein weltoffenes Frankreich. Sollte die Le Pen die Wahlen gewinnen, sagte sie, so werde sie Widerstand leisten. Frankreich dann im Stich zu lassen, das könne sie nicht. Aber sie war guter Dinge: Die Franzosen seien klüger, sie würde Le Pen Frankreich nicht antun. So weit, so gut. Sie werden aber ziemlich sicher ihrem Land Fillon antun. Das ist die Alternative, die alternativlos zu diesen alten Nativen ist. Der Neoliberalismus als Alternative - dabei ist er nur ein Wartesaal.

Wir warten. Wir warten bis zur nächsten Richtungswahl. Wehrhafte Demokratie? Nee: Die wartende Demokratie. Sie lässt die Zeit in einer Wartehalle verstreichen. Wenn sie uns dann neoliberale Häppchen anbieten, atmen wir tief durch und sagen uns, dass das noch besser ist als ein Rechtsruck und glauben gleich noch, damit dem Rechtsruck sogar entgegenzuwirken. Die Rechten spotten ja gemeinhin über die Demokraten. Sie seien keine Tatmenschen, wären zu phlegmatisch und wo sie durch ihren Patriotismus handeln, da warteten die Demokraten nur zu. Nicht alles trifft zu. Aber die letzte Einschätzung, sie kommt wohl nicht von ungefähr. Wir machen weiter so und warten. Aber die Warterei macht mürbe. Und das ist die Gefahr.

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Noch ein Kriminalfall von regionaler Bedeutung

Donnerstag, 15. Dezember 2016

Ein Mordfall ist kein Sack Reis in China. Aber er ist meist doch nur ein Geschehen von regionaler Bedeutung. Insofern hat die »Tagesschau« ganz normal gehandelt. Manch überregionalen Justizfall hat sie hingegen verschwiegen.

Irgendwann im Januar 2004 schaltete ich die »Tagesschau« an. Vielleicht würde die ja was zur Wende im Fall Rudi Rupp bringen. Der Landwirt aus Neuburg an der Donau, nahe Ingolstadt, war seit über zwei Jahren verschwunden und nun hatte man dessen Mörder ins Netz gehen lassen. Aber Fehlanzeige. Das Nachrichtenformat berichtete nichts, obgleich der Fall wirklich spektakulär war. Niemand hat damals nachgefragt und über die »Lügenpresse« gemosert. Hätte man das getan, der Sender hätte wohl darauf verwiesen, dass der Fall lediglich von regionaler Bedeutung sei und die ganze Sache keinen Nachrichtenwert für jemanden in Scharbeutz oder Ratekau habe. So wie neulich im Fall des Freiburger Verdächtigen mit Flüchtlingshintergrund, der eine Studentin ermordet haben soll. Es hat damals auch niemand vermutet, dass die öffentlich-rechtlichen Nachrichten an einer Vertuschung mitwirken, die verschleiern möchte, wie es unter Landwirten wirklich läuft: Grob und unzivilisiert nämlich.

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Waldo oder Warum er nicht liefern muss

Mittwoch, 14. Dezember 2016

Die Optimisten hatten es nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten geschafft, auch noch eine positive Quintessenz aus dessen Wahlsieg zu filtern. Der Mann würde jetzt nämlich liefern müssen. Und spätestens da fällt er auf die Schnauze und die Amis würden begreifen, dass sie einem Schwindler aufgesessen sind. Diese Hoffnung könnte sich zerschlagen. Trump liefert ja. Nicht stichhaltig, nicht faktisch. Aber er lässt es so aussehen. Er twittert seinem Volk vor, dass er politisch was erreicht, die Sache im Griff hat. Trump hat die Niederungen des »Liefernmüssens« durch Höhenflüge in den Netzwerken ersetzt. Er ist ja auch kein Politiker, sondern ein Avatar. Deshalb fruchtet diese letzte Hoffnung nur bedingt.

Der Kulturwissenschaftler Thomas Macho hat Jörg Haider mal ein politisches Avatar genannt. Das ist Jahre her. Ihm schwebte damit ganz sicher nicht das vor, was Charlie Brooker zu einem Drehbuch für eine Episode in der Serie »Black Mirror« verwurstete. »The Waldo Moment« hieß die dreiviertelstündige Folge, eine beißende Medienkritik, die zwar visionär wirkte, aber bei genauem Hinsehen offenbarte, dass das gar keine Visionen waren, die da persifliert wurden, sondern unser täglicher Medienbetrieb im Verbund mit dem sozialen Netzwerken.

Waldo ist ein Cartoon, ein gezeichneter, aber von einem Darsteller live animierter Bär, der in einer britischen TV-Comedy auftritt. Dort stänkert er gegen Gäste aus Politik und Showbusiness und bedient jenen Humor, den man unter der Gürtellinie ansiedeln müsste. Eines Tages kommen er und der Produzent der Comedy auf die Idee, Waldo als Kandidaten für die Parlamentswahl aufzustellen. Man wolle nicht gewinnen, nur Quote machen. Der Wahlkampf flacht umgehend ab, Waldo beleidigt, Sachthemen kommen bei ihm gar nicht zur Sprache, weil er alles zu einem einzigen Scherz degradiert. Den tatsächlich spießigen Aussagen des konservativen Kandidaten schenkt er in einer Talkshow zum Beispiel nur eine Reaktion: Er reckt ihm einen animierten erigierten Penis entgegen. Die Lacher hat er natürlich auf seiner Seite. Überhaupt mutiert Waldo zu einer Sympathiefigur der Politikverdrossenheit. Man interpretiert seinen Wahlkampf zum Widerstand gegen »die da oben« um.

Der CIA wertet die Ereignisse in Großbritannien hingegen auf andere Weise und erkennt in dem Avatar eine Chance für die Zukunft. Man kontaktiert den Darsteller und den Produzenten und ermutigt sie, Waldo zu einer Marke zu machen. Denn man habe mit dieser Aktion bewiesen, dass man ohne politische Inhalte dennoch Politik machen und Wähler aktivieren könne. Der Waldo-Darsteller kriegt die Krise, er zweifelt an der Aktion und steigt aus; Waldo - jetzt unter Steuerung des Produzenten selbst - wird dennoch fast ins Parlament gewählt, verspricht aber jedem 500 Pfund, der den Gewinner mit einem Schuh bewirft. Am Ende der Episode sieht man den ehemaligen Darsteller in einer Zukunft, in der er als Obdachloser in einer Straßenunterführung schläft. Polizisten, die wie Robocops aussehen, wecken ihn und treiben ihn an zu verschwinden. Er läuft in ein Geschäftsviertel, überall sind Waldos mit verschiedenen Flaggen und Sprachen zu sehen. In allen Ländern der Erde hat sich die Idee des Avatars durchgesetzt, der amerikanische Waldo lächelt über ein Newsbanner tickernd in die Straßenschluchten des nächtlichen Großbritanniens.

Die Politik wurde in diesem Stück zu Entertainment, grober Scherz und Geltungsbedürfnis lösten Inhalte und Sachlichkeit ab. Waldo erinnert an eine andere Figur mit fünf Buchstaben: An Trump. Letzterer ist nun kein Cartoon. Einen Darsteller, der den Mann live animiert, den könnte man sich aber hin und wieder schon vorstellen. Insofern ist Trump vielleicht nur die Vorstufe zu einer politischen Kultur, die sich hinter Avataren verbirgt und so die schon heute bedrohliche Inhaltsleere der Politik aufhebt, indem sie die Fülle nicht etwa retten will, sondern gleich als nicht rettungswürdig kategorisiert.

Denn Zoten und die Show sich inhaltslos zoffender Politavatare bieten sicher mehr Entertainment. Insbesondere simplere Unterhaltung auch für diejenigen, die Politik für kompliziert oder langweilig ansehen. Im Grunde ist das verbales Gladiatorentum. Wie die Kämpfer der Antike gehen in der avatarisierten Politik Figuren völlig grundlos aufeinander los. Wie das aussehen kann, haben wir bei Clinton vs. Trump erleben können. Und das mag nur der Anfang gewesen sein. Die Lehre, die aus dieser neuen Mode gezogen werden kann, die lautet ja: Der noch inhaltslosere, noch lautere, noch derber austeilende Kandidat gewinnt. Wieso sollte man also künftig nicht immer so Wahlkämpfe gestalten?

Und wenn der Sieger aus diesem Szenario nicht liefert, dann erledigt er sich von selbst? Es fällt einem schwer darauf zu hoffen, dass das Ausbleiben einer etwaigen »Lieferung« zu neuen Einsichten führen könnte, wenn man das mal so durchdenkt, wie es der Autor der Episode getan hat. Waldo jedenfalls schien nie das Problem des Lieferns gehabt zu haben auf seinem Weg zur globalen Marke. Wie auch, in einer Welt, in der man Menschen nicht mehr in den politischen Gremien regiert, sondern sie über Netzwerke mobilisiert, da spielen Kleinigkeiten wie das Erfüllen von Wahlversprechen gar keine Rolle mehr. Welche Wahlversprechen denn überhaupt? Und von einer Politik, die sich dem idealistischen Motiv verschrieben hätte, die Lebenssituation der Menschen zu verbessern, brauchen wir an der Stelle überhaupt nicht zu quatschen: Das ist nicht das Business von Avataren.

Ich erinnere mich, als die NPD in einige Landtage einzog, da schnauften einige durch, sie sagten, in vier Jahren sei der Spuk vorbei, die müssen sich jetzt beweisen, Politik machen und etwas abliefern. Daran würde es aber scheitern, mit deutschnationaler Larmoyanz könne man im Parlament nicht bestehen. Die Einschätzung trag mehr oder minder auch zu, nach vier Jahren hatte man eingesehen, dass diese Leute nicht taugten. Sie waren politisch gescheitert. Diese Logik greift beim neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten aber nicht. Denn Trump ist kein Politiker. Manche sehen das ja durchaus als Chance an im Hinblick darauf, was Politiker so getrieben haben in den letzten Jahrzehnten.

Grundsätzlich ist das aber nicht so einfach, ist das problematisch. Denn jemand, der sich nicht als Politiker definiert, bei dem gelten die Maßstäbe der politischen Bewertung nur bedingt. Er ist viel mehr Entertainer und sein Plenum heißt Twitter, sein Oval Office steht in den blauben Bauten von Facebook. Dort kann man viel behaupten und posten. Speziell in Zeiten, da man Fakten wie die Geschwüre einer Krankheit betrachtet, die gemeinhin Wahrheit heißt. Bei Twitter und Facebook wird Trump jedenfalls liefern. Was auch immer, er wird Content haben und den Content so aufbereiten, dass er seine Massen mobilisiert.

Ein Avatar, mit dem das Entertainment sich in den politischen Körper kapselt, kann politisch insofern gar nicht scheitern. Content ist alles. Hübsche Bilder, schmackige Kommentare, Bashing gegen Feindbilder, sich bestens unterhalten fühlen: Das Weiße Haus ist ein Quatsch Comedy Club. Und genau das wird geliefert - wie bestellt.

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Aus sinistram

Dienstag, 13. Dezember 2016

Neun Jahre wären es geworden. Im nächsten Januar. Das ist - ich sage es in aller Bescheidenheit, aber auch mit großem Stolz - eine sehr lange Zeit für einen Weblog. Viele kamen, viele gingen. Aber ich blieb. Dazwischen geschah viel. Mit der Welt. Mit mir. Natürlich hat sich auch mein Blick auf das da draußen gewandelt. Man wird älter und weiß was geht oder was nur als sinnloser Kampf Kraft kosten wird. Ich wiederhole mich: Neun Jahre wären es geworden. Ich bleibe bewusst im Konjunktiv, weil dieses Projekt hier, ad sinistram mit Namen, endgültig eingestellt wird. Ich bedanke mich herzlich für die Treue und Unterstützung. Aber bevor ihr jetzt auseinanderströmt, bleibt noch einen Moment hier, ich bin noch nicht ganz am Ende, habe noch was zu sagen.

Und das auch weiterhin regelmäßig. Parallel zum Ende ad sinistrams schließt übrigens auch der Spiegelfechter seine Pforten. Das ist kein Zufall. Es ist abgesprochen. Die Betreiber der genannten Seiten haben sich eine neue Plattform geschaffen und werden fortan zusammen agieren. Zwar wird jeder weiter das schreiben, was er will, im Grunde wird es also Texte wie einst bei ad sinistram auch dort geben. Nur halt eben gemischt mit den Erzeugnissen von Jens Berger und Tom Wolf. Der Name des neuen Projektes lautet: #neulandrebellen. Ob nun mit oder ohne Raute: Ich hoffe sehr, euch dort künftig begrüßen zu dürfen.

Insofern ist es für euch kein Abschied. Nur eine Verschiebung. Ich hingegen bin schon ein wenig in Abschiedsstimmung. Nicht, dass ich mich auf die #neulandrebellen nicht freuen würde. Oh, doch natürlich. Alleine die Möglichkeiten mit einer moderneren Blogware zu arbeiten, die sind schon verlockend. Aber ad sinistram war nun mal viele Jahre mein Produkt und ein gewisser Aspekt meines Lebens. Wenn ich die Texte sehe, die ich hier so geliefert habe - und es dürften weit mehr als 1.000 gewesen sein -, dann läuft parallel dazu ein Spielfilm dieser Jahre dazu in meinem Kopf ab, da vermischt sich das, was mich politisch antrieb mit Privatem. Aber nichts währt ewig. Und so ist es normal, dass es hier zu Ende geht. Neun Jahre Blog sind ja in Menschenjahre umgerechnet irgendwas um die 118. Hund, willst du denn ewig leben?

Bis zum Jahreswechsel wird ad sinistram noch mit jenen Texten aus meiner Tastatur gefüttert, die dann bei den #neulandrebellen erscheinen. Danach kehrt hier Ruhe ein. Wenn ich bis zum Jahreswechsel meine, dann ist eigentlich der 23. Dezember gemeint. Ab dann schweige ich für anderthalb Wochen. Versprechen kann ich für die Zeit danach, dass bei den #neulandrebellen einiges geboten wird. Bleibt uns gewogen, vergesst nicht den Link in eure Favoritenliste zu speichern und falls ihr soziale Netzwerker seid, folgt uns dort und sagt es auch allen anderen. Nur so ist eine lückenlose Versorgung mit Bergerialien, Wolfismen und Lapuentiaden gewährleistet.

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Die reichen Wähler der AfD

Montag, 12. Dezember 2016

Nicht besonders arm seien sie, die Wähler der AfD. Behaupteten zum Beispiel der »Stern« oder die »Zeit« neulich erst, weil es Forsa so in den Raum stellte. Mittels einer Studie hatte das Meinungsforschungsinstitut herausgefunden, dass es nicht die Armen und Abgehängten (wie man diese Leute etwas despektierlich nennt) sind, die ihre Stimme der Rechtspartei geben, sondern eben viel mehr Bessergestellte. Lassen wir mal außer Acht, worum es in der Studie konkret ging, also um die Analyse der Wählerschichten dieser Partei. Reden wir mal davon, wo für manche in dieser Gesellschaft Armut aufhört und Reichtum beginnt. Denn diese Bewertung sagt viel aus über die momentanen Zustände in unserer Gesellschaft.

Die Studie behauptete, dass die AfD-Wähler nicht so arm seien, wie gemeinhin behauptet, weil lediglich 28 Prozent von ihnen ein Haushaltsnettoeinkommen von unter 2.000 Euro zur Verfügung hätten. Bei den Nichtwählern hätten 45 Prozent so wenig Geld in der Haushaltskasse. Alle anderen Wähler der AfD liegen über der Schwelle von 2.000 Euro Nettoeinkommen pro Haushalt. Sie seien daher also im Grunde nicht mehr als arm anzusehen.

Wir sprechen hier, um es nochmals zu betonen, von Haushaltsnettoeinkommen. Wenn ein Wähler der AfD alleine lebt, also einen Singlehaushalt führt, und über dieses Geld für sich selbst verfügen kann, dann herzlichen Glückwunsch: Dann geht es ihm wohl nicht ganz so übel. Dann wäre er jedoch auch mit weniger als 2.000 Euro Nettoeinkommen noch gut dabei und kein armer Schlucker. Wenn aber aus einem Haushalt zwei Wähler und drei Nichtwähler in Erscheinung von Kindern leben, dann wären auch 2.500 Euro in dieser Kategorie keine Größenordnung, die von nicht vorhandener Armut kündet.

Das Haushaltsnettoeinkommen ist letztlich keine Summe, mit der man erfassen könnte, ob jemand in Armut lebt oder vielleicht eben doch nicht. Es ist eine bloße Zahl, die nichts über die Menschen aussagt, die davon leben müssen. Haushaltsnettoeinkommen haben Singles wie fünfköpfige Familien. Letztere können trotz höherer Summe ärmer sein als erstere. Vom Umstand, wo denn letztlich diese Menschen leben, ob auf dem Lande oder in der teuren Großstadt, sprechen wir mal überhaupt nicht. Verkomplizieren wir die Angelegenheit heute mal nicht unnötig.

Es gibt da offenbar überhaupt kein Gefühl mehr für Armutsdebatten in den Redaktionen. Ganz speziell bei den Journalisten etablierter Medien nicht. Sie plappern nach und stellen keine Fragen. In der »Zeit« schenkt man dem Artikel zu der Studie beispielsweise noch einen letzten Absatz, in dem der ehemalige Generaldirektor der Welthandelsorganisation Deutschland für seinen Niedriglohnsektor lobt. Besser Leute hätten Arbeit als keine, urteilt er. Da fehlt es so sehr an Sensibilisierung und Taktgefühl, dass man den Wählern dieser Rechtspartei tatsächlich bestätigen kann: Ja, diese Presse ist sicher auch verantwortlich für das, was euch umtreibt.

Und das ist tragisch, denn man müsste die jeweiligen Notlagen schon erkennen können, will man als liberales und aufgeklärtes Medium gegen die Engstirnigkeit und Umtriebe solcher Parteien publizieren. Wenn man dies nicht zu erkennen vermag, wird es tatsächlich schwierig. Wer aber die Armut mit Zahlenspielen wie diesen kaschiert, der trägt sein Quäntchen als Scharfmacher in diesen dramatischen Tagen bei.

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Dunkle Keller menschlicher Rechtsgeschichte

Freitag, 9. Dezember 2016

Der Hoeneß soll bloß seinen Mund halten! Von einem Steuerbetrüger lassen wir uns ja wohl schon mal gar nichts sagen. So einer hat aufgrund seines Verhaltens nichts mehr zu melden. Dass er überhaupt nochmal zurück an seinen Arbeitsplatz durfte, das war schon ein Skandal! Ein solcher Typ dürfte grundsätzlich keinen Job mehr angeboten bekommen. Er ist ja nicht glaubhaft, wer einmal lügt und so. Oder stimmt das alles etwa nicht? So und ähnlich lauten jetzt die Statements vieler aufgebrachter Menschen (auch Linker) in den sozialen Netzwerken. Ich missbillige diesen Mann, aber ich kann einen solchen reaktionären Quatsch nicht mehr ertragen. Denn wer so argumentiert und spricht, der hat im Grunde das rechtsstaatliche Terrain schon längst verlassen und watet in jenen dunklen Kerkern der menschlichen Rechtsgeschichte, in denen Straftäter auf ewig weggeschlossen blieben.

Man kann doch nicht einerseits die Resozialisierung als hohes Gut und sozialen Standard im Strafvollzug verteidigen und parallel dazu selbige im Falle des Herrn Hoeneß verbal aberkennen. Dass jemand nach seiner Strafe wieder zurück in ein Leben geht, welches nahezu dem entspricht, das er vorher führte, das sollte wohl nicht die Ausnahme sein. Natürlich ist es in anderen Fällen aber schon so. Ein kriminell gewordener Dreher wird im Regelfall nicht bei seinem alten Arbeitgeber neu anheuern können. Das ist aber eigentlich der Resozialisierungsgedanke: Man möchte eigentlich schon, dass jemand, der aus einem relativ unverdächtigen Umfeld heraus schuldig wurde, nach abgeleisteter Strafe nicht vor den Scherben seines gesamten Lebens steht. Bei jemanden aus dem Drogenmilieu muss man den Ansatz natürlich anders verstehen, eine Rückkehr in alte Strukturen entspräche da gerade nicht der Resozialisierung. Aber bei Straftätern aus dem bürgerlichen Milieu nun mal schon. Außerdem ist dabei natürlich von Gewicht, was man verbrochen hat. Steuerhinterziehung ist nun mal keine Vergewaltigung.

Weitermachen unter der hoffentlich erzielten Einsicht, etwas falsch gemacht zu haben: Das wäre gewissermaßen der optimale Fall bei dieser Konstellation. Und Hoeneß erlebte nun diesen optimalen Fall. Andere leider nicht. Das ist das Tragische daran. Daraus kann man tatsächlich eine Ungerechtigkeit ableiten. Die lautet aber nicht, dass man Hoeneß wie die anderen nicht mehr partizipieren lassen sollte. Sie lautet: Alle sollten es wie Hoeneß erfahren dürfen.

So weit - so gut. Fast schlimmer ist ja diese überhebliche Art, mit der man ihm jetzt in den Netzwerken begegnet. Jemanden, der in seinem Leben straffällig wurde, dies immer wieder nachzutragen, zeugt von einer derart kleinbürgerlichen Moral und ihren autoritären und menschenverachtenden Affekten, dass man es so nicht stehenlassen kann. Nein, Hoeneß ist kein Herzchen. Nie gewesen. Vieles von dem, was er von sich gibt, ist egoistisch im Sinne seines Vereins und gleichgültig den anderen, dem gesamten Fußball gegenüber. Er wirkt aufgeblasen und selbstgerecht. Alles das kann man ihm vorwerfen. Sollte man auch. Dass er jedoch verurteilt wurde, dass er seine Strafe abgesessen hat, dass er wieder zurück ist im Leben nach seinem Steuerbetrug: Das sind Punkte in seiner Vita, aber nicht Argumente, die man ihm im Alltag an den Kopf werfen braucht. Das weiß er selber, das wissen die Zeitgenossen auch. Das aber dennoch zu tun, das sind nämlich Mechanismen der Diskreditierung, da will man jemandem nicht argumentativ beiwohnen, sondern mit den Mitteln des fortwährenden Rufmordes einfrieden. Wer glaubt, dass ein solches Verhalten einem modernen Rechtsempfinden entspricht, der dürfte auch den Pranger als fortschrittliches Instrument der Wahrheitsfindung bejahen.

Man kann dem Mann natürlich über dem Mund fahren, wenn er wieder mal durchschimmern lässt, dass er das Opfer eines Staates ist, der wild um sich besteuert. Hier kann man ihm spielend mit Gegenargumenten kommen, ihn darauf hinweisen, dass a) ein etwaiger Steuerwahn so nicht existiert und b), dass Steuern nicht gleich Raub sind, sondern die notwendige Umverteilung, um Gemeinwesen zu organisieren. So darf man ihm den Märtyrerzahn ziehen. Ihn aber immer gleich abzuwürgen, weil er als bestrafter Steuerhinterzieher gewissermaßen nichts mehr zu melden habe, das ist unhaltbar und entspricht eher einer jener unversöhnlichen Straftheorien, die wir in Europa glaubten abgewandt zu haben. Das hat jedenfalls keine Art. Aber es ist wohl leider die Art des Zeitgeistes.

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Vom deutschen Boden soll nie wieder Streik ausgehen

Donnerstag, 8. Dezember 2016

Streik ist in der Lohnzurückhaltungsrepublik nicht als Mittel des Arbeitskampfes akzeptiert, sondern wird von den Qualitätsmedien diskrediert. Lügenpresse? Nee! Sie sagen ja die Wahrheit: Sie wollen ein Land ohne Widerworte.

Drei Artikel lieferte »Spiegel Online« binnen 24 Stunden zum Thema: Das Bodenpersonal der Lufthansa gegen die streikenden Piloten. Soll ja schließlich jeder kapieren, dass da mit dem Streik was im Gange ist, was man absolut nicht tolerieren kann in einem Land, das sein Verhältnis zum Streik als demokratisches Grundrecht arbeitender Menschen merklich abgekühlt hat. Mir schoss in den Sinn, dass ich in diesem Leitmedium eigentlich kaum je etwas Streikbejahendes gelesen habe. So recherchierte ich ein wenig, fand aber tatsächlich keinen Artikel, der mal auf der Seite der Streikenden stand. Freilich mit Ausnahme des Minderheitenvotums namens Jakob Augstein, das man sich noch im Angebot hält. Ansonsten nur Kritik, mahnende Worte, breites Forum der Streikgegner und Fingerzeige auf den wirtschaftlichen Gesamtschaden.

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Die Bürger sind aufgerufen eine Übergangsregierung zu wählen

Mittwoch, 7. Dezember 2016

Angela Merkel möchte um die Abgehängten werben und tut dies noch nicht mal halbherzig, sondern bestenfalls mit lediglich einigen Promille dieses muskulären Hohlorgans. Fillon ist hingegen mit dem vollen Herzen dabei, möchte nach einem Sieg über Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl sein Land neu aufstellen und die Wirtschaft mit neoliberalen Reformen umkrempeln. Die europäischen Konservativen beschwören ja weiterhin, mit den Rechtspopulisten keine gemeinsame Sache machen zu wollen. Das ist an sich löblich. Ist eine gute Nachricht. Sie stilisieren sich sogar als Front gegen Rechts oder als Alternative zu den Alternativen, die da drohen. Das Problem dabei ist nur: So wie sie beabsichtigen, sich den Rechtsruck entgegenzustemmen, bewirken sie das glatte Gegenteil.

Mag schon sein, dass sich das kommende Jahr innerhalb der deutsch-französischen Freundschaft wie eine konservative Fete anfühlt. Der rechtsrheinische Part macht den Prognosen nach zu urteilen »Weiter so!«, der linksrheinische will seiner Republik neuen Wind in die Segel blasen; hier wird man sich zur Etablierung gratulieren, dort zur Renaissance auf die Schulter klopfen. In jedem Falle wird man aber betonen wollen, dass man die eigentliche Alternativlosigkeit ist, will man das Land nicht den Rechtspopulisten überlassen.

Und dann geht es los. Oder weiter. Je nachdem. Eine neue soziale Ausrichtung ist für das Kabinett Merkel IV nicht geplant. Steuererleichterungen soll es im unteren Einkommenssegment geben. Wir reden wahrscheinlich von einigen Paarfuffzig mehr für die Schlechtgestellten. Vermögensabgaben möchte man eher nicht umsetzen. Reiche Erben werden auch weiterhin reiche Erben bleiben. Und marode Straßen marode Straßen. Konzerne werden sich auch dann nicht allzu stark am Gemeinwohl beteiligen müssen. Kennt man ja. Weiter so eben.

Dem wahrscheinlichen Präsidenten Frankreichs schweben ganz ähnliche Vorstellungen im Kopf herum. Beamte will er im großen Stil entlassen, Konzerne sollen weniger Steuern bezahlen, Arbeitnehmer mehr arbeiten und die Gewerkschaften will er schwächen. Auch im Gesundheitswesen sieht er Sparpotenzial. Einfach gesagt: In ihm findet weniger der Konservatismus als der Neoliberalismus eine neue Blüte.

Nun ist es natürlich mittlerweile selbst den Konservativen klar, dass man es bei der AfD oder der Front National mit politischen Bewegungen zu tun hat, die ihre Basis aus dem Pool der gesellschaftlich Abgehängten wässern. Aus unzufriedenen kleinen Leuten, die merken, dass sie sich täglich abkämpfen und trotzdem auf keinen grünen Zweig kommen. Oder aus anderen, die sich gerne abkämpfen würden, aber die der Arbeitsmarkt bis auf weiteres aussortiert hat. Ihre Wut investieren sie in die Parteien der Rechtspopulisten, die an sich gar kein großes ökonomisches Programm haben, sondern recht billig gestrickte Rhetorik von bösen exotischen Männern, die uns alles wegnehmen. Man kennt das ja.

2017 ist das Jahr, in dem Bürger aufgerufen sind, eine Regierung zu wählen und in dem sie wohl nur Übergangsregierungen ins Amt setzen, sofern man den Prognosen glauben kann. Anders gesagt: Wenn die Franzosen in einer etwaigen Stichwahl zwischen Le Pen und Fillon abstimmen müssen, so stimmen sie in jedem Fall für Le Pen. Wird sie es 2017 nicht, so bereitet der Konservative ihre Wahl 2022 vor. Und über die AfD müssen wir uns dann 2021 als Machtfaktor innerhalb dieser Berliner Republik unterhalten. Mit dem Wirtschaftskurs sind die Konservativen keine Barriere gegen Rechts, sie machen den Weg frei.

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Mann ohne Themen

Montag, 5. Dezember 2016

Wenn es überhaupt etwas Schönes an der Postdemokratie gibt, dann ist es wohl der Umstand, dass man stets vorbereitet ist. Man wird in ihr nicht so sonderlich oft überrascht. Hat man nämlich einen Kandidaten, hat man eigentlich schon das Amt. Siehe Steinmeier. One man, one vote - so war das zwar damals nicht gemeint, aber dorthin sind wir nun abgebogen. Die graue Eminenz ist nur zum Kandidaten erklärt worden, in anderen Zeiten dieser Republik hätte man ab dieser Berufung nur spekuliert, wie es wohl wäre, wenn er es würde. Nichts Genaues wusste man ja nicht. Heute ist das ganz anders. Heute reicht es aus, Kandidat zu sein und schon redet die halbe Welt so, als habe man es ins Amt geschafft. Krieg ist Frieden, Unwissenheit ist Stärke und Nominierung ist Gewähltsein. Diese postdemokratische Planbarkeit bringt uns in die Lage, dass wir ab sofort mit absoluter Sicherheit von Herrn Steinmeier so reden können, als sei er schon Bundespräsident. Halten wir uns also nicht mit Spekulation auf, wir können das übergehen.

Was ist eigentlich sein Thema? Die Verfassungsrealität hat dem Bundespräsidenten ja über Jahre in die Rolle eines Mahners und Moralisten gedrängt. Da er sich aus der Tagespolitik raushalten sollte, konnte er eine solche Funktion übernehmen. Wobei »Funktion« in diesem Fall ein ziemlich doofes Wort ist. Funktioniert hat das ja nun nicht immer. Die Moral dahinter war im Grunde nur Sonntagsfolklore. Und so viele Themen, die für Moralin taugten, gab es nun auch nicht. Wesentlich waren da immer zwei Sachgebiete, in die ein Bundespräsident ethisch eintauchen konnte: Die Armut und die Fremdenfeindlichkeit.

Für Bundespräsident Steinmeier wird es schwierig über jene Maßnahmen zur Armutsförderung zu moralisieren, für die er verantwortlich ist, wie kaum ein anderer Politiker im Lande. Immerhin war er der Ghostwriter von Hartz IV (Helga Spindler). Es unterlag zum Beispiel seiner Verantwortung, dass die Ansprüche in Höhe und Dauer beim Arbeitslosengeld I nicht mehr den bis dahin geltenden Regelwerk entsprachen. Die Hartz-Kommission trat noch einstimmig dafür ein, dass das Arbeitslosengeld I bis zu 32 Monate bezahlt werden sollte. Auf dem Weg zwischen Kommission und Kanzleramt ging dieser Punkt dummerweise verloren. Und auf diesem Weg gab es einen Verantwortlichen: Steinmeier. Laut Riester wuchs es auch auf dem Mist des baldigen Bundespräsidenten, die Unternehmensberatung McKinsey ins Boot zu holen. Damit war letztlich auch klar, wie es um Steinmeiers volkswirtschaftliches Know-How stand: Er wollte die Volkswirtschaft betriebswirtschaftlichen Reformen unterzogen wissen. Von Rahmen der Verhandlungen, die im Vorfeld der Kommission in einer Runde von demokratisch nicht legitimierten Privatleuten stattfanden, mal ganz zu schweigen.

Es ist jedenfalls nicht das Thema, dem er sich glaubwürdig widmen könnte. Und wenn man ehrlich ist, ist das mit einer präsidialen Stimme gegen Fremdenfeindlichkeit nicht ganz so viel anders. Man muss dauernd an Kurnaz denken, dessen Unschuld bewiesen und von den Geheimdiensten bestätigt war und dem sich Steinmeier nicht annahm. Sein Kanzler war den Vereinigten Staaten in der Außendarstellung schon so derb in die Parade gefahren. Wenn jetzt das Kanzleramt auch noch durch Entrüstung wegen Folteraktionen an deutschen Staatsbürgern aufgefallen wäre ... Man hat sich immer gefragt, wie es wohl ausgegangen wäre, wenn Kurnaz Kürschner geheißen hätte.

Steinmeier jetzt zu unterstellen, er sei von Ausländerfeindlichkeit oder Klassendünkel getrieben, ist nicht unbedingt haltbar. Er kommt viel mehr wie der Typus des Mitläufers herüber. Wenig eigener Antrieb, aber saubere Verrichtung dessen, was man gemeinhin bei ihm in Auftrag gibt. Er ist auch deswegen der wohl erste Bundespräsident, der keines der klassischen Themen ernstlich behandeln kann, weil er an ihnen aktiv kontraproduktiv mitgewirkt hat. Sein direkter Vorgänger war jemand, der sich gerne reden hörte. Aber für die Armut im Lande war er nie selbst verantwortlich. Wulff war in seinem Vorleben mehr oder weniger ein unbedeutender und blasser Landespolitiker. Köhler hat Hartz IV verteidigt, aber nicht ins Leben gerufen. Rau galt ohnehin als sozialer Charakter.

Der baldige (faktisch schon beschlossene) Bundespräsident wäre so betrachtet der erste seiner Art, der die Nachfrage für das Thema seiner Präsidentschaft selbst angefacht hat. Die anderen haben einfach aus dem traurigen Angebot, das sie vorfanden gewählt. Er aber hat das Angebot selbst in die Auslage gestellt. Und das alles hat er nie als Thema seiner politischen Arbeit behandelt, sondern stets als Sachwalter der ihn entgegengebrachten Erwartungen. Sich profilieren wollendes Mittelmaß eben. Ohne Ideale und Vorstellungen. Der Mann bleibt folglich ohne Themen. So kennen wir ihn. Vielleicht erzählt er uns dann regelmäßig etwas vom Wetter und mahnt Regenschirme an. Irgendwas muss er ja erzählen, wenn er sonntags spricht.

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Greifen se durch, fühlen se ma

Freitag, 2. Dezember 2016

Die Länderinnenminister wollen härter durchgreifen. Gegen die Horror-Clowns. Der sächsische Ministerpräsident will auch härter durchgreifen. Bestimmt auch gegen die Clownesken. Aber vor allem auch im Kampf gegen Rechts. Facebook kündigte schon mehrfach an, gegen Hasskommentare härter durchzugreifen. Sagen kann man viel. Der Justizminister wollte auch schon mal härter gegen Polygamie und Zwangsheirat durchgreifen. Der neue Kölner Polizeipräsident sprach sogar davon, dauerhaft härter durchzugreifen. Gegen sexuelle Übergriffe. Aus dem selben Grund wollte Papst Franz auch schon mal härter durchgreifen. Die EU-Kommission kündigte an, gegen Google härter durchgreifen zu wollen. Wegen unfairen Wettbewerbes bei der Online-Werbung. Härter durchgreifen wollte auch mal dieser fränkische Nockerlkopf, der mal Innenminister war. Gegen Salafisten.

Was sind wir doch für ein Land hart durchgreifender Frauen und Männer geworden. Wenn wir schon keinen Durchblick haben: Den Durchgriff haben wir. Komischer Ausdruck übrigens: Durchgreifen. Das klingt nach einer Luftnummer. Anfassen ist ja nicht. Denn das wäre der Griff. Der Durchgriff aber, das hört sich an, als wischt man mit seiner Hand mal durch einen großen Ring, durch so einen, wie man ihn bei einer Seehundshow zuweilen sieht. Dort gibt es nichts zu greifen. Nur Luft. Man macht eigentlich nur Wind, wenn man da durchgreift. Verrührt Luftwirbel mit seiner Hand. Und genau so kommt mir das ganz oft vor, wenn ich diesen Spruch höre.

Noch seltsamer finde ich es übrigens, wenn man hart durchgreifen will. Wenn aber doch etwas hart ist, dann kann man ja gar nicht mehr durchgreifen. Da schlägt man sich, wenn es besonders blöd läuft, bloß die Fingerknöchel auf. Also lässt man es lieber; wer verletzt sich schon gerne ... Und auch das empfinde ich häufig genau so, wenn ich diesen Ausdruck höre. Hart durchgreifen wollen, dann geschieht aber rein gar nichts. Wahrscheinlich wegen der Undurchdringlichkeit. Mit physikalischen Grundkenntnissen würde dergleichen nicht passieren. Würde man nicht ankündigen etwas zu tun, was nach den Gesetzen der Physik gar nicht klappen kann.

Ich frage mich, weshalb Sprachstilisten in den Redaktion so eine Formulierung zulassen. Warum lassen sie sie in dieser Menge zu? Ja, weswegen greifen sie nicht hart durch? Nicht nur, dass sie als Metapher wenig taugt, wie eben erwähnt. Sie wirkt in ihrer dauerhaften Wiederholung wie das Versprechen von Maulhelden, die immer erst ganz laut schreien, bevor sie eben genau das nicht machen, was sie so laut schreiend angekündigt haben. Wenn bellende Hunde nicht beißen, so machen die Ansager des Durchgreifens eben genau das nicht: Durchgreifen. Oder sie machen es eben doch, nur eben bildlich gemeint, wie ich oben beschrieben habe. Als Griff hindurch ins Nichts. Menschen der Tat reden jedenfalls nicht so viel, sie machen. Daher staune ich immer, wenn Tatmenschen viel von ihren Taten erzählen. Haben die kein Zeitproblem?

Hart durchzugreifen ist so eine Plattitüde, die man immer dann verwendet, wenn man eigentlich nicht so richtig weiß, was man zu einem Thema sagen muss. Hart durchzugreifen zu schreiben, das ist ein publizistisches Bauchgefühl, dass irgendwo was gemacht werden müsste, man aber eigentlich nicht so recht weiß, wie man es anpacken soll. Wer hart durchgreift, der muss gar nicht mehr konkret werden. Das ist wie mit diesen Kästen, die Durchgriffe haben und in denen allerlei liegt, was man ertasten soll. Mal durchgreifen und fühlen. Spüren wie es sich anfühlt. Die Struktur, ist sie glatt oder ruppig? Vielleicht kommt es ja gut an bei den Menschen da draußen, wenn man durchgreift. Das fühlt sich dann gut an und man greift immer wieder mal durch. Wer dauernd durchgreift hat gar keine Zeit für mehr. Und das wohlige Gefühl als Macher und harter Knochen zu gelten, das macht ja auch süchtig.

Wenn ich jedenfalls einen höre, der das von sich gibt, interessiert mich schon gar nicht mehr, was dann noch kommt. Denn wer ankündigt hart durchzugreifen, so lehrt es mich die Erfahrung, der hat sich noch gar keine weiteren Gedanken gemacht. Der fuchtelt noch in der Luft herum, weil er durch- und nicht angreift.

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Postfuck you!

Donnerstag, 1. Dezember 2016

Als Kennzeichnung der gesellschaftlichen Verfassung ist das Modewort des Postfaktischen recht passend. Aber es ist mitnichten so, als wäre das postfaktische Lebensgefühl einfach so über uns gekommen.

Was Progressive und Konservative nun eint, das ist die Furcht vor postfaktischen Movements. Das ist aber auch nachvollziehbar, denn wenn man Menschen nicht mehr mit Fakten kommen kann, um sie für eine Sache argumentativ fit zu machen, dann erodiert da eine der demokratischen Grundvoraussetzungen und die Regierungsform als solche droht vollends zur Luftnummer zu werden. Dass wir es nun aber mit einer völlig neuen Form faktenresistenter Bewegungen zu tun hätten, wie man das besonders im konservativen Teil der Medien behauptet, das ist auch so ein Fakt, der nicht haltbar ist und trotzdem von Konservativen weiterhin ganz á la Zeitgeist geglaubt wird.

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