Weihnachtsgeschichte, chemisch gereinigt

Mittwoch, 23. Dezember 2015

»Meister, da steht ein Mann mit einem Esel und einer Frau auf dessen Rücken, vor der Türe. Sie bitten um Einlass.«
   »Was sind das für Leute? Woher kommen Sie? Und sag mir, Schmul, wie sehen sie aus?«
   Schmul überlegte kurz und betrachtete dabei seinen Herrn. Sein unförmiger Körper lag auf dem Bett und bewegte sich kaum.
   »Es ist ein Galiläer mit seinem Weib. Meister, sie sehen aus, wie Menschen aussehen, wenn sie lange unterwegs sind.«
   »Ein galiläischer Eseltreiber also. Was klopft der an unsere Türe? Haben wir was zu verschenken? Ich kenne dieses Pack. Will Obdach für die Nacht und hat kein Geld dafür. Am Ende muss man froh sein, wenn sie nicht die Waschschüssel gestohlen haben.«
   Beide schwiegen.
   »Nun geh und frag den Mann, ob er schon Arbeit in unserem Land in Aussicht hat.«

Nachdem sich Schmul entfernt hatte, rappelte sich der alte Henoch auf. Ausgerechnet jetzt, nach diesem füllenden Mahl musste es zu Kompliziertheiten kommen. Mussten die Leute ihre Not immer dann feilbieten, wenn er zu voll war, um selbst handeln zu können? Erst gestern hatte er noch mit dem Kaufmann an der Ecke über die Menschen aus Galiläa und Samaria gesprochen, die jetzt nach Judäa kämen. Eigentlich sollten patriotische Bürger gegen diese Überfremdung eine Liga gründen, meinte der Mann. Henoch fand die Idee gar nicht so schlecht.

»Meister, Meister«, rief Schmul, »das Weib ist schwanger; ich habe es gesehen, sie trägt eine dicke Kugel vor sich her.«
   »Kann der Mann für sie aufkommen? Hat er Arbeit?«
   »Nein, er will auch nicht ewig bleiben, hat er gesagt. Wenn die Volkszählung vorbei ist, möchte er wieder zurück gehen nach Galiläa.«
   »Schon klar, das sagen die alle. Und am Ende sitzen sie um den Tempel herum und betteln für sich und ihre acht oder zehn Kinder. Wenn sie mal so fleißig wären eine Stelle zu finden, wie sie es in den Kissen sind!«
   Schmul schwieg einen Augenblick.
   »Aber Meister, wir können diese Leute doch nicht wegschicken«, sagte er schließlich. »Ein Zimmer haben wir doch noch frei. Wieso weisen wir es ihnen nicht zu?«
   »Können sie bezahlen? Ich nehme an, dass sie es nicht können. Sie wollen nur haben, können aber nichts geben.«
   »Ich weiß es nicht genau, Meister. Ich habe sie nicht gefragt. Soll ich sie fragen?«
   »Ja, Schmul, lauf zu ihnen und frag sie. Und ich bitte dich, verschließe die Türe, wenn du wieder zurückkommst zu mir. Ich möchte nicht, dass etwas wegkommt.«

Hennoch wartete bis Schmul aus dem Zimmer war und furzte laut. Er hatte viel über die Galiläer gelesen. Sie waren arm, sehr ländlich. Man erzählte sich, dass sie wenig arbeiteten und keinen Respekt vor dem Gesetz hätten. Ihre Frauen waren meist noch jünger als die, die man in Jerusalem in die Ehe schickte. Sittenlos soll es dort im Norden zugehen. Sicher, die Pläne der Römer, jeden in den Ort seiner familiären Herkunft zu schicken, waren nicht richtig. Sie brachten Unheil über das Land. Und Unruhe. Rissen Familien auseinander. Aber man hörte auch von Personen, die diese Reise nicht antreten mussten, weil sie sich mit den Römern gut stellten und als wichtige Personen des Handels anerkannt wurden, auf die man nahe von römischen Garnisionen nicht verzichten wollte. Konnte Hennoch etwas dafür, wenn dieser Eseltreiber mit seiner schwangeren Dirne den Römern nicht wichtig genug war?

»Meister, die volle Summe könnten sie nicht bezahlen«, unterbrach Schmul seine Gedanken.
   »Habe ich was zu verschenken, Schmul? Sag es mir. Habe ich was zu verschenken?«
   »Aber Sie verschenken doch nichts. Die Leute bezahlen doch etwas. Alles was sie haben. Sie haben ja nur nicht so viel.«
   »Schmul, du bist ein guter Mann, aber ein bisschen naiv. Geh und frag den Kerl, warum er mit den Römern nicht nicht gut genug stand, um in seiner Heimat bleiben zu dürfen.«
   »Aber Meister, was ändert das jetzt noch?«
   »Es gibt mir ein Bild seines Charakters. Vielleicht ist er ein grober Klotz, vielleicht hat er etwas verbrochen. Hast du denn nie gehört, wie es in Galiläa zugeht, Schmul?«
   »Ach, die Leute reden viel und sagen wenig. Der Mann sieht aus wie ein Judäer. Reicht Ihnen das nicht?«
   »Frag ihn und wenn die Antwort nicht zu negativ ist, werden wir sehen, was wir machen können.«

Letzte Woche im Tempel hatte ein Händler erzählt, dass er zwei Galiläer erwischt hätte, wie sie ihm ein Huhn gestohlen haben. Das fiel Hennoch jetzt wieder ein. Er stellte sie mit einer Axt in der Hand zur Rede. Die Männer lamentierten. Sie seien Flüchtlinge und hungrig. In ihrer Heimat waren sie Fischer und nun hätten sie nichts mehr. Der Händler sagte, er habe auch bald nichts mehr, wenn jeder faule Galiläer meine, er könne Hühner stehlen gehen. Er wurde wütend und drohte den beiden mit der Axt. Da schubsten sie ihn zu Boden und einer trat ihn in die Rippen. Das Huhn nahmen sie natürlich mit. Kriminelle, dachte sich Hennoch. Der ganze Abschaum kommt zu uns. Die anständigen Leute bleiben wo sie sind. Er hörte laute Stimmen. Sicherlich sind diese Galiläer jetzt frech geworden, glaubte er.

»Draußen sind noch weitere Leute aufgetaucht, Meister. Ein Mann und eine Frau. Er ist stark angetrunken und sie schimpft laut mit ihm.«
   »Kommen die Fremden jetzt schon betrunken an unsere Türe?«
   »So fremd sind die Leute nicht, Meister. Es sind Judäer aus Emmaus. Sie waren auf einer Hochzeit und bitten nun um eine Unterkunft.«
   »Gib ihnen das freie Zimmer.«
   »Der Mann ist betrunken. Die Frau ist rüpelhaft. Wollen Sie das wirklich? Das verspricht eine durchwachte Nacht zu werden.«
   »Ich werde ohnehin keinen Schlaf finden«, sagte Hennoch und konnte sich den nächsten Furz nicht verkneifen.
   »Und was sage ich dem Galiläer und seinem Weib? Ich habe ihnen Hoffnungen gemacht. Und vielleicht kommt die Frau heute noch nieder.«
   »Ich will diese stinkende Pack nicht im Haus haben. Und kein Kindergeschrei. Sag ihnen, dass es im Leben eben so zugehe. Man hat Hoffnungen und wird enttäuscht. Pech gehabt. Willkommen in Judäa!«

Schmul entfernte sich, hörte Hennoch nochmals hinter sich furzen und verzog sein Gesicht. Alleine von dem, was er heute von seines Meisters Abendmahl weggeworfen hat, könnte man zwei Flüchtlingsfamilien sättigen. An der Türe angelangt, ließ er den Besoffenen und seine Xanthippe hinein. Dem Galiläer überbrachte er die schlechte Nachricht, bot aber den Stall seines Onkels einige Häuser weiter an. Dorthin gingen sie dann auch und die Frau brachte einen Sohn zur Welt. Der Säugling plärrte wie es ein gesundes Kind tut und Hennoch lag wach in seiner Kammer und lauschte dem Geschrei und wurde grimmig. Wenn das mal nicht das Kind der Flüchtlingshure ist, dachte er sich. Wir Judäer sterben schneller aus, als wir schauen können. Wenigstens hat der Kerl sein Weib mitgebracht. Wieviele werden noch kommen, die keines im Gepäck haben? Und die besteigen dann unsere Frauen. Wir sind am Ende, sagte er laut ins Dunkle hinein und ließ einen fahren. Dann war es stille Nacht.

Diese kurze Geschichte wurde bereits vor einem Jahr an dieser Stelle publiziert. Der Autor konnte damals nicht ahnen, dass sie ein Jahr später mehr Aktualität bergen würde, als noch ihm Erscheinungsjahr.

6 Kommentare:

kevin_sondermueller 23. Dezember 2015 um 15:10  

Leider wahr: diese (übrigens sehr gut
geschriebene) Geschichte ist noch lange
nicht Geschichte.

Jetzt singen sie bei PEGIDA Weihnachtslieder!
Ich habe mit Weihnachten schon lange nix mehr
am Hut, aber das nenne ich Entweihung …

Anonym 23. Dezember 2015 um 18:55  

Gute Geschichte, und hochaktuell - als Atheist denke ich oft was wäre gewesen wenn Jesus Eltern nie als Flüchtling aufgenommen worden wären - Gäbe es das Christentum heute noch?

Übrigens ein ganz ketzerischer Gedanke, aber nicht von mir sondern in einem Buch gelesen dessen Titel und Autor mir leider entfallen sind: Wenn man weiß wie damals, vor 2000 Jahren, Frauen mit unehelichen Kindern behandelt worden sind, ist die Fiktion eines "Kindes das von Gott gezeugt wurde" nichts anderes als eine Überlebensstrategie Marias, die Folgen bis ins Jahr 2015 zeigt.

Übrigens auch hier zeigt sich die Doppelmoral des Christentums, wenn nicht sogar die fehlende Moral, denn wenn man weiß wie jahrtausendelang mit Frauen kirchlich umgesprungen wurde, die uneheliche Kinder auf die Welt gebracht haben, dann ist es schon mehr als pervers wenn man an Heiligabend Abend genau an solch eine Frau als heilige Maria, die Mutter Gottes denkt....

Was die Doppelmoral des Christentums angeht, da bin ich bei dir was den Umgang mit Flüchtlingen angeht warte aber sehnsüchtig auf einen Text, der die Doppelmoral anzeigt 2015 ein Fest des Friedens zu feiern während man in Syrien Bomben, vielleicht sogar auf Zivilisten/-innen abwirft - Nein, nicht Russland alleine tut dies auch die NATO-Staaten die Flieger nach Syrien beordern tun dasselbe, aber es ist halt besser sich medial nur auf eine Kriegspartei - die "bösen" Russen zu konzentrieren während Deutschland, die USA, Frankreich, arabische Staaten und die NATO exakt dasselbe tun - bombenmäßig.....

Zynischer Gruß
Bernie

PS: Nicht allein im arabischen Raum kursieren übrigens Texte über den Zeloten Jesus der eine Frühversion des IS, der Al Kaida und anderer Extremisten darstellt - nur im christlichen Raum wird weggelogen, dass das römische Urteil der Kreuzzigung wohl zurecht einen Aufrührer und Terroristen bestraft, der später einmal der Gründer einer Religion namens Christenum sein soll - auch hier Perversion in Reinform, wenn es wahr ist, dass Jesus Christus eigentlich ein zelotischer Terrorist gegen Rom war....

Braman 23. Dezember 2015 um 18:59  

Wenn du Hilfe brauchst, gehe zu den Armen - die Reichen haben nichts zu verschenken.
Das war so, das ist so und so wird es immer sein.
Auch im viel gerühmten (absterbenden)deutschen Sozialstaat zahlen die Armen für die noch Ärmeren.
Doch auch diese Leistungen (Geld) reklamieren seit einiger Zeit die Reichen für sich da der Sozialstaat zu teuer wird und "wir" ihn uns nicht mehr leisten können.
Und wir, die wir den Sozialstaat finanzieren sowie den Reichtum der Reichen, wir leben wie Schafe, wir handeln wie Schafe, wir blöken wie Schafe, wir sind Schafe und befolgen jede Anweisung und akzeptieren jede Anmaßung unserer Leithammel.

Allen ein frohes, nachdenkliches und friedliches Weihnachtsfest!

MfG: M.B.

Anonym 24. Dezember 2015 um 13:07  

Braman, das stimmt so nicht. Reiche verschenken jedes Jahr Hunderte von Milliarden - aber siehe dazu Robertos Text "Lieber angemessene Steuersätze als angebliche Geschenke"
http://ad-sinistram.blogspot.de/2015/12/lieber-angemessene-steuersatze-als.html

Und die Armen sind auch keine Heiligen, die Armut macht sie nicht dazu - siehe dazu Robertos Text "Erst wenn es allen schlechter geht, geht es allen schlechter":
http://ad-sinistram.blogspot.de/2011/11/erst-wenn-es-allen-schlechter-geht-geht.html

kevin_sondermueller 28. Dezember 2015 um 09:56  

»Und die Armen sind auch keine Heiligen, die Armut macht sie nicht dazu …«

Stimmt, und doch nicht ganz: die Reichen können im großen Maßstab
Unheil anrichten, die Armen nur im kleinen Umfeld. Deswegen füllen
sie weltweit die Gefängnisse, die Reiche selten von Innen sehen
(außer auf Wohltätigkeitssafari, oder wenn sie es gar zu arg getrieben
haben sollten, siehe U. Hoeness …) Und die »verschenkten« Milliarden
fließen größtenteils in Stiftungen, DEN Steuerabschreibungsmodellen!
Und dort werden sie alles andere als uneigennützig eingesetzt.

So behält Braman doch Recht.

Anonym 29. Dezember 2015 um 19:09  

Wo bleibt eigentlich der Text zu neuen Jahr, lieber Roberto J. de Lapuente?

Ich kann den Zynismus, oder die Dummheit, unserer Medien nur ahnen, der im Vorfeld der Silvester-Nacht durchschimmert - so gestern im Radio gehört "man soll in BW Rücksicht beim Böllern nehmen, ganz besonders in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften"...

...tja, ein Narr wer Übles dabei denkt....

Übrigens, mit 27 Jahren - als FSJ-ler bei einer älteren Berliner Dame selbst erlebt - die versteckt sich immer an Silvester, da die anno 1945 eine Art "russischer Böller" erlebt hat bzw. "allierter Böller", die nicht so harmlos waren wie das Silvesterfeuerwerk....Ob unsere medialen Verd.... da dran gedacht haben als die empfahlen bei Flüchtlingen....

....man kann es nur spekulieren....

...dennoch allen ein Gutes Neues Jahr wünscht Bernie hier....

Gruß
Bernie

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