Unsere neue Weihnachtsgeschichte

Freitag, 23. Dezember 2016

Weihnachten ist traditionell die Zeit der Narrative. Eines von ihnen lautet, dass wir ein Fest der Liebe feiern würden. Gemeint war damit aber lediglich, dass wir Weihnachten als Ende einer Adventszeit zelebrieren sollten, in der wir unser Geld verstärkt in die Geschäfte getragen haben. Oder aber jenes Märchen, dass Weihnachten eine friedvolle Zeit sei. Dabei stoppt der Feldzug gegen Arme nie. Auch nicht an Weihnachten. Es gibt auch eine Erzählung, die zu jener Jahreszeit kursiert, wonach die Menschen besonders zueinanderstehen würden. Aber offen gesagt, es ging nie um alle Menschen. Eine gewisse Reputation musste man da schon mitbringen. Nun kriegen wir also ein weiteres Narrativ für die Weihnachtszeit. Und dann gleich so ein eiskalt Zeitgemäßes.

Fast überall konnte man es so kurz vor dem Fest in sich verinnerlichen. Der eine Sender baute dafür extra nochmal seinen heißen Stuhl auf, der andere diskutierte wie irr um jene Nacht, die so bedeutsam war für das Jahr 2016, wie einst der Stern, dem die Könige aus dem Morgenland folgten. Aus jenem Morgenland kamen dann auch die Grapscher und Fummler, die Antänzler und Diebe, die in Köln und anderswo nicht nur eben grapschten, fummelten, antanzten und stahlen, sondern gleich noch so die gesamte Asyl- und Flüchtlingspolitik veränderten und jene politische Partei uralter Konzepte und Männer massiv stärkte. Vieles von dem, was damals geschildert wurde, dass »zehntausend nackte Neger« (Postillon) durch die Straßen tanzten, hat sich so nicht bestätigt. Aber dass es wie im Bürgerkrieg war, wie einer der Fernsehsender in einem Trailer behauptete, kann man ausschließen. Und man muss es sogar, will man den Syrern und ihrem Elend, auch nur noch einen Funken Respekt entgegenbringen. Der Vergleich verharmlost.

Natürlich ist was passiert damals. Eine Erfindung war es nicht. Aber recht schnell war wohl klar, dass sich das Ereignis politisch ausbeuten lässt und so haben sich Medien, Politik und die Rezipienten beziehungsweise die Betroffenen der Silvesternacht, gegenseitig hochgeschaukelt. Die Geschehnisse wurden dann in eine nationale Transzendenz erhoben, zum Augenblick der Besinnung erkoren, einem zeitlichen Ort, wo den Bürgern endlich klar wurde, dass es so nicht weitergehen könne. Was ja stimmte, denn einfach unkontrollierte Grenzöffnungen zu delegieren und zu behaupten, man schaffe das aber schon, das ist nicht Politik und nicht Konzept. Es war das Mitleidskalkül einer Machtpolitikerin, die ihre inhaltliche Ohnmacht und ihre Ignoranz gegenüber der vorherigen Entwicklung in dieser Frage, mit dieser Aktion zu kaschieren trachtete.

Wie gesagt, natürlich musste was geschehen, gut durchdacht aber, gut organisiert, ordentlich finanziert und eben in europäischer Zusammenarbeit. Die Silvesternacht und die Affekte, die sie gebar, haben aber einfach alles weggewischt und jede vernünftige Neuausrichtung der Fluchtproblematik erstickt. Und die Kanzlerin, eben noch auf Selfies mit Syrern die Initiatorin des Willkommens, schwenkte brutalstmöglich um. Den offenen Armen folgt jetzt die Bereitschaft, die eben noch Geherzten zurück in Kriegsgebiete zu schicken.

Ein Narrativ servierte man uns ja schon immer zum Fest der Liebe. Auch das gründete auf einer Erzählung, die sich sicher so nicht zugetragen hat. Da waren sicher keine Könige im Stall gestanden. Und Gold als Gabe für einen Knaben aus der unteren Mittelschicht, das dürfte wohl auch ein Märchen sein. Aber Grundlage war eben auch eine Fluchtgeschichte. Modifizierte Fluchtgeschichten waren also immer so eine Basis des Advents. Jetzt installieren wir eine neue. Die alte ist ohnehin vergessen, viele Menschen verbinden nichts mehr mit Bethlehem, kennen kein Gran der Weihnachtsgeschichte. Da kommt eine neue Variante natürlich gerade recht. Ein bisschen aufgehübscht und auf Zeitgeist getrimmt, dann kann man sie wieder und wieder erzählen und sie zu einem nationalen Entdeckungsmoment präparieren.

Würde heute eine syrische Familie ein Kind zwischen Tür und Angel bekommen, man würde sie verjagen und ihnen unterstellen, ein Verbrechen geplant zu haben. Der verantwortungslose Umgang mit den realen Geschehnissen am letzten Dezembertag des letzten Jahres, der hat die Vorurteile verstärkt. Am Ende buhen Studiozuschauer eine Muslimin aus und nehmen den auf dem heißen Stuhl lungernden Thilo Sarrazin in Schutz. Und dann gehen diese Leute heim und stellen eine Krippe auf, das holzgeschnitzte Abbild einer Flüchtlingsfamilie, die Rast in einem Stall machte.

In diesem Sinne, geneigte Leser, wünsche ich euch ruhige Feiertage, genießt es, wenn der Trubel da draußen für einige Tage einfriert. Und wenn ihr in 2017 gelandet seid, werdet ihr feststellen, wie friedlich Silvester war und wie sehr sich die Regierung für diesen Frieden loben lassen wird. Denn sie hat gehandelt, sie hat es geschafft. Auch das gehört zum Narrativ - als Nachgang sozusagen. Das nächste kommt dann gleich danach. Die ungeliebte Kanzlerin, sie möchte ihre Wiederwahl schaffen. Dazu braucht es die ganze Schönheit ihrer Politik, das heißt: Geschönte Berichte, frisierte Zahlen und weggelassene Hiobsbotschaften. Deutschland steht gut da. Das ist ein Satz, den sie gerne sagt. Bis zum September 2017 wird das das Narrativ des Jahres bleiben. Wir sehen uns. Bei den #neulandrebellen.

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