Unnützes Wissen

Freitag, 25. November 2016

Viele der gängigen Vorurteile, von denen der politische Rechtsruck nachhaltig gezehrt hat, sind nun als eben diese auch enttarnt: Als Vorurteile nämlich. Mal wieder. Peu a peu offenbart sich das ja. Zuletzt enttarnte das Bundesamt für Migration. Es informierte letzte Woche die Öffentlichkeit über eine Studie, die mit Zahlen unterfütterte, dass Geflüchtete weitaus besser ausgebildet sind als gedacht, fleißiger arbeiten als vermutet und auch ein deutlich positiveres Verhältnis zu Demokratie und Frauenrechten hätten als unterstellt. Gut - nun wissen wir das auch. Und nun? Was nützt es? Wer interessiert sich denn bitte noch für Zahlen und Belege, für wissenschaftliche Auswertungen und Dokumentationen? Wer kann denn heute noch was mit Fakten anfangen? Die Narrative sind doch bereits so fest eingehämmert, die kriegt man nicht mehr mit einigen Ergebnissen aus den Köpfen.

Köpfe? Das sind eh so Körperteile, die nicht der Zeit entsprechen. Wir leben ja mehr so in einem »Mehr-so-vom-Gefühl-her«-Zeitalter. Der Bauch und sein namentliches Gefühl sind Zeitgeist. »Postfaktisch« nennen es manche. Stimmt ja auch. Aber eigentlich gibt es viele Bezeichnungen für diese sonderbare Stimmung da draußen.

Neulich las ich einen offenen Brief eines Lokalredakteurs. In diesem wandte er sich an eine Frau, die ihn zuvor angeschrieben hatte. Sie teilte ihm mit, dass sie nun den Stadtteil, in dem sie in München lebe, verlassen werde. Sie spüre dort täglich die Überfremdung und möchte sich das künftig ersparen. Der Redakteur antwortete ihr, dass er den Stadtteil ganz gut kenne, so besonders überfremdet wirke er gar nicht, er sehe viel mehr so aus wie viele Stadtteile in großen Städten in Deutschland nun mal aussehen. Aber dass sie es anders fühle, das sei für ihn ein großes Problem in der heutigen Zeit. Man fühle immer schlicht zu viel. Man fühle und spüre noch bevor man etwas prüfe. Der Redakteur hat völlig recht, Gefühlsmenschen beanspruchen die Deutungshoheit für sich.

Man kann da Studien aufbieten wie man will. Das ändert die Gefühle nicht. Ich weiß zum Beispiel, dass Klaus Kinski während irgendwelcher Dreharbeiten Herbert Fux verfolgte, weil dieser eine geplante Würgeszene im Halbdunkeln mit ihm nicht drehen wollte. Man stellte ohne sein Wissen eine Puppe aus, die Kinski wirr würgte, bis er merkte, dass das nicht sein Kollege war. Danach gab es die obligatorische Kinskinade. Was das mit dem Thema hier zu tun hat? Inhaltlich rein gar nichts. Aber solche Anekdoten waren es, die wir früher unter unnützem Wissen verbuchten. Es war schön, wenn man solche Sachen wusste. Unterhaltsam. Falls aber nicht, konnte man auch damit leben.

Das Sujet unnützen Wissens hat sich gewandelt. Das heutige besteht aus Kennzahlen, die belegen könnten, dass die gefühlte Realität unter Umständen vielleicht doch nicht ganz so gefühlsecht ist. Dass zum Beispiel Geflüchtete in etwa in derselben Größenordnung kriminell sind, wie der Rest der Bevölkerung: Das ist unnützes Wissen heute. Oder dass man weiß, dass es Silvester eben keine Vergewaltigungen gab, wie es die gefühlte Stimmung deklarierte: Kann man wissen, muss man aber nicht. Wir leben in einer Zeit, da Prioritäten tatsächlich für entbehrliches Wissen gehalten werden.

Fühlen scheint das neue Wissen zu sein. Es zu spüren. Eine Intuition zu haben, nicht etwa Fakten. Vermutung. Mit Gespür Wissen andeuten. Selbstverständlich sind Gefühle ein wichtiger Indikator. Sie gehören zur menschlichen Bedingung. Wenn man sie an dem prüft, was man wissen kann, dann sind sie eine gute Sache. Aber diese Kompetenz steht nicht sonderlich hoch im Kurs. Die reine Befindlichkeit ersetzt das Wissen. Macht es unnütz. Befindlichkeitspräsidenten und Befindlichkeitsparteien ersetzen wissenschaftliche Dienste. Es wird aus dem Bauch heraus regiert und aus dem Bauch heraus opponiert. Es gibt knallharte Fakten zum Klimawandel? Aber vom Gefühl her haben da einige ein schlechtes Feeling. Daher bitte eine Politik, die keine Rücksicht auf die Faktenlage nimmt. Politik muss heute wohl gefühlvoll sein. An der richtigen Stelle. Gefühle für Ausländer und Arbeitslose kann man ja unterlassen. Da muss man hart bleiben. Das ist die skurrile Melange aus Härte und Gefühl, die da nicht mehr nur ein Weltbild prägt, sondern auch mittlerweile die Welt.

Es ist ja ausgelutscht, aber es gab schon mal Zeiten, da hatten alle so ein Gefühl. Ja, so ein ganz dummes Gefühl im Bauch. Es ging um Juden. Man fühlte, dass es zu viele gibt. Und man spürte, dass sie zu viel einflussreiche Positionen besetzten. Deshalb waren die neuen Herren im Land auch stark gegen das neue Konzept von großen Kaufhäusern, die den altbewährten Händlern Konkurrenz machten. Man boykottierte Kaufhäuser daher recht unkoordiniert. Aber nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil das Kaufhaus als Betriebsform als Ausdruck des jüdischen Lebenswandels galt. Man hatte da so ein Gefühl überrannt zu werden.

Doch nur 4,2 Prozent des Gesamtumsatzes des Einzelhandels stammten damals aus Kaufhäusern - von denen gab es  ja auch nur 312 im ganzen Land. Diese Zahlen waren die Fakten. Und das war damals das unnütze Wissen. Das unnütze Wissen von heute ist dann wohl das nützliche Wissen von morgen. Tröstet uns das?

1 Kommentare:

Anonym 26. November 2016 um 09:10  

merkel/gabriel können nicht so offen für ein Dunkeldeutschland 2.0 werben, wie es etwa die AfD sich erlaubt, deshalb schaffen sie mit der einwanderungspolitik/sozialpolitik, die sozialen voraussetzungen/sozialneid für eine ablösung der alten volksparteien durch eine rechte partei wie die AfD

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