... und sie haben gewonnen

Mittwoch, 21. September 2016

Stillstand ist Fortschritt. Das könnte man so sagen, wenn man die Erkenntnisse des Statistischen Bundeamtes als Tröstung heranziehen möchte. Das behauptet nämlich, dass die Lohnspreizung gestoppt sei. Nach Jahren der klaffenden Schere habe sich also eine Spreizung eingependelt, die das Niveau hält. Man kann nun in Deutschland zwar noch sagen, dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft. Man könne aber nicht mehr sagen, dass sie immer weiter auseinanderklafft. Stillstand eben. Und das ist doch ein Fortschritt, nicht wahr? Jedenfalls von der Warte der sozialen Frage aus gesehen. Denn die galoppierende Ungleichheit scheint abgebremst. Überall sonst gilt natürlich weiterhin, dass Stillstand tödlich ist. Aber die Entwarnung des Statistischen Bundesamtes ist keine. Sie ist bloß das Dokument einer gelungenen Umverteilung.

Denn man könnte es ja auch so bewerten: Jetzt haben - frei nach Warren Buffett - die oberen Schichten gegen die unteren über Jahre hinweg einen Klassenkampf geführt. Und sie haben ihn gewonnen. Oder doch wenigstens alle bisherigen Schlachten für sich entschieden. Der Stillstand ist nicht Beleg für Rückgang oder Bescheidenheit, sondern dafür, dass sie ungleiche Verteilung ins Stocken geraten ist, weil der Kuchen, der noch übrig ist, immer kleiner wird. Kein Wunder, bei den Riesenstücken, die man sich schon auf den Teller geschaufelt hat. Wachstum ist begrenzt. Das des Kuchens auch. Und man kann ihn ja auch nicht ganz an sich reißen, einige Krümel müssen immer auch übrigbleiben, damit die, die den Mehrwert schaffen, auch das Gefühl haben, ein bisschen was davon zu bekommen.

Gut, die Sklaverei wäre jetzt eine Möglichkeit, um die Spreizung wieder anzufachen. Aber wie lange geht das gut? Nein, mal ganz nüchtern betrachtet ist es doch tatsächlich so, dass wie präsentierten Zahlen nur beweisen, dass die Umverteilung von unten nach oben manifest ist, dass sie sich nachhaltig eingestellt hat und zwar nicht an einem Endpunkt angelangt sein mag, wohl aber an einer natürlichen Grenze ansteht. Noch mehr Umverteilung würde nur noch mit massiver Entrechtung der Habenichtse gelingen, mit Leibeigenschaft 2.0, mit einer schwärenden Rebellion einhergehen. Da ist keine Vernunft am Werk, die den Stillstand zum Fortschritt macht, sondern der Fortschritt des »Klassenkampfes von oben« hat einen Stillstand verursacht. Der Plan hat funktioniert, die neue Verteilungslage ist installiert. Und seit Jahren scheint es ein gewisses Niveau zu halten.

Fortschritt wäre hier, wenn wir einen Rückschritt erkennen könnten. Aber genau das ist nicht der Fall. Man hat ein Level erreicht, ist an Grenzen gestoßen und pendelt sich da chronisch ein. Der Punkt musste ja mal erreicht werden. Trendwende wäre allerdings, wenn der Abstand schmilzt. Tut er aber nicht. Das wäre ja auch etwas, was den Eliteklassenkämpfer an der Ehre packte. Die heutige Distanz im Gefälle ist das Minimalziel. Mehr geht immer, weniger nimmt man nicht hin. Etwaige Tendenzen werden sofort propagandistisch bekämpft und zerlegt.

Fairerweise muss man sagen, dass das Statistische Bundesamt ja auch nichts von Trendwende behauptete. Aber es las sich schon so, als würde man wenigstens mal in die Runde werfen wollen, als sei der Kulminationspunkt erreicht. Der höchste anzunehmende Punkt, von dem aus es nur noch hinab auf einen tieferen Punkt gehen kann. Aber das gerade ist zu bezweifeln. Es ist kein Punkt mehr, es ist eine Gerade. Und letztlich ein dauerhaft geschaffener Zustand. Die Zahlen sagen eigentlich aus, was Buffetts bekanntester Ausspruch schon besagte: Wir machten Klassenkampf und wir haben gewonnen. Und keiner vermag an diesem Sieg zu rütteln. Momentan ist halt Stagnation, man hat schon so viel, dass noch mehr zu erwirken immer schwieriger wird. Das ist kein Grund aufzuatmen. Es ist ein Grund zur gesteigerten Besorgnis.

6 Kommentare:

ninjaturkey 21. September 2016 um 08:39  

Weder ist der höchste Punkt erreicht, noch hat ein Übergang auf ein Plateau stattgefunden. Immerhin HAT der Pöbel noch Reste von Vermögen die es zum höheren Nutzen zu kassieren gilt. Erst wenn alle außerhalb der obersten Schicht ein - nennen wir es - Hartz IV-Plus bekommen (und das Plus muss auch nicht zwingend sein) kommt die Umverteilung kurz zum Stillstand. Danach werden sich die 0,1% entweder gegenseitig kanibalisieren oder endgültig in luxuriösen Habitaten einsperren - oder beides.
Die aktuellen Zahlen basieren auf Modusänderungen in der Erhebung, wie auch beim Wirtschaftswachstum, der Beschäftigung, etc.
Guckst Du hier: http://aktuelle-sozialpolitik.blogspot.de/2016/09/199.html

Anonym 21. September 2016 um 12:54  

Woher weiß man denn, dass sich da etwas auf Stillstand "chronisch einpendelt"? Genauso gut kann die Schere doch wieder weiter aufgehen. Oder tatsächlich in die andere Richtung zugehen.
Der aktuelle Stand sagt doch nichts über die Zukunft.
Auch wird die Umverteilung nicht (erst) durch diesen aktuellen Stand der Zahlen dokumentiert, sondern das stand bisher jedes Jahr in den Zahlen und nicht erst jetzt, wo die Schere ins Stocken kam.

Anonym 22. September 2016 um 12:00  

Die Reichen beginnen in dieser Stastik ab € 31,- Bruttostundenlohn ( https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2016/09/PD16_322_621.html ). Die richtig Reichen werden stastistisch nicht erfasst. Die Aussagekraft über die tatsächliche Einkommensspreizung ist also gering.

Lars 23. September 2016 um 04:17  

Stefan Sell hat sich die zugrundeliegenden Zahlen, sowie Detailänderungen im Umfang ihrer Erhebung aus einer anderen Perspektive angeschaut:
http://aktuelle-sozialpolitik.blogspot.de/2016/09/199.html

Zu der fraglichen Kennziffer:
Die als Beleg für ein Verharren hervorgehobene Zahl von 3,45 bzw. 3,33 drückt das Verhältnis zweier Schwellwerte aus. Die Schwellen sind die Einkommensübergänge vom ersten ins zweite und vom neunten ins zehnte Einkommensdezil. Verkürzt: wenn wir 100 Personen betrachten, dann ist der untere Schwellwert das Einkommen der Person Nr. 10 (aufsteigend sortiert nach Einkommen) und der zweite Wert ist der Verdienst der Person Nr. 90. Es handelt sich jeweils um Einzelwerte - also nicht um Durchschnittswerte des gesamten Dezils.
Wenn nur diese beiden Werte betrachtet werden, bleiben jedoch selbst dramatische Verschiebungen unberücksichtigt - beispielsweise könnten die Einkommen der unteren 95% stagnieren, während die oberen 5% ihr Einkommen verdoppeln, ohne dass sich das zitierte Verhältnis ändert.

Der verlinkte Spiegel-Online-Artikel, der das Ende der fortschreitenden Ungerechtigkeit erkannt zu haben glaubt, verweist ausdrücklich nur auf dieses eine spezifische Dezilsverhältnis und nicht beispielsweise auf den recht gebräuchlichen Gini-Koeffizienten. Dies deutet darauf hin, dass der zugrundliegenden Datenlage nur mittels dieses einen spezifischen Zahlenverhältnis eine Botschaft im Sinne des Autors ("Der Trend der Lohnspreizung ist gestoppt") entlockt werden konnte. Wer Lust auf Zahlen hat, wird im Quell-Material sicherlich reichlich Belege finden, die eine gegenteilige Interpretation nahelegen.

Anonym 23. September 2016 um 14:24  

"Wachstum ist begrenzt"

Dieser Trugschluß hält sich hartnäckig. Mal ganz davon abgesehen das selbst die Erde durch Material das täglich aus dem All zugeführt wird "wächst", ist es unmöglich das Wachstum auf einem Planeten der Leben beherbergt endlich ist.

WACHSTUM WIRD GENERIERT!

Alle predigen es gäbe kein ewiges Wachstum, kann es in einer begrenzten Welt gar nicht geben usw usf.
Dabei Leben sie selbst alle in einem ewigen Wachstum, merken es nur nicht – man nennt das Kreislauf.
Und der ist im Verständnis ewig – der ewige Kreislauf. Städte werden gebaut, dann werden sie zerbombt – Wachstum wird generiert. Die verbrauchen Bomben müssen auch wieder ersetzt werden – Wachstum wird generiert. Die Abrißbranche hat keinerlei Zukunftssorgen, denn sie weiß; alles was gebaut wird, werden sie auch wieder abreißen – Wachstum wird generiert. Geplante Obsoleszenz – Wachstum wird generiert. Aber die Anzahl der Menschen kann nicht ewig An-Wachsen. Doch, kann sie. „Plötzlich“ gibt es eine Pandemie, oder der dritte Weltkrieg findet seinen vernichtenden Höhepunkt und schon leben nur noch 1 milliarden Menschen, um wieder auf 8 oder 12 Milliarden anzuwachsen – Wachstum wird generiert.

Aber das Material, Rohstoffe um das alles zu bauen, erzeugen und wieder herzustellen ist begrenzt. Ach ja? Wo ist es denn hin das ganze Material? Im All befindet sich nur ein verschwindend geringer Anteil – und selbst der fällt uns teilweise auf den Kopf.

Und was ist mit Öl? Das verpufft, is weg. Aggregatzustand verändert, so nicht mehr nutzbar. Na und? Es wird Ersatz geschaffen – Wachstum wird generiert.

Und immer daran denken; wenn du etwas sauber machst, wird etwas anderes - meist viel mehr - schmutzig UND DER DRECK IST IMMER NOCH NICHT WEG. Wenn du dir also die Hände wäschst - womöglich noch mit Chemikalien - wird gemessen an deinen kleinen schmutzigen Händen, unendlich viel sehr viel schmutziger. Aber damit hast du wenigstens Wachstum generiet - und saubere Hände...

Der Souverän

Anonym 24. September 2016 um 09:15  

Die Sklaverei haben wir schon längst.

Nun kommt aber trotzdem der Punkt wo man nicht mehr Sklaven schaffen kann.Das Wachstum an Sklaven ins unendliche hat seine Grenze gefunden.


Wenn es über die Grenze hinaus geht, versklaven die Sklavenhalter sich selbst oder haben dies schon getan. Sklavenhalter sind Sklave ihres eigenen tuns.


Verwechseln wir bitte nicht unseren vom Konzern-Kapital erlaubten Freiraum nicht mit Freiheit,denn der erlaubte Freiraum ist nur ein Knast ohne Gitter der mit Freiheit nichts zu tun hat, aber die Kunst zu beherrschen sich Unabhängig zu versorgen ist die wahre Freiheit.Wir, das sind über 90% der Weltbevölkerung, dürfen nicht von Freiheit reden, da über 90% der Weltbevölkerung Lohnabhängig sind,was gleichbedeutend ist mit Versklavung durch Lohnabhängigkeit.

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP