Her Loyal Highness

Mittwoch, 7. September 2016

Türken, die hier leben, sollten diesem Land hier loyal ergeben sein. Empfiehlt zumindest die Kanzlerin. Sie sollten beispielsweise positiv auf Behörden reagieren, die ihnen Dönermorde unterstellen. Und natürlich sollten sie akzeptieren, dass sie hierzulande nur als Deutsch-Türken durchgehen können. Kämen sie aus Skandinavien ... lassen wir das. Dabei vergisst die Kanzlerin etwas ganz Wesentliches: Mit der Loyalität zum diesem deutschen Staat haben es auch viele ihrer Landsleute nicht. Sie versammeln sich in AfD und bei Pegida und artikulieren ganz ungeniert ihre Ablehnung zur Deutschland GmbH, wie sie das Land despektierlich nennen. Ein Aufruf zu mehr Loyalität dieser Leute blieb da aber leider bislang aus. Überhaupt macht es sich diese Regierung mit ihrer ökonomischen Marschrichtung selbst schwer, Loyalitätsgrundlagen zu schaffen. Die Losung liegt doch auf der Hand: Macht Loyalitätspolitik, dann kriegt ihr auch loyale Bürger.

Dass es heute so aussieht, als hätte die AfD eine Massenbasis, hat viel mit dem Sozialabbau der letzten Jahrzehnte zu tun, kann zu großen Teilen mit Hartz IV erklärt werden. Jetzt plant das Arbeitsministerium auch noch zur Verschärfung der Situation, neue Sanktionsmodelle einzuleiten. Der vor den Behörden entblätterte Langzeitarbeitslose soll jetzt auch nackt gemacht werden vor Nachbarn und Bekannten. Man möchte nämlich bewerkstelligen, dass die Hartz-IV-Ermittler auch von denen Mitwirkung einfordern können, um die Heere von Sozialschmarotzern einzudämmen. Wer dann nicht mitwirkt, wer sagt, dass er sich nicht in die Angelegenheit seines arbeitslosen Nachbarn einmischen möchte, der kann auch strafrechtlich verfolgt werden. Bravo, muss man da sagen. So schafft man Wut, so treibt man manchen in die Fangarme derer, die als Parole verlauten lassen, dass die da oben ein lausiges Spiel spielen. So zerreißt man die letzten Fasern der Loyalität, an denen dieses Land baumelt.

Es ist doch ein abgeschmackter Witz, wenn sich eine Bundeskanzlerin allen Ernstes hinstellt und von Deutschen mit türkischen Wurzeln Loyalität erwünscht, wenn gleichzeitig die AfD und die Pegida massive Formierungen von Deutschen ohne andere Wurzeln sind, die sich völlig deloyalisiert haben. Was ist denn bitte ein ernsteres Problem? Einige Spinner, die für den heutigen Präsidenten der Türkei Sympathie bekunden und sich als sehr neue Erscheinung (und womöglich nur als kurzzeitiges Phänomen im politischen Alltag) aufstellen? Oder all die Wirrköpfe, die seit einigen Jahren die Szenerie mit ihrem entsolidarisierten und deloyalisierten Wichs vergiften? Hat die Kanzlerin denn je von ihren Landsleuten Loyalität gefordert? Vernunft ja, das mag ihr als Ratschlag über die Lippen gekommen sein. Aber Loyalität?

Doch wie könnte sie auch? Wir leben in einem Land, das jegliche Loyalität erschwert. Loyalität ist keine Sache des Herzens. So stellt man das zwar gerne dar. Aber es stimmt nicht, denn erst frisst man, bevor man moralisch wird. Das gilt hier wie überall. Loyal ist man, wenn es Loyalitätsgrundlagen gibt. Seinem Peiniger gegenüber ist man auch dann nicht loyal, wenn der ein herziges Bürschchen ist. Ist man es doch, nennt man es Stockholm-Syndrom. Und das ist was anderes. Außerdem kann man einem Land gegenüber nicht loyal sein. Man ist es wenn schon, dann den Institutionen des Landes gegenüber. Oder man schenkt ihnen diese Loyalität eben nicht, wenn diese Institutionen so formiert werden, wie sie es mit der Agenda 2010 taten und wie sie unter Nahles zur neuen Eskalation treiben. Wenn man den Menschen seit Jahren Lebensgrundlagen erschwert oder gar nimmt, wenn man sie potenziell kriminalisiert, ihnen die Löhne kürzt, Normalarbeitsverhältnisse verknappt, jede Gesundheitsreform einseitig erhöht, wenn man Schwimmbäder und Jugendtreffs schließt, Straßen im ruinierten Zustand belässt, Bahnstrecken veröden, wenn man die materiellen Probleme der Leute ignoriert und ihnen stattdessen mit Durchhalteparolen oder »Uns geht es ausgezeichnet!«-Beteuerungen kommt, darf man alles erwarten. Loyalität allerdings eher nicht.

Und wenn jetzt einige Türkischstämmige im Lande so einen komischen Kult um den Präsidenten eines Landes hegen, dem ihre Ahnen entstammen, dann sollte Her Loyal Highness bitte nicht so tun, als habe dieses Land, dem sie loyal zu sein haben, sie behandelt wie rohe Eier. Dem ersten Mordopfer der NSU, einen türkischen Blumenhändler, haben die Ermittlungsbehörden noch eine Geliebte angedichtet, um in der Familie des Opfers derart Unfrieden zu stiften, dass die Angehörigen endlich reden und erzählen, dass das Opfer doch was ausgefressen hat. So loyal waren Behörden in diesem Land mit Hinterbliebenen türkischer Herkunft. Das sollte man nicht vergessen, wenn man sich nun hinstellt und mit Unverständnis Loyalitätsbekundungen einfordert. So einfach ist das alles ja dann nicht.

Loyalität, die muss man sich verdienen und schaffen. Die kriegt man nicht einfach so. Nicht von Türkischstämmigen, die in Erdoğan vermutlich so eine Art Identitätsstifter sehen wollen, in einem Land fern »der Heimat«, in dem man nichts gilt. Und auch nicht von den Menschen ohne Zuwanderungshintergrund, die nach und nach ihre Perspektiven verlieren. Wer sich einfach hinstellt und fordert, der scheint überfordert. Doch sich hinstellen und fordern, dass kann diese Bundeskanzlerin ganz ausgezeichnet. Sie schafft das - immer wieder.

1 Kommentare:

Hartmut 7. September 2016 um 12:14  

Hm, warum habe ich das Gefühl, dass AfD und andere Verteidiger des gesamten Abendlandes (und nicht nur Deutschlands) schallend lachen würden, wenn man von ihnen Loyalität zu Deutschland abfordern würde? Ist das nicht eigentlich DEREN Trip? Man sollte vielleicht genauer definieren, welches Deutschland jeweils gemeint ist, zu dem man loyal sein soll.

Zitat: "Einige Spinner, die für den heutigen Präsidenten der Türkei Sympathie bekunden und sich als sehr neue Erscheinung (und womöglich nur als kurzzeitiges Phänomen im politischen Alltag) aufstellen?"
EINIGE Spinner? Und hat man nicht auch die AfD als "kurzzeitiges Phänomen" gesehen?

Den Abschnitt mit der UN-verdienten Loyalität gegenüber diesem Deutschland unterschreibe ich jedoch sofort.

Zitat: "Nicht von Türkischstämmigen, die in Erdoğan vermutlich so eine Art Identitätsstifter sehen wollen, in einem Land fern »der Heimat«, in dem man nichts gilt"

Mir drängt sich dann bei so einigen Fans des türkischen Sultans allerdings schon die Frage auf, warum man dann seine deutsche(!) Heimat(!), in der man so schlecht behandelt wird, nicht verlässt und ins gelobte Sultanat umsiedelt. Ob sie vielleicht doch ahnen, dass sie vom Regen in die Traufe geraten könnten?

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